Rede:
ID0218813500

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2188

  • date_rangeDatum: 31. Januar 1957

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:21 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 188. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957 10639 188. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957. Glückwünsche zum Geburtstag des Bundespräsidenten Prof. Dr. Heuss . . . . 10639 D Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Raestrup und Schneider (Hamburg) . 10639 D Änderungen der Tagesordnung 10639 D, 10740 C, D Geschäftliche Mitteilungen 10651 C Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags . . . 10640 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 300, 315 und 316 (Drucksachen 2872, 3144; 3046, 3134; 3045, 3135) . . . 10640 A Mitteilung über Vorlage eines Zwischenberichts des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte über die Evakuiertenrückführung (Drucksache 3079) 10640 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (außenpolitische Lage, Wiedervereinigung Deutschlands, Sicherheitssysteme) 10640 A Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen . . . . 10640 B, 10674 C, 10707 C, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A, 10733 B Unterbrechung der Sitzung . . 10651 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 10651 D Kiesinger (CDU/CSU) . . 10651 D, 10653 A, C, 10654 A, B, 10660 B, C, 10661 A, 10662 B, 10671 B, 10675 A, 10686 B, 10701 C Dr. Mommer (SPD') . . . . 10653 A, 10727 C, 10730 D, 10732 C Erler (SPD) .. . 10653 C, 10662 B, 10698 B, 10716 D, 10727 D, 10730 B, 10730 D Mellies (SPD) 10654 A, 10735 A Unterbrechung der Sitzung . . 10664 A Ollenhauer (SPD) 10664 A, 10671 B, 10685 A Dr. Arndt (SPD) 10675 A, 10736 D, 10739 A, C Lenz (Trossingen) (FDP) 10677 B Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . 10682 A Feller (GB/BHE) 10687 A Dr. von Merkatz (DP) 10690 D Dr. Schäfer (Hamburg) (FVP) . . . 10695 D, 10698 C Wehner (SPD) . . 10700 B, 10701 C, 10705 D, 10706 B, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A Rasner (CDU/CSU) . . . . 10705 D, 10706 B Dr. Furler (CDU/CSU) 10710 B Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 10715 D Strauß, Bundesminister für Verteidigung . . . . 10726 A, 10727 C, D, 10729 B, 10730 B, D, 10731 D, 10732 B, D, 10739 A, C Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 10729 B Mattick (SPD) 10732 A Dr. Gille (GB/BHE) 10734 A Zur Geschäftsordnung betr. Weiterberatung der Tagesordnung: Brandt (Berlin) (SPD) 10740 B Rasner (CDU/CSU) 10740 D Nächste Sitzung 10741 C Berichtigungen zum Stenographischen Be- richt der 184. Sitzung 10741 Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 10741 B Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
  • folderAnlagen
    Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 184. Sitzung Es ist zu lesen: Seite 10178 A letzte Zeile unten „Dr. Schellenberg (SPD), zur Sache" statt „10243 B": 10234 B; Seite 10182 D Zeile 21 von unten statt „angenommen": abgelehnt; Seite 10297 Zeile 12 von unten in den Abstimmungen 5, 6 und 7: Scheel: beurlaubt; Seite 10297 Zeile 3 von unten in Abstimmung 7: Dr. Schneider (Saarbrücken): enthalten; Seite 10231 sind die vorletzte Zeile von A und die zweite Zeile von B auszutauschen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Arnholz 15.2. Dr. Bärsch 1.2. Berendsen 1. 2. Dr. Berg 31.1. Dr. Brühler 2. 2. Dr. Bürkel 31.1. Cillien 2.3. Corterier 1.2. Dr. Dehler 28. 2. Dr. Franz 31.1. Freidhof 1.2. Gedat 1.2. Geiger (München) 1. 2. Gockeln 2. 3. Dr. Gülich 1.2. Haasler 31.1. Dr. Hesberg 31.1. Heye 31.1. Dr. Köhler 2.3. Dr. Kreyssig 1.2. Dr. Mocker 31.1. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 31.1. Neumayer 16.3. Odenthal 15.2. Dr. Oesterle 1. 2. Op den Orth 31.1. Richter 31.1. Dr. Schmid (Frankfurt) 2. 3. Dr. Schmidt (Gellersen) 31.1. Schneider (Hamburg) 1.2. Frau Schroeder (Berlin) 15.4. Dr. Vogel 2.2. b) Urlaubsanträge bis einschließlich Frau Brauksiepe 16.2. Höfler 28.2. Diedrichsen 9.2. Meyer-Ronnenberg 23.2.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Gille


