Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde zunächst die formelle Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage, Drucksache 1657, erteilen, und werde auf einige Fragen, die mit dem Projekt Karlsruhe zusammenhängen, im Laufe der Begründung des Atomgesetzes noch einmal zurückkommen.
Zu Frage 1 der Großen Anfrage habe ich zunächst zu bemerken, daß die Entscheidung über die Wahl des Standorts für den ersten Versuchsreaktor der Bundesrepublik vor der Gründung des Bundesministeriums für Atomfragen getroffen wurde. Sie erfolgte in einer Aufsichtsratssitzung der Physikalischen Studiengesellschaft, von der das Karlsruher Projekt vorbereitet wurde, und zwar hauptsächlich aus dem Beweggrund, daß die Stadt Karlsruhe seinerzeit ein geeignetes Baugelände zur Verfügung gestellt hatte. Andere Gründe innenpolitischer Natur oder Überlegungen, die mit der geographischen Situation der Bundesrepublik zusammenhängen, sind zweifellos bei der Entscheidung der Physikalischen Studiengesellschaft mit berücksichtigt worden, dürften aber heute nur noch historische Bedeutung haben.
Noch ein Wort zu der Verzögerung des gesamten Projekts. Hierfür sind zwei Gründe maßgebend. Der erste ist technischer Natur. Es hat sich herausgestellt, daß die technische Vorbereitung der Baupläne längere Zeit erfordert, als von der Gesellschaft veranschlagt war. Die Baupläne werden wahrscheinlich im Laufe des Monats März vorliegen. Der zweite Grund liegt in Schwierigkeiten der Genehmigung für den Bau, der im Lande Baden-Württemberg auf Widerstände der Bevölkerung gestoßen ist. Es ist Aufgabe des Landes Baden-Württemberg, die Voraussetzungen zu schaffen, daß die Baugenehmigung erteilt werden kann.
Nach der letzten Entwicklung ist zu erwarten, daß die Widerstände in Kürze beseitigt sein werden.
Zu Frage 2 der Großen Anfrage: Träger der Anlage ist, wie der Herr Abgeordnete Geiger schon bemerkt hat, die Kernreaktor Bau- und -betriebsGesellschaft mit beschränkter Haftung in Karlsruhe. Nach dem am 19. Juli 1956 abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag haben sich zu diesem Zweck die Bundesrepublik und das Land Baden-Württemberg einerseits und die deutsche Industrie, vereinigt in einer Kernreaktor-Finanzierungs-GmbH andererseits, zusammengeschlosen und je die Hälfte des Geschäftskapitals zu 30 Millionen DM und einer Nachschußverpflichtung zu 10 Millionen DM übernommen. Von den Partnern der öffentlichen Hand, die im übrigen die Aufwendungen für den Unterhalt und den Betrieb der Anlage nach Fertigstellung allein aufzubringen haben, übernehmen die Bundesrepublik drei Fünftel und das Land BadenWürttemberg zwei Fünftel der Stammeinlage, so daß bei einem Gesamtvolumen von zunächst 40 Millionen DM auf die Industrie 20 Millionen, die Bundesrepublik 12 Millionen und das Land Baden-Württemberg 8 Millionen DM entfallen.
Zu Frage 3 der Großen Anfrage: Die Leitung der Gesellschaft liegt bei mehreren Geschäftsführern, von denen je zwei gemeinsam zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind. Geschäftsführer sind gegenwärtig die Herren Professor Dr. Haxel, Universität Heidelberg, Dr. Ritter als Chemiker aus der Industrie und Regierungsdirektor Dr. Greifeld, früher beim Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg in Stuttgart.
Zu Frage 4: Die Bundesrepublik ist im Rat von CERN in Genf durch die Herren Professor Dr. Heisenberg und — zugleich auch im Finanzausschuß — durch Ministerialrat Dr. Hocker vom Bundesministerium für Atomfragen vertreten. Professor Dr. Gentner aus Freiburg ist, wie Herr Abgeordneter Geiger bemerkt hat, Leiter der Abteilung für das Synchrozyklotron. Der Vertrag von Professor Gentner läuft im Herbst 1957 ab. Es wird versucht, Herrn Professor Gentner dazu zu bewegen, die Tätigkeit noch um ein Jahr zu verlängern. Die Bundesregierung wird alles versuchen, um eine ausreichende und ständige Mitarbeit und Vertretung der Bundesrepublik bei CERN zu sichern. Es besteht Aussicht, daß dies erreicht wird, wobei ich darauf hinweise, daß unabhängig von der Mitgliedschaft von Herrn Professor Dr. Gentner die Vertretung durch Professor Dr. Heisenberg und Ministerialrat Dr. Hocker gesichert bleibt.
Meine Damen und Herren, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten schließe ich die Begründung des Gesetzentwurfs, Drucksache 3026, unmittelbar an. Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag zwei Gesetzentwürfe vorgelegt, erstens den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, zweitens den Entwurf eines Gesetzes über die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren, kurz „Atomgesetz" genannt.
Wenn ich heute diese Entwürfe vor dem Hohen Haus zu begründen habe, so brauche ich nicht darauf aufmerksam zu machen, daß die Vorbereitung der Entwürfe mehr Zeit erfordert hat, als es in der Absicht der Bundesregierung lag und als es wohl auch den Erwartungen des Hohen Hauses entsprochen hat. Die Gründe hierfür sind schon in der 141. Sitzung des Deutschen Bundestags am 19. April 1956 erörtert worden. Mit der Vorlage
der Gesetzentwürfe haben sie nur noch historische Bedeutung, und ich bitte, mit mir einverstanden zu sein, daß ich sie nicht noch einmal vorbringe.
Die Gesetzentwürfe versuchen, ein für die Legislative unseres Landes völlig neues Gebiet gesetzlich zu ordnen. Die Neuheit und die Mannigfaltigkeit der zu behandelnden Probleme erfordern eine gründliche Überlegung, um den Gefahren einer zuwenig durchdachten oder zu perfektionistischen Gestaltung der Gesetzentwürfe zu begegnen.
Die durch die Gesetzentwürfe zu regelnde Materie hat, wie uns allen bekannt ist, auch eine sehr stark politische Seite. Ich muß hier darauf verzichten, die politischen Einflüsse auf die Entwicklung der Kernenergietechnik eingehend darzustellen, obwohl sie zu den wichtigsten Kapiteln unserer Gegenwartsgeschichte gehören.
Auch wenn man nicht in jedem Schritt der technischen Entwicklung den Beginn eines neuen Zeitalters zu sehen braucht, so kann man zweifellos den Beginn der technischen Beherrschung der Atomkräfte als eine Zäsur ansehen. Sie ist auf den Nachweis zurückzuführen, daß Atomkerne eines bis dahin wenig interessanten chemischen Elements, des Urans, durch kurz zuvor entdeckte Elementarteilchen, die Neutronen, gespalten werden. Diese Entdeckung machten der Direktor des damaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie in Berlin, Professor Otto Hahn, und sein Assistent Dr. Straßmann im Dezember 1938. Es war die Entdeckung eines Chemikers, der große Mühe darauf verwandte, nachzuweisen, daß die von ihm entdeckten Spaltstücke eine chemische Verunreinigung darstellten, und erst nach mühevoller Kleinarbeit zu der Überzeugung kommen mußte, daß hier der alte alchimistische Traum, die Umwandlung von chemischen Elementen, gelungen sei. Die Entdeckung wurde gemacht, nachdem ein breites Fundament physikalischer Grundlagenforschung die theoretischen und experimentellen Voraussetzungen geschaffen hatte. Aber daß es sich hierbei um ein naturwissenschaftliches Experiment mit unabsehbaren politischen, technischen und wirtschaftlichen Folgen handelte, wurde nicht sofort erkannt.
In Deutschland litt in den Jahren der Hahnschen Entdeckung die Forschung unter den Folgen politischer Unvernunft, und auch damals griff die Politik in die Entwicklung und Auswertung einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis ein, wodurch zahlreiche deutsche Forscher in die Welt verstreut wurden.
Die Atomforschung entwickelte sich vor allem in den Vereinigten Staaten von Amerika mit einer nicht vorhergesehenen Geschwindigkeit. Sie trug durch die Entwicklung der Atombombe zur Beendigung und Entscheidung des zweiten Weltkrieges bei und hat dann in etwa zehn Nachkriegsjahren neue Möglichkeiten zur Deckung des Energiebedarfs der Menschheit sichtbar gemacht.
