Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Arndt hat die angebliche Erweiterung des § 91 des Entwurfs angegriffen. Er verkennt dabei, daß die Änderung des Wortlauts keine irgendwie ins Gewicht fallende Erweiterung der Strafbarkeit, sondern nur eine aus rechtsstaatlichen Gründen gebotene Klarstellung seiner Tragweite enthält. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich daraus, daß die Bundeswehr ein öffentliches Sicherheitsorgan ist und daß die Bereitschaft zum Dienst für die Landesverteidigung
sachlich der Bereitschaft zum Schutz der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Die Kritik ,des Herrn Kollegen Dr. Arndt müßte sich daher auch gegen die bereits geltende Fassung des § 91 richten.
— Ich habe es auch so verstanden, Herr Kollege Dr. Arndt. Aber auch darin gehen Sie fehl; denn es ist unrichtig, daß kritische Äußerungen etwa der Opposition über die Gestaltung der Bundeswehr und Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise der Erreichung der ihr gestellten Aufgabe der Landesverteidigung von der Strafvorschrift nach ihrer geltenden oder nach der im Entwurf vorgesehenen Fassung überhaupt erfaßt werden. Sie liegen sowohl außerhalb des äußeren als auch außerhalb des inneren Tatbestandes, den das Gesetz umschreibt. Nicht die Kritik oder die Austragung von Meinungsverschiedenheiten über die Gestaltung der Bundeswehr wird durch die Vorschrift getroffen, sondern die geistige Sabotage, die darauf gerichtet ist, den Soldaten der Erfüllung der ihm durch das allgemeine Gesetz übertragenen Pflichten zu entziehen. Zwischen Kritik und Sabotage besteht ein ganz klarer Trennungsstrich. Kein Staat kann darauf verzichten, sich gegen die Sabotage zu wehren, wenn er sich nicht selber aufgeben will.
Es sollte eigentlich keines Hinweises auf die von einem erbarmungslosen kommunistischen Regime des Ostens betriebene Sabotage dieser Art bedürfen, um die Notwendigkeit einer Abwehr auch mit strafrechtlichen Mitteln darzutun. Die kriminalpolitische Notwendigkeit des § 91 des Strafgesetzbuchs zum Schutze der Bundeswehr ist bereits durch zahlreiche praktische Fälle bewiesen worden. Der Versuch, durch unmittelbare Agitation auf Offiziere und Soldaten einzuwirken, ist in planmäßigen aus dem Osten gesteuerten Aktionen .schon in zahlreichen Fällen gemacht worden. Besonders beliebt ist dabei die Versendung zersetzender Briefe an Offiziere der Bundeswehr mit der Anrede „Sehr geehrter Herr Kamerad!" und mit dem Ziel, sie zum Verlassen ihres Dienstes zu bewegen.
Ich darf hier am Rande nur auf das französische Gesetz vom 11. März 1950 hinweisen. Nach diesem Gesetz wird auch im Frieden jeder Franzose oder Ausländer mit Zuchthaus bestraft, der sich schuldig macht der wissentlichen Teilnahme an einem Unternehmen der Zersetzung der Armee, das darauf abzielt, der Landesverteidigung zu schaden.
— Im Frieden!
Weiter darf ich nun auf die Darlegungen eingehen, die Herr Kollege Dr. Arndt zu § 96 gemacht hat. An und für sich mag es Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, scheinen, daß diese Erörterungen eigentlich in die zweite Lesung gehörten, in der die Textkritik sonst erfolgt. Aber es handelt sich hierbei — und das hat auch Herr Kollege Dr. Arndt sehr deutlich gemacht — nicht nur um eine Textkritik, sondern um die Grundgedanken des Gesetzes, die von der Opposition durch ihren Sprecher in so scharfer Weise angegriffen worden sind. Ich muß deshalb schon, um nicht im Nebel des Verschwommenen zu bleiben, konkret an Hand der Bestimmung zu antworten versuchen.
