Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Agrarpolitik sich zu befassen ist nicht immer dankbar. Ich glaube, wir haben das in der Vergangenheit des öfteren erlebt. Insbesondere die Hausfrauen sind immer sehr empfindlich, wenn sie irgend etwas über die Landwirtschaft lesen. Sie spüren die Verbraucherpreise für Lebensmittel täglich, wenn sie etwas kaufen. Wir Agrarpolitiker müssen feststellen, daß wir auch bei den allerklügsten Wirtschaftsexperten manchmal sehr wenig Verständnis finden, wenn wir über die Probleme, die uns heute besonders interessieren, sprechen. Die Wirtschaftsexperten vergleichen die Landwirtschaft sehr häufig mit der Verarbeitungsindustrie. Dabei überlegt man sich nicht, daß solche Vergleiche überhaupt nicht möglich sind. Wenn man die Landwirtschaft schon einmal in wirtschaftspolitischer Sicht betrachtet und Vergleiche ziehen will, dann kann man solche Vergleiche höchstens mit der Grundstoffindustrie anstellen, die ähnliche Bedingungen hat wie die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft ist letzten Endes nichts anderes als ein Urproduktionsgebiet und hat deshalb auch Urproduktionsbedingungen.
In der Vergangenheit ist da und dort gesagt worden — mein Vorredner, Herr Bauknecht, hat schon darauf angespielt —, die Landwirtschaft sei rückständig und arbeite heute noch mittelalterlich. Vor etwa einem halben Jahre hat dies kein geringerer als unser Bundeswirtschaftsminister in einem Referat in Hamburg erklärt; so stand es wenigstens in der Presse. Ich möchte ganz kurz auch einmal die Frage anschneiden, ob es wirklich stimmt, daß die Landwirtschaft so arg rückständig ist und geradezu mittelalterlich arbeitet. Ich glaube,
wer die Dinge kennt — Herr Bauknecht hat das bereits angeschnitten —, wer weiß, wie die Entwicklung der Technik in den letzten Jahrzehnten vor sich gegangen ist, welche Einsatzmöglichkeiten der Technik in der gewerblichen Wirtschaft im Gegensatz zur Landwirtschaft gegeben sind, der wird derartige Vergleiche einfach nicht ziehen können.
Man wirft der Landwirtschaft vor, sie sei zu teuer. Gerade unser Herr Bundeswirtschaftsminister hat des öfteren Zollsenkungen gefordert, wenn auf irgendeinem Gebiet die Preise für Lebensmittel in die Höhe gegangen sind. Wenn wir die gewerbliche Wirtschaft und die Landwirtschaft einmal daraufhin vergleichen, ob sie wirklich in den Preisen zu hoch liegen, ob sie in ihrer Produktion zu teuer sind, und hier einige Jahrzehnte zurückgehen, dann müssen wir feststellen, daß die Landwirtschaft in den Verkaufspreisen dauernd billiger geworden ist als die Industrie, obwohl sie sich die Errungenschaften der Technik auch nicht annähernd in einem solchen Maße hat nutzbar machen können, wie es bei der Industrie selbstverständlich gewesen ist. Wenn Sie den Index der landwirtschaftlichen Erlöse von 1850 mit dem von 1950 und mit dem Index der gewerblichen Verkaufspreise vergleichen, dann stellen Sie fest, daß die Landwirtschaft 1950 um 35 % billiger verkauft hat als — im ganzen gesehen — die gewerbliche Wirtschaft, obwohl sie in der Zwischenzeit auch nur zu einem ganz kleinen Teil an den Errungenschaften der Technik hat teilnehmen können. Man müßte doch annehmen, daß, wenn da und dort Arbeitszeit sparende Maschinen eingesetzt werden können, die Produktion, d. h. das Produkt, billiger wird. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Wir können die gegenteilige Entwicklung nachweisen und müssen deshalb jeden Vorwurf, daß wir in der Preispolitik nicht mitgekommen seien, auf das entschiedenste zurückweisen.