In Deutschland war die schon während des „Dritten Reichs" sehr erschwerte Forschung auf diesem Gebiet durch das Kriegsende praktisch lahmgelegt. Die Pionierrolle Deutschlands in der Atomforschung war, wenn nicht vergessen, so doch verlorengegangen, und auch noch nach der Genfer Atomkonferenz im August 1955 gab es genügend ernsthafte Stimmen in unserem Lande, die es als hoffnungsloses Unterfangen betrachteten, in der Bundesrepublik mit der Arbeit auf atomtechnischem Gebiet überhaupt anzufangen. Die wenigen Optimisten fanden die Unterstützung der Bundesregierung, die sich der Bedeutung dieser neuen technischen Möglichkeiten, aber auch der Einsicht in die damit verbundenen Gefahren nicht verschloß und ein besonderes Ministerium zur Bearbeitung dieser Fragen einrichtete. Die Arbeit dieses Ministeriums konnte sich nicht wie in anderen Ländern auf eine zu militärischen Zwecken geschaffene technische Organisation stützen; sie mußte, unter strenger Beschränkung auf die friedlichen Zwecke der Atomforschung, neu aufgebaut werden.
Der Beschluß der Bundesrepublik, sich in die technische Entwicklung einzuschalten und auch vor allem eine Atompolitik zu treiben, die den Bedürfnissen eines so stark industrialisierten Landes entspricht, wurde und wird durch die besondere Situation unseres Landes gegenüber den Staaten bestimmt, die man als Atomgroßmächte bezeichnen kann. Diese besondere Situation läßt sich durch vier Faktoren kennzeichnen:
Der erste Faktor ist ein Zeitfaktor. Erst vor eineinhalb Jahren errang die Bundesrepublik die Freiheit zurück, die Forschung und Entwicklung zur friedlichen Anwendung der Atomenergie aufzunehmen. Wir stehen nun vor der Aufgabe, den weiten Rückstand gegenüber den führenden Atomländern von etwa 10 bis 15 Jahren möglichst schnell aufzuholen, nicht wegen des nationalen Prestiges oder wegen wirtschaftlicher oder politischer Machtentfaltung, sondern um die Lebensgrundlagen unseres Volkes zu sichern.
Der zweite Faktor, der unsere Situation bestimmt, ist politischer Art. Er betrifft den freiwilligen Verzicht der Bundesrepublik auf die Herstellung von Atomwaffen. Dieser Verzicht setzt uns in den Stand, beim Aufbau einer deutschen Atomwirtschaft militärische Erwägungen außer acht zu lassen. Ich bin überzeugt, daß sich dies positiv auf die Entwicklung der deutschen Atomwirtschaft auswirken wird. Bei den Erwägungen über die Aufgaben des deutschen Atomgesetzes werde ich noch darauf zurückkommen, welche Aufgaben der Überwachung und Kontrolle uns aus dem Verzicht der Bundesrepublik auf die Herstellung von Atomwaffen erwachsen.
Der dritte Faktor ist die Rohstofflage unseres Landes in bezug auf die Versorgung mit den Rohstoffen, die die Atomtechnik benötigt. Es wird Ihnen bekannt sein, meine Damen und Herren, daß die derzeitige Entwicklung der Atomtechnik auf der Verwendung von Uran beruht, das an und für sich kein sehr seltenes Mineral ist. Uran kommt auf der Erde etwa so häufig wie Blei vor. Uran wird aber nicht überall und sehr oft nur in Konzentrationen gefunden, die eine technische Verwertung ausschließen. Die Vorräte in der Bundesrepublik sind nicht bedeutend, lassen aber eine bescheidene Selbstversorgung für den Beginn der Atomenergieverwertung erwarten.
Die vielerörterte Frage, ob die Gewinnung von Uranerzen in der Bundesrepublik für Zwecke der Atomtechnik durch die derzeitige recht unübersichtliche Rechtslage gehindert wird, d. h. ob es zweckmäßig sei, diese Rechtslage etwa durch ein Bundesberggesetz zu ändern, kann hier nicht behandelt werden. Für die nächste Zukunft wird zweifellos die Gewinnung von Uranerzen in der Bundesrepublik auf Grund der derzeitigen Landesberggesetze erfolgen müssen. Die Bundesregierung
hat bewußt davon abgesehen, diese Frage in dem vorliegenden Gesetzentwurf anzuschneiden oder zu regeln. Die Erfahrungen auf dem Erdölgebiet zeigen, daß Staatsvorbehalte, wie sie in den meisten Ländern bestehen, keineswegs der Nutzung von derartigen natürlichen Vorräten im Wege stehen. Eine liberalere Handhabung der Verwaltungspraxis würde allerdings den Bedürfnissen der Wirtschaft auf diesem Gebiet besser Rechnung tragen.
In Zukunft werden auch noch andere Grundlagen für die Atomtechnik eine Rolle spielen, so z. B. die Brütbarkeit des Thoriums*), eines Elements, das ebenfalls in technisch verwertbaren Mengen auf der Erde vorkommt, das aber andere technische Voraussetzungen erfordert, wenn es als Energiequelle verwendet werden soll. Hierzu sind noch erhebliche Arbeiten in der Grundlagenforschung und in der Anwendungstechnik erforderlich. Es ist ein Gebiet, das insbesondere für unser Land in Zukunft sehr wichtig werden wird.
Eine dritte Möglichkeit, die auf einem ganz anderen physikalischen Prinzip beruht, nämlich statt auf der Spaltung von Atomen auf der Vereinigung von Atomen und Elementarteilchen — die sogenannte thermonukleare Reaktion oder Fusion —, ist als Energiequelle heute noch nicht verwendbar. Wir kennen diese Reaktionen zur Zeit nur aus ihrer militärischen Anwendung, der sogenannten Wasserstoffbombe, und wissen daher, daß die Kernverschmelzung, also die Fusion, wie die Theorie voraussagte, noch eine sehr viel ergiebigere Energiequelle darstellt als die Spaltungsreaktion. Wenn es gelingt, diese in der Wasserstoffbombe explosionsartig verlaufende Reaktion zeitlich so zu regulieren, daß sie in technisch regelbaren Zeiten und mit beherrschbarer Temperatur verläuft, wird eine neue Grundlage der Energieerzeugung geschaffen sein. Der heutige Stand der Wissenschaft läßt erkennen, daß zweifellos die Kernverschmelzungsreaktion in absehbarer Zukunft die Verwertung von Spaltreaktionen stark einschränken und für viele Fälle ersetzen wird. Über die wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen hierzu wird man voraussichtlich mehr wissen, wenn das Geophysikalische Jahr Ende 1958 zu neuen Erkenntnissen geführt hat. Zur Zeit und für die nächsten übersehbaren Jahre bilden aber die Spaltreaktionen die Grundlage der uns zugänglichen Atomtechnik, praktisch daher die Verwertung des Urans.
Im Bundesgebiet sind erst wenige Uranerzlagerstätten bekannt, die alle nur einen geringen Urangehalt haben. Im Fichtelgebirge sind bisher mit Sicherheit Lagerstätten mit einem Gehalt von etwa 50 t Uranmetall nachgewiesen. Bei den Vorkommen im übrigen Bayern und anderen Bundesländern lassen sich nach dem derzeitigen Stand etwa die gleichen abbauwürdigen Mengen an Uranmetall erwarten. Die Aufsuchungsarbeiten werden fortgesetzt und von der Bundesregierung in jeder Hinsicht unterstützt. Erst nach vielen Jahren aber werden die Möglichkeiten inländischer Uranerzeugung voll zu überblicken sein. Die Bundesrepublik Deutschland wird trotz verstärkter Prospektierung und Förderung der eigenen Vorkommen voraussichtlich für lange Zeit auf die Einfuhr ausländischer Uranerze oder Urankonzentrate angewiesen
*) Anmerkung zur Erläuterung: Thorium selbst wird nicht gespalten, sondern das nach Neutroneneinfang gebildete „gebrütete" Uran 233.
sein. Aus dieser Situation ergibt sich ebenso wie aus unserem vieljährigen Rückstand gegenüber anderen Nationen die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit, die wir in multilateralen und bilateralen Verhandlungen verwirklichen müssen und zum Teil schon verwirklicht haben. Ich werde bei der Begründung unseres Gesetzentwurfs noch im einzelnen ausführen, daß die Bundesrepublik im Rahmen dieser internationalen Vereinbarungen Verpflichtungen übernehmen muß, die nur auf der Grundlage eines entsprechenden deutschen Atomgesetzes sichergestellt werden können.