Gegen den Vorschlag des Entwurfs, die Bundeswehr in § 96 ,des Strafgesetzbuches einzubeziehen und ihr den dort vorgesehenen Ehrenschutz zu geben, hat Herr Kollege Dr. Arndt rechtsstaatliche Bedenken gegen die Tatbestandsbildung nicht vorgetragen und auch nicht vortragen können. Hier sind seine Bedenken anderer Art. Er fürchtet, daß die Bundeswehr mit einer solchen Vorschrift zum Staat im Staate werden könnte. Ich bin der Meinung, daß es gerade die allgemeine Wehrpflicht, gegen die sich die Opposition so leidenschaftlich wehrt, sein wird, die von vornherein verhindert, daß die Bundeswehr ein Staat im Staate wird. Eine Ablehnung der Wehrpflicht hätte vielleicht eine solche Gefahr bedeutet, nicht aber die Änderung des § 96 des Strafgesetzbuches; denn nun wird die Bundeswehr eine Einrichtung sein, an der alle Schichten des Volkes, alle seine jungen Männer Anteil haben und nehmen werden. Warum soll man einer solchen gemeinsamen Institution des Volkes keinen 'besonderen Ehrenschutz geben, wenn sie ihn braucht? Darauf allein kommt es meines Erachtens an. Das Strafrecht verleiht einen derartigen Sonderschutz in zahlreichen Fällen, in deinen ein besonders Schutzwürdiger der Gefahr von Angriffen ausgesetzt ist. So schützt es z. B. wichtige Staatsorgane, es schützt ausländische Staatsmänner, es schützt alle Personen, die im politischen Leben des Volkes stehen, und es schützt die Flagge, die die Bundeswehr führt. Ich sehe nicht ein, warum nicht auch die Bundeswehr selbst, gegen die wir eine Flut von gehässigen Angriffen zu erwarten haben, in solcher Weise geschützt werden soll. Beispiele für das, was auf diesem Gebiet kommen wird, haben wir schon genug erlebt.
Herr Kollege Dr. Arndt hat nun noch vorgetragen, eine derartige Vorschrift erschwere sehr eine sachliche Kritik an der Bundeswehr. Verzeihen Sie, Herr Kollege Arndt, ich bin etwas überrascht,
daß Sie dieses Argument gebraucht haben, weil Sie .als ein vorzüglicher, die Judikatur genau kennender Jurist bekannt sind. Wie soll man ,dadurch, daß man Beschimpfen und böswilliges Verächtlichmachen verbietet, eine sachliche Kritik erschweren? Herr Kollege Dr. Arndt weiß doch als Jurist genau, was die Rechtsprechung unter Beschimpfen und bäswilligem Verächtlichmachen versteht.
— Leider, Herr Kollege Arndt, scheint es eine deutsche Krankheit zu sein, die auch in diesem Hause langsam aufkommt, daß wir in einer Kettenreaktion gegenseitiger Mißverständnisse stehen.
Aber ich habe ziemlich genau, wie sich das gehört, — —
— Mir ist gestern schon aufgefallen, Herr Kollege Arndt, daß Sie in Ihrer Begründung etwas zwischen dem § 96 und dem § 109 b hin- und hergeschwankt sind. Darauf beruht es vielleicht.
Trotzdem bitte ich, mir zu gestatten, meine Gedanken hier weiter vorzutragen, weil eben die Qualifikation ides Beschimpfens und böswilligen Verächtlichmachens doch etwas ganz Grundsätzlich anderes ist als eine Kritik, die im Kern ein konstruktiver Beitrag zu sein hat. Wir alle sind der Kritik sehr bedürftig, und jede konstruktive Kritik hat von jeher eine Sache gefördert, ist aber doch etwas ganz anderes als Beschimpfen und böswilliges Verächtlichmachen.
— Schimpfen ist für manche eine seelische Erleichterung, das stimmt schon.
