Rede von
Dr.
Franz Josef
Strauß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Ich habe den schlechten Kampfanzug in Erinnerung gehabt, und der steht hier unter der Überschrift: „Die Hose rauscht".
Ferner haben Sie als Beweis für die völlige Konzeptionslosigkeit der Bundeswehr auch die schöne Geschichte vom deutschen bundesrepublikanischen, demokratisch zulässigen Wehrstiefel angeführt und hier wörtlich zitiert:
Und die Entwicklungsgeschichte des Stiefels scheint von unerklärlicher Voraussetzungslosigkeit zu zeugen ...
usw. usw. — Herr Schmidt, sind wir doch auf beiden Seiten ehrlich: Hatten wir denn nicht Angst, den zweckmäßigsten Stiefel, wenn auch mit einigen Änderungen, einzuführen, weil er uns nun einmal unter unangenehmen politischen Vorzeichen — im ersten Weltkrieg schon in schlechter Erinnerung, im zweiten in einer für Hunderte von Millionen unserer Nachbarn unerträglichen Erinnerung — nicht akzeptabel erschienen ist?
Das ist doch der Hintergrund. Wenn ich heute anfange, den Stiefel wieder etwas zu ändern — der Erlaß dafür ist mit Genehmigung des Herrn Bundespräsidenten herausgegeben —, damit der demokratische Kampfstiefel mit Schnalle, Lasche und drei Öffnungen eingeführt wird
— das ist jetzt eine Mischung zwischen dem Kampfstiefel der früheren Wehrmacht und dem Kampfstiefel des Bundesgrenzschutzes —, dann bekomme ich heute schon von zahlreichen, sicherlich ehrlich besorgten Persönlichkeiten aus Ihren Reihen und aus den Reihen der Ihnen nahestehenden Presse die Mahnung: Ja, hier ergänzt sich eins zum andern, bis der alte Nazi wieder da ist.
Die einen wollen die Orden, die anderen wollen den SS-Marschstiefel, die dritten wollen wieder die Uniform des „Dritten Reiches", die vierten wollen die innere Führung auflösen, die fünften wollen die Parademärsche wieder einführen, die sechsten die zackige Grußform, und das geht so peu à peu, und auf einmal sind sie alle wieder da, und wir sind dabei die Geprellten. Das ist doch die Sorge.
Nur übertreibt man hier etwas. Ich bin fest überzeugt: Wenn wir jetzt zu einem Waffenrock zurückkehren — um dem Kollegen Mende eine Antwort zu geben —, wie ihn die Amerikaner, Franzosen, Holländer, Belgier usw. tragen, wie ihn nicht die Schweizer und, ich glaube, auch nicht die Österreicher — ob auch die Schweden, weiß ich nicht — tragen, nämlich der einreihigen, vom Bundespräsidenten genehmigten Feldbluse mit aufgesetzten Taschen, ohne die 20 % Zellwollbeimischung
— das war das Geschenk der deutschen Chemie —,
oben offen, Hemd mit Binder — das ist ungefähr die Uniform, wie sie in sämtlichen Streitkräften der Erde mit ganz wenigen Ausnahmen getragen wird —, dann werde ich gefragt werden, und ich bin schon gefragt worden: Aber die Rückkehr zum Einreihigen ist doch auch eine allmähliche Rückkehr zum alten Stil?! Und ich bin fest überzeugt: Hätten wir früher die amerikanische Uniform eingeführt und wollten wir sie jetzt wieder abschaffen, dann würde das bestimmt als erster Akt der Reaktion ausgelegt werden. Begibt man sich aber auf diese Gleise, dann muß man wirklich auch an-
nehmen, daß jeder, der auf der Autobahn fährt, ein verkappter Anhänger und Bewunderer Hitlers ist.
Es gibt ein paar bestimmte Fragen der Zweckmäßigkeit, der ganz nackten, nüchternen Zweckmäßigkeit, die mit den vergangenen Systemen nichts zu tun haben. Allerdings muß man hier Grenzen setzen, damit dann nicht aus der Zweckmäßigkeit der Mythos entsteht.
Ich darf noch etwas bemerken. Sie bemängeln, daß in der Annahmestelle politische Fragen gestellt werden. Sicherlich sind in den Annahmestellen nicht alles Edelpädagogen und Musterpsychologen. Aber es sollen ja gerade politische Fragen gestellt werden. Der Betreffende soll ja nicht allein nach Kaliberlänge, Leistungsgewichten und ähnlichen Dingen gefragt werden. Er soll auch durch Stellungnahme zu politischen Fragen erkennen lassen, welcher Gesinnung er ist, er soll erkennen lassen,
ob er politisch zu denken vermag und nicht nur die Vorschriften auswendig lernt und sie am Montag in der Früh zwischen 8 und 11 Uhr beim Dienstunterricht wiedergibt, weil ihm sonst nichts Besseres einfällt.