Der vierte Faktor, der unsere Lage bestimmt, betrifft den vor allem in der Öffentlichkeit als wichtigsten Punkt betrachteten Umstand, daß in der Bundesrepublik wie in anderen Industrieländern in naher Zukunft eine Energielücke droht. Als Maß für die Bedrohlichkeit der Situation wird meistens die Versorgung mit elektrischem Strom betrachtet, obwohl dies einseitig ist und den Problemen nicht voll gerecht wird. Man muß bei der Deckung des Energiebedarfs für Wirtschaft und Lebenshaltung davon ausgehen, daß die Energie zum überwiegenden Teil noch in Form von Wärme, also für unsere metallurgischen, chemischen, keramischen Prozesse usw. benötigt wird. Allerdings ist der elektrische Strom ein brauchbarer Maßstab, wenn man Schätzungen des Energiebedarfs für die Zukunft unternimmt. Alle Versuche, zahlenmäßig die zukünftige Entwicklung zu bestimmen, um hieraus Schlüsse für die Erschließung und Nutzung natürlicher Energiequellen zu ziehen, sind und bleiben naturgemäß mehr oder weniger der Wirklichkeit nahekommende Schätzungen. Derartige rechnerische Versuche gibt es in großer Zahl. Meistens legt man als Schlüsselzahl die Entwicklung des Bruttosozialprodukts zugrunde, - ohne daß es bisher bei den Berechnungen der verschiedenen Experten zu einem einheitlichen Koordinatensystem der Begriffe und der Schlüsselzahlen gekommen wäre. Dies erschwert die Vorausberechnung sowohl in technischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht außerordentlich. Es wäre eine verdienstvolle Aufgabe für alle Energiesachverständigen, zunächst einmal eine Entrümpelung der verschiedenen Koordinatensysteme zu veranlassen.
Die Vorausberechnungen sind auch verschieden zu beurteilen je nach dem geographischen Raum, für den sie angestellt werden. Solche Berechnungen gibt es für die Bundesrepublik, für die sechs Montanunion-Staaten, für den OEEC-Raum, für andere Kontinente und schließlich für den Energievorrat der gesamten Welt. Daraus ergibt sich, daß der Vorrat an Primär-Energieträgern, für die gesamte Menschheit gesehen, zweifellos nicht übertrieben pessimistisch betrachtet zu werden braucht. Aber wir müssen mit der einfachen Tatsache rechnen, daß es aus politischen Gründen unmöglich sein wird, die Primär-Energievorräte der Welt oder auch die Sekundärenergie so sinnvoll zu verteilen — abgesehen von den damit zusammenhängenden technischen Schwierigkeiten —, daß Mängel in einem Land durch Überschüsse aus einem anderen Land ausgeglichen werden können. Je größer die Räume sind, die man in Betracht zieht, desto größer wird die Gefährdung aller Überlegungen durch politische Einwirkungen. Verbundsysteme auf dem Gebiet der Energieversorgung funktionieren nur in verhältnismäßig kleinen Teilen der Welt. Daher kann man den Energieexperten ein bestimmtes Maß an Autarkieüberlegungen nicht verdenken.
Alle Berechnungen aber, so verschieden sie auch die Möglichkeiten der natürlichen Energieträger beurteilen, kommen zu dem Schluß, daß die industrialisierten Völker in relativ kurzer Zeit vor ernsthaften Versorgungsschwierigkeiten stehen werden. Die Bundesrepublik nimmt bei diesen Überlegungen etwa eine Mittelstellung zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika ein, d. h. wir sind nicht zu dem Entwicklungstempo gezwungen, das die Engländer mit ihrem Atomenergieprogramm aufzeigen, können aber auch nicht auf solche Vorräte an PrimärEnergieträgern zurückgreifen wie die USA. Feststeht jedenfalls, daß auch wir uns mit der Bereitstellung zusätzlicher Energiequellen befassen müssen, weil auch bei uns die Verbrauchsrate und die Erzeugungsmöglichkeiten sich in etwa 15 bis 20 Jahren schneiden werden.
Es gehört zu den Aufgaben einer verantwortlichen Staatsführung, Vorsorge zu treffen, daß vorauszusehende Energielücken geschlossen werden können, weil von der Energieversorgung ganz einfach die Lebensmöglichkeiten eines Volkes abhängen. Schon hierin ist also die friedliche Verwertung der Atomenergie auch in der Bundesrepublik begründet und hierin auch die Notwendigkeit der heute vorgelegten Gesetze. Selbstverständlich ist die Energieversorgung nur ein Faktor der Lebensmöglichkeiten, aber eben ein unentbehrlicher Faktor.
Andererseits ist nicht zu übersehen, daß die technische Verwertung von Atomspaltreaktionen auch zu neuen chemischen Stoffen führt, die in der Natur nicht vorkommen und die in Zukunft für die Durchführung bestimmter chemischer Prozesse und für neue Entwicklungen unentbehrlich sind. Auch mit dieser Seite der Entwicklung, der sogenannten „heißen Chemie", beschäftigt sich der vorliegende Gesetzentwurf.
Auf diesen Überlegungen beruht ein deutsches Atomprogramm, das in seinen Grundzügen schon von meinem Herrn Amtsvorgänger erläutert worden ist und das ich nur noch einmal kurz anzudeuten brauche. Das Programm umfaßt drei Stufen: 1. Förderung der Forschung und der Ausbildung des Nachwuchses, 2. Entwicklung von Versuchsreaktoren, 3. Entwicklung von Leistungsreaktoren. Diese Aufstellung soll aber keineswegs eine chronologische Zwangsfolge bedeuten, sondern alle drei Stufen werden nebeneinander zu entwickeln sein.
Zu der ersten Stufe, der Förderung der Forschung, gehören auch die ersten Forschungsreaktoren, die wir noch im Ausland kaufen müssen und von denen der erste wohl noch in diesem Jahr in der Nähe von München in Betrieb genommen wird.
Zur zweiten Stufe, der Entwicklung von Versuchsreaktoren, gehört vor allem das sogenannte Projekt Karlsruhe. Es handelt sich hier im Grunde um ein Experiment. Es soll versucht werden, einen Reaktor auf Grund deutscher Konstruktionspläne zu bauen. Der Brennstoff des Reaktors besteht aus natürlichem Uran, das also 0,7 % spaltbares U 235 enthält. Es handelt sich um einen mit Schwerwasser gekühlten und moderierten sogenannten „heterogenen" Forschungsreaktor von 10 000 kW Wärmeleistung. Es ist zu hoffen, daß die formalen Schwierigkeiten, die dem Baubeginn zur Zeit entgegenstehen, bald behoben werden und daß am Bau dieses Reaktors wertvolle Erfahrungen für die künftige Entwicklung eigener Anlagen gesammelt werden, schon im Hinblick auf die Exportmöglichkeiten der Zukunft, die für die deutsche Wirtschaft von erheblicher Bedeutung sein werden.
Es wird außerdem sehr wichtig sein, daß wir bald in den Besitz eines sogenannten „Materialprüfreaktors" kommen. Das ist ein Reaktor mit einer etwas höheren Leistung von etwa 20 bis 60 MW, in dem insbesondere physikalische und chemische Eigenschaften von Werkstoffen unter Bestrahlungseinfluß studiert werden können. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Pläne des Landes Nordrhein-Westfalen und auf den deutschen Vorschlag im Rahmen des Euratom-Vertrags, einen gemeinsamen Materialprüfreaktor zu erstellen.
Außerdem beabsichtigt die deutsche Elektrizitätswirtschaft, an einem oder mehreren Versuchskraftwerken Erfahrungen über die Nutzung der Atomenergie für die Stromerzeugung zu sammeln und sie nicht zuletzt auch zur Ausbildung von Spezialingenieuren zu verwenden. Hierbei sind wir vorläufig noch auf die Beschaffung ausländischer Reaktoren angewiesen.
Dies wird dann zu der dritten Stufe der Entwicklung führen, nämlich zu Prototypen der Leistungsreaktoren für Großkraftwerke. Bei dem derzeitigen Stand der Technik ist festzustellen, daß es noch keinen Reaktortyp gibt, der alle technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt, die an ein modernes Kraftwerk gestellt werden müssen. Es gibt allerdings heute schon etwa 20 verschiedene Reaktorsysteme, die eine wirtschaftliche Stromerzeugung voraussehen lassen. Es wird aber notwendig sein, um Fehlinvestitionen zu vermeiden, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den Bau eines Großkraftwerkes sehr kritisch zu prüfen. Es dürfte heute schon feststehen, daß solche auf der Verwertung von Atomenergie beruhende Kraftwerke keinesfalls die konventionelle Energieerzeugung aus anderen Wärmequellen oder aus Wasserkraft verdrängen, sondern sie höchstens ergänzen werden.
Ich muß an dieser Stelle auch darauf hinweisen, daß trotz der Kürze der Zeit, in der wir uns mit diesen Problemen beschäftigen, eine gewisse Verwirrung in bezug auf die Reaktorpläne in der Bundesrepublik entstanden ist. Es wird eine Aufgabe meines Ministeriums sein, für eine vernünftige Koordinierung dieser Pläne zu sorgen, wenn dies auch aus Gründen, die in der föderativen Struktur unseres Staates liegen, nur behutsam geschehen kann. Jedenfalls beabsichtigen wir nicht, reine Prestigeinvestitionen zu fördern oder aber verkappte Plutoniumfabriken mit der Erzeugung von Strom als Nebenprodukt zu errichten.