— Sollte es wirklich ein Zitat von Goebbels sein — es stammt aber wohl mehr aus der Psychoanalyse, möchte ich glauben —, so gebe ich Ihnen darin durchaus recht, ,daß ein geistiges Gift tief in eine Zeit einzudringen vermag, und sollte ich mich dieser Sünde hier selber schuldig gemacht haben, so werde ich wahrscheinlich künftig nie wieder diesen Ausdruck gebrauchen, wenn er solchen Ursprung haben sollte. Herr Kollege Dr. Arndt weiß: sachliche Kritik wird und darf nie in den Formen des Beschimpfens und böswilligen Verächtlichmachens erfolgen. Auch der § 193 des Strafgesetzbuches, der die Wahrnehmung berechtigter Interessen schützt und gegenüber § 96 nicht gilt, verschließt sich gerade gegenüber solchen Formen der Kritik; denn sein tieferer Sinn ist gerade, die Kritik in sachliche Bahnen zu lenken. Solcher sachlichen Kritik steht § 96 in gar keiner Weise im Wege. Die unsachliche, beleidigende Form ist schon immer strafbar gewesen.
Auf einen sehr wesentlichen Gedanken, der sehr für die vorgeschlagene Änderung des § 96 spricht, ist Herr Kollege Dr. Arndt leider nicht eingegangen. Verzichtet man auf diese Änderung, so steht die Rechtsprechung vor der unerquicklichen Frage, ob sie die Bundeswehr als solche für beleidigungsfähig erklären soll oder nicht. Tut sie es nicht, so gibt es für die Bundeswehr als solche, als Ganzheit überhaupt keinen Ehrenschutz, nicht einmal über das allgemeine Beleidigungsrecht. Tut sie es aber — und wahrscheinlich wird es dazu kommen, daß sie es tut —, so wäre die Bundeswehr nicht nur gegen Beschimpfungen und böswilliges Verächtlichmachen, also gegen besonders krasse Formen der Beleidigung, sondern überhaupt gegen jede Beleidigung schlechthin, auch gegen die geringfügigste, geschützt. Der Ehrenschutz wäre also im Ergebnis viel weiter ausgedehnt als durch den von Herrn Kollegen Dr. Arndt als zu weitgehend angegriffenen § 96. Denn wird § 96 in der vorgeschlagenen Form Gesetz, so wird die Rechtsprechung darin eine Spezialregelung sehen, die eine weitere Ausdehnung des Ehrenschutzes für die Bundeswehr nicht zuläßt. Das allein sollte Grund genug sein, der Regierungsvorlage zu folgen.
Ich darf mich nun dem dritten Hauptpunkt des Angriffs der Opposition, der Kritik an dem § 109 b, zuwenden, einer Kritik, die auch weitgehend von der öffentlichen Meinung aufgenommen worden ist. Der Bundesminister der Justiz scheut sich nicht, sich dieser Kritik zu stellen. Denn es gibt Notwendigkeiten, die in der Vorlage auch dann berücksichtigt werden müssen, wenn sie zunächst nicht auf Gegenliebe in der Öffentlichkeit stoßen .
Wo kommt man in einer Demokratie hin, wenn man diese Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit von vornherein scheut?
Das ist keine Frage des Gekränktseins oder des Beleidigtseins, sondern es ist die Aufgabe der Regierung, auch unpopuläre Notwendigkeiten vor die Öffentlichkeit zu stellen und dann vorbehaltlos der Kritik die Stirn zu bieten.
