Rede von
Prof. Dr.
Fritz
Hellwig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt bei der etwas schwachen Besetzung des Hauses schwer, an das so starke Informationsbedürfnis zu glauben, von dem bei dieser Debatte die Rede war.
Ich will mich bemühen, diesem Thema noch einige interessante Punkte abzugewinnen. Es gelingt sicher nicht dadurch, daß man erstens für die Notwendigkeit des Gemeinsamen Marktes, der Zollunion, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft plädiert und zweitens hier nur die Mängel dieses Vertragsentwurfs aufzählt. Auf beiden Gebieten wäre sehr viel zu sagen, und das meiste und Wichtigste ist auch schon gesagt worden.
Ich möchte hier aber einige Dinge wegen ihrer Problematik herausstellen. Diese Problematik ist vor allem auch vorhin in der wirtschaftspolitischen Kontroverse zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und dem Kollegen Dr. Deist deutlich geworden.
Herr Kollege Dr. Deist hat dem Wirtschaftsminister und der Bundesregierung gewissermaßen vorgeworfen, daß sie bestimmte Ansätze für eine sogenannte aktive Wirtschaftspolitik in den in der Entwicklung stehenden Organen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wieder ausgemerzt, zurückgedrängt hätten, daß also für die sogenannte aktive Wirtschaftspolitik auf dieser europäischen Ebene in der jetzigen Konstruktion nicht genügend vorgesehen sei.
Der Bundeswirtschaftsminister seinerseits hat gerade alle jene Eingriffsmöglichkeiten, die in dem Vertragswerk drinstecken, als mit seiner grundsätzlichen, freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Konzeption in Widerspruch stehend bezeichnet. Hier ist sicher die Unterschiedlichkeit der wirtschaftspolitischen Grundauffassungen deutlich geworden.
Wir haben aber bei dem Kollegen Dr. Deist vergebens auf eine Antwort auf das Dilemma gewartet, das in seinen eigenen Ausführungen zum Ausdruck kam. Er hat einerseits eine über die jetzigen sechs Länder der Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehende liberale Freihandelsgemeinschaft, möglichst für das ganze freie Europa, und andererseits eine sogenannte aktive Wirtschaftspolitik für diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verlangt. Das ist ein Widerspruch; denn je aktiver, d. h. doch je stärker in das wirtschaftliche Geschehen eingreifend diese Wirtschaftsgemeinschaft ist, um so stärker sind doch die Widerstände der einzelnen Länder gegen eine Beteiligung hieran. Das Minimum der reinen Freihandelszone, des reinen Freihandelsvertrages aller europäischen Länder ist bisher immer daran gescheitert, daß gerade diejenigen Länder, die am stärksten sogenannte aktive Wirtschaftspolitik betreiben — ich werde darauf nachher noch im einzelnen zurückkommen —, auch der europäischen Liberalisierung den stärksten Widerstand entgegengestzt haben.
Die Ausführungen des Kollegen Dr. Deist enthielten einen weiteren Widerspruch. Er sagte, es müsse bedauert werden, daß die Bundesrepublik in dem jetzigen Vertragswerk nicht mehr so stark auf bestimmte soziale Fortschritte festgelegt und verpflichtet sei, wie es in bestimmten Phasen des Entwurfs der Fall gewesen sei. Auch hier wird
doch sofort ein starker Widerspruch sichtbar. Gerade diejenigen Länder, die die starke Festlegung der Bundesrepublik wollten, standen doch, weil ihre Wettbewerbsfähigkeit durch ihre Sonderentwicklung gestört war, der großen Lösung mit den stärksten Vorbehalten gegenüber. Sie wissen, daß ich damit Frankreich meine.
Ich darf bei dieser Gelegenheit eine Kleinigkeit einschieben. Es handelt sich um die Frage der sozialen Fortschrittlichkeit oder sozialen Rückschrittlichkeit der europäischen Zusammenarbeit in der Form, wie sie die Bundesrepublik nun seit Jahren positiv mitgestaltet hat. Herr Kollege Deist hat für die Montanunion auf die jüngste Untersuchung der Hohen Behörde hinsichtlich der Realeinkommen der Arbeiter der Gemeinschaft hingewiesen. Er hat gesagt, daß gerade hier eine fortschrittlichere Haltung der Bundesrepublik notwendig sei; denn diese Untersuchung habe ergeben, daß der deutsche Bergarbeiter im Realeinkommen an vorletzter Stelle unter den beteiligten Ländern stehe. Herr Kollege Deist, ich hätte es begrüßt, wenn Sie sich nicht auf die Zahl für das Jahr 1954 beschränkt hätten, sondern wenn Sie auch die anderen Ausführungen dieser Broschüre erwähnt hätten, worin es nämlich heißt, daß sich die Unterschiede in der Höhe des Realeinkommens in den Mitgliedsländern von 1953 bis 1956 weitgehend ausgeglichen haben und daß die Bundesrepublik in ihrer Position bezüglich des Reallohns im Bergbau und in der Eisenhüttenindustrie nach vorne gerückt ist, daß sie also in bemerkenswerter Weise aufgeholt und in der Zwischenzeit auch Frankreich überholt hat. Diese Feststellung hätte das Bild hinsichtlich der sozialen Wirkungen der deutschen Zugehörigkeit zur Montanunion sicher vervollständigt.