Es ist vielleicht nützlich, wenn ich diesem Hohen Haus an dem Beispiel des britischen Atomprogramms darzulegen versuche, welche finanziellen Voraussetzungen für die Durchführung eines Atomenergieprogramms erfüllt werden müssen. Großbritannien rechnet mit einer Zuwachsrate des Stromverbrauchs von jährlich 2 Millionen kW, also 2000 MW. Es besitzt zur Zeit eine konventionelle Energiekapazität von 21 000 MW. Die ursprünglich bis 1965 geplanten 12 Atomenergiestationen sollten zunächst 2000 MW Leistung haben; sie 'wurden später in der Auslegung verstärkt auf eine Leistung von 4000 MW. Der kürzlich ernannte Atom- und Energieminister des Vereinigten Königreichs hat dieses Projekt um etwa 5 Anlagen 'erweitert,
und zwar soll nunmehr der Gesamtplan mit rund 17 Stationen bis zum Jahre 1965 eine zusätzliche Leistung von 6500 bis 7500 MW — entsprechend 20 Millionen t Kohlenäquivalent jährlich — bringen.
Abgesehen von gewissen Schwierigkeiten rein technischer Art, die sowohl in Großbritannien als auch bei uns eine Rolle spielen — z. B. die Versorgung mit Grobblechen für den Reaktorbau —, spielen Fragen der Kalkulation und der Investitionsfinanzierung eine große Rolle bei diesem Programm.
Es steht fest, daß Atomstrom wirtschaftlich nur in Grundlastanlagen erzeugt werden kann; das sind Anlagen mit mindestens 80% Dauerlast. Die Dauerlast wird aber im Sommer nicht erreicht, so daß unter Umständen kostspielige Atomkraftwerke im Sommer ganz oder teilweise stillgelegt werden müssen. Da die fixen Kosten in einem Atomkraftwerk etwa zwei Drittel, in einem modernen Wärmekraftwerk nur ein Drittel der Stromkosten betragen, ist dies ein beachtlicher Faktor.
Bei den Investitionskosten rechnet man in England zur Zeit rund 1320 DM, also rund 100 Pfund, pro installiertem kW. Wir werden in der Bundesrepublik mit etwa 1500 DM pro kW zu rechnen haben; das ist mindestens das Doppelte der Investitionskosten für ein konventionelles Kraftwerk bei augenblicklichem Preisstand.
Die im britischen Programm geplanten 6500 bis 7500 MW erfordern also einen Investitionsaufwand bis 1965 von rund 8,5 bis 9,5 Milliarden DM. Hinzu kommen 2,5 Milliarden DM Erstausstattungskosten für den Uranbedarf.
Sie ersehen daraus, meine Damen und Herren, wenn Sie überlegen, daß für die Bundesrepublik dieselbe Größenordnung wie in England in Frage kommen dürfte — wenn auch nicht dieselbe Zahl an Kraftwerken in einem so kurzen Zeitraum —, welche Investitionsmittel der Kapitalmarkt aufzubringen haben wird, um derartige Projekte zu realisieren. Soweit man bei uns die augenblicklichen Verhältnisse überblicken kann, sind wir in der Lage, bis 1965 etwa drei bis vier Atomkraftwerke verschiedener Größen mit zusammen rund 500 MW Leistung zu erstellen. Das würde zirka 700 Millionen DM an Investitionen erfordern zuzüglich der Kosten für die Uranausstattung, also im ganzen mindestens 800 Millionen DM für diese relativ bescheidenen Werke.
Bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Atomkraftwerken ist natürlich auch zu beachten, daß die Atomtechnik bei dem heutigen Stand und auch in naher Zukunft noch einen erheblichen Selbstverbrauch an elektrischer Energie hat. Um ein Beispiel anzuführen, weise ich auf die ursprünglich von Euratom geplante gemeinsame Isotopentrennanlage hin, bei der eine installierte Leistung von 700 000 kW veranschlagt war, was einem Stromverbrauch von etwa 6 Milliarden kWh im Jahr entsprechen würde. Es ist jedenfalls nötig, daß alle Reaktorpläne realistisch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Möglichkeiten beurteilt werden. Eine Mengenkonjunktur in Atomreaktoren wird es in der Bundesrepublik so bald nicht geben.
Die Erfüllung dieses Drei-Stufen-Plans erfordert natürlich eine entsprechende Arbeit auf wissenschaftlichen und technischen Forschungsgebieten. Die Unterstützung all dieser Vorhaben ist eine der Aufgaben des Ministeriums für Atomfragen. Die
Voraussetzung hierzu ist aber die baldige Verabschiedung eines deutschen Atomgesetzes. Das jetzt noch geltende Verbotsgesetz der Alliierten Hochkommission ist natürlich keine Grundlage für die Entwicklung der deutschen Atomwirtschaft.
Wenn auch dieses Hohe Haus durch die Beratung eines Gesetzentwurfs einer Fraktion des Bundestages schon über die Grundzüge einer Atomgesetzgebung unterrichtet ist, so machte ich doch noch kurz auf Einzelheiten des Gesetzentwurfs eingehen.
Zunächst erfordern die internationalen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik übernommen hat oder übernehmen wird, ein Atomgesetz, das die erforderlichen Kontrollen gestattet. Die praktische Bedeutung dieses Grundsatzes ergibt sich aus einem aktuellen Beispiel. Wir haben mit den USA ein Abkommen über die Lieferung der erforderlichen Brennstoffelemente für die ersten von uns bestellten Forschungsreaktoren geschlossen. Die amerikanische Regierung wird jedoch die zum Betrieb der Reaktoren erforderlichen Brennstoffelemente erst liefern, wenn die Bundesregierung durch ein in Kraft getretenes deutsches Atomgesetz die vertragsmäßige Verwendung der Kernbrennstoffe auch gewährleisten kann.
Wir müssen deshalb schon aus diesem Grunde baldmöglichst eine gesetzliche Grundlage schaffen, um die erforderlichen Kernbrennstoffe beziehen zu können. Die Gewährleistung der Erfüllung unserer internationalen Verpflichtungen ist somit eine wichtige Aufgabe des Gesetzes und als solche in § 1 besonders genannt.
In der einleitenden Vorschrift des Gesetzes ist ferner die freie und ungehinderte Entwicklung der Forschung und der friedlichen Nutzung der Kernenergie als eine besondere Aufgabe des Gesetzes hervorgehoben. Das bedeutet jedoch nicht, daß wir die technische und wissenschaftliche Entwicklung durch gesetzliche Programme regulieren wollen. Die verwaltungsmäßige Förderung der Erforschung und Nutzung der Kernenergie durch Bund und Länder unter Verwendung der durch die Haushaltsgesetze bereitgestellten Mittel ist nicht Aufgabe des Atomgesetzes. Trotzdem bin ich überzeugt, daß das von der Bundesregierung vorgeschlagene Gesetz auch die Entwicklung erheblich fördern wird.
Der Gesetzentwurf setzt der Privatinitiative nur dort Grenzen — allerdings sehr eindeutige Grenzen —, wo dies zum Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern, zum Schutz der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik und auf Grund internationaler Verpflichtungen nötig ist. Er enthält ein unkompliziertes, geordnetes und mit rechtlichen Garantien ausgestattetes Überwachungssystem. Er verzichtet auf ein staatliches Monopol der Betätigung, auf ein ausschließliches Staatseigentum an bestimmten Stoffen und Anlagen und auf Bewirtschaftungs- und Lenkungsmaßnahmen. Unser Gesetzentwurf gibt allen, die sich auf dem Gebiet der Forschung und Nutzung der Kernenergie betätigen wollen, gleiche Chancen. Wir erwarten deshalb, daß unsere künftige gesetzliche Regelung viele Kreise zur Mitarbeit gewinnen und der Wirtschaft und Wissenschaft einen nicht unbedeutenden Ansporn geben wird.
Die Grundlage des Gesetzes stimmt mit der privatwirtschaftlichen Struktur unserer Volkswirtschaft überein. Ich möchte dies besonders betonen, weil gegen dieses Prinzip zweifellos Gegengründe
vorgebracht werden und weil sich unser Gesetzentwurf wesentlich von den Regelungen in anderen Ländern unterscheidet. Zur Frage der privatwirtschaftlichen Betätigung auf dem Atomenergiegebiet hat übrigens Herr Abgeordneter Kurlbaum in der schon erwähnten 141. Sitzung des Bundestages beachtenswerte Ausführungen gemacht.
Unsere Überlegungen gehen davon aus, daß auch dieses neue technische Gebiet sinnvoll in unser bestehendes Wirtschaftssystem eingegliedert werden kann. Es besteht keine Notwendigkeit der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand auf diesem Gebiet, weil alle Aufgaben und Probleme, die sich für die Zukunft ergeben, auch auf privatwirtschaftlicher Basis geregelt werden können. Mit diesem Gesetzentwurf soll der auch in diesem Hohen Hause erhobenen Forderung „so wenig Staat wie möglich" Rechnung getragen werden.