Ich muß sagen, die Ausführungen des Sprechers der Opposition zu § 109 b sind durch die gefährliche Tendenz gekennzeichnet, die Möglichkeiten staatlichen Strafens nur für einen Bereich anzuerkennen, der hinter dem Wirkungsbereich selbst des liberalsten Strafrechts unserer Vergangenheit weit zurückbleibt und der auch das in einer freiheitlichen Demokratie unerläßliche Mindestmaß des Strafschutzes nicht mehr gewährleistet. So sehr ich den scharfsinnigen theoretischen Ausführungen über die Grenzen des Strafrechts mit großem Interesse gefolgt bin, muß ich doch darauf aufmerksam machen, daß sich alle theoretischen Erkenntnisse auch in der praktischen Wirklichkeit zu bewähren haben. Die aufgestellte These, daß der Strafgesetzgeber das gleiche Verhalten von zwei Personen ohne Rücksicht auf ihre damit verbundenen inneren Beweggründe und Zweckvorstellungen gleich zu behandeln habe, ist nach den bisherigen Erkenntnissen von Strafrechtswissenschaft und -praxis einfach unrichtig. Es gibt zahllose Tatbestände, in denen ein an sich wertneutrales Verhalten erst durch eine bestimmte Absicht des Täters überhaupt strafrechtlich erheblich und zugleich strafwürdig wird, strafrechtlich erheblich und strafwürdig also erst durch einen inneren Tatbestand, eine subjektive Willenshaltung des Täters, die in seiner Brust verschlossen ist.
Unter diesem Gesichtspunkt gibt es jedenfalls keinen begründeten Einwand dagegen, das Aufstellen und Verbreiten unwahrer Tatsachenbehauptungen mit Strafe zu bedrohen, wenn mit ihnen ein für die Verteidigungsbemühungen gefährlicher Zweck verfolgt wird.
Herr Kollege Dr. Arndt hat die als Folge der Einführung der Vorschrift drohenden Gefahren in schwärzesten Farben gemalt. Er meint, daß die Beschränkung des Tatbestandes auf Behauptungen über Tatsachen ungeeignet sei, eine klare Abgrenzung gegenüber den Meinungsäußerungen und Werturteilen zugewinnen. Ich will nicht bestreiten, daß es Grenzfälle — vor allem im Bereich der sogenannten inneren Tatsachen — gibt, die im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten können. Aber es ist ja gerade ein Kennzeichen rechtsstaatlichen Denkens, daß sich das Recht in den Grenzfällen zu bewähren hat. Hier stellt doch gerade der Rechtsstaat in dem Grundsatz des Maßhaltens — wonach solche Grenzfälle im Zweifel zugunsten des Beschuldigten zu werten sind — eine Korrekturmöglichkeit zur Verfügung, die die Rechtsprechung beachten muß, wenn sie ihre Pflicht nicht verfehlen will.
Der Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen hat die Rechtsprechung schon
seit vielen Jahrzehnten beschäftigt. Sie ist dabei zu durchaus befriedigenden Ergebnissen gekommen, was namentlich damit zusammenhängt, daß sie in Grenzfällen nicht auf den formalen Charakter der Äußerung abstellt, sondern auf ihren wirklichen materiellen Gehalt, d. h. auf die Frage, ob der Täter der Sache nach eine bestimmte Tatsache behaupten oder nur eine Meinung äußern wollte. Die Rechtsprechung wird deshalb die meisten Beispiele, die hier als typische Zweifelsfälle angeführt worden sind, ohne jedes Bedenken den Meinungsäußerungen zuordnen und sie damit dem Anwendungsbereich des § 109 b entziehen. Die Sorgen um eine ungerechtfertigte Ausweitung des Begriffs der Tatsachenbehauptung sind angesichts der vorhandenen und weitgehend geklärten Auslegungsgrundsätze zu diesem Begriff schlechthin unbegründet, unbegründet vor allem deshalb, weil hier der Rechtsstaat in der kontinuierlichen Praxis Auslegungsgrundsätze entwickelt hat, die beachtet werden müssen und die verhindern, daß aus solchen Tatbeständen zweckbestimmte Gummibestimmungen werden.
