Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an den Anfang der heutigen Debatte über den Grünen Bericht und über den Grünen Plan 1957 einen Vorgang stellen, der mir etwas außergewöhnlich zu sein scheint, einen Vorgang, den ich von Anfang
an als Motiv unserer heutigen Debatte herausstellen möchte.
In den letzten Tagen hat eine der größten deutschen Zeitungen, die in einem ausgesprochenen Industriearbeitergebiet, im Ruhrgebiet, erscheint, längere Ausführungen zu dem Grünen Bericht und zu dem Grünen Plan der Bundesregierung mit seinen Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft gemacht. In längeren Ausführungen würdigt diese Zeitung — es handelt sich um die „Ruhr-Nachrichten" — den Grünen Bericht und die davon ausgehenden Maßnahmen und stellt sie unter das Motiv: Das geht nicht nur den Landwirt, sondern das geht auch den Städter an. Ich meine, wir sollten darüber hinaus feststellen, daß es sich bei diesen Maßnahmen weiß Gott nicht nur um ein Anliegen der Landwirtschaft handelt, sondern um ein Anliegen unserer gesamten Volkswirtschaft.
Die Zeitung spricht in ihrem Artikel u. a. auch von der These, daß es sich bei diesen Maßnahmen, wenn man es so betrachten wolle, um eine Versicherungsprämie des deutschen Volkes gegen den Hunger handle. Ich will dieses Wort gewiß nicht dramatisieren. In dem Artikel wird weiter festgestellt, daß die Landwirtschaft mit dem Grünen Bericht jedes Jahr ihre Verhältnisse offen auf den Tisch lege und die Karten aufdecke. Es sei anzuerkennen, daß die Landwirtschaft diese ihre Lage so ungeschminkt und objektiv der ganzen Bevölkerung zur Beurteilung unterbreite.
Wenn wir den Grünen Bericht der Bundesregierung und die Drucksachen, die uns dazu in die Hand gegeben worden sind, gelesen haben und wenn uns die Rede des Herrn Bundesministers Lübke noch etwas in den Ohren klingt — allerdings ist das etwas viel verlangt bei der Turbulenz der politischen Ereignisse —, dann können wir uns, glaube ich, des Eindrucks nicht erwehren, daß in der Tat die Bundesregierung hier den ernsthaften und auch den gelungenen Versuch gemacht hat, eine Bilanz der Landwirtschaft vorzulegen, die in ihrem hohen Aussagewert über die Situation der Landwirtschaft im allgemeinen und in ihren einzelnen Betriebssystemen und ihren spezifischen Betriebsgrößenklassen als das Modell einer vergleichenden Wirtschaftsbilanz der Volkswirtschaft dienen könnte. Ich glaube, es ist nicht zuviel gesagt, wenn man feststellt, daß der Herr Bundesminister und seine Mitarbeiter hier nicht nur eine sehr fleißige und tiefgründige, sondern auch eine sehr gute Arbeit vorgelegt haben. Es wird in der letzten Zeit mit zunehmender Lautstärke und Intensität von der Notwendigkeit gesprochen, zu gegebener Zeit einmal auch zur Erstellung einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu kommen. Ich glaube, Bundesminister Lübke kann bereits das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, ein Modell dafür geliefert zu haben, wie eine solche Wirtschaftsbilanz für die einzelnen Bereiche unserer Wirtschaft und ihre Gesamtheit aufgestellt werden kann.
Diese Arbeit überrascht, weil es erst der zweite Grüne Bericht ist, der erstellt wird, und weil alle Sachkenner in diesem Hause im vergangenen Jahr sicherlich nicht daran geglaubt haben, daß es schon in diesem Jahr möglich sein werde, einen so umfassenden und so gründlich durchgearbeiteten Grünen Bericht vorzulegen. Die Materialgrundlagen zu seiner Erstellung sind ausgeweitet und intensiver ausgewertet worden.
Es ist auch zu begrüßen, daß das Schwergewicht der Untersuchung im Sinne der von uns für notwendig gehaltenen Agrarpolitik verlagert worden ist; es sind in diesem Jahr etwa 2200 Betriebe mehr als im vergangenen Jahr untersucht worden; wir haben also in diesem Jahr die im Landwirtschaftsgesetz seinerzeit genannte Zahl von 8000 Betrieben fast erreicht.
Es ist erfreulich zu hören und zu lesen, daß die Bundesregierung glaubt, diesem Hause bereits vom nächsten Jahre ab einen in der Methodik und in der Erarbeitung der Unterlagen abgeschlossenen Grünen Bericht vorlegen zu können.
Zur Frage der Schwergewichtsverlagerung: Die Zahl der untersuchten Betriebe bis zu 20 ha ist verdoppelt worden, und die Zahl der untersuchten Betriebe von 20 bis 50 ha, also der Größenklassen, denen das Gros unserer bäuerlichen Familienbetriebe angehört, ist, abgesehen von den 100%, die ich eben nannte, noch einmal um 24 % erhöht worden. Die Untersuchungen stützen sich also in diesem Jahr zu 76 % auf Betriebe, die wir im engeren Sinne als das Gros unserer bäuerlichen Familienbetriebe ansehen. Es ist außerdem eine gute Sache, daß wir auf Grund der Erfahrungen des ersten Grünen Berichts in diesem Jahre eine eingehende Spezialuntersuchung über die Futterbaubetriebe in die Hand bekommen haben. Ebenso ist es gut, daß die besondere Lage des Gartenbaues und des Weinbaues untersucht worden ist.
