Herr Kollege Strosche, die Forschung hat auszugehen vom Forscher, und es ist immer ein Glücksfall, wenn uns das Schicksal einen Menschen schenkt, der auf dem Spezialgebiet, das er sich ausgesucht hat, Großes leistet
Die Mittel, die für die Forschung aufzubringen sind, können uns natürlich Schmerzen bereiten.
Das ist ja die Problematik des heutigen Tages, daß wir Mittel nicht in dem Maße bereitstellen können, wie wir es gern möchten. Darüber streiten wir uns gar nicht. Aber wir sollten bei allen Betrachtungen die Forschung, die Wissenschaft als Einheit sehen. Gerade ich als Naturwissenschaftler darf Ihnen sagen, daß mir viel zuviel Gewicht auf die Naturwissenschaft und viel zuwenig Gewicht auf die Geisteswissenschaften gelegt wird.
— Ja, ich mache Ihnen ja nicht den Vorwurf. Ich
führe das nur ganz allgemein aus, damit klar ist,
worauf es nach unser aller Auffassung ankommt.
Herr Kollege Kahn-Ackermann hat wohl zu Unrecht geglaubt, daß irgendwie der Verdacht zum Ausdruck gebracht werde, daß Sie sich bei diesen Vorstellungen, auch bei der Größenordnung der Mittel usw. an einem östlichen Beispiel unterrichtet hätten. Ich glaube nicht, daß das richtig ist. Ich darf Ihnen meine persönliche Meinung dazu sagen. Ich bin sogar sehr glücklich, daß Rußland soviel Mittel dafür ausgibt und soviel Menschen dafür einsetzt. Ich glaube nicht, daß die Beobachter Rußlands recht haben — ich selber kenne es nicht aus eigenem Erleben —, die glauben, daß sich in der politischen Führung etwas Wesentliches getan hat. Was sich nach der Meinung der anderen Beobachter geändert hat, ist wahrscheinlich eine große Gruppe der russischen Menschen, nämlich der Techniker und der Wissenschaftler. Der russi- sehe Techniker und der Wissenschaftler leisten nur so viel, wie ihr Ingenium zu leisten vermag, und das ist unabhängig von den Mitteln — natürlich bedürfen sie der Mittel, das ist ganz klar —, aber auch unabhängig von den politischen Vorstellungen. Ein Elektron bewegt sich um einen Wasserstoffkern in Rußland genauso wie hier. In der Naturwissenschaft hat die Politik Gott sei Dank keinen Einfluß. Ich glaube, daß sich da eine Ironie der Geschichte entwickeln wird. Ich bin der Überzeugung, daß Marx nicht ganz unrecht gehabt hat, jedenfalls eine Teilwahrheit formuliert hat, als er sagte, daß der Mensch natürlich auch — das „auch" füge ich jetzt zu — von seiner Umwelt bestimmt wird.
— Dann sind wir uns in diesem Punkt mit Marx einig.
Nun entwickelt sich da etwas, was den Herren im Kreml wahrscheinlich gar nicht so recht ist, daß nämlich der Wissenschaftler und der Techniker, um leben zu können, eine gewisse Freiheit brauchen. Der russische Machthaber muß sich mit diesem Begriff Freiheit einmal auseinandersetzen. Bedauerlich ist natürlich — auch das darf ich als Naturwisenschaftler sagen —, daß gerade der Techniker und der Wissenschaftler ein so schlechtes Verhältnis zur Politik und damit zur Macht und damit zur Freiheit haben; das verzögert die Entwicklung. Aber ich bin überzeugt, daß die Entwicklung in Rußland diesen Weg gehen wird. Deswegen bin ich gar nicht so böse, daß sich infolge dieser Ironie der Geschichte, wie ich es nennen möchte, eines Tages auch der östliche Nachbar Lebensformen annähern muß, die unseren vergleichbar sind.
— Vorsichtig; selbstverständlich wird sich das anders abspielen, weil es ein anderer Menschentyp ist, sehr richtig.
Aber eine gewisse Richtung ist doch unverkennbar, und es wird sich so abspielen.