Nicht wesentlich anders verhält es sich mit den Angriffen, die gegen die angebliche Unbestimmtheit des Begriffs der „gröblichen Entstellung" erhoben worden sind. Es handelt sich hier keineswegs um eine Erfindung des Nationalsozialismus. § 131 des Strafgesetzbuchs, der den Tatbestand der Staatsverleumdung behandelt, spricht schon seit 1871 in einem völlig gleichliegenden Zusammenhang von dem Behaupten oder Verbreiten entstellter Tatsachen und erfaßt damit die Unwahrheiten, denen ein wahrer Kern innewohnt, die Halbwahrheiten oder Viertelwahrheiten, die bekanntlich viel gefährlicher sind als eine faustdicke Lüge. § 109 b soll und wird nach seinem Wortlaut — abgesehen von den gänzlich unwahren — nur solche Behauptungen treffen, bei denen der Wahrheitsgehalt hinter der Unwahrheit weit zurücktritt; denn nur dann kann man von einer gröblichen Entstellung sprechen.
Das stärkste Argument für die Beibehaltung des Begriffes ist jedoch folgendes: Wenn der Gesetzgeber ihn beseitigt, wird und muß die Rechtsprechung ein ähnliches Merkmal in den Tatbestand hineininterpretieren. Denn es kann kein Zweifel bestehen, daß vom Standpunkt der Logik aus jede Teilwahrheit zugleich auch eine Unwahrheit ist. Die Gerichte werden aber, wenn sich der Gesetzgeber auf das Merkmal der Unwahrheit beschränkt, diejenigen Behauptungen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausscheiden müssen, die von der Wahrheit nicht wesentlich abweichen, sie also nur gering verfälschen. Sie werden deshalb mit dem Begriff der entstellten Tatsachenbehauptung arbeiten müssen, gleichgültig ob der Gesetzgeber es ausspricht oder nicht. Die Rechtsprechung zu § 164 des Strafgesetzbuches, der die falsche Anschuldigung betrifft, hat das eindeutig bewiesen. Unter diesen Umständen ist es vom gesetzgeberischen Standpunkt aus vorzuziehen, durch das Erfordernis gröblicher Entstellung auf eine einschränkende Auslegung hinzuwirken.
Was schließlich die in der Stellungnahme der Bundesregierung angeführten schweizerischen Strafvorschriften betrifft — Herr Kollege Arndt hat mich ausdrücklich darauf angesprochen —, so haben sie alle einen engen Zusammenhang mit dem Anliegen des § 109 b. Die in erster Linie genannten §§ 89 und 102 des schweizerischen Militärstrafgesetzes sind dem § 109 b so parallel gestaltet, daß der Zusammenhang offen zutage liegt. Der außerdem aufgeführte § 278 des schweizerischen Strafgesetzbuches — also nicht des Militärstrafgesetzes — bedroht den mit Strafe, der eine Militärperson in der Ausübung des Dienstes hindert oder — und nun sehen Sie den von Herrn Kollegen Arndt so gepriesenen Tatbestand rechtsstaatlicher Art — stört. Hier ist einfach und sehr schlicht das Wort „stören" verwandt worden.
— Der Begriff der Störung, Herr Kollege Arndt, ist, wie ein Vergleich mit anderen Vorschriften des schweizerischen Gesetzes ergibt, außerordentlich weit zu fassen. Er umfaßt die beeinträchtigende Einwirkung auf die Dienstobliegenheiten von Soldaten und militärischen Behörden durch jedes irgendwie geartete unerlaubte Mittel, ist also sehr weit gefaßt. Damit wird auch die unwahre Propaganda erfaßt, wenn sie die Ausführung von Dienstobliegenheiten der Truppe erschwert. Insofern ist der Tatbestand des § 278 des Strafgesetzbuches der Schweiz mit unserem § 109 b des Entwurfs durchaus verwandt. Er geht aber durch die außerordentliche Weite des Tatbestandsmerkmals „stören" über die Grenzen der strafrechtlichen Begriffsbildung hinaus, die wir verwandt haben.
