Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Schellenberg ist bei seiner Begründung der SPD-Vorlage davon ausgegangen, daß die Bundesregierung habe verlauten lassen, die Neuordnung der gesetzlichen Krankenversicherung sei für die Periode des 3. Bundestages vorgesehen und die Verabschiedung dieser Neuordnung werde wahrscheinlich erst in zwei Jahren möglich sein. Daraus — so muß man aus seinen Darlegungen entnehmen — hat die sozialdemokratische Fraktion die Schlußfolgerung gezogen und noch diesen Bundestag mit einer Gesetzesvorlage über eine teilweise Neuregelung des Leistungsrechts in der Krankenversicherung befaßt. Die Wiedereinführung des Selbstverwaltungsrechts in Berlin — der Punkt, den wir vorher behandelt haben — ist auf Ansuchen der sozialdemokratischen Fraktion im Ältestenrat einige Male von der Tagesordnung, auf der der Punkt bereits stand, abgesetzt worden, weil die jetzt hier zur Erörterung stehende Vorlage noch nicht fertiggestellt war. Die sozialdemokratische Fraktion, insbesondere Herr Kollege Schellenberg — so hat er es mir vor einigen Wochen auch schon einmal persönlich gesagt —, wollte nun durchaus diese Vorlage als Nagel benutzen, um an ihr diesen Gesetzentwurf über die teilweise Neuregelung des Leistungsrechts aufzuhängen. Das wäre nicht notwendig gewesen. Wir hätten den Gesetzentwurf über die Selbstverwaltung in Berlin schon seit einigen Wochen im Ausschuß haben können, weil man diese Vorlage unabhängig davon zu jeder Zeit hätte einbringen können.
Aber ich widerstehe der Versuchung, mich nun in eine ausgedehnte Debatte über die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung einzulassen, weil die Zeit 'dazu nach unserer Auffassung jetzt nicht gegeben ist.
Ein paar Bemerkungen zur Sache aber lassen Sie mich trotzdem machen. Nach unserer Meinung ist die Neuordnung des Leistungsrechts in der Krankenversicherung eineinheitliches Ganzes. Man kann nicht oder jedenfalls nur sehr schwer einen Teil vorwegnehmen, ohne daß der Sozialpolitische Ausschuß bei der Einzelberatung zwangsläufig auch in den Gesamtkomplex der Reformüberlegungen einsteigen müßte, weil Teilfragen, gerade solche, wie sie hier angesprochen sind, auch zu weiteren Überlegungen insbesondere über die Zusammenhänge führen müssen. Deshalb sind wir mit der Bundesregierung ,der Meinung, daß die Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung als eine einheitliche Angelegenheit betrachtet werden muß.
Wir sind auch darin mit ihr einig, daß es sinnvoll ist, die einzelnen Teile der Sozialreform nacheinander hier im Hause zu behandeln und zu verabschieden. Es ist nach unserer Meinung — ich wiederhole es — das einzig sinnvolle Vorgehen, wenn wir, nachdem wir die Rentenreform erledigt haben, so wie sich auch die Regierung das vorstellt, anschließend die Neuordnung der gesetzlichen Unfallversicherung hier beraten und verabschieden werden.
Wir kommen, wie ich schon andeuten durfte, nicht damit zurecht, daß wir die Leistungen in einzelnen Punkten linear anheben. Das müßte, glaube ich, zu unerwünschten Ergebnissen führen. Wir müssen auch wegen des ursächlichen Zusammenhangs von Leistungsrecht und finanzieller Auswirkung die Dinge im Zusammenhang betrachten.
Ich bin der Meinung, daß die Vorlage der entsprechenden Gesetzentwürfe im nächsten Bundestag nicht zwei Jahre auf sich warten lassen muß. Die Regierung hat, so wurde uns .auf Befragen gesagt, die vorbereitenden Arbeiten zu dieser Neuordnung im wesentlichen abgeschlossen. Der Sachverständigenbeirat beim Bundesarbeitsministerium und der dazu geschaffene Unterausschuß „Krankheitsbekämpfung" haben sich beratend mit der Angelegenheit befaßt oder werden sich noch damit befassen müssen. Daher glauben wir, daß wir das Endergebnis der im Zusammenwirken mit dem Beirat laufenden vorbereitend en Arbeiten abwarten sollten, bevor wir hier im Hause in den Gesamtkomplex dieser Materie eintreten.