Im übrigen werden die Annahmestellen jetzt allmählich aufgelöst werden. Ein ideales Prüfungsverfahren gibt es nie.
Auch ich halte den Fragebogen mit 40 Fragen, auf die die Idealantwort dann schon auf dem Schwarzen Markt zu haben war — von solchen, die bestanden hatten, oder auch von solchen, die nicht bestanden hatten — nicht für die ideale Form. Aber das ist eine Frage der Menschen, die diese Dinge handhaben.
Sie haben den Fall Oster erwähnt. Ich bin überrascht darüber — Oster ist ein alter Freund von mir —, daß er selbst mir davon nie etwas gesagt hat. Er war erst vor wenigen Tagen bei mir. Daß er keine Angst hatte, das zu sagen, ich glaube, davon sind wir beide überzeugt. Ich glaube aber den Hintergrund zu wissen. Ja, ich muß beinahe Dinge aus dem Nähkörbchen sagen. Er wollte selbst nicht zu dieser Division unter diesem Divisionskommandeur. Und warum? Wie es häufig ist, wenn sich zwei alte Soldaten nicht mögen. Sie haben sich im Krieg gegenseitig zu gut kennengelernt, wer dabei recht oder unrecht hat, ist schwer zu entscheiden; aber der eine war I-sowieso und der andere war I-sowieso in ein und demselben Verband, und deshalb will der eine den anderen nicht mehr als Untergebenen und der andere den einen nicht mehr als Vorgesetzten haben.
Das hat aber mit dem Fall Oster, dem Fall seines Vaters — was Sie wahrscheinlich meinen — nichts zu tun, daß etwa hier einer den anderen nicht will, weil der Name Oster irgendwie in der Bundeswehr nicht gelitten wäre.
Aber solche Dinge, Kollege Schmidt, sollten Sie uns mitteilen, statt sie in jahrelanger Materialsammlung so als „Bundeswehr-Schubladensparer",
wie Sie es hier tun, als Material anzuhäufen, um es dann konzentriert auf einmal hier loszulassen. Ich kenne auch die Einzelheiten nicht. Aber ich bitte Sie herzlich, mir die Namen der militärischen Vorgesetzten zu nennen, die Sie heute erwähnt haben. Das dient nicht dazu, jetzt einen Gesinnungsterror gegen diese Leute auszuüben; denn es sind viele unter ihnen, bei denen man Verständnis haben muß. Ich glaube, ich weiß jetzt einen. Der ist erst sehr spät aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekommen, er war über zehn Jahre in sowjetischer Gefangenschaft. Bei diesen Leuten, die ja ein sehr hartes Schicksal hinter sich haben, ist es nicht böser Wille und ist es nicht falsche politische Einstellung. wenn ihnen das Maß dessen, was man heute sagen kann, und die Dimensionen, innerhalb deren man wieder denken und fühlen und leben muß, noch nicht wieder voll geläufig geworden sind.
Denen muß man helfen, sich da hineinzufinden.
— Aber bitte, geben Sie mir die Einzelheiten dazu. Die Quelle brauchen Sie nicht zu geben, nur die Einzelheiten dafür, daß man mit den betreffenden Offizieren darüber sprechen kann.
Sie dürfen auch den Fall des Oberstleutnants, der im Suff spricht, nicht symptomatisch nehmen. Ich kenne diesen Fall, er ist über meinen Schreibtisch gegangen. Da läuft eine Disziplinaruntersuchung, die sehr ernst geführt wird. Denn uns würde es auch interessieren, den Hintergrund dieses Mannes kennenzulernen. In vino veritas! Bei manchen ist es auch umgekehrt,
das wissen Sie ganz genau, und wenn man jedes Wort, das in diesem Zustand gesagt wurde, als eigentlichen Lügen- und Wahrheitsdetektor bezeichnete, wäre, glaube ich, bei manchem intra muros et extra muros schon ein merkwürdiges Charakterurteil zustande gekommen.
Ich sehe auch nicht, welchen Sinn das Wort „Mausgrau der Verräter" haben soll; denn die Leute vom 20. Juli haben eine schneidige Wehrmachtsuniform getragen, und der Schnitt der neuen Uniform ist bestimmt nicht von den Widerstandskämpfern vom 20. Juli ausgewählt worden. Aber irgendwie scheinen die normalen Denkmaßstäbe in diesem Zustand schon erheblich durcheinandergekommen zu sein.