Der schließlich noch zu erwähnende — von Herrn Kollegen Arndt angesprochene — § 277 des Schweizer Strafgesetzbuches befaßt sich mit der Fälschung von Aufgeboten oder Weisungen der Militärbehörde. Die Vorschrift ist vor allem deshalb ausdrücklich genannt worden, weil sie gerade diejenigen Methoden der Zersetzung aus dem Osten erfaßt, die im ersten Abschnitt des Aufbaus der Bundeswehr besonders häufig angewendet und von mir stets als typische Anwendungsfälle des § 109 b bezeichnet worden sind. Sollte deshalb die letztere Vorschrift von dem Hohen Hause nicht gebilligt werden, so wird mindestens eine dem § 277 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs entsprechende Bestimmung unerläßlich sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mich verpflichtet gefühlt, auf die drei Hauptangriffspunkte, zu denen sich in der ersten Lesung die Opposition durch ihren Sprecher, den Herrn Kollegen Arndt, geäußert hat, zu antworten. Ich kann es mir aber nicht versagen, auch auf den rechtsphilosophischen Hintergrund, den der Herr Kollege Arndt vor uns aufgebaut hat, kurz einzugehen.
Der Herr Kollege Arndt hat die Erfordernisse eines rechtsstaatlichen Straftatbestands sehr formal gekennzeichnet. Ich glaube, daß er in seinen Darlegungen zu weit gegangen ist, insbesondere die ganze Problematik der subjektiven Haltung des Täters gegenüber seinen Handlungen unzutreffend dargestellt hat. In einem aber gebe ich ihm vollkommen recht: Unsere freiheitlich-rechtsstaatliche Gesetzgebung zum Schutze des Staates sollte nicht die Gloria des Staates schützen, sondern seinen Bestand und seine freiheitlichen Grundlagen. Sie sollte Notrecht sein, nicht sozusagen ein Glanz-Schützen. Aber gerade bei diesen Worten des Herrn Kollegen Arndt, in denen er die Zeit in ihrer Färbung darstellte, konnte ich eine gewisse innere Traurigkeit nicht ganz überwinden. Denn wo ist aller Glanz geblieben, wo ist Gloria in unserem Dasein? Das ist längst vorbei. Wir stehen in einer Notlage und müssen Notständen begegnen.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht nur der Opposition erlaubt, in die Tiefe der Dinge hineinzugehen und Bilder vor das Auge dieses Hauses zu stellen. Auch die Regierung darf ihre Sache aus den geistigen Grundlagen heraus verteidigen, die von dem Herrn Kollegen Arndt aufgezeichnet worden sind. — Staatsschutzrecht wird immer ein Notrecht sein, trägt die Grenze in sich selbst, wenn es ein rechtsstaatliches Recht ist. —
In einer kleinen Nebenbemerkung hat sich Herr Kollege Arndt dagegen gewandt, daß Beamte auch wohl meines Hauses in der Öffentlichkeit als — wie hat er sich ausgedrückt? — „propagandistische Vorkämpfer" aufträten. Herr Kollege Arndt, wenn ein Beamter des Justizministeriums in Kontakt mit der Öffentlichkeit steht und in einem Forum-Gespräch oder in einem Vortrag in der Öffentlichkeit auftritt, so tut er dies im Auftrag und gedeckt von der Verantwortlichkeit seines Ministers.