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Sie in so vorgerückter Stunde um einige Minuten Aufmerksamkeit bitte, so tue ich das, weil ich etwas vorzutragen habe, was nach meiner Auffassung im Rahmen der heutigen Debatte nicht unausgesprochen bleiben darf. Ich hatte gehofft, wesentlich früher an die Reihe zu kommen, und ich bin mir auch durchaus bewußt, daß die sehr interessanten Ausführungen der letzten Stunden es mir nicht leicht machen werden, Ihre Aufmerksamkeit zu finden. Es handelt sich um einige wenige kurze Bemerkungen.
    Ich möchte auf eine Frage zurückkommen, die heute nicht im Kern der Auseinandersetzungen gestanden hat, die aber berührt worden ist, auf die Frage der deutschen Ostgebiete. Es hat bis etwa von einem Jahr ein stillschweigendes Abkommen zwischen dem Deutschen Bundestag, der deutschen Bundesregierung und, ich möchte sagen, der deutschen Öffentlichkeit gegolten, die Probleme der Wiedervereinigung und die Probleme der Oder-Neiße-Linie als nur in zwei Phasen lösbar anzusehen. Seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres ist aus Gründen, die ich nicht im einzelnen untersuchen möchte, von dieser sehr verständigen Übung abgewichen worden. Ich bitte, mir zu glauben, daß Millionen Heimatvertriebene in der Bundesrepublik hierdurch aufs tiefste beunruhigt und besorgt sind.
    Es handelt sich um Vorgänge im außerparlamentarischen Raum. Ich würde heute nicht zu Ihnen gesprochen haben, wenn nicht ein ganz akuter, besonders besorgniserregender Anlaß dazu vorhanden wäre. Es handelt sich um die Äußerungen des gegenwärtigen Präsidenten des Deutschen Bundesrats, dem Regierenden Bürgermeister der Stadt Hamburg, Dr. Sieveking.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch schon dagewesen!)

    — Ich habe die Erklärungen der Bundesregierung, die der Herr Außenminister uns bekanntgegeben hat, nicht überhört. Ich habe auch die Äußerung, die Herr Dr. Kiesinger dazu abgegeben hat, nicht überhört. Aber gerade 'die Tatsache, daß Sie, meine Damen und Herren, auf die Worte meines Fraktionsfreundes Feller bisher auch nicht die geringste
    Resonanz haben erkennen lassen, veranlaßt mich doch, noch einige mahnende Worte zu sagen.
    Ich leite die Legitimation dazu weniger aus meiner Eigenschaft als Vertriebener her. Die Frage der deutschen Ostgebiete ist eine deutsche Frage, und der Verlust der Ostgebiete hat nicht nur die Vertriebenen, sondern — so meinen wir, und wir hoffen, daß die Mehrheit unseres Volkes so denkt — Deutschland getroffen.

    (Beifall beim GB/BHE.)

    Deshalb glaube ich, hierzu noch etwas sagen zu sollen.
    Es ist ein Glücksfall. daß die Äußerungen des Herrn Sieveking im Wortlaut unbestreitbar vorliegen. Ich teile deshalb nicht die Auffassung des Herrn Außenministers, daß das merkwürdige Dementi, das uns heute auf den Tisch flatterte, die Angelegenheit bereinigt habe. Dieser Wortlaut ist iederzeit nachprüfbar. Ich möchte es mir wegen der vorgerückten Stunde versagen, irgend etwas daraus vorzulesen. Aber bitte. nehmen Sie — Sie haben die Möglichkeit der Nachprüfung — das eine entgegen: Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Herr Sieveking allen Äußerungen der Verzichtspolitiker die Krone aufgesetzt hat. Er kann es nicht bestreiten. daß er in Äußerungen vor dem Verein auswärtige Presse es als möglich hingestellt hat, daß, ohne daß die Existenz Deutschlands :gefährdet würde, nicht nur eine, sondern mehrere preußische Provinzen hingegeben werden.
    Ich habe mich darüber gefreut, daß der Herr Außenminister nicht von dem Privatmann gesprochen hat, sondern daß er nicht übersehen hat. daß dieser Privatmann mit dem Präsidenten des Deutschen Bundesrates identisch ist.
    Heute hat Herr Dr. Schäfer in einem ganz anderen Zusammenhang ein Wort gesprochen, das ich mir zu eigen machen möchte. Er hat gesagt, wir sollten alle Wert darauf legen, daß kein Zweifel an der Entschiedenheit geweckt wird, mit der wir unseren gemeinsamen Willen schon oft ausgedrückt haben. Es kann doch kein Zweifel darüber sein, daß der Deutsche Bundestag in all seinen Parteien mehrfach in feierlichster Form zu den Rechtsansprüchen der Vertriebenen, zu den Rechtsansprüchen Deutschlands auf seine Ostgebiete sich eindeutig festgelegt hat. Wenn wir nun im Laufe der letzten sechs Monate erlebt haben, daß im außerparlamentarischen Raum nicht irgendwer, sondern sehr prominente Sprecher von Parteien und sogar der Herr Präsident des Deutschen Bundesrates von diesen feierlichen Erklärungen .abgerückt sind und Äußerungen getan haben, die in ihrer Verantwortungslosigkeit nicht zu übersehen sind, dann sollte das im Rahmen einer .außenpolitischen Debatte einmal deutlich zum Ausdruck kommen.
    Es sind heute für das Ohr der Vertriebenen auch manche guten Worte gesprochen worden; das will ich gern zugeben. Aber wollen Sie es den Vertriebenen verübeln, wenn sie langsam an der Glaubwürdigkeit .auch feierlicher Erklärungen zu zweifeln beginnen, falls wir nicht Mittel und Wege finden, diesem Unfug zu steuern, der sich im Laufe der letzten sechs Monate im außerparlamentarischen Raum ergeben hat? Ich möchte meinen, daß alle Parteien, die sich in ihrem Bereich mit derartigen Meinungen auseinanderzusetzen haben, es nicht dabei bewenden lassen sollten, zu erklären, hier handle es sich um eine Privatmeinung. Meine


