Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Ende des Jahres 1938 die Kernspaltung möglich gemacht war, wurde man sich bald darüber klar, daß die Kettenreaktion durchgesetzt werden könnte und daß daran gleich zwei Möglichkeiten hingen, die einer außerordentlichen Freisetzung von Energie für friedliche Zwecke und die einer Freisetzung für Explosionen durch Bomben, die das menschliche Vorstellungsvermögen übermäßig strapazierten, obwohl es durch die bis dahin erzielten Fortschritte schon sehr weit geworden war.
Das Atomzeitalter hat seitdem, man möchte sagen: von Tag zu Tag mehr sein Janusgesicht gezeigt. Wir sind heute über die Fülle der Anwendungsmöglichkeiten der atomaren Energie mittels der radioaktiven Isotope überrascht. Die Biologie, die Medizin, die biologische Forschung in der Landwirtschaft, die Verwendung der Isotope in der Industrie für alle möglichen Prüfungszwecke haben zu neuen Erkenntnissen und darüber hinaus zur Erzielung von Ersparnissen geführt, die weit über das hinausgehen, was man früher für möglich hielt. Auf der andern Seite hat die Menschheit die erschreckende Entwicklung erlebt, deren augenblickliches Stadium ist, daß eine Bombe, wie sie zum Abschluß des zweiten Weltkrieges auf Nagasaki abgeworfen wurde, jetzt als Streichholz für die Entzündung einer Wasserstoffbombe dient, die nicht mehr auf dem Prinzip der Kernspaltung, sondern auf dem umgekehrten Prinzip der Kernverschmelzung beruht. In Anbetracht dieser Doppelgesichtigkeit, dieser Janusköpfigkeit der atomaren Entwicklung ist jeder Staat verpflichtet, seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, um die lediglich friedliche Anwendung und Ausnutzung der Kernenergie sicherzustellen. Der zweite Satz, der ebenso sicher gilt, ist der, daß kein Staat es sich leisten kann, an den Errungenschaften des Atomzeitalters vorüberzugehen und sich etwa von der Nutzbarmachung der Kernenergie auszuschließen.
Aus der westlichen Welt sind durch die Jahre hindurch, auf die ständige Initiative der Wissenschaftler, Bemühungen gekommen, die Bannung des Atomkrieges und in Verbindung mit der Bannung des Atomkrieges auch eine kontrollierte Abrüstung der traditionellen Waffen sicherzustellen. Wenn ein derartiges Abkommen in der heutigen Welt noch nicht erzielt wurde, dann liegt das nicht daran, daß sich der Westen dagegen gesträubt hätte, sondern es liegt doch allein daran — das muß in dieser Debatte ausgesprochen werden —, daß die Sowjets lange Zeit ein solches Abkommen gar nicht ernstlich wollten. Die Sowjets sind es gewesen, die zwar auf propagandistische Weise von der Notwendigkeit eines solchen Abkommens gesprochen haben, aber alle Vorschläge des Westens, effektive Kontrollen zu übernehmen, damit jeder Vertragsteil die Sicherheit hat, daß er nicht eines Tages der Genarrte der anderen Partner ist, abgelehnt haben. Nur allmählich, im Laufe von jetzt insgesamt 2 1/2jährigen Verhandlungen sind die Sowjets von Zeit zu Zeit in kleinen Schritten von diesem ihrem ursprünglichen Standpunkt abgerückt. Schon vor anderthalb Jahren wurde von dem amerikanischen Präsidenten Eisenhower der Vorschlag einer totalen Luftinspektion unterbreitet. Heute haben sich die Sowjets endlich dazu bequemt, wenigstens die Luftinspektion in der Beschränkung auf einen Gebietsgürtel von nur 800 km Tiefe zuzugestehen. Diese Beschränkung macht natürlich die Zustimmung im Prinzip einstweilen wertlos. Aber es muß weiter darum gerungen wer- den, daß die Sowjets eines Tages dahin kommen, die Luftinspektion unbeschränkt zuzulassen, ebenso wie die Amerikaner schon seit Jahren die uneingeschränkte Luftinspektion für ihr gesamtes Gebiet zugestanden haben.
