Rede von
Hugo
Geiger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sehr eingehenden und klaren Ausführungen des Herrn Bundesministers zu dem Gesetzentwurf haben meines Erachtens eine gute Grundlage für die Diskussion in der heutigen Generaldebatte geschaffen. Ich bin ihm idafür sehr dankbar. Denn ohne Zweifel ist es darauf zurückzuführen, daß in diesen fünf Stunden, seit denen wir hier sind, die Dinge in einer sehr sachlichen Weise behandelt worden sind. Ich möchte in diesem Sinne fortfahren und will mich außerdem so kurz wie möglich fassen.
Ich möchte, an Herrn Kollegen Ruhnke gewendet, sagen, ich stimme ihm zu, wenn er sagt, es müsse vermieden werden, daß die Betätigung auf dem Gebiet der Kernenergie zu neuen Monopolstellungen führt. Ich glaube, niemand von uns würde eine solche Entwicklung begrüßen. Ganz im Gegenteil, es muß dafür Sorge getragen werden, daß hier solche neuen Machtzusammenballungen unmöglich werden. Ich bin der Meinung, daß der Gesetzentwurf selbst hierfür schon gewisse Voraussetzungen schafft, indem er die Art der Bewilligung von Atomanlagen und der Zuteilung von Kernbrennstoffen sehr eingehend und klar reguliert. Im übrigen hat sich auch Herr Minister Balke in demselben Sinne ausgesprochen. Aber, Herr Kollege Ruhnke, genauso wie ich gegen die Monopolstellung einer privaten Stelle innerhalb unserer deutschen Volkswirtschaft bin, bin ich gegen die Monopolstellung des Staates. Eine einseitige staatliche Betätigung auf diesem Gebiet wäre nicht zum Seegen unseres Volkes und unserer Wirtschaft.
Ich darf hier noch einen Gedanken einflechten. Ich habe bei meiner Begründung zur Großen Anfrage darauf hingewiesen, wie sehr wir in der Forschung, in der wirtschaftlichen Nutzung und in der Anwendung der Kernenergie überhaupt noch im Rückstand sind, und habe gesagt, daß wir alle Kräfte zusammennehmen müssen. Ich glaube, daß hier gerade die Privatinitiative berufen ist, ihren Teil an der Einholung dieses Vorsprungs beizutragen. Wir verlangen 'auch von der Privatwirtschaft und von der Privatinitiative in diesem Sinne einen kräftigen Beitrag.
— Der wird nicht vom Staat bezahlt, die Leute zahlen ihren Beitrag. Selbstverständlich muß auch der Staat seinen Zuschuß geben. Wir werden am schnellsten vorwärtskommen, wenn sich Privatinitiative und Staat die Hände reichen.
Meine Damen und Herren, es ist über die Frage des Eigentums an Kernbrennstoffen diskutiert worden. Diese Frage ist nach meiner Meinung gar nicht so bedeutsam. Es kommt vielmehr darauf an, daß wir eine wirksame Kontrolle der Verwendung der Kernbrennstoffe haben. Das ist zehnmal wichtiger als die Regelung der Frage, wem der Kernbrennstoff gehört. Im übrigen werden wir uns über diese Sache j a noch eingehend zu besprechen haben, für den Fall beispielsweise, daß wir durch den Euratom-Vertrag in irgendeiner einseitigen Weise gebunden werden sollten. Wir können die 'Behandlung dieser Frage hier zunächst einmal beiseite stellen, zumal da sich dazu Herr Minister Balke schon sehr eingehend geäußert hat.
Ein weiterer Punkt, der bei der Diskussion meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist die Grundgesetzänderung. Meine Damen und Herren, es ist ja keine Änderung, es ist eine Ergänzung des Grundgesetzes. Im Grundgesetz steht nämlich gar nichts darüber, wer eigentlich die Zuständigkeit hinsichtlich der Kernenergie hat, ob die Zuständigkeit bei den Ländern oder beim Bund liegt oder ob sie zur konkurrierenden Gesetzgebung gehört. Diese Regelung muß eben nachgeholt werden. Im Jahre 1948/49 konnten wir nicht daran denken, daß wir uns einmal mit dieser Sache zu befassen haben würden. Deswegen ist diese Zuständigkeit damals nicht geregelt worden. Ich finde, daß es durchaus
zweckmäßig ist, dieses Gebiet zur konkurrierenden Gesetzgebung zu nehmen. Herr Minister Balke hat auch dazu meines Erachtens sehr treffende und klare Ausführungen gemacht. Ich möchte ihm in diesem Punkte voll zustimmen.