Ich stelle diese Ausführungen voran, um damit etwas Gültiges über den Aussagewert festzustellen, den dieser Grüne Bericht für uns bedeutet. Deswegen möchte ich mich zunächst mit den wichtigsten Feststellungen des Grünen Berichts auseinandersetzen,; weil wir ihm in diesem Jahre einige sehr überzeugende Darstellungen für die weitere Entwicklung unserer Agrarpolitik entnehmen können.
Das erste, das ich herausgreifen möchte, ist die Aussage über die Veränderung der Agrarstruktur. In dem Bericht wird festgestellt, daß in den letzten Jahren ein Rückgang der Betriebe unter 10 ha absolut in einer Größenordnung von rund 100 000 Betrieben, relativ in einer Größenordnung von 7 % eingetreten ist. Die Betriebe über 100 ha sind in einer Größenordnung von 7,9 % zurückgegangen, und die Betriebe von 10 bis 100 ha haben dafür um etwa den gleichen Prozentsatz, nämlich um 7,2 %, zugenommen. Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, finden wir eine überzeugende Bestätigung dafür, daß die Entwicklung in den letzten Jahren in bezug auf die Veränderung der Agrarstruktur in ein sehr aktives Stadium eingetreten ist und daß wir mit der Agrarpolitik, die wir in den letzten Jahren verfolgt haben, richtig liegen.
Es ist nicht so, wie es uns von rechts und links häufig unterstellt wird, daß diese Politik darauf angelegt sei, die kleinen Betriebe von der Bildfläche verschwinden zu lassen. In den letzten Tagen ist auf verschiedenen Kongressen von Organisationen berufsständischer und politischer Art, die in ihren schriftlichen und mündlichen Ergüssen gar keinen Zweifel aufkommen lassen, daß sie, um es ganz gelinde auszudrücken, unter einem sehr starken Einfluß der östlichen Ideologie zustande
gekommen sind, der Bundesregierung und diesem Hohen Hause diese Entwicklung in der Agrarstruktur zur Last gelegt worden. Demgegenüber möchten wir hier ganz eindeutig herausstellen, daß wir diese Entwicklung im großen und ganzen für durchaus angebracht halten. Denn diese Zahlen bestätigen, daß die Inhaber der Kleinbetriebe, deren Landausstattung zu gering ist, um einer bäuerlichen Familie eine ausreichende wirtschaftliche Existenz zu bieten, strukturell gesehen in das Verhältnis des Arbeiterbauern eingetreten sind. Sie bleiben auf dem Lande, bleiben bodenverwurzelt, behalten Grund und Boden unter ihren Füßen. Aber die Bewegung, die wir hier sehen, führt dazu, daß tatsächlich bei den Betrieben, die über eine genügende Landausstattung verfügen — die Grenze dürfte etwa zwischen 8 und 12 ha zu suchen sein —, eine positive Entwicklung im Gange ist. Diese positive Entwicklung wird natürlich von den Herren, die ich eben charakterisiert habe, verschwiegen.
Es ist also durchaus eine Entwicklung im Sinne der Stärkung unserer bäuerlichen Familienbetriebe im Gange, und ich glaube, die Bundesregierung und dieses Haus sind gut beraten, wenn sie diese Entwicklung mit entsprechenden Maßnahmen, wie bisher, so auch in Zukunft, organisch fördern und gestalten. Das ist das Entscheidende: die organische Gestaltung des Übergangs dieser Betriebe. Man darf diese kleinen Existenzen nicht ihrem eigenen Schicksal überlassen, sondern muß durch eine organische Strukturveränderung in den Sanierungsgebieten Zustände herbeiführen, die es den Menschen gestatten, durch ihre Leistung in der Landwirtschaft und der gewerblichen Wirtschaft ein Einkommen zu verdienen, das die materielle Basis für ein menschenwürdiges Dasein bietet.
Die zweite gravierende Feststellung in dem Grünen Bericht ist gleichfalls von besonderem Aussagewert. Sie tut dar, daß die Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit in diesem Berichtsjahr auf eine Produktionsleistung zurückblicken kann, die im Schnitt um 23 % über der Leistung von 1938, also der Vorkriegszeit, liegt und damit wieder die Selbstversorgung unserer Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu 75 % sicherstellt. Bitte, verstehen Sie recht: ich treffe diese Feststellung nicht aus einer Hybris oder aus einem Gefühl, das etwa auf eine falsch verstandene Autarkiepolitik hinweisen könnte. Aber ich glaube, es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß uns insbesondere die jüngsten weltpolitischen Ereignisse im Zusammenhang mit gewissen militärischen Konflikten den Wert der Erzeugung aus der eigenen Scholle für die Sicherung unserer Ernährung wieder einmal drastisch vor Augen geführt haben.
Wir müssen die Produktionsleistung, die die deutsche Landwirtschaft in diesem Jahre erzielen konnte, auf dem Hintergrund einer an sich nicht ganz erfreulichen Entwicklung sehen. Wir haben auf Grund der schlechten Witterung geringere Ernteerträge gehabt. Auch die landwirtschaftliche Nutzfläche konnte nicht vermehrt werden, und die Viehbestände sind im wesentlichen auf dem Stand der Vorkriegszeit. Weder von der Ernte noch vom landwirtschaftlich nutzbaren Grund und Boden her war also eine Erweiterung der Produktionsgrundlage möglich. Wir werden an anderer Stelle noch den Nachweis zu führen haben, daß diese
Ernte mit stark verringerten Arbeitskräften erstellt wurde.
