Rede von
Dr.
Ludwig
Ratzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der große englische Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell sieht in dem ständig steigenden Einfluß der Wissenschaft auf unser Leben eines der wesentlichsten Merkmale unserer Zeit. Er spricht geradezu von einem sich bildenden wissenschaftlichen Gemeinwesen, da die Wissenschaft in Verbindung mit der auf wissenschaftlicher Erkenntnis beruhenden Technik immer größeren Einfluß auf das Leben, die Wirtschaft und die politische Ordnung des Gemeinwesens nimmt.
Die Sozialdemokratie als eine .dem Fortschritt aufgeschlossene Partei, soweit dieser Fortschritt den Menschen dient, ist seit langer Zeit bemüht, Schlußfolgerungen für ihr politisches Tun aus dieser Entwicklung zu ziehen. Sie hat hier in diesem Hause am 7. Juni 1956 in zwei Großen Anfragen die Dinge zur Sprache gebracht. Sie hat das gleiche in verschiedenen Länderparlamenten getan. Besondere Impulse gingen jedoch von ihrem Parteitag in München aus, und wir können, glaube ich, erfreut darüber sein, welchen Widerhall dies gefunden hat. Bei der sozialdemokratischen Parlamentarierkonferenz in Düsseldorf wurden die Forderungen von München konkretisiert. In Düsseldorf forderte die SPD bekanntlich einmal die Errichtung eines deutschen Forschungsrates, der sich mit den Problemen der zweiten industriellen Revolution, insbesondere mit denen der Atomtechnik und der Automatisierung, befassen soll. Weiterhin forderte sie besondere zusätzliche Mittel im Bundeshaushalt für den
Ausbau unserer Forschungseinrichtungen und für die Forschung und Lehre überhaupt. Schließlich forderte die SPD in Düsseldorf eine bedeutende Erhöhung der Erziehungsbeihilfen für unsere Studierenden an sämtlichen Hoch- und Ingenieurschulen, und zwar durch Mittel im Bundeshaushalt.
Daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf diese sozialdemokratische Initiative reagiert haben, war zu erwarten. Wir können, glaube ich, feststellen, daß sich diese Reaktion der Bundesregierung in drei Etappen gliedern läßt. Der Herr Bundesinnenminister hat am 15. Dezember in dem bereits erwähnten Brief an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages festgestellt, daß die kulturpolitischen Bemühungen in der Bundesrepublik einschließlich der für Forschung und Wissenschaft das erfreuliche Bild einer organischen Entwicklung bieten. Zweitens hat der Herr Bundesminister für Atomfragen Dr. Balke am 6. Februar im Bulletin der Bundesregierung einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er nachzuweisen versucht, daß ,die zweite industrielle Revolution nicht stattfinde.
Drittens hat der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer auf Grund der Reaktion, die die sozialdemokratischen Forderungen in die Öffentlichkeit, insbesondere an den Hochschulen und bei den Studenten, gefunden haben, erklärt, daß die Bundesregierung im Haushalt 1957 etwa 100 Millionen DM für die Förderung der Forschung bereitstellen werde.
Gestatten Sie mir nun bitte einige wenige Ausführungen zum Grundsätzlichen. Herr Dr. Balke sieht in dem sich vollziehenden Prozeß keine Revolution. Nach ihm ist es eine Ingenieuraufgabe, die ebenso alt ist wie die Existenz des Menschen, daß menschliche Arbeitskraft immer weiter ersetzt oder ergänzt werden muß.
— Das ist die Antragsbegründung.
— Es sind keine Zeitungstexte. Sie können ja ruhig zuhören und es dann feststellen.
Ich sagte, Herr Dr. Balke sehe in dem sich vollziehenden Prozeß keine Revolution, sondern er sagte, daß es immer schon eine Ingenieuraufgabe gewesen sei, die menschliche Arbeitskraft durch maschinelle Vorrichtungen zu ergänzen, und den letzten Stand nenne man eben Automatisierung. Ich muß feststellen, daß das nicht richtig ist; denn die Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft durch die von chemischer Energie gespeiste Maschine ist etwas, was erst vor 150 Jahren eingetreten ist, und das nennen wir eben die erste industrielle Revolution.
Ich darf aus dem Aufsatz des Herrn Ministers zwei Sätze zitieren, die im Zusammenhang mit unserem Antrag von Bedeutung sind. Der Herr Minister schreibt:
Was aber bedenklich ist an der Diskussion um die Automatisierung, ist der Versuch, den Menschen nun mit Gewalt einzureden, hier fände eine Revolution statt, die ihre gesamte Lebensgrundlage gefährdet....