Ich erinnere bloß an die Diskussion, die im vorigen Frühjahr in der Öffentlichkeit über die Preise stattgefunden hat. Man spricht und schreibt gern davon, wenn der Preis da oder dort einmal in die Höhe geht. Die Gemüsepreise waren immer ein sehr dankbares Objekt, ganz besonders im letzten Jahr, in welchem wir eine ausgesprochene Mißernte hatten. Wir haben uns kürzlich erst darüber unterhalten, als Zollsenkungen für Gemüsekonserven beantragt worden sind. Man hat im vergangenen Jahre zwar in der breiten Öffentlichkeit festgestellt, daß die Gemüsepreise in Deutschland etwas höher geworden sind; man hat aber der Öffentlichkeit nicht gesagt — und das wäre Aufgabe der Stelle gewesen, die das wissen muß —, daß man durch die Importpolitik den deutschen Gemüseanbau zu über 50 % zerschlagen hat, daß er innerhalb von 6 Jahren von 128 000 ha auf etwa 60 000 ha zurückgegangen ist und daß deshalb eine Frühgemüseversorgung aus deutscher Erzeugung überhaupt nicht mehr möglich ist, weil sie nicht mehr rentabel ist. Wenn nun zufällig, wie im Februar vorigen Jahres, durch einen Kahlfrost die Frühgemüseanbaugebiete in Norditalien, Südfrankreich usw. fast gänzlich ausgefallen sind und eine deutsche Erzeugung nicht mehr vorhanden gewesen ist, weil sie einfach nicht mehr existiert, dann macht man den deutschen Gemüseerzeuger verantwortlich, wenn die Preise, die vom Ausland bestimmt werden, einmal vorübergehend steigen. Ich könnte Ihnen viele solche Beispiele aufzeigen.
Die landwirtschaftliche Lage, wie sie sich heute ergibt, wird von der Preisentwicklung in den vergangenen Jahren bestimmt. Schon von meinen Herren Vorrednern wurde einiges vom kostendeckenden Preis gesprochen. Die Preisentwicklung und die Lohnentwicklung der vergangenen Jahre ist Ihnen allen bekannt. Sie wissen, welche Steigerungen wir hatten. Wir brauchen nur die Entwicklung seit 1950 an uns vorüberziehen zu lassen. Wir haben aber vorhin gehört, daß der Weizen beispielsweise noch genau dasselbe kostet wie 1951; ja, es wurde kürzlich in einer Statistik festgestellt, daß die Verkaufspreise beim Erzeuger für Weizen im Jahre 1956 um rund 10 °/o niedriger lagen als im Jahre 1951. Ich frage die Wirtschaftsexperten, wie der weizenerzeugende Bauer die seither eingetretenen Kostenerhöhungen damit ausgleichen soll. Für jeden Industriezweig ist es selbstverständlich, die Kostenerhöhungen auf den Preis umzulegen, mag es sich nun um Rohstoffpreiserhöhungen oder um Lohnerhöhungen handeln. Der Grundstoffindustrie, der gewerblichen Wirtschaft gesteht man das ohne weiteres zu. Aber ich habe noch nicht viel davon gehört, daß man es auch der Landwirtschaft zugesteht. Sehr wesentliche Produkte sind heute noch preisgebunden. Ich habe soeben den Weizen angeführt. Dasselbe trifft zu für Zuckerrüben, und dasselbe trifft zu für das andere heikle Produkt, die Milch.
Ich will diese Dinge jetzt ausklammern. Sie alle wissen mit mir, daß infolge der Lohn-Preis-Spirale die politisch gebundenen Preise heute nicht mehr ausreichen, die Kosten der Produktion zu decken. Das ist eine Tatsache, die nicht wegdiskutiert werden kann.
Wir haben aber auch noch einige andere Produkte, bei denen der Preis nicht gebunden ist und wo man durchaus eine Möglichkeit hätte, den kostendeckenden Preis zu erreichen; denn der Preis bildet sich ja am öffentlichen Markt. Da möchte ich einmal ganz besonders die Eier nennen sowie Fleisch, Butter, Käse, Obst und Gemüse. Letzteres wurde vorhin schon genannt. Was haben wir aber da in den letzten zwei, drei Jahren erlebt? Wir haben erlebt, daß man dann, wenn der Preis auch nur annähernd den Punkt erreichte, wo für die Landwirtschaft die Kostendeckung gegeben gewesen wäre, sehr großzügig die Importschleusen geöffnet, zusätzliche Kontingente ausgeschrieben und dazu noch möglichst Zollermäßigungen gefordert hat. Das war doch die Regel, und aus diesem Grunde konnte die Landwirtschaft leider nicht an die Gestehungskosten herankommen. Sie ist da stehengeblieben, wo sie vor Jahren stand. Ich habe Ihnen vorhin gesagt, daß wir von 1850 bis 1950 gegenüber dem Schnitt der gewerblichen Wirtschaft um 35 % eingebüßt haben.