Rede von
Prof. Dr.
Fritz
Hellwig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Dr. Deist, es ist das gute Recht der Opposition, auch in diesem Hause, immer mehr und alles immer schneller getan halben zu wollen, als die, die Verantwortung tragen — die Regierung — es verantworten können.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige kritische Punkte berühren, von dienen vorhin schon gesprochen worden ist. Da ist das Problem der künftigen Zollbelastung einerseits
für die Kostenstruktur und für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, andererseits aber auch für die Lebenshaltungskosten. Ich möchte vorschlagen, daß wir uns nicht auf solche globalen Angaben beschränken wie 25 % der Einfuhr aus dem Gemeinsamen Markt, weitere 30 oder wieviel Prozent aus Ländern der Freihandelszone oder ähnliche Zahlen für die Ausfuhr.
Hier müssen wir ganz genau unterscheiden, welcher Art die Einfuhr aus diesen Ländern und welcher Art die Ausfuhr in diese Länder ist. Es scheint mir sehr bemerkenswert zu sein, daß aus dem Gemeinsamen Markt vor allem ein hoher Anteil der Nahrungsmittel tierischen Ursprungs kommt und aus den übrigen Ländern der OEEC ebenfalls ein wesentlicher Anteil, so daß unsere Einfuhr von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs mit Sicherheit im wesentlichen aus diesem Sektor bedient wird.
Bei den Rohstoffen der gewerblichen Wirtschaft muß beachtet werden, daß hier der Gemeinsame Markt, d. h. die übrigen fünf Mitgliedsländer der Wirtschaftsgemeinschaft, nur mit einem relativ geringen Anteil, nämlich nur mit 12 % vertreten ist. Aber der Rohstofftarif des Gemeinsamen Marktes, d. h. der spätere gemeinsame Außentarif, darf 3 % nicht überschreiten.
Eine ähnliche Begrenzung besteht gerade auch im Interesse der Bundesrepublik bei dem kommenden Außentarif für Halbwaren. Die Bundesrepublik als industrieller Verarbeiter muß Halbwaren in großem Umfang einführen; die Halbwareneinfuhr kommt zu 26 % aus dem Gemeinsamen Markt.
Für Fertigwaren des gewerblichen Sektors ist keine allgemeine Beschränkung des Zollsatzes vor-gesehen. Aber das Schwergewicht der Einfuhr von Fertigwaren in der deutschen Bundesrepublik liegt gerade bei den Ländern des Gemeinsamen Marktes. Etwa 45 % der Einfuhr von gewerblichen Fertigwaren kommen schon jetzt aus dem Gemeinsamen Markt, wir werden also bei ihnen später in den Genuß des Abbaues der Innenzölle des Gemeinsamen Marktes kommen. Ich würde es begrüßen, wenn uns zur Beurteilung der Entwicklungstendenzen des kommenden Außentarifs einmal eine Analyse der deutschen Einfuhr- und Ausfuhrbeziehungen gerade im Hinblick auf Zollbelastung und Herkunftsländer nach der jetzigen Struktur gegeben werden könnte; es würde weitere Beratungen wesentlich erleichtern.
Nun stellt sich natürlich die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere wenn für bestimmte Rohstoffe ein — wenn auch noch so niedriger — Zoll erhoben werden sollte, Rohstoffe, die bisher vielleicht zollfrei eingeführt werden können. Das gleiche Problem der Wettbewerbsfähigkeit taucht auch im Zusammenhang mit der sogenannten Harmonisierung von Löhnen und Soziallasten auf. Ich bin überzeugt, daß sich eine Reihe von Wirtschaftszweigen hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Gemeinsamen Markt werden umtun müssen, daß sie nicht ohne weiteres von sich sagen können, sie seien im Gemeinsamen Markt unschlagbar. Andererseits glaube ich, daß die Möglichkeiten, die der große Markt für die Wirtschaftlichkeit der Fertigung durch die volle Ausnutzung der Standortvorteile unter Abbau von Zoll- und Frachtdiskriminierungen bringt, genügend Ausgleich geben, von einigen ganz besonderen Ausnahmen wie etwa dem deutschen Mineralölbergbau abgesehen, so ,daß etwaige Erschwerungen, die auf der Kostenseite hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit auftreten, durch andere Vorteile im Gemeinsamen Markt kompensiert werden.