Nun komme ich zu dem eigentlichen Inhalt Ihres Antrags. Ich bin etwas überrascht. Erst einmal muß ich feststellen, daß sich, wenn ich Ihren Antrag recht verstehe, genau ein Paragraph mit den eigentlichen Aufgaben befaßt, während zwölf Paragraphen Organisationsfragen behandeln. Das scheint mir symptomatisch zu sein. Ich meine also, daß der Inhalt Ihres Antrags nicht in dem richtigen Verhältnis zu der Aufgabe steht. Was Sie dort in § 2 Abs. 1 fordern — „die gesellschaftliche, wissenschaftliche, wirtschaftliche und technische Entwicklung zu beobachten und Feststellungen über das Ergebnis seiner Beobachtungen zu treffen" —, meine Damen und Herren von der SPD, das geschieht doch laufend! Soundsoviel tausend Hochschullehrer, soundsoviel tausend Journalisten, Schriftsteller tun das tagtäglich und beschäftigen sich mit dieser Aufgabe. Mir scheint das Problem wiederum das zu sein — es ist hier schon einmal angeklungen; ich weiß nicht mehr, wer von den Kollegen es gesagt hat —, daß gerade wir in diesem Hause leider alle nicht die Muße haben, diese Ergebnisse, die uns an und für sich präsentiert werden, zu lesen und geistig zu verarbeiten. Wir täten wahrscheinlich sehr viel besser, wenn wir uns selber als Parlament eine Organisation gäben, die uns etwas mehr Zeit gäbe, damit wir diese geistige Aufgabe besser, als es bislang der Fall war, verfolgen könnten.
Ich glaube nach dem Inhalt des § 2 Abs. 1 nicht, daß es überhaupt noch notwendig ist, ein neues Gremium zu 'schaffen. Nun haben Sie insbesondere die Aufgabe des Fortschritts auf dem Gebiet der Atomtechnik, Kernenergie und Automation herangezogen. Das geht heute ja auch nicht anders, das gehört zum guten Ton. Ich will keinen Vergleich zu einem gewissen Buch ziehen. Aber anders geht es heute nicht, als daß man die Stichworte Atomtechnik, Kernenergie und Automation nennt. Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß eine Organisation notwendig ist, um die sich aus den Fortschritten der Atomtechnik und der Automatisierung ergebenden Fragen zu verfolgen. Denn diese haben wir uns schon vor anderthalb Jahren geschaffen, indem wir ein Ministerium für Atomfragen eingerichtet haben. Ich war damals nicht ganz überzeugt, daß unbedingt ein Ministerium geschaffen werden muß. Ursprünglich war ich der Meinung, eine Bundesanstalt hätte es auch getan. Aber nachdem wir ein Atomministerium haben, müssen wir doch korrekterweise feststellen, daß die eigentliche Aufgabe dieses Ministerium darin besteht, ,alle Forschungsergebnisse zusammenzutragen, zu beobachten und dementsprechend gegebenenfalls politische Entscheidungen zu treffen und Schlüsse — siehe Atomgesetz usw. — daraus zu ziehen. Ich glaube also, diese Aufgabe, deren Erfüllung Sie verlangen, ist erfüllt.
Nun zur Automation; zweite industrielle Revolution! Herr Kollege Ratzel, Sie haben sich Ihre Ausführungen eigentlich einfach gemacht. Sie haben festgestellt, daß sich der Herr Bundeskanzler damit begnügt habe, festzustellen: Die zweite industrielle Revolution findet nicht statt.
— Und der Herr Bundeskanzler!
— Dann habe ich mich verhört. Entschuldigung! — Sie haben sich die Sache insofern einfach gemacht, als Sie sich damit begnügt haben, zu sagen: Zweite industrielle Revolution findet doch statt. Die Gründe haben Sie eigentlich nicht erwähnt, nach meiner Meinung jedenfalls nicht ausreichend.
Ich darf zu diesem Thema auch einmal beisteuern. Es ist auffallend, daß die Ausführungen, die Berichte, die Darlegungen von Nichttechnikern über dieses Thema eine gewisse Faszination erkennen lassen. Man ist fasziniert von einer Entwicklung, deren inneren Vorgang man als Nichttechniker im Grunde genommen nicht ganz begreift. Das ist kein Vorwurf. Ich möchte nicht irgendwelche Kritik an der geistigen Kapazität eines Menschen üben, sondern möchte nur feststellen: weil diese Menschen eben nicht von der Technik kommen, kennen sie das Wesen und den Sinn dieser Automation nicht genügend. Sie sehen nur das allerdings erstaunliche Äußere, daß auf einmal durch einen Riesenapparat tausend Arbeitskräfte freigesetzt werden. Das ist doch letzten Endes das Ergebnis.