Somit ist eindeutig bewiesen, daß die deutsche Landwirtschaft die Steigerung der Produktionsleistung nur über eine folgerichtige Rationalisierung, im wesentlichen auf dem Gebiete der Viehhaltung, erreichen konnte. Wir sehen an dieser Tatsache, daß die deutsche Landwirtschaft dem Appell zu einer rationelleren Gestaltung ihrer Produktion, wie sie seit Jahren von der Regierung und auch von uns immer wieder gepredigt wird, in einem überraschend großen Ausmaß gefolgt ist. Wir haben zum erstenmal in der Milchleistung die 3000-Liter-Grenze pro Kuh und Jahr überschritten und damit in der Milchproduktion eine Leistungssteigerung um 21 % gegenüber der Vorkriegszeit erreicht. Die Fleischleistung ist pro Stück Rindvieh auf 111 % und pro Schwein auf 118 % gestiegen.
Wir haben aber nicht nur eine Produktivitätszunahme in der Erzeugung von Nahrungsgütern bei gleicher Fläche und bei gleichen Viehbeständen zu verzeichnen. Auch die Produktivität je Arbeitskraft ist in diesen Jahren außerordentlich gestiegen. Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn die Bundesregierung in einer eigenen Darstellung auch zu diesem Fragenkomplex in ihrem Bericht etwas gesagt hätte. Aber die Steigerungsrate der Produktivität je Arbeitskraft in der Landwirtschaft läßt sich aus dem Grünen Bericht ableiten. Es zeugt von dem gesunden Willen der deutschen Landwirtschaft, daß sie auch je Arbeitskraft ihre Leistung im Verhältnis zur Vorkriegszeit um — ich drücke mich sehr vorsichtig aus — etwa 40 bis 45 % gesteigert hat. Auch in dieser Entwicklung kommt der Wille unseres Bauerntums, der Wille aller Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind, überzeugend zum Ausdruck, mit allen Kräften, deren die Landwirtschaft fähig ist, ihre Pflicht — wie man landläufig und so schön sagt — mit Idealismus und wahrer Hingabe zu erfüllen. Ich möchte meinen, daß sich auch diese Leistungen unseres Landvolkes in der allgemeinen volkswirtschaftlichen Bilanz unserer Gesamtwirtschaft durchaus sehen lassen können, auch im Vergleich mit den Leistungssteigerungen außerhalb der Landwirtschaft.
In die gleiche Richtung weist in sehr überzeugender Art auch eine Überprüfung der Wirtschaftsbilanz, die die Bundesregierung in den Grünen Bericht aufgenommen hat. Wenn wir uns die Aufwandsseite der Landwirtschaft anschauen, dann stellen wir fest, daß die Steigerungsrate in den Aufwendungen auf eine stärkere Rationalisierung der landwirtschaftlichen Produktion hindeutet. So sind allein im letzten Wirtschaftsjahr 300 Millionen DM mehr für die Anschaffung von neuen Maschinen und für die Erstellung neuer Betriebsgebäude ausgegeben worden. Jeder von Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, der einmal durch die Bauerndörfer in der Bundesrepublik, insbesondere die Dörfer in den Realteilungsgebieten, in den alten Siedlungsgebieten, fährt, wird mit mir darin übereinstimmen, daß hierin der Ansatzpunkt für eine rationellere Gestaltung unserer Betriebe und ihrer Wirtschaftsweise gesehen werden muß. Wenn die Landwirtschaft auf diese agrarpolitische Zielsetzung der Regierung und dieses Hohen Hauses so fein reagiert hat, dann sollte uns das eine Ermutigung dafür sein, in dem Sinne,
wie wir in den letzten Jahren hier für die Agrarpolitik eingetreten sind, fortzufahren. Denn die Landwirtschaft beweist mit ihrem Eingehen auf diese agrarpolitische Leitlinie, daß sie entschlossen und bereit ist, ihr Bestes zu tun, um auch die landwirtschaftliche Produktion im Rahmen unserer hockindustrialisierten Wirtschaft auf ein Höchstmaß von Leistungseffekt heraufzubringen.
Der Differenzbetrag zwischen Erlösen und Aufwendungen, der zur Verfügung der Landwirtschaft übrigbleibt — seine absolute Höhe ist auch für unsere Agrarpolitik ermutigend —, ist im letzten Jahr um 600 Millionen DM, von rund 2,4 Milliarden DM auf rund 3 Milliarden DM, gestiegen. Absolut gesehen haben wir auch hier eine leichte Verbesserung der Lage der Landwirtschaft zu verzeichnen.
Dazu führt die Bundesregierung eine Feststellung an, die wegen ihres Aussagewertes und ihrer Bedeutung noch einmal herausgearbeitet werden soll. Wenn wir diesen Differenzbetrag von 3 027 Millionen DM, der für die Bestreitung des Lohnes der familieneigenen Arbeitskräfte, für die Kapitalverzinsung und für die Risikorücklage übrigbleibt, ausschließlich für den Lohn der familieneigenen Arbeitskräfte verwendeten, dann würde für die vorhandenen Familienarbeitskräfte in der Landwirtschaft ein Jahreslohn in bar von 830 DM übrigbleiben.
Das ist die schwerwiegendste Feststellung in dem Grünen Bericht, den die Bundesregierung uns in diesem Jahr vorgelegt hat.
Selbst wenn wir zu diesem Barlohn monatlich noch für Kost und Wohnung der Menschen, die in den landwirtschaftlichen Familien tätig sind, einen Betrag von 140 DM veranschlagten — das ist nicht kleinlich —, kämen wir hier zu einem Monatslohn von etwa 210 DM. Sie werden zugeben, meine Damen und Herren, daß hier eine der Hauptquellen der Unruhe liegt, die wir allenthalben in unserer Landwirtschaft zu verzeichnen haben und für die wir nach dieser Feststellung ein gewisses Maß von Verständnis haben sollten.