Wir haben bei anderen Gelegenheiten, wenn sich die sozialdemokratische Fraktion — auch im Ausschuß — kritisch mit Meinungen der Bundesregierung oder auch mit Auffassungen unserer Fraktion oder der Koalition auseinandersetzte, oft das Prädikat gehört: „Das ist eine schlechte Sache."
— Es ist aber Freitag heute; freitags fahren die Retourkutschen. — Ich möchte in diesem Zusammenhang zu Ihrem Gesetzentwurf sagen: eine ausgesprochen gute Sache ist er auch nicht.
— Ich rede jetzt nicht von Ihren Forderungen, die Sie im einzelnen begründet und motiviert haben. Sie haben aber gesetzestechnisch und auch in der Aufeinander-Abstimmung der einzelnen Erfordernisse einiges außer acht gelassen. Ich darf nur einen einzigen Punkt als Beispiel dafür herausgreifen. ohne mich auf weitere Punkte einzulassen: Sie erklären in Ihrem Entwurf die Krankenhauspflege als Pflichtleistung. Dazu darf in Klammern bemerkt werden, daß auch die bisherige Kann-Leistung, die nach pflichtmäßigem Ermessen zu gewähren ist, in der
Praxis — das wissen alle, die mit der Krankenversicherung praktisch zu tun haben — mehr oder weniger als Pflichtleistung behandelt worden ist. Sie fordern also die Erweiterung zu einer Pflichtleistung. Die Krankenhausbehandlung ist nach geltendem Recht insofern Ersatzleistung, als die Krankengeldzahlung fortfällt und nach der Reichsversicherungsordnung Haus- oder Taschengeld zu gewähren ist. So, wie Ihr Entwurf formuliert ist, würde also für die Zukunft Krankengeld neben Krankenhauspflege als Pflichtleistung zu gewähren sein. Das Ist sicherlich ein Punkt, 'in dem Ihre Vorlage einer entsprechenden Korrektur bedarf. Ich kann nicht annehmen, daß Sie neben der Krankenhausbehandlung als Pflichtleistung auch noch das volle Krankengeld im bisherigen Umfang gewährt wissen wollen. Insofern müßte man sich doch wohl an eine Konzeption ähnlich der 'des derzeit geltenden Rechts ,anlehnen.
So, meine Damen und Herren, würde man der Einzelpunkte noch mehrere herausfischen können. Ich verzichte darauf. Ich werde mich auch nicht in den Gesamtkomplex einer Reform der Krankenversicherung verlieren. Aber ich muß mich auf das beziehen, was der Herr Bundesarbeitsminister hier vorhin bezüglich der finanziellen Auswirkungen Ihrer Vorlage gesagt hat. Die finanzielle Auswirkung geht auch nach unserer Schätzung der Dinge erheblich über die Angabe hinaus, die Sie auch in den Erläuterungen vor der Pressegemacht haben, wonach der Aufwand bei 240 Millionen DM liege. Ich brauche nicht zu wiederholen, was der Herr Minister gesagt hat.
Herr Schellenberg hat bei der Debatte vorhin darauf hingewiesen, daß sich die Allgemeine Ortskrankenkasse in Hamburg jetzt veranlaßt gesehen habe, ihre Beiträge auf 8 % zu steigern. Wenn diese Maßnahmen zur Zeit in dieser Form durchgeführt werden sollten, ohne daß die Dinge in einem den gesamten Komplex umfassenden Entwurf wirklich zusammenhängend behandelt werden, wenn wir noch bedenken, vor welchen weiteren Belastungen die Krankenversicherung im übrigen steht, dann wird, dessen sind wir gewiß, in sehr naher Zukunft nicht nur die Allgemeine Ortskrankenkasse Hamburg, sondern wahrscheinlich eine erheblich große Zahl, wenn nicht die meisten Krankenkassen, vor der zwingenden Notwendigkeit stehen, die Beiträge in dieser oder ähnlicher Form, vielleicht sogar noch darüber hinaus zu erhöhen. Deshalb sind wir der Meinung, daß man es so, wie es mit dieser Vorlage beabsichtigt ist, wahrscheinlich nicht machen kann.