Ich halte es für äußerst zweifelhaft, ob, solange die Sowjets für ein weltumspannendes Abkommen zur Bannung des Atomkrieges und zur kontrollierten Abrüstung auch der konventionellen Waffen nicht zu bringen sind, die Atombombenversuche völlig eingestellt werden können. Die gesamte Bevölkerung der demokratischen Welt, der Welt, in der Recht und Freiheit gelten, ist doch aufs äußerste daran interessiert, nicht durch eine Fehlentwicklung auf diesem Gebiet eines Tages in die Lage zu kommen, daß der gesamte Westen das Opfer einer militärischen Entwicklung, beruhend auf einer einseitigen Weiterentwicklung der Atombombe im östlichen Bereich, würde. Wir sollen unseren Einfluß geltend machen, um die Atombombenversuche einzuschränken, ja, wenn das möglich ist, ein Abkommen zwischen den Sowjets und der gesamten westlichen Welt durchzusetzen, wonach diese Atombombenversuche eingestellt werden. Aber wir können niemals Resolutionen unterstützen, die dahin gehen, daß man eines Tages sozusagen vor dem Ergebnis steht, daß der humanere Westen die Versuche einschränkt, während sie der Osten hemmungslos weiter betreibt. Daraus könnte nur die Gefahr einer einseitigen atommilitärischen Stärkung der östlichen Welt entstehen. Das sind Gesichtspunkte, die der Ausschuß einer sorgfältigen Prüfung unterziehen wird, wenn er über den Vorschlag der Sozialdemokratie und der Freien Demokraten berät.
Da uns nun heute der Gesetzentwurf über die friedliche Verwendung der Atomenergie vorliegt, sollte von dieser Stelle aus absolut klar ausgesprochen werden, daß weder die Strahlungen, die bisher die Folge von Atombombenversuchen waren, noch die Strahlungen, die von atomaren Objekten der Wirtschaft ausgehen, bis jetzt einen Grad erreicht haben, der für die Bevölkerung irgendwelcher Länder eine Gefährdung wäre. Etwas ganz anderes ist natürlich die Gefährdung für diejenigen, die in dem näheren Bereich, in dem Sprengbombenversuche unternommen worden sind, zu Schaden gekommen sind.
Ich habe hier einen Aufsatz des amerikanischen Biologen Dr. Muller, der in Nr. 4 der „Naturwissenschaftlichen Rundschau", Jahrgang 1956, veröffentlicht ist. Aus diesem Aufsatz einer anerkannten internationalen Autorität darf ich zwei Stellen vorlesen, die die heutige Thematik „Schutz der Bevölkerung vor Strahlungsgefahren", ein Thema, das man gar nicht ernst genug nehmen kann, auf eine bündige Weise behandelt. Ich darf, Herr Präsident, diese zwei Stellen vorlesen. Die erste Stelle beschäftigt sich mit den Strahlungen als Folge der Atombombenversuche. Muller schreibt:
Wir gehen dabei zunächst von den Versuchsexplosionen aus. J. Rotblut, London, hat geschätzt, daß durch die Atomversuche im vergangenen Jahr in Landstrichen der Erde, die entfernt von den Explosionsstellen liegen, die Basisstrahlungen in dem Jahr sich etwa verdoppelt haben; in den USA ist daher die Basisstrahlung von 0,1 auf etwa 0,2 R pro Jahr gestiegen. Die natürliche Basisstrahlung von
etwa 0,3 R pro Jahr löst bei Menschen — so haben wir geschätzt — etwa 3 % der spontanen Mutationen aus. Eine Verdoppelung würde daher eine Zunahme der entstehenden Mutationen um denselben Betrag bedeuten. Obwohl diese Einwirkung, wenn sie über eine Generation anhält, eine enorme Zahl von Mutationen auslösen würde, so wäre dieser Effekt im Hinblick auf den angesammelten Vorrat nachteiliger Mutationen verhältnismäßig gering. Er würde die pro Kopf vorhandene Anzahl mutierter Gene höchstens um einige Zehntel Prozent erhöhen.
Das ist also das Ergebnis der Untersuchungen eines Mannes, der heute mit Recht wohl als der führende Biologe der Vereinigten Staaten gilt.
Ich darf eine zweite Stelle aus seinem Aufsatz verlesen. Da spricht Muller von dem Vergleich zwischen der heutigen Dosis von Spannungen, die als Folge der Verwendung der Röntgenstrahlen in der Medizin in die Bevölkerung hineindringt, und den Strahlungen, die Folge der Atombombenversuche sind. Er spricht davon, daß die Dosis in den Vereinigten Staaten, die als Folge der Verwendung der Röntgenstrahlen in die Bevölkerung geschickt wird, 0,06 R pro Jahr beträgt. Er sagt:
Diese Dosis, die einzige uns über die USA zur Verfügung stehende Schätzung, hat dieselbe Größenordnung wie die jährliche Strahlendosis in den USA in den letzten vier Jahren von allen Versuchsatomexplosionen zusammengenommen. Es erscheint recht ungereimt, wenn so viel Staub wegen der medizinischen Folgen der Explosionen aufgewirbelt wird und so wenig Aufhebens gemacht wird von der medizinischen Strahlendosis.