Wir alle sollten daran erkennen, daß es auf die Dauer nicht angehen kann, diesem Zustand mehr oder weniger mitleidsvoll zuzuschauen. Es muß vielmehr eine Verpflichtung für uns sein, mit unseren besten Kräften Schritt für Schritt, Jahr für Jahr eine Verbesserung dieser Verhältnisse zu erreichen.
Mit dieser Feststellung möchte ich auf zwei Fragen eingehen, die für die Erstellung des Grünen Berichts und des Grünen Plans ihre besondere Problematik haben, weil sie unter dem Begriff der sogenannten kalkulatorischen Posten in der Rechnung der Landwirtschaft verzeichnet werden. Bei den Lohnarbeitskräften in der Landwirtschaft haben wir in den letzten vier Jahren einen Rückgang an Arbeitskräften in Höhe von 9 % der Gesamtzahl der Beschäftigten und allein in den letzten zwei Jahren — andere Zahlen stehen mir im Moment nicht zur Verfügung — einen Rückgang der Familienarbeitskräfte von 8 % zu verzeichnen. Wir sehen also eine ganz enorme Verminderung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte.
In diesem Zusammenhang darf ich meine Aussage über die Produktionsleistung unserer Landwirtschaft von eben in die Erinnerung zurückrufen. Erfreulicherweise — so möchte ich sagen —ist der Rückgang der familieneigenen Arbeitskräfte in erster Linie und fast überwiegend, in letzter Zeit fast ausschließlich, in den Betrieben bis zu 10 ha Größe zu verzeichnen. Auch hier stellen wir wieder eine komplementäre Übereinstimmung fest mit dem Bild, das ich soeben über die Veränderung der Agrarstruktur zeichnen konnte. Wir sehen also, daß die Abwanderung aus den Betrieben bis zu 10 ha, die noch — wenn man sich so ausdrücken will — mit menschlichen Arbeitskräften überbesetzt sind, erfolgt, daß jedoch mittlerweile die Abwanderung familieneigener Arbeitskräfte aus den mittel- und großbäuerlichen Betrieben im wesentlichen zum Stillstand gekommen ist.
Wir haben für die in der Landwirtschaft tätigen und notwendigen Arbeitskräfte in diesem Jahr einen Vergleichslohn ermittelt, und zwar, abweichend von der Methodik des vergangenen Jahres, bei 16 verschiedenen Gewerbegruppen aus 160 Gemeinden unter 5000 Einwohnern, die über das ganze Gebiet der Bundesrepublik verstreut sind. Aus diesen vergleichenden Übersichten haben wir einen Vergleichslohn von 3822 Mark pro anno ermittelt, der um 8 % — oder, absolut ausgedrückt, um 300 DM — über dem des vergangenen Jahres liegt. Wenn wir von diesem Vergleichslohn ausgehen, ergibt sich ein Stundenlohn von 1,64 Mark. Der landwirtschaftliche Landarbeiterecklohn stand im letzten Jahre bei 1,23 DM. Das bedeutet eine Lohndifferenz von 41 Pf pro Stunde. Die Löhne sind mittlerweile gestiegen. In dieser Differenz kommt wiederum das gleiche zum Ausdruck, was ich bereits bei der Feststellung des Lohnes von 830 DM für die Familienarbeitskräfte angedeutet habe.
Ich möchte an dieser Stelle — damit kein Mißverständnis aufkommt — sagen, daß ich — und ich glaube damit auch für einen großen Teil der Damen und Herren dieses Hauses zu sprechen — Verständnis dafür habe, daß die Bundesregierung auch in diesem Jahre noch einmal davon abgesehen hat, eine globale Disparitätssumme zu nennen. Aus den Zahlen, die der Grüne Bericht enthält, läßt sich aber eine Disparitätssumme ableiten. Nur wenn wir von der Differenz in bezug auf den Lohn sprechen wollen, läßt sich auf Grund dieser Zahlen — wonach der durchschnittliche Stundenlohn um 41 Pf tiefer liegt als in den vergleichbaren Gruppen in diesen 160 über das Bundesgebiet verstreuten Gemeinden — bei einer sehr sorgfältigen und exakten Berechnung allein für das Lohneinkommen in der Landwirtschaft eine Disparität errechnen, die gut und gerne bei rund 31/2 Milliarden DM liegt.
Aber dazu ein ganz offenes Wort! Ich nenne diese Summe hier nicht, um daraus etwa die Forderung ableiten zu wollen, daß wir diese Summe von heute auf morgen — im wahrsten Sinne des Wortes — ausgleichen, sondern ich möchte in bezug auf diese Feststellungen sagen: wir sind uns bewußt, daß es bei dieser Arbeit um ein Bemühen geht, jahrzehntelange Versäumnisse in der Entwicklung der deutschen Landwirtschaft wieder wettzumachen, und daß es uns darauf ankommen muß, in unserem Willen nicht zu erlahmen, Schritt für Schritt,
ohne neue Verzerrungen zu schaffen, den Ausgleich zwischen der Landwirtschaft und der übrigen Wirtschaft, zwischen der Agrarwirtschaft und der gewerblichen Produktion wieder herbeizuführen.