Zu den wichtigsten Gegenargumenten gegen eine privatwirtschaftliche Struktur der Atomwirtschaft gehören die Befürchtungen, daß einmal hier einer bestimmten sozialogischen Gruppe ökonomische Vorteile erwachsen und zum anderen eine neue Zusammenballung von Macht in eben dieser Gruppe ermöglicht würde. Zur ökonomischen Seite darf man wohl mit Recht darauf hinweisen, daß zunächst in der Atomwirtschaft das Investitionsproblem die Hauptrolle spielen wird und daß von privatkapitalistischen Gewinnen so bald keine Rede sein kann. Der hohe Kapitalbedarf für die Anlagen wird sowieso eine sinnvolle Zusammenarbeit von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand erfordern, und so wird schon von der Kapitalseite her dem Staat eine gewisse Einflußmöglichkeit vorbehalten bleiben.
Das andere Argument, nämlich die Gefahr einer unzulässigen Zusammenballung von. Macht, ist wesentlich ernster und erfordert doch einige Bemerkungen. Es ist leider ein Tatbestand, daß die Atomwirtschaft durch die furchtbare Hypothek der Atombombe belastet ist. Es ist aber ebenso ein Tatbestand, daß diese Gefahr nicht durch die privatwirtschaftliche Verwendung dieser neuen Naturkraft geschaffen wurde, sondern ausschließlich von staatlichen Einrichtungen; denn alle Staaten, die sich mit dieser neuen Technik befaßt haben, haben dies auf Grund militärischer Überlegungen getan und sich hierfür staatliche oder ausschließlich vom Staat abhängige Einrichtungen geschaffen. Die bisher aus der Anwendung der Atomenergie entstandenen Gefahren sind also gerade durch die Omnipotenz des Staates entstanden, dessen eigentliche Aufgabe ja sein sollte, solche Gefahren für seine Bürger und die Menschheit zu unterbinden. Es gibt auf der ganzen Welt noch keine privatwirtschaftliche Nutzung der Atomenergie in einem marktwirtschaftlichen System. Deshalb müßte man aus der geschichtlich traurigen Erfahrung der letzten Jahre doch wohl zu einer Überzeugung kommen, die von einer etatistischen Struktur dieses neuen Wirtschaftsgebiets absieht. Bei einer privatwirtschaftlichen Struktur, unter entsprechender Staatskontrolle, kann ein Verstoß der Privatwirtschaft gegen bestehende Kontrollgesetze jedenfalls unterbunden oder geahndet werden. Das ist aber sehr erschwert, wenn der Staat selbst der Betreiber solcher Anlagen ist. Die Erfahrungen ringsum sollten uns in dieser Hinsicht doch belehrt haben.
Außerdem kann man nicht übersehen, daß sich die innere Struktur unseres Wirtschaftssystems in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg ebenfalls grundlegend geändert hat. Die Regulatoren des wirtschaftlichen Ablaufs, die u. a. durch die Mitbestimmung und Mitwirkung der Arbeitnehmer, durch den Einfluß der Gewerkschaften und durch die Verfassung geschaffen wurden, geben meiner Ansicht nach eine größere Garantie für die Sicherheit des Staatsbürgers bei der wirtschaftlichen Verwertung der Atomtechnik, als wenn sie vom Staat betrieben würde.
Deshalb glaube ich, daß der Grundsatz des Gesetzentwurfs richtig ist, daß es sich um ein gutes Gesetz handelt, das auf Rüstungsaufgaben keine Rücksicht zu nehmen braucht und ausschließlich seiner eigentlichen Aufgabe, der Förderung der friedlichen Verwendung der Atomenergie, dienen kann. Daß analoge Gedankengänge allmählich auch bei den Großmächten Fuß fassen, zeigen das schon erwähnte Energieprogramm Großbritanniens und die allmähliche Bereinigung gewisser gesetzlicher Bestimmungen zugunsten der privatwirtschaftlichen Betätigung in den USA.
Meine Damen und Herren, ich erwähnte vorhin die Belastung des ganzen Problems durch die Existenz der Atombombe. Ich habe zu den militärischen und politischen Gründen, die zu dieser Entwicklung geführt haben und sie heute bestimmen, hier nicht Stellung zu nehmen. Sie berühren auch den Inhalt des Gesetzes, das ich zu begründen habe, nicht. Wir können aber nicht darüber hinwegsehen, daß die Befürchtungen in der Bevölkerung, die sich mit der Atomenergie verbinden, in erster Linie auf der Existenz der Atomwaffen beruhen.
Wir sehen in der Einstellung der Menschen zu diesen Fragen den auch sonst in bezug auf die technische Entwicklung feststellbaren Widerspruch, daß jeder technische Fortschritt stürmisch begrüßt wird, wenn er zur Hebung des Lebensstandards und des Lebensgefühls beiträgt, und daß dieser technische Fortschritt gleichzeitig die Existenzangst des Menschen erhöht. Mann kann Argumente hören, die in dieser Angst ein notwendiges pädagogisches Element für den Menschen sehen. Insbesondere scheint diese Auffassung in der Politik zu gelten, und so ist es kein Wunder, daß diese Angst auch auf die friedliche Verwendung der Atomenergie ausstrahlt.
Diesem Tatbestand, der also nicht nur technisch, sondern auch seelisch und psychologisch zu werten ist, muß auch ein Gesetz Rechnung tragen, das in dieses Neuland vorstößt und die Grundlage für die Betätigung auf diesem Gebiet bilden soll. Daher ist die zentrale Aufgabe des deutschen Atomgesetzes seine Schutzfunktion. Hierzu sind wohl noch einige grundsätzliche Bemerkungen notwendig.
Es gibt keine technische Anwendung von Naturkräften, die ohne Gefahr wäre. Die technische Entwicklung beruht im Grunde darauf, daß der Mensch aus seinem Selbsterhaltungstrieb seine Werkzeuge ständig zu verbessern sucht, und zwar in der Richtung, daß immer mehr menschliche Arbeitskraft durch technische Einrichtungen ersetzt wird. Die Anwendung der Atomenergie bringt also keine grundsätzlich neuen Fragen in bezug auf Schutzmaßnahmen für die einzelnen Menschen mit sich, wohl aber die Notwendigkeit, etwaige zusätzliche Gefahren auszuschließen. Wir haben also zunächst die Aufgabe, festzustellen, ob und wo Gefahren dieser Art vorliegen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Einwirkung von Strahlen und strahlender Materie auf den Organismus schädlich ist. Diese Gefahren bestehen in besonderem Maße bei solchen technischen Vorgängen, ,die unkontrollierbar sind, wie die Auswirkungen einer Atombombenexplosion. Wenn diese Fragen auch nicht zum Bereich des Gesetzentwurfs gehören, so muß man doch festhalten, daß die Schutzmaßnahmen für die friedliche Verwendung der Atomenergie technisch dieselben Probleme und Lösungsmöglichkeiten aufweisen wie der Schutz gegen solche unkontrollierbaren Vorgänge. Deshalb sind auch bei der Ausarbeitung technischer Schutzmaßnahmen die Erfahrungen auf dem Atomwaffengebiet mit heranzuziehen.
In der Öffentlichkeit besteht leider eine weitgehende Verwirrung über die Gefahrenquellen und ihre Ursachen. Hierbei sei mir ausnahmsweise zunächst ein Wort pro domo gestattet. Es ist kein Geheimnis, daß in weiten Kreisen der Bevölkerung der Eindruck besteht, gewisse Gefahren, die mit der Atomenergieverwertung verbunden sind, sollten aus irgendwelchen Gründen verheimlicht werden. Ich fühle mich oder mein Ministerium deshalb aber nicht in den Anklagezustand versetzt und beabsichtige auch nicht etwa, mich zu verteidigen. Denn wir wären gar nicht in der Lage, irgend etwas zu verheimlichen. Das Atomministerium schöpft seine Sachkenntnis aus der wissenschaftlichen Literatur der Welt, die jedermann zugänglich ist, und aus Beratungen durch Sachverständige.
Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit werden — soweit dies möglich ist — ausgewertet und dienen 'als Grundlage für unsere gesetzgeberische Arbeit und für die technischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, für die das Ministerium zuständig ist. Mein Ministerium ist aber weder ein Laboratorium noch ein Konstruktionsbüro. Wir bauen oder betreiben keinen Atommeiler, und wir machen keine Bomben. Wir betreiben auch keine wissenschaftlichen Institute und werden deshalb auch kein Konkurrent in bezug auf wissenschaftliche Arbeit, sondern wir bemühen uns, eine objektiv arbeitende Zentrale für die Erfahrungen aus Wissenschaft und Praxis zu sein und dadurch unsere Aufgaben zu erfüllen. Wir sind verpflichtet, diese Erfahrungen zu nutzen bei der Gestaltung unserer Gesetze und bei den Möglichkeiten, die der Exekutive zur Abwehr der Gefahren gegeben sind.
