Rede von
Dr.
Adolf
Arndt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur noch einige Worte meinerseits, wie ich hoffe, zum Abschluß. Aber wenn Sie eine Fortsetzung der Debatte wünschen, so wird meine
Fraktion bereit sein, sie so lange zu führen, wie auch Sie sie zu führen gedenken.
Die Behauptungen des Herrn Bundesministers des Außeren, daß mein Freund Fritz Erler die Vorgänge auf den letzten Konferenzen nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv falsch dargestellt habe, muß ich mit aller Eindeutigkeit zurückweisen.
Sie sind nicht nur subjektiv, sondern nach meiner Überzeugung — und die Dokumente können vorgelegt werden — auch objektiv richtig. Wenn das bestritten wird, müßten wir uns hier erst als historischer Untersuchungsausschuß einsetzen, um das zu klären.
Aber noch ein anderes. Auch die verkürzte Darstellung, die der Herr Bundesaußenminister von der Berliner Konferenz gegeben hat, kann von uns nicht als richtig anerkannt werden. Wir wissen ja alle, wie unglücklich der Verlauf der Berliner Konferenz war, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil man dort vom Westen her sehr unvorbereitet in die Verhandlungen hineingegangen ist. Die Gespräche, die zwischen Herrn Bidault und Herrn Molotow stattgefunden haben sollen, die aber von den verschiedenen Seiten sehr verschieden dargestellt werden und die auch gar nicht zu den Dokumenten gehören, die teilweise überhaupt bestritten werden, sind ja nun wirklich kein historischer Beweis. Was wir heute ganz klar sehen und worüber auch schon damals niemand im ungewissen sein durfte, ist doch die einfache Lage in Berlin, daß beide Seiten der Verhandlungspartner eben gerne das ganze Deutschland gehabt hätten und daß sie damit nicht zu Rande kommen konnten. Es gibt aber ungefähr aus der Zeit der Berliner Konferenz eine Äußerung eines maßgebenden Politikers der Christlich-Demokratischen Union über die Gefahren eines Vertragsabschlusses mit dem Westen. Damals ging ja der Streit darum, ob die Sowjetunion vor oder nach einem Vertragsabschluß verhandlungsbereiter sein würde; ein Streit, der bis zum heutigen Tage dauert. Immer ist von der Bundesregierung gesagt worden — und das klang auch heute noch aus dem, was Herr Bundesminister Strauß ,gesagt hat; darauf komme ich noch —, nach Vertragsabschlüssen und nach Wiederbewaffnung werde die Sowjetunion verhandlungsbereiter sein, während die Sowjetunion — das mag uns unangenehm sein, mir ist es sehr unangenehm, sie ist überhaupt kein angenehmer Nachbar — immer gesagt hat: Wenn ihr solche Abschlüsse macht, wird meine Verhandlungsbereitschaft sinken.
Nun, am 20. April 1952 hat dieser, wie gesagt, maßgebliche Politiker der Christlich-Demokratischen Union sich dazu geäußert, und zwar in einem Sinne, der in diesem Zusammenhang doch immerhin bemerkenswert ist. Er hat folgendes gesagt:
Ich bin mir klar, daß in dem Abschluß der Verhandlungen mit dem Westen für eine europäische Verteidigung eine absolute Gefahr liegen kann, daß dadurch ein Faktum geschaffen wird, das unter Umständen die Verhandlungsbereitschaft der Russen, wenn sie ernst ist, auf ein Minimum reduzieren wird, weil dadurch, daß das Faktum geschaffen ist, ein Interesse an solchen Verhandlungen nicht mehr besteht.
Meine Damen und Herren, ich habe hier aus der
Rede zitiert, die ich selber gehört habe und die
nach Tonband mit Wissen des Sprechers übertragen ist. Es ist das Referat des Herrn Abgeordneten Dr. Heinrich von Brentano vor der Deutsch-Englischen Gesellschaft.
Also das wußte man vor dem Abschluß und hätte es wissen müssen, daß derartige Bindungen militärischer Art die Verhandlungsbereitschaft auf der östlichen Seite verringern und die Gefahr der deutschen Spaltung vertiefen. Alles aber, was zur Aufrechterhaltung, zur Verschärfung, zur Vertiefung der deutschen Spaltung beiträgt, ist auch eine Gefährdung der Sicherheit. Denn das, worüber Sie in Ihren Reden immer hinweggehen, worüber auch Herr Bundesminister Strauß 'in seinen sonst durchaus recht bemerkenswerten und interessanten Ausführungen hinweggegangen ist, ist das, was mein Freund Erler mit so unsäglicher Geduld klarzumachen versucht hat: der Zusammenhang von Abrüstung mit Sicherheit und Wiedervereinigung. Sie glauben immer, Sie könnten das Wiedervereinigungsproblem vom Sicherheitsproblem lösen und Sie könnten hier eine isolierte Sicherheit für Westdeutschland schaffen. Das ist der Punkt, wo wir auseinander sind.