Ich finde es nicht gerecht — die Gründe dafür sind ja auch sehr durchsichtig —, wenn man in Anbetracht dieser Disparitätssumme dem heute amtierenden Minister oder der heutigen Regierung oder dem heutigen Bundestag Vorwürfe zu machen versucht und draußen im Lande bei den verschiedensten Gelegenheiten propagiert. Ich möchte dazu ganz klar feststellen, und zwar aus der sehr exakten Kenntnis und dem sehr genauen Studium der Geschichte der deutschen Agrarpolitik, solange es eine gibt, daß dieser Minister und diese Regierung und dieser Bundestag zum ersten Mal mit der Verpflichtung ernst gemacht haben, diesen Problemen mit all ihren Mitteln und Möglichkeiten an den Leib zu gehen und sie einer befriedigenden Lösung zuzuführen.
Wir sind allzumal keine Wundertäter, und niemand von uns ist in der Lage, die Dinge mit einem Zauberstab von heute auf morgen in Ordnung zu bringen. Aber ich glaube, das Entscheidende liegt nicht nur im Materiellen, sondern sehr viel stärker im Psychologischen, nämlich darin, die Größe dieser Aufgabe zu erkennen und die Aufgabe nach dem Maße der gegebenen Möglichkeiten schrittweise zu meistern.
In dem Zusammenhang auch ein Wort zu der Kapitalverzinsung; darüber wird überall sehr viel geschrieben und gesprochen. Lassen Sie mich dazu ganz nüchtern folgendes sagen. Die Frage der Kapitalverzinsung in der Landwirtschaft hat angesichts der Feststellungen des zweiten Grünen Berichts im wesentlichen lediglich akademischen, theoretischen Wert. Solange die „gerechte Entlohnung" in der Landwirtschaft allein durch eine so große Differenzsumme demonstriert wird, wissen wir, daß von einer Kapitalverzinsung noch nicht die Rede sein kann. Um aber die kalkulatorischen Berechnungsgrundlagen richtig zu erstellen, hat die Bundesregierung nach unserer Auffassung klug gehandelt, als sie bezüglich des Ansatzes für den Kapitalzins einen goldenen Mittelweg gewählt hat; die etwa 31/3 O/o stellen einen Mittelwert zwischen dem notwendigen höheren Kapitalzinsfuß für das kurzfristig umzuschlagende Umlaufvermögen, der höher liegt, und dem für Kapital an Boden und Gebäuden, der naturgemäß niedriger liegt, dar.
Wir sollten auf Grund dieser sehr überzeugenden Folgerung des Grünen Berichts aus den Ergebnissen der Vergleichsrechnung einige grundsätzliche Feststellungen einmal kurz überdenken, weil sie für die weitere Arbeit von großer Bedeutung sind. Aus den buntgedruckten Tafeln des Grünen Berichts, die der Bundesminister für die Regierung hier erläutert hat, ist nicht ohne weiteres zu ersehen, wie hoch zahlenmäßig der Anteil der Betriebe und der landwirtschaftlichen Nutzfläche ist, die zur ausreichenden oder beinahe ausreichenden Deckung der Vergleichswerte gelangt sind. Allein diese bunte Darstellung zeigt auch, daß nur ein ganz verschwindend kleiner Anteil, sowohl der landwirtschaftlichen Nutzfläche wie der Anzahl der Betriebe nach, in der Lage ist, ein
Betriebsergebnis zu erzielen, mit dem außer dem Lohnaufwand auch die Kapitalverzinsung voll oder einigermaßen annähernd gedeckt werden kann. Die Grenze ist bei 80 % gezogen. Die große Masse der Betriebe kommt an diese Grenze nicht heran.
Ich glaube, daß die Zahlen, die ich mir aus dem Bericht abgeleitet habe, nicht zu hoch liegen. Noch nicht einmal 6 % der Betriebe mit etwa 15 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche sind in der Lage, die Vergleichswerte zu 80 bis 105 % zu decken, wobei die Anzahl der Betriebe, die die 100%-Grenze erreichen und überspringen, ganz verschwindend klein ist.
Aber wir sehen aus diesen Vergleichsberechnungen auch, daß sich eine Verschlechterung der Betriebslage von den intensiven Hackfruchtbaubetrieben zu den extensiven Futterbaubetrieben ergibt. Aus dieser Erkenntnis müssen wir die entsprechende agrarpolitische Schlußfolgerung ziehen. Sie kann nur dahin lauten, daß es unsere Aufgabe sein muß, unsere landwirtschaftlichen Betriebe weiterhin zu einer möglichst intensiven Wirtschaftsweise mit hoher Flächenleistung zu entwickeln. Das bedeutet verstärkte Anwendung produktionssteigernder Betriebsmittel und Übergang zu intensiveren Betriebsgrößen. Wenn wir unter diesem Gesichtspunkt die Maßnahmen des Grünen Plans analysieren, kommen wir zu dem Ergebnis, daß die Bundesregierung sich bemüht hat, den genannten agrarpolitischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen.
Eine zweite sehr beachtliche Feststellung ist aus diesen Vergleichsrechnungen herauszulesen: daß sich nämlich die Unterschiede in der Ertragslage der einzelnen Betriebe weniger aus der Verschiedenheit der Betriebsgrößen als aus der Verschiedenheit der Betriebssysteme erklären. Damit kommt zum Ausdruck, daß das große Handikap für unsere landwirtschaftlichen Betriebe zu einem ganz wesentlichen Teil in den natürlichen Produktionsbedingungen liegt, die die Landwirtschaft nicht ändern kann.
Die dritte Feststellung, die ich herausgreifen will, ist die, daß die kleineren Betriebe innerhalb der gleichen Betriebs- und Bodennutzungssysteme zwar höhere Flächenleistungen erzielen als die größeren Betriebe in denselben Systemen, daß sie aber in bezug auf die Rentabilität ungünstiger dastehen, weil sie einen höheren Besatz an Arbeitskräften je Erzeugungseinheit haben.