Die größte Befürchtung der arbeitenden Menschen ist wohl die, daß diese Entwicklung zur immer stärker automatisierten Fertigung Massenarbeitslosigkeit hervorrufen kann.
Nun, außerhalb der Bundesrepublik ist man durchaus der Meinung, daß sich in unserer Zeit eine zweite industrielle Revolution vollzieht. Da die amerikanischen Stimmen häufig lieber gehört werden als die Stimme der Opposition, darf ich aus der „New York Times" vom Dezember 1954 zitieren. Dort heißt es:
Wir befinden uns jetzt in einer zweiten industriellen Revolution, die mit sensationeller Geschwindigkeit um sich greift. Ihre Wirkungen versprechen so tiefgehend zu werden wie die der ersten. Ihre Eigentümlichkeit liegt darin, Maschinen für die Steuerung und Kontrolle anderer Maschinen einzusetzen.
Die Amerikaner haben hier offensichtlich etwas andere Auffassungen als der Herr Bundesminister für Atomfragen. Was aber die Furcht der arbeitenden Menschen vor dieser Entwicklung betrifft, so kann ich doch wohl behaupten, daß sie begründet ist. Den Optimismus des Bundesministers in allen Ehren, aber es gibt doch viele arbeitende Menschen, die noch eigene Erinnerungen an die Zeit der Rationalisierung in den 20er Jahren haben,
als Millionen von Menschen arbeits- und, was noch schlimmer war, hoffnungslos wurden. Wir dürfen die Auswirkungen dieser Zeit nicht vergessen und sollten uns bemühen, die Mittel zu finden, die nötig sind, um den Problemen, die jetzt wieder auf uns zukommen, zu begegnen.
Wir Sozialdemokraten wissen sehr wohl, daß wir uns dieser wissenschaftlichen und technischen Entwicklung nicht entziehen können und uns ihr im Interesse unseres Volkes nicht entziehen dürfen. Aber wir sind der Meinung, daß alles getan werden muß, um die zweite industrielle Revolution nicht zu einem neuen Leidensweg für die arbeitenden Menschen werden zu lassen. Wir können nicht umhin, der Bundesregierung den Vorwurf zu machen, daß sie sich mit den sich aus dieser Entwicklung ergebenden Problemen ungenügend oder überhaupt nicht beschäftigt. Während man in Amerika Hearings zu diesen Fragen veranstaltet, während in England ein Department of scientific and industrial Research gebildet worden ist, das über die Probleme der Automatisierung einen ausführlichen Bericht herausgegeben hat, wird diesen Dingen bei uns von der Regierung zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet. Wir Sozialdemokraten meinen, daß wir an der neuen Entwicklung der Wissenschaft und der Wirtschaft teilnehmen müssen, wenn wir in Zukunft auf den Weltmärkten konkurrenzfähig bleiben wollen. Dann aber ist es höchste Zeit, daß etwas Entscheidendes geschieht, um hierfür die Voraussetzungen zu schaffen. Dazu gehört in erster Linie eine Erhöhung unserer Leistungen für die Forschung und für die Förderung unseres wissenschaftlichen und sonstigen Nachwuchses.
Über die Lage unseres Bildungs- und Schulwesens allgemein, über die von Wissenschaft und Forschung sowie über die Fragen des naturwissenschaftlichen und technischen Nachwuchses haben wir in der 148. Sitzung dieses Hauses bereits eingehend gesprochen. Der Herr Bundesinnenminister hat damals darauf hingewiesen, daß die Bundes-
regierung die Notlage auf diesem Gebiet zwar sehe, daß aber die Kompetenzen der Bundesregierung hier äußerst gering seien. Wir haben Ähnliches vor einigen Tagen im Bulletin gelesen, als von einer Streikdrohung der Studentenberichtet wurde. Ich möchte hierzu feststellen, daß wir dieses Argument einfach nicht hinnehmen können. Erstens besitzt der Bund durchaus Zuständigkeiten in bezug auf die Forschung. Zweitens ist die Notlage auf den von mir umrissenen Gebieten zu einem erheblichen Teil eine Folge des Krieges, und es ist an der Zeit, daß diese Kriegsschäden beseitigt werden. Drittens sind wir der Meinung, daß nicht länger Kompetenzstreitigkeiten auf dem Rücken unserer Schulkinder und unserer studierenden Jugend ausgetragen werden dürfen. Viertens haben die Länder häufig genug erklärt, daß sie zu einem Verwaltungsabkommen mit dem Bund über Finanzierungsfragen bereit sind.