Nun, meine Damen und Herren, ich habe mich bemüht, dieser Debatte heute mit Aufmerksamkeit zu folgen. Es besteht hier im Hause leider so wenig Neigung, auf den andern zu hören. Darum habe ich wirklich gespannt gewartet, was nun seitens der Bundesregierung, seitens der Abgeordneten der Koalition über den Weg und über die Aussichten zur Wiedervereinigung gesagt würde. Ich muß sagen: ich bin von dieser Ausbeute außerordentlich erschüttert.
Ich habe mir aus der Rede des Herrn Kiesinger vermerkt: Wiedervereinigung darf nicht sein ohne Sicherheit. — Völlig einig! Aber lesen Sie Ihre Rede von heute morgen nach, Herr Kiesinger! Sicherheit heißt bis auf weiteres, auf nicht absehbare Zeit, nur NATO. Infolgedessen kann auch die gesamtdeutsche Sicherheit nur durch die NATO gewährleistet sein. Aber Sie wissen genauso wie wir, daß das nicht erreichbar ist, und wenn wir es noch so wünschten. Dann aber kommt Ihre Auffassung darauf hinaus, daß es in unseren Tagen auf absehbare Zeit — ich will mich hier vorsichtig ausdrücken — um die Wiedervereinigung sehr schlecht bestellt Ist. Das habe ich auch dem Zwischenruf des Herrn Stücklen entnommen, der auf die sehr präzise gestellte Frage meines Freundes Fritz Erler, ob denn in der CDU angenommen werde, daß von der Sowjetunion gar keine andere Einheit als die durch ein kommunistisches Deutschland erreichbar sei, antwortete: Jawohl! — Meine Damen und Herren, sind Sie sich darüber klar, daß das der Offenbarungseid jedweder Wiedervereinigungspolitik ist und nichts anderes?
Dann kam Herr Lenz und sagte etwas was eigentlich noch beunruhigender ist als die Äußerung von Herrn Stücklen. — Übrigens sehr bemerkenswert, wie die einzelnen Sprecher sehr verschiedene Antworten geben! Die von Herrn Strauß weicht ab von Herrn Lenz. Herr Lenz weicht ab von Herrn Stücklen, Herr Stücklen weicht ab von Herrn Kiesinger. Das ist Ihre ..klare Linie"! — Herr Lenz sagte, die Änderung der Machtverhält-
nisse in Europa, von der er gesprochen habe und die erst die Wiedervereinigung erreichbar machen würde, sei eine Änderung im Bereich der östlichen „Satelliten". Nun, es kann keinen Zweifel geben, daß jeder demokratische Politiker und jedes Mitglied dieses Hauses von ganzem Herzen die Selbständigkeit, die Entscheidungsfreiheit für die Völker auch des Ostens und die Freundschaft mit ihnen, die seit mehr als 1000 Jahren zu Europa gehören, wünscht. Aber deshalb muß ich auch schon, Herr Lenz, Sie darauf aufmerksam machen, daß wir uns alle einmal überlegen müssen, ob es angebracht ist, den Ausdruck von den „Satelliten" in diesem Sinne noch weiter zu verwenden. Denn auch die Polen oder Tschechen, die keine Kommunisten sind, die Polen, die von der Sowjetunion als dem Untermieter sprechen, auf dessen Auszug sie warten, schätzen es gar nicht, von uns in dieser Weise als „Satelliten" diskriminiert zu werden. Wenn wir auf ein künftiges gutes Einvernehmen mit diesen Völkern Gewicht legen, sollten wir uns auch insoweit einer anderen Sprache befleißigen.
Die Gefahr solcher außenpolitischen Debatten, die hier dann als Marathondebatten durchgeführt werden, weil die größte Fraktion dieses Hauses glaubt, daraus irgendwelche Wahlerfolge erzielen zu können,
ist, daß dabei außenpolitisch unendlich mehr Schaden angerichtet wird, als diese Ausführungen hier Sinn haben.
— Ja, ja! Sie sollten sich einmal überlegen, was eine solche Bemerkung: „Wir warten hier auf die Änderung der Machtverhältnisse unter den sogenannten Satelliten" für Rückwirkungen zu Lasten jener Völker haben kann. Eisenhower, Dulles sind weise und politisch denkend genug, daß sie gerade auch noch nach Ungarn gesagt haben: Wir wünschen keine antisowjetische Haltung dieser Völker. Auch unser Bundesaußenminister hat, vielleicht nicht ohne daß ihm einige sehr freundliche Winke gegeben worden sind, in Paris nach der ungarischen Tragödie eine recht respektable Beruhigungsrede in diesem Sinne gehalten. Dann aber kommen Sie hierher, und weil Sie über die Wiedervereinigung sonst nichts zu sagen wissen, sagen Sie es auf Kosten dieser Völker im Osten, denen wir damit wahrlich keinen Gefallen tun, daß wir solche leichtfertigen Äußerungen machen.
