Rede von
Georg
Kahn-Ackermann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hause liegen ein Initiativgesetzentwurf der SPD über die Errichtung eines Deutschen Forschungsrates und ein einstim-
mig verabschiedeter Antrag des Kulturpolitischen Ausschusses zur Besserung und Behebung der Mängel bei der Ausbildung von wissenschaftlichem und technischem Nachwuchs vor.
Im ersten Fall haben wir bisher von der Regierung nichts anderes gehört als eine mit politischen Schlagworten begründete Ablehnung.
Im zweiten Fall, wo wir erwartungsvoll waren — immerhin steht 'in dem Antrag des Ausschusses allerhand drin, und er ist mit den Stimmen der Regierungsparteien verabschiedet worden —, haben wir gar nichts gehört; denn was hier bisher gesagt worden ist, enthält nach meiner Meinung kaum irgendeinen konkreten Vorschlag, wie die Anregungen in der Praxis verwirklicht werden können.
Ich möchte mich zunächst mit der Kritik des Herrn Ministers Schröder an unserem Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Deutschen Forschungsrates auseinandersetzen. Herr Minister, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie weder unser Wollen noch den Inhalt dieses Gesetzes begriffen haben. Sie haben davon geredet, daß in diesem Gesetz ein Dirigismus ausgedrückt werde, daß man mit ihm beabsichtige, die Universitäten und die ganze Wissenschaft einer Kontrolle zu unterwerfen. Ich möchte Ihnen sagen: Verfallen Sie doch nicht in die Gewohnheit Ihrer Parteifreunde, nach der sie so oft verfahren, wenn es sich um einen sozialdemokratischen Gesetzentwurf handelt, mit dem Schlagwort „Dirigismus" hier einen Popanz aufzurichten, auf den man hinterher mit Knüppeln draufschlagen kann!
Dieser Gesetzentwurf will etwas ganz anderes als Dirigismus und Kontrolle von Wissenschaft und Forschung. Im Gegenteil! Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf versuchen, eine organische Zusammenarbeit zwischen Politik und Wissenschaft herbeizuführen, die es heute in der Bundesrepublik überhaupt noch nicht gibt. Das ist das entscheidende Anliegen, das wir hier vertreten.
Der modernen Wissenschaft und Technik fallen im Staat von heute und von morgen völlig andere Rollen zu als in der Vergangenheit. Das sollte eine Regierung, die sich mit den Zeiterscheinungen auseinandersetzt, begriffen haben. In anderen Ländern hat man das begriffen. Auch Ihnen, meine verehrten Herren von der Regierung, dürfte nicht ganz unbekannt sein, was für Entwicklungen und Institutionen beispielsweise Großbritannien und' die Vereinigten Staaten von Amerika — denen Sie wahrlich nicht unterstellen werden, daß man dort auf einen Wissenschaftsdirigismus aus sei — in den Jahren nach dem Kriege hervorgebracht haben. Ich erwähne das in ,diesem Zusammenhang, weil der Herr Minister so getan hat, als wollten wir mit diesem Gesetzentwurf die Wissenschaftler vergewaltigen.
Ich möchte hierzu an Sie, Herr Minister, die Frage richten, ob Sie die Berichte über die dramatischen Entscheidungen gelesen haben, die amerikanische Wissenschaftler auf dem Gebiet der Politik zu treffen hatten, als es sich um die Fragen der Anwendung und der Weiterentwicklung der Atombombe und der Wasserstoffbombe handelte, politische Entscheidungen, denen sie, wie sie heute selber zugeben, damals nicht gewachsen waren, aus dem einfachen Grunde, weil die Rollen, die Wissenschaft und Politik in der Gesellschaft zu spielen haben, in der damaligen Zeit noch nicht so aufeinander abgestimmt waren, wie es das Atomzeitalter anscheinend erfordert.
Wir wünschen, daß mit diesem Gesetz in der Bundesrepublik der Anfang gemacht wird, ein Gremium zu schaffen, das, weit über den Parteien stehend, sich mit den Fragen der Zuordnung der Dinge im Staat beschäftigt, zu denen morgen zweifellos in erhöhtem Maße auch die Fragen von Wissenschaft und technischer Entwicklung gehören. Ja, wir sind sogar der Meinung, daß dieses Gremium diesem Hause sehr nützlich sein wird. Wir haben es doch oft genug erlebt, daß wir in der ständigen Tagesroutinearbeit, in der wir uns befinden, die größten Schwierigkeiten haben, eine sichere Rangordnung der wirklich vor uns liegenden großen Aufgaben festzulegen. Dabei könnte uns ein solcher Forschungsrat sehr behilflich sein.