Eine etwas überraschende Note hat diese Diskussion durch den bereits zitierten Brief des Herrn Bundesinnenministers erhalten. Er schreibt darin, daß die jüngst in der Öffentlichkeit erhobenen Forderungen auf ein gesundes Maß zurückgeführt ,werden müßten, daß sich aber ,alles in allem eine stetig steigende und organische Entwicklung anzeige.
Man kann mit Zahlen bekanntlich trefflich streiten. Es hat aber nur dann einen Sinn, sich über Zahlen auseinanderzusetzen, wenn man diese Zahlen in Beziehung zu den tatsächlichen Gegebenheiten bringt. Wenn wir die Förderung von Wissenschaft und Forschung betrachten, dann müssen wir einmal feststellen, daß in dem ganzen Zeitraum vom Beginn des ersten Weltkrieges bis etwa in :das Jahr 1948 nur in ganz wenigen Jahren normal investiert worden ist. Wir müssen weiterhin beachten, daß nach 1945 8,5 Millionen Heimatvertriebene in die Bundesrepublik gekommen sind, die ihre Schulen, ihre wissenschaftlichen Einrichtungen nicht mitgebracht haben. Wir müssen ferner bedenken, daß durch den Bombenkrieg unsere Universitäten und Hochschulen in einem unvorstellbaren Ausmaß zerstört worden sind. Schließlich dürfen wir auch nicht vergessen, daß unsere Wissenschaft durch Emigration, durch Abwerbungen nach diesem Krieg einen schweren Aderlaß erlitten hat.
Aus den Zahlenangaben, die der Herr Minister
zur Verfügung stellt, kann man entnehmen, daß 1928 mindestens der gleiche Anteil des Bruttosozialproduktes für die genannten Zwecke aufgebracht wurde wie 1954. Aber 1954 wurde ,ein großer Teil dieser Ausgaben für Zwecke des Wiederaufbaues und zur Befriedigung ides Nachholbedarfs ausgegeben. Ich möchte deshalb an den Herrn Bundesinnenminister die Fragestellen: Wie groß war 1954 der Anteil der Aufwendungen für den Wiederaufbau und für den Nachholbedarf? Erst wenn wir diese Zahlen kennen, können wir uns ein Bild machen, was für die Entwicklung tatsächlich getan worden ist.
Nun, darüber, wie schlecht die Situation der Forschung und der Wissenschaft in der Bundesrepublik ist, können wir ja beinahe tagtäglich Stimmen und Äußerungen von Professoren und von Studenten und anderen Leuten, die im Bilde sind, hören. Ich erinnere an eine Äußerung des Rektors der Göttinger Universität, der gesagt hat: „Wir haben keine Klagen über Mangel an Ansehen in der Welt; doch wenn wir nicht ewig von unserem alten Ruhm leben wollen, muß bald etwas auf diesem Gebiet geschehen, damit wir wieder den Anschluß finden, nachdem wir jahrelang an der Spitze der internationalen Forschung marschierten. Die Verhältnisse, wie sie jetzt bei uns herrschen, sind mehr als kläglich." Wir haben etwas über die trostlosen Zustände an der Technischen Hochschule in Braunschweig gehört. Ich möchte über diese Dinge nichts weiter ausführen; sie sind zu bekannt.
Aber eine Feststellung halte ich doch für wichtig: Die Situation unserer studierenden Jugend ist heute schlechter, als sie je war. Wir haben im Regierungsbulletin vom 25. Januar dieses Jahres Verlautbarungen eines der Sprecher des Deutschen Studentenwerks gelesen. in diesen Äußerungen heißt es:
Die häufig vertretene Ansicht, daß auch die Studenten — oder wenigstens ihre Eltern — in irgendeiner Form an dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufstieg teilgenommen hätten, lasse sich auf Grund der sehr sorgfältig ermittelten statistischen Ergebnisse nicht beweisen.
Weiter heißt es:
Es sei falsch und mit der Verantwortung für die kommenden Führungsschichten in Politik und Wissenschaft, in Wirtschaft und Kultur unvereinbar, wenn man den Studenten nur den Betrag des sogenannten Existenzminimums zugestehen wolle.