Wir haben auch aus den Vorträgen der Biologen und Radiologen, die wir vor dem Ausschuß für Atomfragen gehört haben, die Auffassung bestätigt gefunden, die Muller in diesem Aufsatz noch im einzelnen weiter vertritt: daß nämlich die Strahlungen, die als Folge der Atombombenversuche aufgetreten sind, geradezu verschwindend geringfügig sind im Verhältnis zu all den anderen Zivilisationsschäden durch die Zivilisationsgifte, durch die Luftverunreinigungen aus den verschiedensten Gründen und durch Schäden vor allem im Bereich der Medizin, insbesondere durch Röntgenstrahlen.
Muller zieht aus seinen Erkenntnissen den Schluß, daß nicht etwa nur die Strahlung als Folge des Einsatzes atomarer Energie, sondern auch alle anderen Zivilisationsschädigungen, die ebenfalls durch Radioaktivität, aber auch durch Gifte und Luftverunreinigungen hervorgerufen werden, einer viel gründlicheren Untersuchung bedürfen als bisher und vor allem auch einer viel energischeren Bekämpfung auf Grund der Schlußfolgerungen, zu denen die Wissenschaftler kommen.
Wir müssen der Bevölkerung sagen — das dürfen wir heute gestützt auf wissenschaftliche Kapazitäten mit bestem Recht tun —, daß für sie hier keine Gefahr droht, wenn jetzt Deutschland daran geht, möglichst schnell einen Teil der Entwicklung nachzuholen, die die anderen, atomar heute führenden Länder in den letzten Jahren genommen haben.
Wir haben hier eine große Aufgabe. Unser Rückstand beträgt zwar nicht in der Forschung, aber in der technischen Durchsetzung zehn Jahre. Darüber hinaus ist die deutsche Forschung bedroht durch eine allzu schmale Nachwuchsbasis, wie sie heute noch vorhanden ist. Wenn wir in der Verwirklichung des atomaren Fortschritts für friedliche Zwecke nicht aufholen, kommen wir in 10 bis 20 Jahren in die große Gefahr, unseren Rang als führendes oder mitführendes Exportland zu verlieren. Das könnte für ein Land mit so starker Überbevölkerung wie die Bundesrepublik äußerst nachteilig sein. Es würde für uns alle eine relativ starke Senkung des Lebensstandards im Vergleich zu anderen Völkern bedeuten.
Ganz zweifellos haben wir auch Vorteile aus dem Umstand zu ziehen, daß wir infolge des Ausgangs des zweiten Weltkriegs zunächst einmal in der technischen Entwicklung zehn Jahre verloren haben. Wir haben dabei den Vorteil eingehandelt, daß unsere Entwicklung nun vielfach an Resultate anknüpfen kann, die durch die Inbetriebnahme von Forschungs- und Versuchsreaktoren, ja auch Leistungsreaktoren in anderen Ländern bereits erzielt worden sind. Wir können einen großen Teil der dort gemachten Erfahrungen verwerten, und wir können auch in größerem Maße an gewisse Erfahrungen der führenden Länder im Kampfe gegen Strahlungen anknüpfen zur Verhütung von Strahlungsschäden, nicht nur für die in zukünftigen Atomwerken Beschäftigten, sondern auch für die im Umkreis dieser Werke lebende Bevölkerung.
Und da ist eines sehr wichtig: daß die Physiker und Techniker heute die Gewißheit vermitteln können, daß alle Arten von Reaktoren so sicher gebaut werden, daß sie nicht Quellen störender Strahlenschädigungen nach außen sind. Es ist heute durchaus möglich, die Umgebung völlig abzuschirmen. Wir begrüßen es, daß das Atomministerium gerade diesen wichtigen Fragen eine sehr große Aufmerksamkeit zuwendet, und wir sehen vorerst jedenfalls keinerlei Anlaß, gegenüber der Fachkommission, die jetzt gerade für Strahlennutzung und Strahlenschäden gebildet worden ist, Mißtrauen zu haben. Diese Fachkommission wurde ja im Rahmen der Atomkommission gebildet. Ihr gehören die besten deutschen Physiker, Chemiker und Techniker, die Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet einen Namen haben, an, und diese Kommission mit ihren Fachkommissionen ist von der Regierung völlig unabhängig, so daß ich nicht sehe, warum man daran zweifeln sollte, daß diese Fachkommission im Rahmen der Atomkommission ihre Aufgaben erfüllt. Sowohl ihre Zusammensetzung wie auch ihre unabhängige Stellung bürgen dafür, daß sie ihre Aufgaben erfüllt. Sollte sich herausstellen, daß das einmal nicht der Fall sein würde, dann kann man immer noch entsprechende Konsequenzen daraus ziehen.
Aber, Herr Kollege Ratzel, Sie wollen mich etwas fragen. Bitte sehr!