Ich möchte in diesem Zusammenhang bloß daran erinnern, daß beispielsweise die amerikanische Regierung, die ja ein solches Instrument besitzt — und zwar ein sehr gut arbeitendes Instrument —, nicht mehr darauf verzichten würde, daß ihre Entscheidungen von einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Gremien, die zu diesem Forschungsrat — er nennt sich dort ein wenig anders — beim Präsidenten gehören, weitgehend beeinflußt werden und daß man dort von diesen Methoden wissenschaftlicher Ordnung und der Erforschung der allgemeinen Situation für die Regierungsarbeit längst Gebrauch gemacht hat.
Sie haben uns vorgeworfen, wir mißachteten ein Prinzip, das bei uns in der Bundesrepublik gute Tradition geworden sei, nämlich das Zusammenwirken von wissenschaftlicher Lehre und Forschung an unseren Universitäten. Ich muß Ihnen erwidern, Herr Minister, daß es an manchen Fakultäten mancher Universitäten durch den Lehrbetrieb fraglich geworden ist, ob die Forschung überhaupt noch in dem Maße durchgeführt werden kann, wie sie für unseren Universitätsbetrieb notwendig ist. Auch das ist ja eines der Ziele, die wir mit unseren Vorschlägen erreichen wollen: daß hier eine Änderung eintritt und die Forschung wieder den Platz an unseren Universitäten erhält, der ihr zukommt. Diesen Platz hat sie nämlich heute nicht mehr.
Dieser Gesetzentwurf will keineswegs - wie Sie sagen — eine starre neue Institution — über Einzelheiten, wie es gemacht werden soll, kann man sich noch streiten —, sondern eine selbständige Körperschaft, die alle die Probleme, die heute im Staat auftauchen und in der Zukunft eine ganz große Rolle spielen werden, untersuchen soll, die festlegen soll: „Was muß getan werden?" oder „Was sollte getan werden?", und solche Empfehlungen an die Regierung und das Parlament weitergeben soll. Sie werden nicht leugnen können, daß im Rahmen der auf uns zukommenden Probleme in der neuen Gesellschaft, die ja durch all diese technischen Neuerungen, durch diese tiefgreifenden Revolutionen mit beeinflußt wird, auch die Beschäftigung mit dem Problem der Kontrolle der Macht im demokratischen Staat eine der Aufgaben sein könnte, die uns obliegen. Hier ist ja kein vollständiger Katalog herausgestellt worden, sondern hier ist nur auf einige sehr wichtige Aufgaben hingewiesen worden.
Außerdem, Herr Minister: Glauben Sie nicht, daß es vielleicht im Zuge kommender Entwicklungen gerade im Hinblick auf die durch Kernspaltung gewonnene Energie durchaus möglich sein könnte, daß wissenschaftliche Erkenntnisse dazu beitragen, neue Machtkonstellationen im Staate zu schaffen, mit denen wir bisher noch gar nicht zu tun gehabt haben und mit denen wir in Zukunft fertig werden müssen? Glauben Sie nicht, daß man sich von vornherein auf solche Aufgaben vorbereiten sollte?
Dieser Forschungsrat soll nichts zu tun haben etwa mit Vorschlägen, wie man nun im einzelnen praktische Finanzierungsaufgaben der deutschen Forschung löst. Das muß ein anderes Gremium tun, und dieses Gremium soll ja auch nach dem Willen der Ministerpräsidenten geschaffen werden. Es wird die Aufgabe haben, in Zusammenarbeit mit Bund und Ländern die Wege zu finden, wie man die vor uns liegenden Aufgaben auf diesem Gebiete am besten finanziert. Aber dieser Forschungsrat soll unabhängig die ganze Situation, soll alles untersuchen, was mit unserem Anliegen sowie mit der Entwicklung der Gesellschaft und des Staates zusammenhängt. Hier dreht es sich um viel mehr als nur um die Frage, ob wir morgen vielleicht 50 000 Ingenieure mehr ausbilden müssen oder ob wir unsere Bemühungen auf dem einen oder anderen Gebiet der angewandten Forschung verstärken sollen.
Auch die in unserem Antrag erwähnten Aufgaben sind untrennbar verbunden; sie beziehen sich auf die Lösung von Situationen auf Gebieten, die hier gar nicht angesprochen worden sind. Sie können — um hier nur ein Beispiel zu nennen — nicht eine Förderung des Nachwuchses für die kernphysikalische Forschung betreiben, wenn Sie nicht darangehen, sich damit zu beschäftigen, wie die Verhältnisse an unseren höheren Schulen sind, wo ja der Nachwuchs zum Studium dieser Fachrichtung angeregt werden soll. Hier möchte ich Ihnen sagen, daß es nach den Erfahrungen von Ländern, die auf diesem Gebiet wesentlich weiter sind — sowohl Großbritannien wie die USA —, entscheidend darauf ankommt, was für Mathematiklehrer man auf der höheren Schule hat, wieviel man hat, ob der Nachwuchs in dieser Kategorie gesichert ist und in welchem Umfang die Lehrer es verstehen, die Schüler schon in einem frühen Stadium für diese Probleme zu interessieren. Es nützt nicht, lediglich Geld zum Ausbau von Ingenieurschulen zu geben und neue Dozenturen an den Universitäten zu errichten, sondern hier muß zugleich auf den unteren Stufen unserer Bildungseinrichtungen nachgefaßt werden. Wenn wir das versäumen und nicht in einem Zug mit in Angriff nehmen, werden wir hier in einigen Jahren ein großes Fiasko erleben.