Weiter wird betont, daß die Anstrengungen durch Nebenarbeit, durch Ferienarbeit usw. auf Kosten der Ausbildung und sehr häufig ,auch auf Kosten der Gesundheit gehen.
Wenn man diese Dinge im Bulletin der Regierung liest und sie mit der Äußerung des Herrn Bundesinnenministers vergleicht — der in seinem Brief schreibt: „Stipendienmittel in dieser Höhe haben in keinem Land des freien Europas ihr Gegenstück, sondern nur dort, wo statt der Förderung des Begabtennachwuchses andere Ziele der staatlichen Kulturpolitik ihr Gepräge geben" —, dann möchte ich beinahe mit meinem Freund Herbert Wehner sagen: Einen solchen Satz muß man sich auf der Zunge zergehen lassen. Es tut mir leid, feststellen zu müssen, daß dieser Satz ein seltenes Maß von Unkenntnis und Unvermögen aufweist, die Notlage unserer studierenden Jugend und die Erfordernisse der Zeit zu erkennen. Dazu kommt dann der Satz, der in der bewußten Absicht geschrieben ist, die Sozialdemokratische Partei zu diffamieren.
Wir können diesen Satz des Herrn Ministers nicht unwidersprochen hinnehmen. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: Es wäre schlecht um die Demokratie bestellt, wenn sie der deutschen Jugend nur auf Idem Kasernenhof die Möglichkeit gäbe, sich frei und gleich zu entfalten,
dagegen die freie Entfaltung an den Schulen und Hochschulen unseres Landes nicht ermöglichte. Nicht die allgemeine Wehrpflicht ist das Kennzeichen der Demokratie und eine Sicherheit für die Zukunft, sondern die gleiche Chance für jeden in unserem Volk, seine Fähigkeiten frei zu entwikkeln, ist die beste Voraussetzung für ,die Sicherung unserer Zukunft.
Zum Glück gibt es in der Welt, im freien Europa, in den Vereinigten Staaten, genügend Menschen, die wissen, daß es auf diese Dinge vor allem ankommt.
Was unseren Antrag auf Bildung eines Deutschen Forschungsrates im einzelnen angeht — —
— Herr Dr. Vogel, ich glaube, es ist durchaus üblich, daß man, wenn man einen Antrag begründet, auch die ihm zugrunde liegende allgemeine Situation schildert.
Die gegenwärtige Phase unserer Entwicklung, in der die Wissenschaft sowohl quantitativ als auch qualitativ viel stärker als früher in unser Leben eingreift, verlangt, daß wir mit neuen Methoden an die Probleme herangehen. Man kann in einer solchen Epoche nicht mit den herkömmlichen Mitteln und Methoden auskommen. Deshalb sind wir der Meinung, daß ein unabhängiger Forschungsrat gebildet werden soll, der die Aufgabe hat, die wissenschaftliche, technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zu beobachten, und der über das Ergebnis seiner Beobachtungen Feststellungen zu treffen hat. Daß Beobachtungen zu machen und Feststellungen zu treffen sind, zeigt unsere Situation. Es ist allgemein bekannt, daß bei uns in der Bundesrepublik z. B. noch keine exakten statistischen Unterlagen über diese Dinge existieren. Wir haben erst durch unseren Antrag, der heute auch zur Debatte steht, veranlaßt, daß solche statistischen Erhebungen durchgeführt werden. Daß die Feststellungen des Forschungsrates nicht nur zu Papier gebracht werden sollen, sondern daß sie den deutschen Parlamenten und den Regierungen auch eine Grundlage für zu treffende Entscheidungen sein sollen, ist wohl selbstverständlich. Ebenso müssen die Regierungen und die Parlamente die Möglichkeit haben, bei Problemen dieser Art sich an den Forschungsrat zu wenden, um sein Gutachten zu bestimmten Fragen einzuholen.