Ich selbst bemühe mich. die Arbeit meines Ministeriums nach strengen Grundsätzen der exakten Wissenschaft auszuführen. Daher werden wissenschaftliche Ergebnisse von uns weder verheimlicht noch etwa danach beurteilt, ob sie — wem sei dahingestellt — angenehm oder unangenehm, sondern allein danach, ob sie falsch oder richtig sind. Diese Grundsätze meiner Arbeit ,gedenke ich beizubehalten.
Bei der Beurteilung der Gefahren durch Strahlen aller Art muß man gewisse Tatbestände unterscheiden. Zunächst ergeben sich Schutzmaßnahmen für die in den technischen Anlagen der Atomwirtschaft beschäftigten Personen. Dies ist eine Aufgabe, die in das Gebiet des Arbeitsschutzes, der Unfallverhütung und der Gewerbehygiene fällt.
Gerade in Deutschland haben wir auf diesem Gebiet reiche Erfahrungen. Ich möchte meine Überzeugung als Techniker, der 30 Jahre praktisch in einem allgemein als gefährlich geltenden Industriezweig Unfallverhütung betrieben hat, dahin ausdrücken, daß es bei dem heutigen Stand der Technik möglich ist, durch Schutzmaßnahmen die Unfallquellen bei den Atomenergieanlagen auszuschalten.
Daneben besteht natürlich die Möglichkeit einer Gefährdung der Bevölkerung, die nicht in diesen Betrieben arbeitet, durch unvorhergesehene Einwirkung von Strahlen. Auch hierbei muß man wieder unterscheiden zwischen der Einwirkung von Strahlen, die aus der natürlichen Radioaktivität der Erde herrühren, und zusätzlichen Strahlen, die durch die wissenschaftliche, technische oder leider auch militärische Betätigung des Menschen entstehen. Die natürliche Radioaktivität des Bodens und der Atmosphäre ist, ebenso wie die Höhenstrahlung, ein Bestandteil der Naturkräfte, die vom Menschen nicht beeinflußt werden können. Sie stellen also auch eine ständige Gefahrenquelle dar, wenn man unterstellt, daß Strahlen auf jeden Fall schädlich sind.
Die Befürchtungen. der Menschen in bezug auf diese Gefährlichkeit betreffen aber weniger Schäden durch Unfälle oder durch falsche Handhabung gefährlicher Substanzen als die gefürchteten Erbschäden durch sogenannte Mutationen.
Charakteristisch für die psychologische Einstellung der Menschen ist die Tatsache — die Sie, meine Damen und Herren, selber alle feststellen können —, daß u. a. die früher als gesundheitsfördernd gepriesene Radioaktivität der Erde heute völlig verschwiegen wird. Von den Etiketten der Mineralwasserflaschen ist die Angabe radioaktiven Gehalts ebenso verschwunden wie aus den Prospekten der Kurorte, die früher ihre emanationshaltige Atmosphäre als wesentlichen Bestandteil ihrer Heilwirkung angepriesen haben. Dabei haben sich die natürlichen Verhältnisse auf der Welt keineswegs so geändert, daß diese Reaktionen berechtigt wären.
Die biologische Wissenschaft gibt uns leider keine Antwort darauf, wie hoch die natürliche Mutationsrate der Lebewesen durch die natürliche Radioaktivität der Erde, insbesondere beim Menschen, ist. Es scheint nur festzustehen, daß von diesen natürlichen Mutationen immerhin nur 20 % der Strahlung zur Last zu legen sind und 80 % auf andere Ursachen — Lebensweise, Gifte usw. — entfallen. Die Biogenetiker stehen heute, wenn auch nicht einheitlich, auf dem Standpunkt, daß jede Strahlenbeeinflussung der lebenden Zellen, insbesondere der Keimzellen, ungünstige Mutationen hervorruft, zumindest beim Menschen. Man muß hierbei aber darauf hinweisen, daß die Möglichkeiten zu Mutationen in der Pflanzen- und Tierzüchtung auch zu ganz anderen Zwecken dienen, nämlich um — vom Menschen her gesehen — bessere Organismen zu erzeugen.
In viel höherem Maße wird ntürlich die Befürchtung vor schädlichen Mutationen erregt durch die Einwirkung von radioaktiven Strahlen, die auf irgendeine Weise zusätzlich auf den Menschen einwirken. Auch die Biologen und Genetiker geben zu, daß die experimentellen Grundlagen für eine Beurteilung der Größe dieser Gefahr heute nicht ausreichen. Es ist also eine der vordringlichsten Aufgaben der Wissenschaft, insbesondere der Biogenetik, hier exakte wissenschaftliche Grundlagen zu schaffen. Mein Ministerium wird deshalb vordringlich solche Forschungsaufgaben fördern.
Man kann die widerspruchsvollen biologischen Angaben zusammenfassend heute wohl dahin beurteilen, daß jede Strahleneinwirkung auf den menschlichen Organismus gefährlich ist und daß alle Schutzmaßnahmen danach trachten müssen, diese Gefährdung auszuschließen.
Man muß dabei aber daran denken, daß solche Gefährdungen, insbesondere in bezug auf die Genese, beim Menschen nicht nur durch Einflüsse der Atomtechnik durch Atomwaffen und die Anwendung von Radio-Isotopen bestehen, sondern daß auch die Einwirkung z. B. von Röntgenstrahlen und von radioaktiven Präparaten in der Medizin eine Rolle spielt.
Die nach meiner Ansicht bisher sinnvollste Zusammenstellung dieser Gefahren, der Größenordnung nach, gibt ein Bericht des Medical Research Council des britischen Parlaments, der eine Punktwertung aufgestellt hat. Wenn man den relativen Dosiswert für die Gonaden bei Strahlen durch natürliche Radioaktivität — 100 setzt, so ergibt sich für die radioaktiven Niederschläge bei Atomwaffenversuchen eine Zahl von bisher 1, bei atomtechnischen Anlagen von 0,1, bei den Leuchtzifferblättern an Uhren von rund 1, bei der Strahlendiagnostik, also den bekannten Röntgenstrahlenuntersuchungen, aber immerhin eine Punktzahl von 22. Wenn man also Vergleiche zieht, sollte man über den Gefahren durch die noch gar nicht verwirklichte Atomtechnik in unserem Lande die schon seit 50 oder 60 Jahren bestehenden Gefahrenquellen nicht übersehen. Hierzu gehört u. a. auch die Frage nach dem Verbleib der radioaktiven Präparate in unseren Kliniken.
Ich will hiermit — ohne auf Einzelheiten eingehen zu können — nur auf die Relativität aller zahlenmäßigen Schlüsse aus dem vorliegenden wissenschaftlichen Material hinweisen. Man muß feststellen, daß die Größe der Gefahren durch radioaktive Strahlen — wozu also neben den Röntgen- und Gammastrahlen, den Alphastrahlen und den Betastrahlen die Protonen- und die Neutronenstrahlen und schließlich die Höhenstrahlen gehören — noch nicht definierbar ist. Daraus ergibt sich, daß auch die Größe einer etwa zulässigen Strahlung nicht definierbar ist, sondern bis jetzt nur geschätzt werden kann. Es erübrigt sich an dieser Stelle daher, auf die verschiedenen auf solchen Schätzungen beruhenden Toleranzdosen oder andere Grenzwerte einzugehen.
Auf die Messung der Luftaktivität komme ich bei der Stellungnahme zum Antrag Drucksache 1734 noch zurück.
Für die zu ergreifenden technischen Schutzmaßnahmen an Reaktoranlagen und anderen Betrieben bleibt die Notwendigkeit bestehen. möglichst jeden Strahlenaustritt zu unterbinden. Die Erfüllung dieser Forderung hat natürlich erhebliche Konsequenzen wirtschaftlicher Art. Kostspielige Schutzmaßnahmen können die Wirtschaftlichkeit einer solchen Anlage völlig vernichten.
Der einfachste Weg aus der wissenschaftlich unsicheren Situation, nämlich die Errichtung sämtlicher Kernenergieanlagen zu verbieten, ist — wie ich darzulegen versucht habe — aus volkswirtschaftlichen und lebenswichtigen Gründen ungangbar.