Nun möchte ich noch ein Wort zu dem sagen, was in dem Grünen Bericht über die Auswertbarkeit der Vergleichsrechnungen steht. Herr Minister, diese beiden Seiten sollten Sie beim nächsten Grünen Bericht noch einmal etwas aufmerksamer durchlesen, ehe sie endgültig in Druck gegeben werden.
Ich habe den Eindruck, daß hier die sehr fleißigen Herren aus der Beamtenschaft der mitarbeitenden Ministerien der Finanzen und für Wirtschaft ihr ganz besonderes Können hineingelegt haben, um zu Formulierungen zu kommen, die sich haarscharf an der Kritik vorbeilavieren, daß sie etwa falsch sein könnten; das will ich damit auch nicht sagen. Es dient fast zur Erheiterung, wenn man sich einige Stellen aus diesen sehr klugen Ausführungen zu Gemüte führt. Da steht z. B., es werden
bei Kalkulationen „Kosten und Aufwand nicht mit historischen Preisgrößen beziffert, sondern gewertet; es werden nicht Kosten, sondern Kalkulationswerte in die einzelnen Rechnungen eingesetzt. ..."
Das alles ist zwar wahr und richtig; aber es muß ein sehr guter Kobold gewesen sein, der auch den Satz hineingeschrieben hat: „Bei verschiedenen Zwecken sind die Wertungen verschieden."
Es ist ein Trost für uns, daß dieser Satz wenigstens drinsteht.
In der nächsten Spalte wird wieder mit sehr tiefgründiger Gewissenhaftigkeit darauf hingewiesen, daß die Kalkulation in erster Linie der Schaffung von Vergleichsgrundlagen diene. Ich nehme an, dieses „in erster Linie" gilt sicherlich für die Landwirtschaft. In dem nächsten Satz heißt es nämlich, in zweiter Linie diene sie zur Beurteilung der Preise. Ich habe aus ähnlichen Vorgängen der vergangenen Jahre den Eindruck, daß sie nicht nur zur Beurteilung, sondern sogar zur Festsetzung von Preisen dient, die von den entsprechenden Produzenten, wie hier in einer Klammer ausgeführt wird, damals tatsächlich gefordert und von den Behörden der entsprechenden Stufe bewilligt worden sind.
Dann werden sehr kluge Ausführungen über die Verzinsung des Eigenkapitals und über den kalkulatorischen Aussagewert dieser Berechnungen gemacht. Ich will das hier nicht allzu weit ausführen. Ich bitte Sie nur darum, Herr Minister, diesen Bericht, wenn Sie ihn nächstes Jahr mit Ihren Herren wieder formulieren, nach der Richtung zu ergänzen, wie in anderen Wirtschaftsbereichen, wo sich der Staat zu Interventionen verpflichtet fühlt, die Berechnungsgrundlagen ermittelt werden. Ich nehme an, daß Sie die Amtshilfe, die Sie von den eben genannten Ministerien in diesem Falle erhalten haben, auch in dem anderen Fall bekommen werden; wenn nicht, bin ich gern bereit, Ihnen aus meinem Archiv die entsprechenden amtlichen Bekanntmachungen, wie man z. B. in den vergangenen Jahren bei der Festsetzung des Kohlepreises gerechnet hat, zur Verfügung zu stellen, damit wenigstens gegenübergestellt wird — und das wäre sehr überzeugend für dieses Haus —, wie man sich anscheinend ,für die Landwirtschaft zu rechnen bemüht und wie man daneben offensichtlich bereit ist, bei anderen Wirtschaftsbereichen mit anderen Maßstäben an die Arbeit zu gehen, wobei wir gar nicht abstreiten, daß man es so machen muß.
Im Hinblick auf die Maßnahmen, die die Bundesregierung im Grünen Plan vorlegt, möchte ich mich noch grundsätzlich zu einer Frage äußern, da in der Öffentlichkeit die Meinung verbreitet wird, daß der diesjährige Grüne Plan deswegen schlechter sei als der letzte, weil die sogenannten Subventionsmaßnahmen einen höheren Rang erhalten hätten als die Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, zu untersuchen, wie das Verhältnis ist, und komme zu dem Ergebnis, daß man bei diesem zweiten Grünen Plan etwa 313 Millionen als Ausgaben für sogenannte Subventionsmaßnahmen und 454 Millionen für die Strukturmaßnahmen ansetzen kann.
Dann bleibt das zweifelhafte Kapitel, in welche von diesen beiden Maßnahmen die Hilfe für die Milch einzugruppieren ist. Wir können nicht der
Meinung derer folgen, die da sagen: Die Maßnahmen auf dem Gebiete der Milchwirtschaft sind einseitige Subventionsmaßnahmen, die zum großen Teil wieder den falschen Betrieben zugute kommen. Maßnahmen auf dem Sektor der Milchwirtschaft lagen ja seit langen Monaten in der Luft. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß die Regierung, die Bauernverbände in ihren berufsständischen Gesprächen und auch die agrarpolitischen Kreise in diesem Hause seit Wochen und Monaten, ja, seit der Verabschiedung des ersten Grünen Berichts geknobelt haben, wie die Maßnahmen auf dem Sektor der Milchwirtschaft im zweiten Grünen Plan zu gestalten seien.