Die Techniker sind Gott sei Dank sehr nüchterne Menschen. Sie kümmern sich um diese Fragestellung gar nicht. Sie haben vielmehr eine sehr schlichte Aufgabe zu lösen. In unserer heutigen Welt, jedenfalls hier in Europa, gibt es nicht mehr genügend Arbeitskräfte. Es ist vorausschaubar, wann wir an der Grenze sind. Infolgedessen sagt sich der Techniker: Ich setze den Weg fort, den ich bislang mit der Rationalisierung gegangen bin, ich mache mir aber die Kenntnisse der Kernenergie und der Elektronentechnik zunutze, indem ich jetzt in einem viel größeren Umfange als bisher Produktionsprozesse fern und automatisch steuere.
Ich könnte einige sehr schöne Beispiele für Automation nennen, nicht einmal aus einem Betrieb der Schwerindustrie, sondern aus einem Betrieb der chemischen Industrie, wo das schon lange in sehr starkem Umfange der Fall ist, oder sogar aus einem Versandhaus, wo man mit einem Elektronengehirn die ganze Lagerhaltung steuert, wo automatisch, wenn irgendein Fasten an einer bestimmten Grenze ist, eine Schreibmaschine in Tätigkeit gesetzt wird und die Bestellung an den Lieferanten automatisch geschrieben wird. Es gibt gerade in Deutschland in dieser Hinsicht viel modernere Einrichtungen als z. B. in den USA. Herren aus den USA haben sich gewundert, daß das in Deutschland eingeführt war. Man macht damit keine große Reklame, weil das die Konkurrenz wecken würde. Kurz und gut, so etwas ist nicht verwunderlich. Die Automation setzt nur das fort, was wir mit schwächerem Erfolg durch die Rationalisierung vor 30 bis 40 Jahren begonnen haben. Es ist also keine Revolution, sondern eine Evolution, ein ganz natürlicher Vorgang, der sich in die Entwicklung unserer Technik einpaßt.
Da die Automation nicht so sehr in der Spezialisierung auf einzelnen Gebieten als vor allen Dingen durch die Kapitalknappheit ihre Grenze findet, ist schon allein dadurch die langsame Entwicklung, die Evolution bedingt. Ich könnte Ihnen Zahlen nennen. Ich darf sagen, daß in gewissen chemischen Industrien die Automation etwa 800 000 DM je Arbeitsplatz erfordert. In anderen Industrien ist es weniger. Sie werden mir recht geben, wenn ich sage, daß man sich angesichts dieser Kosten sehr genau überlegen wird, ob es billiger ist, mit Menschen oder mit Elektronengehirnen zu arbeiten. Es handelt sich hier also nicht um etwas Absonderliches, sondern um einen ganz natürlichen Vorgang, und ich wäre dankbar, wenn wir wenigstens in diesem Hause nicht mit Schlagworten arbeiteten und wenn wir auch nicht die Köpfe unserer Mitbürger damit vernebelten und durch Vorgänge faszinierten, die im Grunde eine ganz einfache technische Entwicklung darstellen.
Soviel zur Automation. Ich glaube, daß wir uns darum nicht soviel Sorge machen sollten. Deswegen hat Ihr Antrag, auch was die materielle Seite betrifft, glaube ich, wenig Sinn.
Nun zu § 2 Ziffer 2, wonach der Forschungsrat Möglichkeiten zur Förderung der deutschen Wissenschaft darzulegen hat. Auf die Gefahr hin, meine Herren, daß Sie mich als Simplifikateur bezeichnen, sage ich Ihnen: diese Möglichkeiten stehen für mich in einem proportionalen Verhältnis zu den bereitgestellten Mitteln. Stellen wir die Mittel bereit, dann werden wir den Effekt haben, den Sie und wir alle wünschen.