Wir müssen also ebenso wie bei der Beurteilung der Energielücke auch bei den Schutzmaßnahmen einen Mittelweg suchen, der den aus Sicherheitsgründen erforderlichen Schutzaufwand in Einklang hält mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Dabei sollte der Grundsatz gelten, daß die Strahlenwirkung zwar durch physikalische und radiochemische Methoden gemessen werden kann, daß dies aber nicht maßgebend sein kann für die Schutzwirkung von Anlagen, sondern daß diese ergänzt werden muß durch eine medizinische und biologische Kontrolle. Mit anderen Worten: Technische Maßnahmen, die medizinisch und biologisch unwirksam sind, sind ungeeignet, und wahrscheinlich liegt hier auch ein Weg, den Schutzaufwand in wirtschaftlich erträglichen Grenzen zu halten.
Es ist also eine vordringliche Aufgabe der Wissenschaft, auch aus volkswirtschaftlichen Überlegungen, daß sie sehr bald exakte Unterlagen über die medizinisch-biologisch zulässige Grenze von Strahlenwirkungen gibt. Die aus der medizinischen und biologischen Kontrolle entstehenden ingenieurmäßigen Aufgaben der Schutztechnik können bei dem heutigen Stand der Technik gelöst werden.
Ein wirksamer Schutz durch gesetzliche Maßnahmen kann natürlich nur erreicht werden und der Staat kann für ihn nur garantieren, wenn alle einschlägigen Betriebe und Anlagen unter einer wirksamen staatlichen Kontrolle stehen. Hierüber gibt es wohl keine Meinungsverschiedenheiten.
Es gibt Länder, in denen die Ansicht vertreten wird — und sie wird wohl auch in diesem Hohen Hause Anhänger finden, ebenso wie sie jetzt in den Euratom-Bestimmungen für die spaltbaren Stoffe Eingang gefunden hat —, daß eine wirksame Kontrolle nur möglich sei, wenn der Staat oder eine internationale Einrichtung Eigentümer der gefährlichen Materie, also der verwendeten Kernbrennstoffe, ist. Auf unsere Verhältnisse trifft dies an sich nicht zu. Die deutsche Rechtsordnung gestattet wegen der besonders starken sozialen Bindung des Eigentums wesentliche Eingriffe in das Eigentum und erlaubt, die Eigentumsrechte zu beschränken. Insofern ist auch der privatwirtschaftliche Grundsatz des Gesetzes in bezug auf das Eigentum durch eine starke Kontrolle eingeschränkt.
Deshalb besteht bei unseren Verhältnissen eigentlich keine Notwendigkeit eines ausschließlichen Staatseigentums zum Zweck der Kontrolle. Die deutsche Rechtsordnung kennt keinen Fall, in dem der Staat gezwungen wäre, zur Ausübung einer wirksamen Kontrolle das Eigentum an den zu kontrollierenden Gegenständen zu erwerben. Wir kennen deshalb Privateigentum an zahlreichen gefährlichen Gütern, beispielsweise an Sprengstoffen oder an Giften. Die Gesetze beschränken sich auf ein mehr oder minder lückenloses Kontrollsystem, wie z. B. das Sprengstoffgesetz oder das Opiumgesetz. Es ist erwiesen. daß diese Kontrollen eine mißbräuchliche Benutzung wirksam verhindern können. Die Überführung der Gegenstände in Staatseigentum ist dagegen nicht geeignet, die Wirksamkeit der staatlichen Kontrollen zu erhöhen, soweit der Staat die Gegenstände zur Benutzung durch Dritte doch aus der Hand geben muß.
— Durchaus nicht; aber ich muß doch unsere Grundsätze erläutern!
— Durchaus nicht; das hat noch prognostische Bedeutung!
Der Regierungsentwurf des Atomgesetzes hat zur Grundlage, daß für die Wirksamkeit der staatlichen Kontrollen nicht entscheidend ist, wer Eigentümer der Kernbrennstoffe ist, sondern wie das Kontrollsystem funktioniert. Der Entwurf des Gesetzestextes läßt daher die Eigentumsfrage offen und läßt damit privates und öffentliches Eigentum zu.
Ein wichtiger Bestandteil des von uns vorgeschlagenen Kontrollsystems ist die staatliche Verwahrung aller Kernbrennstoffe, die nicht im Produktions- oder Verarbeitungsprozeß gebraucht werden, also eine Depotpflicht. Wir glauben, daß die staatliche Verwahrung der Kernbrennstoffe eine echte Alternative darstellt zu dem Begriff des gesetzlich verankerten öffentlichen Eigentums, wie es in den Vereinigten Staaten besteht, oder des öffentlichen Eigentums, wie wir es in Großbritannien oder Frankreich auf Grund staatlicher Monopole haben. Ich darf insoweit zwischen den Auffassungen der Bundesregierung und der Verfasser des dem Bundestag bereits vorliegenden Initiativgesetzentwurfs die gleiche Übereinstimmung feststellen wie hinsichtlich der privatwirtschaftlichen Tendenzen der beiden Gesetzentwürfe.
Weitere wichtige Teile des Kontrollsystems sind Vorschriften, die jeden Umgang mit Kernbrennstoffen einer Genehmigung und der staatlichen Aufsicht unterstellen. hierbei müssen die Genehmigungsvoraussetzungen sehr hart sein, wie sie die §§ 7 und 8 des Entwurfs vorsehen. Wer sie voll erfüllt, soll allerdings aus rechtsstaatlichen Gründen einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung haben.
Auch die Befugnisse der Aufsichtsbehörden müssen sehr weitgehend sein. Die Kontrollorgane müssen jeden Ort, an dem sich Atomanlagen oder Kernbrennstoffe befinden, betreten und dort die notwendigen Prüfungen anstellen können. Die Kontrollorgane müssen sogar das Recht haben, solche Orte jederzeit zu betreten, von denen sie nur vermuten, daß sich dort Kernbrennstoffe oder genehmigungspflichtige Anlagen befinden.
Was die notwendigen Vorschriften für den Strahlenschutz betrifft, so wollen wir in der Lage sein, sie den wissenschaftlichen Ergebnissen und technischen Notwendigkeiten elastisch und schnell anpassen zu können. Deshalb sieht der Entwurf des Atomgesetzes nur eine detaillierte Ermächtigung für die Strahlenschutzregelung vor. Die materielle Regelung des Strahlenschutzes dagegen soll einer Verordnung der Bundesregierung vorbehalten bleiben.
Außer diesen materiellen Angaben zu den Schutzvorschriften möchte ich noch auf die zahlreichen von uns angestellten Überlegungen eingehen, wie das Gesetz am zweckmäßigsten auszuführen sei. Wir gingen dabei von dem Grundsatz aus, möglichst keine neuen Behörden zu schaffen, sondern die Kontrolle mit bewährten Einrichtungen durchzuführen. Wir können hierbei auf jahrzehntelange Erfahrungen in der Durchführung von Kontrollmaßnahmen zurückgreifen, wie sie sich durch die Zusammenarbeit zwischen staatlicher Gewerbeaufsicht und bestimmten Selbstverwaltungsorganisationen herausgebildet haben. Das sind vor allem die Berufsgenossenschaften und die technischen Überwachungsvereine. Diese Zusammenarbeit hat sich in Deutschland so gut bewährt, daß kein Anlaß besteht, für das neue technische Gebiet der Atomenergieverwertung eine neue staatliche Einrichtung zu schaffen.
Wir wollen die Ausführung des Gesetzes organisatorisch in den Rahmen der schon bestehenden Verwaltungen einfügen. Es ist mir natürlich bekannt, daß hiergegen vorgebracht wird, eine Bundesanstalt oder eine Bundesoberbehörde sei zweckmäßiger. Wir haben diese Frage genau geprüft und keine Vorteile in einer solchen Regelung gefunden.
Das Atomgesetz wird die Erfüllung vieler Verwaltungsaufgaben erfordern, die zum Teil genaueste Kenntnis und ständige Überwachung der örtlichen Verhältnisse voraussetzen. Diese Aufgaben können, wenigstens auf die Dauer gesehen, von einer Zentralinstanz nur unter größten Schwierigkeiten und Kosten ausgeführt werden. Wir scheuen uns nun aber schon vor der Gründung neuer Spezialbehörden auf der oberen Ebene, wie dies eine Bundesanstalt für Kernenergie sein würde. Erst recht wollen wir — ich glaube, daß ich in Ihrer aller Namen sprechen darf — ohne zwingendes Bedürfnis davon absehen, solchen Spezialbehörden einen Unterbau bis in die örtliche Instanz zu geben. Bei den Überlegungen über die zweckmäßigste Ausführung des Atomgesetzes haben wir deshalb auch geprüft, ob es sich nicht umgehen läßt, einen neuen Verwaltungszweig bis in die örtliche Instanz hinunter zu errichten. Dabei hat sich gezeigt, daß die Landesbehörden in mancher Hinsicht besser für die Ausführung des Atomgesetzes geeignet sind als eine Bundesverwaltung, gleichgültig ob die Bundesverwaltung durch eine zentrale Verwaltungsbehörde oder durch einen mehrgliedrigen Verwaltungskörper ausgeführt wird. Bundesbehörden können immer nur Bundesrecht ausführen. Die Ausführung des Landesrechts ist und bleibt Sache der Länder.