Auch eine andere Bemerkung — und damit komme ich schon zum Schluß — kann ich mir in dem Zusammenhang nicht versagen. Wir haben bei allen möglichen Gelegenheiten, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von der Opposition einen Hinweis darauf hören und einstecken müssen, daß diese Dinge von uns ja nur mit einem eindeutigen, klaren Blick auf den entscheidenden Monat des Jahres 1957 gemacht würden.
— Der Monat der Bundestagswahl!
— Ich bin nicht die zuständige Stelle, die darüber zu befinden hat.
— Oh, Sie sprechen andauernd davon, verehrter Herr Kollege. Sie haben vorhin noch siegesbewußt davon gesprochen, daß das Ergebnis jenes Tages X für uns vielleicht sehr nachteilige Folgen haben könnte. Ich brauche, meine Herren, hier demgegenüber nicht wieder zu betonen, daß wir in dieser Beziehung sehr, sehr guter Hoffnung und sehr fester Überzeugung sind.
Wir werden auch im kommenden Bundestag in diesem Hause die Dinge maßgeblich zu gestalten haben.
Meine Damen und Herren, ich hatte eben gesagt: auch diese Vorlage ist mit einem eindeutigen, sehr klaren Blick auf jenen Tag X heute dem Hause vorgelegt worden. Wir wollen uns doch kein X für ein U vormachen. Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, soweit Sie mit uns im Sozialpolitischen Ausschuß arbeiten, kennen doch genauso gut wie wir die Arbeitslage im Ausschuß.
Wir brauchen uns nur vor Augen zu halten, was alles noch vor uns liegt, und brauchen nur daran zu denken, daß andauernd Überlegungen darüber angestellt werden, wann das Parlament seine Arbeit zweckmäßigerweise beendet. In Anbetracht dessen werden Sie, glaube ich, mit uns der Meinung sein, daß wir alle Kraftanstrengungen zu machen haben werden, um das bisher vorliegende Arbeitspensum auch nur einigermaßen zu bewältigen. Wahrscheinlich müssen wir im Ausschuß die Kandare noch erheblich anziehen, und selbst dann bleibt es fraglich, wie weit wir kommen.
Wir haben selber Dringlichkeitsstufen eingeführt, und da kommt nun nach der Erledigung der Knappschaftsreform die Beratung über die Gleichstellung aller Arbeitnehmer im Krankheitsfalle. Darauf hat schon Kollege Stingl hingewiesen. Wir stehen ferner vor der dringlichen Erledigung des Antrags betreffend die Krankenversicherungspflichtgrenze. Weiterhin wollen und müssen wir in diesem Parlament noch die Novelle zur Kindergeldgesetzgebung verabschieden. Außerdem steht vor uns die Vorlage über die Unfallgesetzgebung. Nach Erledigung drängt die von der CDU/CSU eingebrachte Vorlage über die Alterssicherung in der Landwirtschaft. Es ist also ein ganzer Strauß von Einzelproblemen und Gesetzentwürfen, deren Erledigung von uns noch gefordert wird. Meine Damen und Herren, beantworten Sie sich also bitte selber die Frage, ob es möglich sein wird, daneben noch diese Gesetzesvorlage zu erledigen. Ich glaube nicht, daß das möglich ist.
— Wir werden, verehrter Herr Professor Schellenberg, um das abschließend auf Ihren Zwischenruf zu sagen, die Berlin-Vorlage — das ist unser Wille — ebenfalls noch erledigen — sie gehört wirklich auf die Dringlichkeitsliste — und werden sie nicht etwa zurückstellen zugunsten des uns heute hier unterbreiteten Gesetzentwurfs.
Auf diese Bemerkungen zu Ihrer Vorlage will ich mich beschränken. Alles übrige wird zur gegebenen Zeit im Ausschuß zu sagen sein.