Nicht er ist ein Propagandist, sondern sein Minister hat das dann angeordnet. Ich weiß nicht, welchen speziellen Vorgang Sie im Auge haben. Ich möchte auch keinen Namen nennen; vielleicht tun Sie das persönlich, damit ich mich darüber unterrichte. Aber ich bin der Auffassung, daß gerade in einer modernen Demokratie Grundgedanken des Gesetzgebers in der Öffentlichkeit diskutiert werden müssen, bevor ein Entwurf eingebracht wird. Auch der Fachmann soll die Öffentlichkeit über die Motive unterrichten und diesen Kontakt herstellen. Es ist ja nicht ein propagandistischer Halleluja-Gesang auf die Werke der Regierung, was der betreffende Beamte sagt. Der Beamte soll auch nicht für eine Partei oder für eine einzelne politische Richtung tätig sein und dort als Propagandist auftreten; das würde ich zutiefst ablehnen. Aber die sachliche Unterrichtung der Öffentlichkeit auch über den politischen Gehalt und den politischen Willen einer Vorlage, die im Entstehen ist, halte ich für eine absolute Notwendigkeit, und da kann man nicht auf die guten Dienste des Sachkenners und Beamten verzichten. Soweit Herr Kollege Arndt, hier möchte ich sagen: die absolut aus dem Parteipolitischen herausgehaltene und neutrale Stellung des Beamten berührt hat, handelt es sich um ein Anliegen, das der Bundesminister der Justiz mit dem Herrn Kollegen Arndt vollkommen teilt. Auf der anderen Seite muß der Kontakt mit der Öffentlichkeit aber durch den Fachmann — und das ist der Sachbearbeiter eines Ministeriums — wahrgenommen werden. Soweit daraus eine politische Schwierigkeit entsteht, trifft die Verantwortlichkeit ausschließlich und allein den Minister.
Sie haben, Herr Kollege Arndt, was das Kennzeichen totalitären Strafrechts und den Unterschied des Rechtsstaatlichen zum Totalitären betrifft, vor allen Dingen darauf hingewiesen, daß die Tatbestände so gefaßt werden müssen, daß nur das Beweisbare gilt. Die Anerkennung dieses Prinzips für den Aufbau der Tatbestände ist vollkommen richtig. Aber damit werden Tatbestände, wie wir sie hier gebildet haben, nicht angegriffen; denn es geht hier ja nicht um die zollfreien Gedanken, Vorstellungen und Phantasien, die der Mensch hat, und um Utopien, die er mit sich herumträgt; es geht um äußere Wirkungen, die aus seinem inneren Zentrum entstehen.
Darum und nur darum geht es, und das ist das eigentlich Rechtsstaatliche, was bewiesen werden muß.
Herr Kollege Arndt, es lohnt sich sehr, über das, was Sie über die Grenzen des Rechtsstaatlichen gesagt haben, nachzudenken. Vor allem aber glaube ich, daß der Unterschied zwischen totalitärem Strafrecht und einem freiheitlich-rechtsstaatlichen Strafrecht in erster Linie darin beruht, daß totalitäres Strafrecht eben ein Instrument der Herrschaft ist, die mit Furcht und Terror das Rückgrat der Menschen zu brechen trachtet. Im Grunde genommen ist es natürlich so, daß alle totalitäre Gesetzgebung möglichst überhaupt keine Norm haben möchte, möglichst auf das Gesetz und seinen Tatbestand verzichten möchte, damit je nach Opportunität und Zweckmäßigkeit willkürlich gestraft und gerichtet werde, obwohl die Willkür, der Verstoß gegen die Gleichbehandlung der Fälle, gegen eine Forderung der Gerechtigkeit sehr zur Unterhöhlung einer Herrschaftsordnung überhaupt beiträgt.
Es wäre noch sehr viel zu dem zu sagen, was Herr Kollege Arndt vorgebracht hat, auch gerade zu dem rechtsphilosophischen und politischen .Hintergrund. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit hier nicht weiter in Anspruch nehmen. Es kam auf die drei Hauptangriffe der Opposition gegen unsere Vorlage an.
Bemühen wir uns alle in den Ausschüssen! Das Bundesministerium der Justiz wird alle Hilfe zur Verfügung stellen. Wenn noch präzisere Formulierungen einfallen, wenn man diese Tatbestände in ihren äußeren Merkmalen noch, sicherer, klarer, noch begrenzter und maßvoller machen kann, ohne damit das Schutzinteresse aufzugeben, dann werden Sie die Hilfe des Bundesministeriums der Justiz jederzeit haben. Auch unser sehr ernstes Bemühen ist es, die notwendigen Bestimmungen für den Staatsschutz in Grenzen, die Strafen maßvoll und den Gesetzestext so klar und so sauber wie möglich zu halten, damit sie niemals Instrumente der Willkür der einen oder der anderen politischen Richtung werden.