In diesen Zusammenhang gehört — wenn man das vielleicht auch nicht gern hört — ohne Zweifel auch das Problem des Schulhausbaus. Wir können an höheren Schulen, an denen wir Klassenbelegungen mit 45 und mehr Schülern haben — und das ist doch die Regel in der Bundesrepublik —, keinen Unterricht gewährleisten, der es möglich macht, junge Menschen individuell zu fördern und ihr Interesse von vornherein an gewisse wissenschaftliche Fachrichtungen zu binden.
Hier möchte ich Sie, meine Herren von der Regierung, ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß unser Förderungsprogramm — ich muß noch einmal sagen: von ihm haben Sie eben leider nicht gesprochen — auch beinhaltet, daß dieses Haus und speziell der Haushaltsausschuß sich mit der Frage befassen müssen, ob der Bund endlich darangehen wird, in diesem Jahr seine Verpflichtungen nach Art. 120 des Grundgesetzes auf dem Gebiet des Schulhausbaus zu erfüllen. Man sage Mir nicht, daß es hier keine Verpflichtungen gebe. Ich darf Sie, Herr Minister Schröder, vielleicht darauf aufmerksam machen, daß Ihr Kollege Schäffer schon vor Jahren im 1. Bundestag ausdrücklich diese Verpflichtung des Bundes festgehalten hat. Ich möchte Sie bitten, das Protokoll der 73. Sitzung des Bundestages vom 12. Juli 1950 nachzulesen, wo Ihr Kollege Schäffer ausgeführt hat, daß im Augenblick zwar die durch den Krieg verursachten Soziallasten vorgezogen würden, daß man sich später aber auch mit den anderen Kriegsfolgelasten des Bundes werde beschäftigen müssen, und als solche hat er ausdrücklich die Mehraufwendungen auf dem Gebiet des Schulwesens ,als Folge kriegsbedingter Zerstörungen genannt. Um dieses Problem hat sich leider die Bundesregierung seit dem Jahre 1950 nicht mehr gekümmert, sehr zum Schaden unseres Bildungswesens und auch zum Schaden der Entwicklung in Forschung und wissenschaftlicher Lehre. Ich muß das hier festhalten.
Ganz bestimmt wird nachher, wenn diese Fragen diskutiert werden, von Ihrer Seite der Einwand kommen, eine solche Verpflichtung könne nur gefordert werden, wenn auch die Länder in ihrem Rahmen das Menschenmögliche dazu beitrügen. Ich will mich im Augenblick gar nicht damit beschäftigen, ob das der Fall ist. Wir müssen zunächst einmal feststellen, daß andere Länder, die wissen, um was es geht, ein gewisses Verhältnis zwischen ihrem Nationaleinkommen und den Aufwendungen für das Bildungswesen, für Wissenschaft und Forschung herstellen. Es mag überraschen. daß sowohl die Sowjetunion wie die Vereinigten Staaten beinahe so viel Geld für diese Gebiete aufwenden wie für ihre Rüstung, ungefähr 90 % ihrer Rüstungsausgaben. Niemand in diesem Hause wird mir sagen können, daß in der Bundesrepublik gegenwärtig ein Betrag von 8 Milliarden für diesen Zweck aufgewandt wird. Nach den Unterlagen, die wir dem Herrn Minister verdanken, kommt gegenwärtig, wenn wir die Aufwendungen von Bund und Ländern zusammenrechnen, ein Betrag von ungefähr 5 Milliarden heraus. Hier ist eben das Wort von einem „illusionären Schloß" gefallen, das sich anscheinend auf unseren Antrag bezog, etwa 1,1 Milliarden in den Bundeshaushalt einzustellen. Herr Kollege Friedensburg, Sie werden nicht leugnen können, daß die rund 41/2 Milliarden, ,die die Länder im Augenblick für diesen Zweck aufwenden, in einem sehr schlechten Verhältnis zu den rund 170 oder 180 Millionen stehen, die der Bundeshaushalt dieses Jahres enthält. Ich habe dabei die Aufwendungen für die militärische Forschung abgezogen; andernfalls würde sich die Summe verdoppeln. Aber ich glaube, man kann sie hier nicht zuordnen. Zwischen der militärischen Forschung und der anderen Forschung muß ein gewisses Verhältnis herrschen, und auch der Herr Minister Strauß würde fehlgehen, wenn er glaubte, daß er diese Summe nur für die Zweckforschung seines Hauses ausgeben könnte, ohne andere Aufgaben zu berücksichtigen. — Bitte schön, Herr Kollege Vogel!