Ein Wort zu der Frage, inwieweit die Harmonisierung von Lähnen und Soziallasten etwa künftige Kostenerhöhungen gerade für die deutsche Wirtschaft mit sich bringen wird. Ich darf hier auf neu vorliegendes Material über einen Vergleich mit der Saar verweisen. Das Lohnniveau und die Struktur der Soziallasten in der Saar stimmen ja mit den entsprechenden Größen in Frankreich im wesentlichen überein; zum Teil hat die Saar sogar höhere Löhne als Frankreich.
Das Ergebnis dieses Vergleichs, der vom Statistischen Amt des Saarlandes durchgeführt wurde, ist folgendes: Wenn der Bruttostundenlohn — zuzüglich der weiteren Lohnzulagen und der Familienzulagen — im Saarland in Vergleich gesetzt wird mit dem Bruttostundenlohn in der Bundesrepublik — ohne das gesetzliche Kindergeld —, so ergibt sich, daß der Durchschnittslohn von Facharbeitern, angelernten Arbeitern und Hilfsarbeitern, also von allen männlichen Arbeitern an der Saar, höher nur in der Baustofferzeugung, in der Sägeindustrie und in der Holzverarbeitung ist. In allen anderen Industrien, für die mir Vergleichsmaterial vorliegt: eisenschaffende Industrie, Gießereiindustrie, eisenverarbeitende Industrie, chemische Industrie, Baugewerbe sowie bei den weiblichen Arbeitern in der Textil- und Bekleidungsindustrie, liegt das Lohnniveau der Bundesrepublik bereits über dem der Saar. — Man muß allerdings — und damit komme ich zu einem anderen schwerwiegenden Punkt — diesen Vergleich entsprechend der Kaufkraft der Lähne durchführen. Man darf die Löhne drüben nicht nach dem künstlich hochgehaltenen amtlichen Wechselkurs für den französischen Franken bewerten, wie er zur Zeit noch besteht.
Ich habe davon gesprochen, daß sich die deutsche Wirtschaft über ihre Wettbewerbsfähigkeit durchaus nicht in Sorglosigkeit wiegen darf. Man hat so oft das Bild von dem Geleitzug gebraucht: daß die deutsche Wirtschaft, die in den letzten Jahren eine nicht zu bestreitende schnellere Entwicklung als andere Länder genommen hat, etwa zu vergleichen sei einem schnellen Schiff das sich in einen Geleitzug begebe, dessen Tempo von dem langsamsten Schiff bestimmt werde. Ich kann vor dieser Art der Darstellung nur warnen. Denn es ist nicht überall so, daß die deutsche Wirtschaft das schnellste Schiff hätte. Auch andere Länder haben in diesem Geleitzug — auf den einzelnen Märkten — Schiffe von ganz erheblicher Schnelligkeit. Ich erwähne etwa den international anerkannten Standard der französischen Elektronenindustrie, des französischen Maschinenbaus, des franzöischen Elektrolokomotivenbaus: ich erwähne das starke Investitionsvolumen, welches die französische Montanindustrie seit dem Krieg hat verzeichnen können, und es gibt da viele andere Dinge mehr. Aber ich bin der Meinung, daß man diese Dinge, wenn sie auch zur Achtsamkeit mahnen, nicht übertreiben und daß man aus einer solchen ängstlichen Schau nicht etwa sagen sollte: Nein, kommt für uns nicht in Frage.
Zu dem Problem der Lebenshaltungskosten und der Wirkung der landwirtschaftlichen Einfuhren möchte ich nicht mehr viel sagen. Kollege Margu-
lies hat auf die Einfuhr von Getreide aus Mitgliedsländern gegenüber überseeischen Einfuhren zu Weltmarktpreisen hingewiesen. Man wird es sicher sehen müssen, daß hier unter Umständen zu Lasten der Abschöpfungsbeträge, die bisher in den Bundeshaushalt geflossen sind, Verschiebungen stattfinden werden. Aber solange es sich in diesem Rahmen hält, wird keinesfalls gesagt werden können, daß dies auf Kosten des Verbrauchers geschehen werde. Ich glaube, diesen Unterschied sollte man dann doch machen.