Eines darf ich am Schluß noch zurückweisen, Herr Kollege Schmidt, und das ist Ihre Kritik an dem von dem bei Ihnen ja sicherlich sehr hochgeschätzten Grafen Baudissin herausgegebenen Informationsdienst, der allerdings auch über meinen Schreibtisch geht. Ich habe aber an dem Artikel über die Kriegsdienstverweigerung nicht eine Silbe,
glaube ich, geändert. Sie haben hier wieder einen Satz herausgezogen. Hätten Sie den ganzen Absatz verlesen, sähen die Dinge ganz anders aus. Ich muß es leider — wenn der Präsident es noch gestattet
— tun. Es heißt dort:
Gegen den § 25 des Wehrpflichtgesetzes sind bekanntlich gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht worden.
Das heißt, der Soldat wird darauf hingewiesen, daß es diese Bedenken gibt.
Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen das verfassungsrechtliche Für und Wider der widerstreitenden Auffassungen darzulegen. Es soll nur so viel gesagt werden, daß die Fassung des § 25 des Wehrpflichtgesetzes dem entspricht, was der Grundgesetzgeber gemeint und gewollt hat.
Weiter, als es hier geschehen ist, kann kein Staat gehen, will er nicht Gefahr laufen, sich selbst aufzugeben. Würde auch die situationsgebundene politische Gewissensentscheidung
— das heißt: weil ich Adenauer nicht traue, rücke ich so lange nicht ein, wie er Kanzler ist, was mit meiner grundsätzlichen Auffassung über Gewaltlosigkeit gar nichts zu tun hat, um es einmal ganz einfach zu sagen —
einbezogen werden, so käme das letzten Endes einer Auflösung der staatlichen Autorität zugunsten einer unendlichen Vielzahl souveräner Einzelpersonen gleich. Das kann niemand im Ernst wollen.
Im übrigen wird das Verfassungsgericht das letzte Wort zu sprechen haben. Bis dahin ist jedenfalls der § 25 des Wehrpflichtgesetzes geltendes Recht.
— Ich gehe bisher von der Meinung aus, daß das, was ein Parlament mit einer ordnungsgemäßen Mehrheit in einem einwandfreien Verfahren beschlossen hat, so lange geltendes Recht ist, bis das Verfassungsgericht es aufgehoben oder geändert hat.
— Ich kann und möchte mich hier nicht in eine rechtliche Debatte darüber einlassen. Wir werden ja erleben, was das Verfassungsgericht in diesem Zusammenhang entscheiden wird.
— Das meinen Sie, Herr Kollege Arndt.
— Es gibt nie einen Streit, Kollege Arndt, wenn alle übrigen sich einer Meinung anschließen.
In dem Fall gibt es aber auch eine andere Meinung.
Schließlich darf ich noch dem Kollegen Mende antworten. In meinem Hause ist eine Verfügung erlassen worden — das ist bisher noch nicht veröffentlicht worden —, daß die längste Zeit innerhalb eines höheren Stabes oder innerhalb des Ministeriums drei Jahre betragen soll und daß, wer drei Jahre erreicht hat, dann zugunsten einer Truppenverwendung abgelöst werden muß und daß dann Truppenoffiziere in die Stäbe und in das Ministerium kommen. Der Drei-Jahres-Turnus — bis zur Durchführung im ersten Fall wird es allerdings beinahe ein Jahr dauern — scheint notwendig zu sein, um gerade die Umschichtung hervorzubringen, die verhindert, daß es zwei verschiedene Kategorien von Soldaten gibt: Das eine sind die Schreibtischoffiziere, und das andere sind die Gelände- oder — im ungünstigen Fall — Kasernenhofoffiziere. Eigentlich sollte es der Wunsch eines militärischen Vorgesetzten sein, im Gelände bei der Truppe zu sein, und nicht, hinter einem Schreibtisch zu sitzen.
Damit habe ich die Einzelheiten beantwortet. Ich will bewußt nach der Auseinandersetzung zwischen dem Kollegen Jaeger und dem Kollegen Schmidt
— und der Kollege Jaeger hat die Meinung meiner Freunde vertreten — auf das Thema der Notwendigkeit einer allgemeinen Wehrpflicht nicht eingehen. Diese Debatte wäre wahrscheinlich nur der Auftakt zu einer neuen, längeren Auseinandersetzung, die ich angesichts der fortgeschrittenen Zeit vermeiden will. Aber nur eines bitte ich abschließend wenigstens entgegennehmen zu wollen, meine Damen und Herren von der Opposition: daß ein Landesverteidigungssystem, das die Erfüllung der auch von Ihnen anerkannten Vertragspflichten bedeutet, mit einem aus 200 000 Mann bestehenden Freiwilligenheer rein technisch unmöglich ist, abgesehen von allen politischen, außenpolitischen oder sonstigen Erwägungen. Aber ich hoffe, darüber das nächste Mal in diesem — ich darf nicht sagen: Theater, obwohl das Wort einmal gesagt worden ist —, in diesen Hohen Hallen mehr!