Sehr eingehend sind der Strahlenschutz und die Verwertung der Kernenergie zu friedlichen Zwekken erörtert worden. Meine Damen und Herren, sollen wir von seiten der CDU/CSU dazu noch etwas sagen? Ist hier nicht volle Einmütigkeit unter allen Fraktionen dieses Hohen Hauses festzustellen? Kann das überhaupt eine politische Frage sein? Das ist eine Frage, die abseits jeder Parteipolitik liegt. Ich glaube, keine Fraktion kann hier zum Ausdruck bringen, daß sie in besonderer Weise die Notwendigkeit gesetzlicher Vorschriften auf diesem Gebiet befürwortet. Da können wir uns getrost alle die Hände reichen. Wir sind an dieser Frage samt und sonders ohne Ausnahme in der gleichen Weise interessiert.
Herr Kollege Ruhnke, Sie haben bemängelt, daß in diesem Gesetzentwurf eine 'sehr große Zahl von Rechtsverordnungen vorgesehen ist. Sie haben gesagt, es seien etwa 26 oder vielleicht noch mehr. Ich gebe Ihnen recht: das ist eine große Zahl. Man kann darüber sprechen, ob man diese Zahl nicht vermindern soll. Aber, Herr Kollege Ruhnke, im Grunde genommen ist doch dieses Gesetz ein Rahmengesetz. Darüber sind wir uns einig. Außerdem hatten wir bei der Erarbeitung dieses Gesetzes kein Vorbild. Es gibt gegenwärtig in der ganzen Welt kein Atomgesetz in unserem Sinne, weder in Amerika noch in Großbritannien noch in Frankreich noch in Schweden. Das einzige Land, mit dem wir gegenwärtig sozusagen in Konkurrenz stehen, ist die Schweiz. Dort beschäftigt man sich zur Zeit gleichfalls mit einem Kernenergiegesetz, das gegenwärtig ebenfalls noch in der parlamentarischen Beratung ist. Wir betreten hier tatsächlich ein absolutes Neuland. Deshalb ist es schon zweckmäßig, zunächst ein Rahmengesetz zu schaffen und viele Einzelheiten erst später in Form einer Rechtsverordnung festzulegen. Das hat den weiteren Vorzug, daß wir auf diese Weise die Entwicklung nicht hindern. Im Gegenteil, man kann durch Rechtsverordnung der Entwicklung auf diesem Gebiet viel schneller Rechnung tragen, als wenn das alles in Gesetzesform niedergelegt würde.
Ein Punkt in diesem Gesetzentwurf hat mir und auch anderen Vorrednern nicht recht gut gefallen. Ich meine die Haftungsbestimmungen. Diese Bestimmungen hat man meines Erachtens nicht bis zum Ende durchdacht. Es hat nach meiner Ansicht keinen Sinn, daß der Gesetzgeber einfach sagt: die Haftung wird soundso hoch festgelegt, wenn nicht gleichzeitig der Weg und die Mittel gewiesen werden, wie man eine solche Haftungsverpflichtung perfektuieren kann. Die Haftungssumme ist bei Reaktoren auf 25 Millionen DM festgesetzt und bei Isotopen in gleicher Höhe. Zwischen der Gefährlichkeit eines Reaktors und eines Isotops besteht aber doch ein großer, großer Unterschied. Bei Reaktoren sind tatsächlich Katastrophenschäden denkbar. Solange es Menschen gibt, gibt es Unzulänglichkeiten, gibt es Störungen. Dagegen sind wir niemals gefeit. Aber bei der Verwendung von Isotopen dieselbe Gefahr zu sehen, ist meines Erachtens ein Fehler in der Systematik. Es ist interessant, daß die Deutsche Atomkommission einen anderen Vorschlag gemacht hat. Die Deutsche Atomkommission hat niedrigere Höchsthaftungssummen empfohlen. Nach gewissen Einwirkungen, soweit ich orientiert bin, von seiten des Justizministeriums hat man die Haftungssumme auf 25 Millionen DM pro Risiko erhöht.
Wie kann man denn eine solche Haftungsverpflichtung überhaupt erfüllen? Da gibt es zweierlei Möglichkeiten: Entweder man verlangt von dem Inhaber des Isotops oder des Reaktors ein Depot in Höhe von 25 Millionen DM, oder man veranlaßt ihn, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Das erstere scheidet aus, das ist nicht durchzuführen. Beim zweiten kommen wir - zu dieser Auffassung bin ich nach genauer Beobachtung der Entwicklung gelangt — zu den größten Schwierigkeiten. Eine Schwierigkeit, die gar nicht von der Hand zu weisen ist, liegt vor allem in folgendem. Wenn der Gesetzgeber so hohe Haftungssummen verlangt, wird der Besitzer eines Reaktors oder eines Isotops in einem größeren Umfange belastet, weil er natürlich die entsprechende Prämie für die Deckung des Risikos bei einer Gesellschaft zu bezahlen hat. Denn daß die Versicherungsprämie bei 25 Millionen DM oder gar einer noch höheren Haftungssumme höher sein muß als bei einer niedrigeren Summe, ist eine Selbstverständlichkeit. — Im übrigen muß ich mich doch sehr darüber wundern, daß der Bundesrat, obwohl diese Dinge schon im Fluß waren, von sich aus sogar eine noch höhere Summe empfohlen hat, als im Gesetzentwurf vorgeschlagen ist.