Die Einschränkung der autonomen Zollpolitik — wir verstehen, daß der Bundeswirtschaftsminister hier besonders unangenehme Empfindungen hat — bedeutet natürlich, daß das konjunkturpolitische Instrument autonomer Zollsenkungen nach der bestimmten Übergangszeit an Wirkungsmöglichkeit verlieren wird. Aber — da folge ich durchaus dem Kollegen Dr. Deist — wir wünschen ja, daß sich auch eine Koordinierung der Konjunkturpolitik in dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entwickelt. Denn es hat keinen Zweck, dieses Europa etwa noch verteidigen zu wollen, wenn Sonderkonjunkturen und Sonderkrisen an den nationalen Grenzen haltmachen und nicht aus einer gemeinsamen europäischen Konjunkturpolitik auch die Solidarität in der Bekämpfung der Krisen entwickelt wird. Das muß hier einmal ganz deutlich gesagt werden. Wir sind überzeugt, daß wir uns trotz unserer grundsätzlichen unterschiedlichen Auffassung in bestimmten wirtschaftspolitischen Fragen durchaus zu einer gemeinsamen europäischen Konjunkturpolitik finden werden, womit allerdinigs die Festlegung auf dias Programm einer ganz bestimmten Theorie der Vollbeschäftigungspolitik
nicht ausgesprochen sein soll.
— Herr Kollege Deist, gegen diesen Vorwurf sind wir einstweilen doch erheblich gefeit.
Der zentrale Mangel ist — das muß hier nochmals gesagt werden, auch nachdem es von anderen Sprechern schon betont worden ist —, daß noch keine verbindliche Grundlage für die Entwicklung einer gemeinsamen Währungspolitik in dem Vertragswerk enthalten ist. Der Ansatz für eine Koordinierung der Währungspolitik ist zwar vorhanden, aber von einer bestimmten Verbindlichkeit, so wie es sie auf anderen Gebieten gibt, haben wir leider noch nichts finden können. Nun, wir hoffen, daß die Erkenntnisse, die auf dem Wege zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes von Jahr zu Jahr wachsen werden, die Bedeutung der einheitlichen Währungspolitik in den Vordergrund bringen werden und insbesondere die Widerstände bestimmter Länder gegen eine währungspolitisch grundlegende Reform entscheidend ausräumen werden. Ich habe das Gefühl, daß diese Entwicklung, die vor allem unserem französischen Nachbarn auf den Nägeln brennt, aus dem Zwang der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes heraus mit Sicherheit eher erwartet werden darf, als wenn es bei dem Dahintreiben wie im Augenblick bleibt. Daher soll man zwar sehr nachdrücklich von unserer Seite aus Kritik an dieser Hilfskonstruktion der Einfuhrabgaben und der Ausfuhrsubventionen üben, weil sie in das Wesen des Gemeinsamen
Marktes, der gemeinsamen Außenhandelspolitik und der Zollunion nicht hineinpaßt, aber man soll auch objektiv genug sein und sagen: hier wird j a wirtschaftlich vorweggenommen, was effektiv eine Abwertung des französischen Franc, die Korrektur des Wechselkurses darstellt. Denn die Korrektur des französischen Wechselkurses würde wirtschaftlich eine Verteurung der Einfuhr und eine Verbilliligung der Ausfuhr bedeuten. Und wenn diese Dejure-Maßnahme nun de facto durch die Verteurung der Einfuhr mit zusätzlichen Abgaben und die Verbilligung der Ausfuhr mit Subventionen vorweggenommen wird, so ist damit wirtschaftlich eigentlich die Brücke zu der notwendigen währungspolitischen Maßnahme schon sichtbar. Wir haben die Hoffnung, daß man auch auf der französischen Seite erkennt, ein wie zentrales Anliegen gerade dieses Problem für uns ist, die wir wirklich bereit sind, aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Konsequenzen für die Entwicklung einer europäischen Wirtschafts-, Sozial-, Währungs- und Finanzpolitik zu ziehen.
Zu dem Thema Überseegebiete möchte ich wegen der vorgeschrittenen Zeit nicht mehr Stellung nehmen. Mein Kollege Furler hat diese Dinge schon behandelt.