Die Ziffer 3 hat mich wirklich befremdet. Ich bin nicht sicher, was Sie damit meinen, daß der Forschungsrat „die mit der Kontrolle der Macht im demokratischen Staat verbundenen Probleme zu beobachten" hat. Was bedeutet das? Ich habe Sie da nicht verstanden. Sie dürfen mich korrigieren, wenn ich jetzt etwas Falsches sage. Wahrscheinlich meinen Sie die uns allen nicht sehr bequeme, uns etwas unbehaglich vorkommende Machtverschiebung zwischen Exekutive und Legislative auf der einen Seite sowie die faktische Gewalt gewisser Wirtschaftsverbände auf der anderen Seite, wollen wir mal sagen, bei den Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wahrscheinlich wollen Sie das damit ansprechen. Ich weiß aber nicht, wozu wir da eine neue Institution schaffen sollen; denn dieser uns alle nicht sehr freundlich stimmende Vorgang wird uns bereits klargemacht. Ich darf da die Namen Weber, Sternberger und Eschenburg nennen. Wir wissen also, was da geschieht. Es ist ein rein politischer Akt, die Konsequenz daraus zu ziehen. Das nimmt uns niemand ab. Da nützt uns ein Forschungsrat am allerwenigsten. Es besteht höchstens die Gefahr, daß sich seine Mitglieder darüber selber zerreden; denn das soll ja auch bei Wissenschaftlern vorkommen. Ich glaube nicht, daß wir dem Parlament einen Gefallen täten, wenn wir hier nach dem Entwurf verfahren würden.
Ich möchte den § 2 — darin erschöpft sich der materielle Inhalt des Entwurfs - nicht weiter zerpflücken. Wenigstens stichwortartig dürfte ich Ihnen aber klargemacht haben, warum wir über Ihren Entwurf nicht sehr entzückt sind, warum wir ihn sogar für überflüssig halten. Allerdings muß ich Ihnen konzedieren, daß Sie ein Kernproblem richtig gesehen haben; das ist, wie Herr Kollege Gaul sehr klar ausgesprochen hat, daß der
föderale Staatsaufbau zu einer Zerrissenheit auf diesem Gebiet und zu einem geringen Einfluß des größten Interessenten und Geldgebers, nämlich des Bundes, geführt hat. Das erscheint uns unerwünscht.
Ich spreche als Vertreter einer an und für sich föderativen Partei, einer Partei, die sich zu den Grundsätzen des Föderalismus bekennt. Ich muß aber gestehen, daß ich persönlich mehr Pragmatiker in der Politik bin. Wahrscheinlich bin ich da als Naturwissenschaftler verdorben. Bekanntlich muß jeder Naturwissenschaftler, weil er nur das Experiment und nicht Dogmen zulassen kann, Pragmatiker sein. So zähle ich mich persönlich zu den Pragmatikern in der Politik und muß sagen, daß mir der Föderalismus nur noch eine europäische und nicht mehr so sehr eine deutsche Angelegenheit zu sein scheint. Wenn wir das Problem, lösen wollen, können wir es nach meiner Auffassung richtig nur so tun, daß wir eine Instanz vom Rang eines Ministeriums schaffen. Den Namen will ich vorsichtshalber nicht nennen, nachdem selbst der Kollege von der Demokratischen Partei nicht den Mut gehabt hat, das Kind beim Namen zu nennen.
Wir kommen nur dann zu der letzten Konsequenz, wenn der Bund eine legale Instanz hat, dort mitzusprechen und Anregungen zu geben. Dann werden wir nach meiner Überzeugung auch Ihr Anliegen am besten erfüllen könen.
Nun wird man mir entgegenhalten, das sei politisch nicht durchsetzbar. Sehr richtig! Das weiß ich auch, und deswegen habe ich keinen Antrag gestellt. Ich darf daran erinnern, daß unser sehr viel zahmerer Antrag — Bundeskultminister — immer noch in den Ausschüssen schmort und nicht zur Erledigung kommt, obwohl auch das eine ebenso dringliche Sache war; breite Kreise der Elternschaft wären sehr daran interessiert gewesen, wenn dieses Problem in einem vernünftigen Sinne hätte gelöst werden können. Aber selbst das ist uns nicht gelungen. Ich habe mich daher gehütet, nun etwa einen Gegenantrag zu stellen, hier noch eine Bundesinstanz zu schaffen. Ich glaube vielmehr, daß wir im gegenwärtigen Augenblick klug tun, abzuwarten, was in Wiesbaden herauskommt.
Ich habe nur die Hoffnung, daß der Herr Bundesinnenminister seine Versprechung wahrmachen und uns eine Instanz bescheren wird, die ersatzweise diese Aufgabe vom Bunde her löst. Wir werden Ihnen dann gern Gefolgschaft leisten, wenn Sie unserem Anliegen entgegenkommen, daß wir hier eine größere Einflußmöglichkeit des Bundes schaffen und daß mehr Mittel dabei herauskommen.