Aber zu dieser Meinung, diese Maßnahme sei falsch, weil sie wieder den falschen Betrieben — wobei man meint: den großen Betrieben, die es nicht nötig hätten — zukomme, möchte ich hier noch ein paar Zahlen nennen. 86,5 % aller Milchkühe stehen in Betrieben, die nicht mehr als fünf Kühe haben. Weitere 10,4 % aller Milchkühe stehen in Betrieben, die nicht mehr als zehn Kühe haben. Das heißt, 97 % aller Milchkühe stehen in Betrieben bis zu zehn Kühen. Dies entspricht einer durchschnittlichen Betriebsgröße, die etwa bei 15, 16, 17 ha gesucht werden kann. Aus dieser Feststellung geht hervor, daß diese Maßnahme auf dem Sektor der Milchwirtschaft ganz unabhängig von ihrer Bindung an die Qualitätsverbesserungen, die damit erzielt werden sollen, eine Maßnahme ist, die durchaus gezielt in die kleinen und mittelbäuerlichen Betriebe hineinwirkt. Das war unser Anliegen, und was wir mit dieser Maßnahme bezwecken wollten, wird, glaube ich, auch erreicht werden.
Ich glaube, daß jene Maßnahme gerade in diesem Jahre nach drei schlechten Ernten draußen sehr gut ankommen wird; denn unsere landwirtschaftlichen Betriebe sind so sehr in der Illiquidität, daß sie diese Beträge, die sie ab 1. April bekommen sollen, gut gebrauchen können. Wenn wir in diesem Zusammenhang einmal die Situation der Landwirtschaft in ihrem großen, seit Jahren längst aktiv gewordenen Umstellungsprozeß von der arbeitsintensiven zu einer kapitalintensiveren Betriebs- und Wirtschaftsweise anschauen, dann wissen wir, daß die Landwirtschaft auf diese Mittel angewiesen ist, weil sie nur so die Mittel für die notwendigsten Investitionen erhalten kann. Den Nachholbedarf der Landwirtschaft auf dem Gebiet der Modernisierung will ich hier nur am Rande erwähnen.
Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden mir bestätigen müssen - ich darf Sie an die Konjunkturdebatten des letzten Jahres in diesem Saale erinnern —, daß die Chancen und die Möglichkeiten der Landwirtschaft, ihre Investitionen auf dem Wege der Selbstfinanzierung, sprich: über echte Gewinne, d. h. über erhöhte Preise, zu finanzieren, leider sehr, sehr beengt sind. Um so notwendiger ist es, daß wir mit diesen Maßnahmen zur Förderung der Erzeugung und des Absatzes auch mehr tun für eine angemessene Kreditversorgung der Landwirtschaft.
Wenn wir da lesen und uns noch einmal die Zahl vergegenwärtigen, daß das Kreditvolumen für die Landwirtschaft im letzten Jahre gegenüber dem Jahr 1955 um 30 % zurückgegangen ist, dann wird uns ein weiterer Tiefpunkt in der Entwicklung unserer landwirtschaftlichen Betriebe sichtbar. Das hat viele Betriebe dazu gezwungen. Investitionen in Form von hochverzinslichen kurzfristigen Kre-
diten durchzuführen; damit sind die Betriebe in die Illiquidität gekommen. Daher kam es zu der Feststellung im Grünen Bericht, daß von den 8,2 Milliarden DM Fremdkapital in der deutschen Landwirtschaft nur 36 % aus Hypotheken bestehen. Wenn man z. B., wie ich es in den letzten Tagen getan habe, in anderen Bereichen der Wirtschaft feststellt — allerdings nur bei bestimmten Unternehmensformen der industriell-gewerblichen Wirtschaft — daß man dort in den letzten Jahren in der Lage war, sogar kurzfristige Investitionen mit mittel- und langfristigen Krediten zu finanzieren, dann kann man verstehen, daß uns in der Landwirtschaft dabei ein bissel das Herz blutet, wenn wir demgegenüber unsere eigene Situation betrachten.
Es kommt also darauf an, der Landwirtschaft einen angemessenen Anteil an dem Volumen zu sichern, das auf dem Kapitalmarkt für die Investitionsaufgaben der deutschen Wirtschaft zur Verfügung steht. Hier möchte ich einen kurzen Vergleich anstellen. Unsere landwirtschaftliche Erzeugung hatte im Jahre 1954/55 — das ist das Jahr, über das wir in dieser Beziehung hier sprechen können — einen Produktionswert von 17,1 Milliarden DM. Kohle, Eisen, Stahl und der übrige Bergbau hatten demgegenüber einen Produktionswert von 15,9 Milliarden DM. Wenn ich aber aus einer zu Vergleichszwecken aufgestellten Tabelle feststelle, wie diese Bereiche an den Gesamtinvestitionen unserer Wirtschaft beteiligt waren, komme ich zu dem Ergebnis, daß die Landwirtschaft seit der Währungsreform mit 17,8 Milliarden DM Gesamtinvestitionen, die für Meliorationen eingeschlossen, beteiligt war, während die anderen Bereiche, die ich nannte, mit 31 Milliarden DM beteiligt waren. In Prozenten ausgedrückt, macht das für die Landwirtschaft einen Anteil von 8,3 % gegenüber rund 15 % für die vergleichbaren Bereiche aus, die ich soeben nannte. Wir sehen außerdem die Tendenz, daß der Anteil der Landwirtschaft am Gesamtinvestitionsvolumen, wenn auch nicht absolut, so doch relativ zurückgeht. Das entspricht durchaus nicht dem Anteil der Landwirtschaft am Gesamtsozialprodukt, und erst recht ist das nicht mit dem zu vereinbaren, was sich dieses Hohe Haus als Aufgabe der deutschen Agrarpolitik vorgestellt hat, nämlich die Landwirtschaft zu einer Modernisierung ihrer Betriebe zu befähigen und damit zu einem modern produzierenden Glied der Volkswirtschaft zu machen.