Aber noch ein Wort hinsichtlich unserer handelspolitischen Stellung zu sogenannten dritten Ländern. Es sollte, glaube ich, nicht bagatellisiert werden, daß dritte Länder, insbesondere wenn sie ,außerhalb der Freihandelszone bleiben, sich einem höheren Einfuhrzoll für ihren Absatz in der Bundesrepublik gegenübersehen werden und daß sich daraus natürlich auch die Gefahr für die Bundesrepublik ergibt, sich bei dem Absatz an solche dritte Länder etwaigen Erhöhungen der dortigen Einfuhrzölle gegenüberzusehen. Wir haben die Hoffnung, daß uns eine gewisse eigenstaatliche Dispositionsmöglichkeit im Abschluß von Abkommen mit solchen auch definitiv außerhalb der Freihandelszone stehenden Ländern verbleibt und wir so noch die Möglichkeit zur Anpassung und zu bestimmten Entwicklungen haben. Man sollte verhüten, daß hier allzu früh infolge allzu starrer Haltung die Möglichkeiten unmittelbarer Außenhandelsgestaltung aufgegeben werden.
Im ganzen, glaube ich, dürfte die wirtschaftliche Konzentration des Austausches innerhalb des Gemeinsamen Marktes einen nicht unerheblichen Ausgleich für etwaige Erschwerungen in der Position auf dem Weltmarkt mit sich bringen, ganz abgesehen davon, daß auch der Gemeinsame Markt — der große Binnenmarkt — noch immer die beste heimische Voraussetzung für jede Exportbemühung auf dem Weltmarkt ist. Bisher ist die Stärke der großen Exporteure auf idem Weltmarkt wesentlich mit davon bestimmt worden, daß sie einen großen aufnahmefähigen Binnenmarkt — und der soll ja nun mit 160 Millionen Verbrauchern entstehen — hinter sich wußten.
Bei der Abwägung des Für und Wider für die Bundesrepublik muß schließlich noch einer Besonderheit gedacht werden. Das ist nicht so sehr die Besonderheit der Zonengrenze — über unsere Besorgnisse wegen des Warenverkehrs mit der sowjetischen Besatzungszone ist schon genügend gesagt worden —, sondern es betrifft dias Zonengrenzgebiet. Es ist für uns ein besonderes Notstandsgebiet und nicht mit den Maßstäben zu messen, die für alle übrigen Teile dieses neuen Gemeinsamen. Marktes gelten. Es wird hier ähnlich
sein wie mit Süditalien, und man wird für ganz bestimmte Bezirke aus bestimmten Notlagen unter allen Umständen Sonderregelungen anstreben müssen. Beispielsweise wird für Frachtvergünstigungen, für bestimmte soziale Regelungen in bezug auf das Zonenrandgebiet ein anderer Maßstab angewendet werden müssen, als er für den Abbau von wettbewerbsverschiebenden Maßnahmen in der Gemeinschaft im allgemeinen gelten soll.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch einem Gedanken Ausdruck geben. Ich glaube, man sollte nicht nur die politische Bedeutung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in den Vordergrund stellen und nicht nur sagen: es hat wirtschaftlich sehr viele Mängel, aber weil es politisch notwendig ist, wollen wir es tun. Ich bin der Meinung, daß bei einer objektiven Abwägung von Schwierigkeiten und Vorteilen, von Chancen und Risiken auch aus der wirtschaftlichen Prüfung ein Ja zu diesem Weg gesagt werden wird.
Es war von dem Geleitzug die Rede; ich habe soeben schon einmal darauf aufmerksam gemacht. Sicher, wir haben in den letzten Jahren in der Bundesrepublik eine wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen gehabt, die uns mit Stolz erfüllt. Sie sollte uns aber nicht übermütig machen; man sollte anerkennen, daß es nicht immer so zu sein braucht, daß wir ein besonderes schnelles Schiff sind und daß wir etwas aufgeben, wenn wir in einen Geleitzug hineingehen, bei dem das Tempo der Fahrt vom langsamsten Schiff bestimmt wird. Es ist immer noch besser, in dem Schutz eines langsameren Geleitzuges über den Ozean der Weltpolitik mit ihrer Gefährdung gerade für die Bundesrepublik zu kommen, als als ein stolz und schnell fahrendes Einzelgängerschiff ein Opfer der weltpolitischen Spannungen zu werden.