Wenn auch die Atomtechnik, die Automatisierung und die Naturwissenschaften ganz allgemein heute eine besondere Rolle spielen, können und dürfen doch die Geisteswissenschaften nicht vernachlässigt werden. Auch ihnen und vielleicht gerade ihnen muß der Forschungsrat seine besondere Aufmerksamkeit widmen. Denn wir wollen nicht, daß allein der Lebensstandard zum Götzen für die Menschen wird. Dem Problem der Freizeit kommt eine besondere Bedeutung zu und damit der Bildung schlechthin. Welche Gefahren für die Gemeinschaft und für die Demokratie entstehen können, brauchen wir nicht erst aus dem Roman von Orwell „1984" zu entnehmen. Wir können auch an die Zeit der 30er Jahre zurückdenken, an die damalige Bedeutung des Rundfunks. Es wäre gefährlich, wenn wir nur Spezialisten und Roboter ausbildeten. Es gibt sie nicht nur im Bereich der Technik, es gibt sie auch in anderen Bereichen. Deshalb kommt der politischen Bildung im Rahmen der allgemeinen Erziehung eine besondere Aufgabe zu.
Daß der Forschungsrat die Entwicklung im Ausland gleichfalls beobachten muß, braucht nicht besonders betont zu werden. Wir können aus dem, was man im Ausland für die Forschung, für die Wissenschaft tut, zumindest unsere Lehren ziehen. Das gilt für das gesamte Ausland, nicht nur für das westliche. Wir haben erlebt, daß auch England und Amerika aus den Maßnahmen der Sowjetunion für die Förderung des naturwissenschaftlichen und technischen Nachwuchses bedeutsame Konsequenzen gezogen haben.
Der Forschungsrat soll unserer Meinung nach eine Stelle sein, in der die Probleme der zweiten industriellen Revolution, die Aufgaben der Förderung von Forschung und Wissenschaft durchdacht werden und versucht wird, sie geistig zu verarbeiten. Die Bildung solcher Gremien ist in den fortschrittlichen Ländern der freien Welt ein durchaus übliches Verfahren.
Unser Antrag bringt zum Ausdruck, daß die Mitglieder des Forschungsrates anerkannte Wissenschaftler oder erfahrene Persönlichkeiten des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens sein müssen. Der Forschungsrat soll eine große moralische Autorität für das ganze Volk darstellen. Sein Wort soll Gewicht haben, und seine Berichte und Feststellungen sollen zu Konsequenzen führen. Das ist aber nur dann möglich, wenn er durch die Art seiner Bildung als unabhängig erscheint. Deshalb unser Vorschlag, daß seine Mitglieder durch eine ausgewogene Wahlkommission dem Herrn Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen werden. Dadurch, daß die Mittel für den Forschungsrat in einem besonderen Einzelplan des Bundeshaushalts ausgewiesen werden, kommt auch nach außen hin seine Unabhängigkeit zum Ausdruck.
Der Forschungsrat soll nicht mit Aufgaben der Verwaltung und der Organisation belastet werden. Er soll nur die Funktion eines — wenn ich so sagen darf — Gehirntrustes ausüben und so seine Aufgabe für die Zukunft unseres Volkes wahrnehmen. Wir sind uns dabei völlig darüber klar, daß seine Tätigkeit erst nach einer gewissen Zeit Früchte tragen wird. Der Forschungsrat soll — das möchte ich noch einmal betonen — nicht mit der Verteilung der Forschungsmittel beauftragt werden. Dafür sind andere Einrichtungen zu schaffen. Die Diskussion der zurückliegenden Monate hat gezeigt, daß bei Wahrung der allseits gewünschten Kulturhoheit der Länder der Weg über ein Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern gangbar ist.
Alle Verantwortlichen müssen sich darüber klarwerden, daß die bereitzustellenden Mittel bedeutend zu erhöhen sind. Nicht nur, daß in Anbetracht des immer noch notwendigen Wiederaufbaus und des Nachholbedarfs eine solche Erhöhung erforderlich ist; vielmehr verlangen die Aufgaben der zweiten industriellen Revolution auch ein neues Denken auf den Gebieten des Schul- und Bildungswesens, der Wissenschaft und der Forschung und hinsichtlich der bereitzustellenden Mittel ein Denken in neuen Größenordnungen. Für uns heißt es nicht: weil wir arm sind, können wir wenig für die Forschung tun, sondern: weil wir arm sind, müssen wir viel für die Forschung tun. Das ist die Aufgabe, die uns gestellt ist.
Ich möchte abschließend sagen: Der Deutsche Forschungsrat soll nach unseren Vorstellungen eine besonders wichtige Funktion ausüben. Er soll uns helfen, hier in der Bundesrepublik den Geist für den friedlichen Wettstreit mit anderen Völkern zu mobilisieren.
Ich bitte um Überweisung unseres Antrages an den Ausschuß für Kulturpolitik — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und an den Haushaltsausschuß.