Ich glaube, diese letzten Ausführungen erhalten eine besondere Bedeutung angesichts der Entwicklung der Landwirtschaft im Rahmen unserer Gesamtwirtschaft. Die Landwirtschaft kann, was die Entwicklung der Preise und der Löhne angeht, den Vergleich mit jeder anderen Wirtschaftsgruppe aushalten. Wenn wir die Steigerungsraten in der Landwirtschaft und in den übrigen Wirtschaftsbereichen miteinander vergleichen, stellen wir fest, daß die Landwirtschaft nicht an der Spitze liegt. Die Preis- und Lohnkurven in der Landwirtschaft bewegen sich nicht an der oberen Grenze. Was die Einkommensentwicklung anlangt, so ergibt ein Vergleich mit den übrigen Wirtschaftsbereichen dasselbe Bild. Wenn die Entwicklung in der Landwirtschaft an die in den anderen Wirtschaftsbereichen angeglichen werden soll, muß noch eine große Aufgabe bewältigt werden, die unser aller harrt. Das Preisbild zeigte im letzten Jahr eine sehr einschneidende Veränderung. Die Entwicklung war gegenüber der in anderen Wirtschaftsgebieten
sehr unterschiedlich. Ich will in dieses Problem nicht weiter hineinleuchten; das wird sicherlich noch von anderer Seite geschehen. Wenn ich sage, daß die Preise auf dem Agrarsektor im letzten Halbjahr 1956 gegenüber dem Vorjahr von 12 auf 2 % zurückgegangen sind, erkennen Sie, daß die Landwirtschaft vielleicht sogar etwas „zuviel" Maß gehalten hat in dem allgemeinen Trend unserer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Wir sehen heute bereits neue Belastungen auf uns zukommen, ohne genau zu wissen, was die Entwicklung noch alles bringen wird.
Es ist uns bekannt, daß die Tarife zum 1. April gekündigt sind. Ich möchte dazu ausdrücklich feststellen, daß es ein erklärtes Ziel unserer Agrarpolitik ist, den Lohn für die in der Landwirtschaft tätigen Menschen an den Lohn vergleichbarer Gruppen anzugleichen; aber wir sollten uns darauf besinnen, daß wir in unserer Wirtschaft alle in einem Boote sitzen. Es kann auf die Dauer nicht gut tun, wenn ohne Rücksicht auf die sehr unterschiedliche Produktivität in den einzelnen Branchen Entschlüsse gefaßt werden. Es besteht da nach meiner festen Überzeugung eine Wechselwirkung von Preisen und Löhnen. Das führt zu einer permanenten Höherentwicklung der Preise und Löhne.
Das Problem, das ich hiermit angesprochen habe, ist kein typisch landwirtschaftliches — und damit möchte ich auf das zurückkommen, was ich zu Anfang ausgeführt habe —, sondern ein allgemeines Problem.
Es handelt sich um das Problem der unterschiedlichen Produktivitätsentwicklung in unserer Wirtschaft. Es hat nicht nur Bedeutung für die Landwirtschaft im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft, sondern es gibt auch Bereiche innerhalb der gewerblichen Wirtschaft — ich denke z. B. an den Kohlebergbau —, die mit jenen Wirtschaftszweigen nicht Schritt halten können, die an der Spitze der Marschkolonne in der Volkswirtschaft stehen.
Es ist ein sehr verdienstvolles Wort des Nestors der deutschen Nationalökonomie, des Geheimrats Weber, das er an seinem 80. Geburtstag vor wenigen Wochen in München ausgesprochen hat: Wir müssen wieder dazu kommen, daß wir von der Zuwachsrate der gesamtwirtschaftlichen Produktivität ausgehen, wenn wir einen gerechten Anteil für die Verbraucher, für das Kapital und für die Arbeitnehmer in der Verteilung des Sozialprodukts suchen wollen.
Dieser Forderung möchte ich hier das Wort reden.
Es kann auf die Dauer nicht gut gehen, wenn diejenigen Wirtschaftszweige — ich betone: es handelt sich nicht nur um die Landwirtschaft —, die am Ende der Marschkolonne marschieren müssen und die bekanntlich das schwerere Gepäck auf dem Rücken tragen, in ihrem Abstand von der Marschgruppe immer weiter abfallen, weil die leichter bepackten Gruppen an der Spitze der Marschkolonne ihr Tempo immer mehr beschleunigen und den anderen davonlaufen.
So kann es auf die Dauer nicht weitergehen. Ich glaube, dieser zweite Grüne Bericht und dieser zweite Grüne Plan sind eine Demonstration dafür, daß es tatsächlich unser aller Anliegen sein muß, dafür zu sorgen, daß die bereits eingetretenen Verzerrungen wieder beseitigt werden. Dazu müssen
wir alle mithelfen. Sonst würde die Entwicklung, in der wir in diesem Jahr ein gewisses erstes Anzeichen einer Gefahr sehen, nur die andere Möglichkeit zur Folge haben, daß wir den zurückliegenden Bereichen ständig über den Steuerzahler den Ausgleich schaffen müssen. Das ist eine Entwicklung, die wir sicherlich alle nicht wollen. Das bedeutet aber, daß wir alle maßhalten müssen in dem, was berechtigte Interessen sind. Denn letzten Endes geht es doch darum, über die Interessen des einzelnen, über die Interessen der Gruppen hinaus auch für die Zukunft eine Gesamtwirtschaftspolitik zu sichern, die darauf abgestellt ist, das Gesamtwohl des ganzen Volkes in einer stetigen und kontinuierlichen Entwicklung zu fördern.