— Dabei müssen wir berücksichtigen, daß die Haftungssumme von 65 Millionen Dollar nur für Reaktoren, aber nicht für Isotope gilt. Für Isotope haben die Amerikaner ganz andere Maßzahlen. Das darf nicht verwechselt werden. Im übrigen möchte ich auch die Zahl von 65 Millionen Dollar noch nachprüfen. Es ist durchaus möglich, daß das ein Spezialfall ist, bei dem ein besonders großes Risiko vorliegt, d. h. der Spezialfall eines Kernreaktors, bei dem man die wissenschaftliche und wirtschaftliche Funktion noch gar nicht voraussehen kann. Diese Dinge müssen wir im Ausschuß sehr eingehend beraten. Sie sind überhaupt noch nicht spruchreif, solange uns nicht die Gutachten vorliegen, die der Herr Minister Balke uns in Aussicht gestellt hat. Besonders die Diskussion im Bundesrat hat die ganze Problematik sehr klar gezeigt, und auf Grund der Äußerung des Bundesrates hat das Bundeskabinett beschlossen, neue Gutachten zu dieser Frage einzuholen.
Nun will ich mich noch den drei uns vorgelegten Anträgen zuwenden.
Das ist zunächst einmal der Antrag betreffend Atombombenversuche, den Herr Kollege Drechsel begründet hat. Ich kann ihm nur zustimmen. Wir sollten diesen Antrag annehmen, und ich würde jeden Schritt der Bundesregierung begrüßen, der auf internationaler Basis getan wird, um eine Einstellung der Atombombenversuche zu erwirken.
Auch dem Vorschlag des Herrn Kollegen Elbrächter bezüglich Überwachung des Meerwassers auf radioaktive Bestandteile möchte ich zustimmen. Ich bin überhaupt der Meinung, daß man auf diesem Gebiet gar nicht vorsichtig genug sein kann und daß wir jede Möglichkeit ausschöpfen müssen. Vorsorge zu treffen. daß auf diesem Gebiet so wenig wie möglich passiert.
Herr Kollege Ratzel hat sich eingehend mit dem Antrag beschäftigt, in welchem die Berufung einer
unabhängigen Kommission zum Schutze der Bevölkerung vor Radioaktivität vorgeschlagen wird. Herr Kollege Ratzel, ich bin auch damit einverstanden; ich würde diesen Antrag auch unterstützen. Auch hier die Tendenz: es soll alles geschehen, was überhaupt geschehen kann. Nur glaube ich, Herr Kollege — ich weiß, welche Zwiegespräche hier vorhin gerade mit dem Herrn Kollegen Euler geführt worden sind —, man sollte bezüglich der Unabhängigkeit der berufenen Personen nicht — wie soll ich sagen — allzu strenge Maßstäbe anlegen. Sonst müßten wir vielleicht überhaupt die Berufung und Befragung eines Professors, der im öffentlichen Dienst steht und von öffentlichen Geldern lebt, in Frage ziehen und nur völlig unabhängige Personen in einen solchen Kreis berufen. Das wollen wir ja aber nicht, nicht wahr.
— Ich bin auch der Meinung, daß der Professor unabhängig ist. Aber man sollte, wie gesagt, diesen Gedanken der Unabhängigkeit doch nicht allzu stark hier betonen. Wir müssen doch den guten Willen eines jeden Gutachters unterstellen, müssen unterstellen, daß er die genügende Unabhängigkeit in sich hat. von seinem Gesichtspunkt aus völlig frei zu einer Sache Stellung zu nehmen.
Bevor ich schließe, möchte ich — ich glaube. ich darf das im Namen sämtlicher Damen und Herren dieses Hohen Hauses tun — den Dank an diejenigen Männer und Frauen aussprechen, die in der Deutschen Atomkommission mitgewirkt und dazu beigetragen haben, daß uns heute ein Atomgesetzentwurf vorgelegt worden ist, mit dem wir einmal zukunftweisend die Entwicklung in Deutschland einleiten können.
Nun noch ein Wort bezüglich der Ausschußüberweisung. Es ist dringend nötig, daß dieser Gesetzentwurf in den Ausschüssen so schnell wie möglich behandelt und dem Plenum zur zweiten und dritten Beratung vorgelegt wird. Schon aus diesem Grunde, aber auch ganz allgemein möchte ich den Wunsch äußern, daß wir den Gesetzentwurf dem Atomausschuß — federführend - und nur dem Auschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht —mitberatend — überweisen. Wenn wir so vorgehen, haben wir, glaube ich, eine Garantie dafür, daß es doch noch gelingt, dieses Gesetz, das dringend notwendig ist, damit wir auf diesem Gebiet in Deutschland überhaupt arbeiten können, vor Schluß dieser Legislaturperiode zu verabschieden.