Nun komme ich zu den Äußerungen des Herrn Bundesministers Strauß. Das macht mir deshalb eine Freude, weil es wirklich nicht erbaulich ist, hier mancherlei Reden zuzuhören, wo man dann mehr das Gefühl hat, daß es sich um Raketen, Knallfrösche und sogenannte Donnerschläge handelt, und wenn der Rauch sich verzogen hat, ist nicht viel mehr da als Widersprüche.
Über das, was Herr Minister Strauß gesagt hat,
kann man sich sachlich auseinandersetzen. Ich
glaube nur, daß doch auch auf Ihrer Seite eine
ganze Reihe von Irrtümern sind und es zuletzt auch sehr wenig positiv in der Frage der Wiedervereinigung endet.
Herr Bundesminister, wir sind uns einig darüber — und ich bin Ihnen dankbar für dieses Wort, das Sie gesagt haben —: eine Frage wie die Wiedervereinigung Deutschlands und eine Frage wie die Sicherheit erfordert politische Lösungen. Das ist doch das, was endlich einmal in Deutschland klarwerden muß: daß das eine politische Lösung erfordert
und nicht eine Sache der Divisionen und des militärischen Denkens ist.
Aber nun haben Sie gemeint, meinem Freunde Erler seien hier — so sagten Sie — drei „fundamentale Irrtümer" unterlaufen, denn es gebe drei Möglichkeiten einer sowjetischen Bedrohung des Friedens. Nun, Fritz Erler hat mit seiner Berner-kung, daß man die sowjetische Drohung der Kriegsgefahr zu einem Kinderschreck mache oder mißbrauche, ganz gewiß nicht sagen wollen, daß die Existenz einer so hochgerüsteten und in ihren inneren Verhältnissen uns so denk- und sittenfremden Macht wie der Sowjetunion sehr anheimelnd sei oder daß von ihr keine Gefahr ausgehe. Das hat noch niemals ein Sozialdemokrat gesagt. Ihre ständige Polemik. als ob wir so besonderes Vertrauen nach dem Osten hir hätten, ist ja so absolut kindisch und nicht ernst zu nehmen. —Also so war das ja nicht gemeint.
Aber nun komme ich zu Ihren drei Bedrohungen.
Das erste Argument war, eine Kurzschlußreaktion sei nicht ausgeschlossen. Gut, darüber sind wir einig. Wenn irgendwo Leute. noch dazu Leute. die eine Atom- oder Wasserstoffbombe in der Hand haben, verrückt werden. dann fliegt die Welt in die Luft. Aber auch Ihre NATO schließt eine Kurzschlußreaktion im Kreml doch nicht aus. Also diese Gefahr der Kurzschlußreaktion ist überhaupt nicht zu beseitigen: sie ist nun einmal da. solange sich in den Händen von Politikern Höllenwerkzeuge befinden, mit denen man den gesamten Erdball zu Asche machen kann. — Also damit können Sie es nicht begründen.
Es bleiben die beiden anderen: der ständige Druck und das Sicherheitssystem. Nun, das dürfen Sie nicht voneinander trennen. Denn das Sicherheitssvstem soll doch, wie mein Freund Wilhelm Mellies eben sehr klar gesagt hat, gerade auch dazu dasein, den ständigen Druck aufzuheben oder zu vermindern. Und wer sagt Ihnen denn. Herr Minister Strauß, daß Sie das Sicherheitssystem so einfach identifizieren dürfen mit isolierten Nationalstaaten. die Sie als .,Atom-Babies" bezeichnet haben?: Sie selber mußten es dann für Gesamtdeutschland zurücknehmen. Das alles ist doch dieses europäische Bündnis- und Paktsystem. das wir kollektive Sicherheit nennen. Wie das auszugestalten ist. um nicht nur eine Entspannung, sondern effektive Sicherheit zu gewähren, ist Gegenstand des Nachdenkens und der Verhandlung, worüber man sich klar sein muß. Ich kann Ihnen hier — es ist immer sehr leicht, den einen Bundesminister gegen den anderen zu zitieren — nach dieser Richtung hin auch eine Äußerung eines Ihrer Partei- und sogar Kabinettskollegen sagen.
—— Bitte schön, natürlich! Selbstverständlich!