Die Errichtung und der Betrieb einer Atomanlage, beispielsweise eines Reaktors, könnten deshalb niemals abschließend von einer Bundesbehörde genehmigt werden, da hierzu auch zahlreiche Genehmigungen nach Landesrecht erforderlich sind. Wenn man die Betroffenen davor bewahren will, mit 'unübersehbar vielen Genehmigungsbehörden verhandeln zu müssen, dann ist es notwendig, das Genehmigungsverfahren in einer Instanz zusammenzufassen.
Diese Genehmigungsinstanz kann jedoch nur eine Landesbehörde sein, da die Landesbehörden nach dem Grundgesetz nicht nur Landesgesetze, sondern auch Bundesgesetze ausführen können. Aus wohlerwogenen Gründen entscheidet sich deshalb der Regierungsentwurf für die Ausführung des Gesetzes durch Landesbehörden.
Ich will aber an dieser Stelle ganz deutlich aussprechen, daß sich die Bundesregierung trotz der von ihr vorgeschlagenen Landesverwaltung nicht nur für die Gesetzmäßigkeit, sondern auch für die Zweckmäßigkeit der Atomverwaltung voll verantwortlich fühlt. Die Bundesregierung bittet Sie deshalb, meine Damen und Herren, der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung zuzustimmen. Wir benötigen sie, um dem Bunde die konkurrierende Gesetzgebung auf dem Gebiet der Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu sichern und damit die Bundesregierung befugt ist, mit Einzelweisungen und generellen Anordnungen die Einheitlichkeit der Atomverwaltung im gesamten
Bundesgebiet sicherzustellen und die Zweckmäßigkeit der Ausführung des Atomgesetzes zu garantieren. Wir benötigen diese Grundgesetzänderung auch, damit die Bundesregierung für die Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen auf dem Gebiet der Kernenergie einstehen kann.
Auf Einzelheiten unserer Gesetzentwürfe geht die der Drucksache 3026 beiliegende Begründung ein.
Lassen Sie mich nur noch zu einem Problemeinige Worte sagen, nämlich zur Haftung für Atomanlagen und für den Umgang mit radioaktiven Stoffen. Wir haben spezielle Haftungstatbestände für den Betrieb von Atomanlagen und für den Umgang mit radioaktiven Stoffen vorgeschlagen. Der Vorzug dieser Vorschriften gegenüber den Haftungsnormen des allgemeinen bürgerlichen Rechts wird sich in der späteren Praxis — so hoffe ich ich wenigstens — nicht so sehr durch eine ganz besondere Gefährlichkeit der Atomanlagen und radioaktiven Stoffe rechtfertigen, sondern durch die begründete Erleichterung der Rechtsverfolgung der Geschädigten. Die Bundesregierung schlägt — ich darf das nur noch kurz erläutern — Gefährdungshaftung für den Betrieb von Atomanlagen, Verschuldenshaftung mit Umkehr der Beweislast für den Umgang mit radioaktiven Stoffen vor. Wie bei den meisten Vorschriften, die eine Gefährdungshaftung oder qualifizierte Verschuldenshaftung zum Inhalt haben, ist die Haftung auch nach unserem Entwurf dem Umfang und der Höhe nach begrenzt.
Die Begrenzung hinsichtlich des einzelnen Geschädigten bewegt sich in einem durch die übrigen Gefährdungshaftungsgesetze etwa vorgezeichneten Rahmen. Hinsichtlich der Begrenzung für die gesamte Haftung aus ein und demselben Schadensereignis kann man viele Überlegungen anstellen, ohne zu einem exakt begründbaren Ergebnis zu gelangen. Wir müssen uns bei diesen Überlegungen auch immer vor Augen halten, daß neben der besonderen Haftung des Atomgesetzes immer noch die ohnehin der Höhe nach unbegrenzte Haftung nach bürgerlichem Recht besteht.
Mit einer unangemessen hohen Höchstsumme für die Gefährdungshaftung würden wir das Problem der Realisierbarkeit der Haftung berühren. Eine Haftung hat nur Sinn und Zweck, wenn sie im Schadensfall auch realisiert werden kann. Für eine nicht realisierbare Haftung oder für eine unangemessen scharfe Haftung wird Versicherungsschutz nicht oder nur zu unangemessenen, wirtschaftlich nicht tragbaren Bedingungen zu erlangen sein. Die Bundesregierung hat zu der auch schon vom Bundesrat angeschnittenen Frage der Haftungshöchstsummen noch einmal Sachverständigengutachten eingeholt. Sie wird sich erlauben, diese Gutachten sofort, wenn sie vorliegen, diesem Hohen Hause vorzulegen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich jedoch die Meinung all der Sachverständigenkreise, die wir bisher zur Lösung dieser sehr schwierigen Fragen gehört haben, in folgende Punkte zusammenfassen:
Erstens. Es muß unbedingt dafür gesorgt werden, daß allen Verletzten echter Schadensersatz geleistet wird.
Zweitens. Das Korrelat eines Atomgesetzes mit dem Grundsatz freier wirtschaftlicher Betätigung ist die Notwendigkeit, daß die Wirtschaft die haftungsrechtliche Verantwortung für ihre Maßnahmen selbst zu tragen hat.
Drittens. Auch bei Anspannung aller Kräfte von Industrie und Wirtschaft wird es nicht möglich sein, die Haftung für Katastrophenschäden ohne Mithilfe des Staates zu gewährleisten.
Ich glaube, daß ich damit die wesentlichsten Probleme der Ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe kurz skizziert habe.
Was ich zu unseren internationalen Vereinbarungen allgemeiner Art gesagt habe, gilt auch im Speziellen für den EURATOM-Vertrag. Der EURATOM-Vertrag macht ein deutsches Atomgesetz nicht überflüssig, sondern setzt es voraus.
Meine Damen und Herren, wenn ich Sie nunmehr im Namen der Bundesregierung bitte, in die Beratung dieses Gesetzentwurfs einzutreten und das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden, so lassen Sie mich noch ein grundsätzliches Schlußwort meiner Begründung sagen.
Der Atomenergie haftet — abgesehen von der Bedrohung durch die Atomwaffen — im Bewußtsein der Menschen etwas Sensationelles und über den an und für sich schon hohen Erregungszustand unserer seelischen Verfassung Hinausragendes an. Es ist eine nicht unwichtige Aufgabe, diese neue technische Entwicklung auch geistig in den logischen Fluß der Geschichte einzuordnen und dieser Betätigung des Menschen auf einem neuen technischen Gebiet den Charakter des Außergewöhnlichen möglichst zu nehmen.
In dem Umstand allein, daß eine philosophische Vorstellung, die zweieinhalb Jahrtausende alt ist, sich in unseren Tagen als materielle Tatsache erweist, liegt Dramatik genug, — leider auch eine gewisse Tragik in den Folgen der wissenschaftlichen Betätigung des Menschen. Es bestehen berechtigte Zweifel darüber, ob die Menschheit moralisch überhaupt reif ist, mit dieser Entwicklung der Naturwissenschaft und Technik fertig zu werden. Die geistigen Führungskräfte früherer Jahrhunderte, die Philosophie und „leider auch Theologie", haben in dieser Hinsicht versagt oder sich als unfähig erwiesen, bei den Menschen die moralischen und ethischen Regulationskräfte zu entwickeln und zu stärken, die zur Bewältigung unserer Situation erforderlich sind.
Wir können diese Probleme — darüber sind wir uns wohl alle einig — auch mit einem noch so vollkommenen Gesetz nicht lösen. Unsere Verantwortung können wir nicht auf Paragraphen delegieren, und moralische Entscheidungen bleiben uns nach wie vor nicht erspart.
Wir sollten uns allerdings davor hüten, in dem oft mißbrauchten Werkzeug, also der Technik, die Ursache für die nicht zu leugnende geistige Gefährdung der Menschheit zu sehen. Wir müssen versuchen, die irrationalen Kräfte über der technischen Entwicklung nicht zu vernachlässigen.
Ein auch von mir sehr verehrtes Mitglied dieses
Hohen Hauses, Professor Carlo Schmid, hat vor
kurzem den Wunsch ausgesprochen, diese Entwick-
lung möge so verlaufen, daß „für die neuen Errungenschaften nicht ein hoher Preis an menschlichem Leid gezahlt werden muß".
Ich glaube, meine Damen und Herren, in dieser Einstellung können wir uns alle vereinen, und die Beratung des Gesetzentwurfs könnte beweisen, daß die Politik kein Hindernis sein muß, wenn es sich um die Erfüllung humaner Aufgaben handelt.
Auch auf dem rationalen Feld der Technik ist es weder löblich noch geraten, etwas wider das Gewissen zu tun.