    (Dr. Gille)

    Herren von der CDU, ich sehe die Situation wohl nicht falsch, wenn ich glaube, daß die Äußerungen Ihres Parteifreundes Dr. Sieveking, ab Sie sie billigen oder nicht, noch lange an Ihren Rockschößen hängen bleiben werden, wenn Sie nicht deutlicher, als das bisher geschehen ist, von ihnen abrücken.
    Es geht um einen Vertrauensfundus, den die deutsche Bundesrepublik in den Monaten und Jahren, die vor uns stehen, noch dringend brauchen wird. Die Vertriebenen haben den Eindruck, daß ihr maßvolles Verhalten, ihre positive Einstellung zu dem Aufbau dieses Staates schlecht belohnt werden, wenn in diesen ihren Fragen — um die sie sich nicht um ihrer selbst willen, sondern auch um Deutschlands willen bemühen — der Deutsche Bundestag gegenüber solchen Erscheinungen nicht deutlicher abrückt, als es bisher geschehen ist. Ich glaube, daß der Fall Sieveking auch mit diesen Erklärungen noch nicht seinen Abschluß gefunden haben wird, sondern daß hier für alle, ohne Unterschied der Parteien, eine Frage bestehenbleibt, die anders gelöst werden muß als mit Dementis und bedauerlichen Erklärungen hier in diesem Hause.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der FDP.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wilhelm Mellies


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eins zur Klarstellung. Ich stehe hier nicht wegen der dramatisierten Aufforderung des Herrn Kiesinger von heute morgen, sondern stehe hier, weil ich nach den Vereinbarungen in der sozialdemokratischen Fraktion für die Debatte vorgesehen war. Ich möchte gleich mit allem Nachdruck sagen: Wer hier von der sozialdemokratischen Fraktion und für die sozialdemokratische Fraktion spricht, das wird von der Fraktion bestimmt, und wir lassen uns durch niemand auffordern oder drängen, daß bestimmte Personen hier ans Rednerpult kommen und reden sollen.
    Herr Kiesinger hat auf die Verlautbarung Bezug genommen, die ich unter dem 23. November herausgegeben habe. Er hat nachher gesagt, eigentlich habe er diese Sache nicht bringen wollen, und ich glaube, damit hat er die ganze dramatische Darstellung schon von vornherein entwertet; denn wenn sie wirklich so entscheidend und wichtig gewesen wäre, hätte er letzten Endes nicht darauf verzichten können. Aber wahrscheinlich paßt es gerade sehr gut, Herr Kiesinger, in diesen Rahmen mit dem 'Blick auf den Bildschirm, und man hat sich gesagt, das werde draußen eine ausgezeichnete Wirkung haben.
    Meine Damen und Herren, diese Äußerung habe ich als Antwort auf ein Kommuniqué getan, das über die Tagung des CDU-Vorstandes herausgekommen war. In diesem Kommuniqué 'ist, wenn ich das mit nüchternen Worten einmal feststellen darf, ausgeführt worden, daß sich an der ganzen Politik ja gar nichts zu ändern brauchte, daß sie voll bestätigt sei, daß auch hinsichtlich der Militärpakte eine Änderung nicht eingetreten sei. Nun kann aber doch nicht übersehen werden, daß in jenen Novembertagen die Brüchigkeit der Militärpakte klar und deutlich geworden war. Ich will wegen der vorgerückten Stunde darauf verzichten, das im einzelnen darzulegen. Aber es ist bei Ihnen, Herr Kiesinger, heute auch angeklungen, daß die NATO einen Schaden erlitten hat, der noch nicht wieder voll beseitigt ist. Gar nicht zu reden von der Tatsache, daß die kleineren Staaten, die dem Warschauer Pakt angehören, doch praktisch nicht mehr einem Pakt angehören, der voraussetzt, daß man Vertrauen zueinander hat, sondern sie sind doch lediglich Mitglieder aus Furcht und Zittern, wenn ich so sagen darf.
    In diesem Zusammenhang habe ich das Wort gebraucht, daß derjenige, der die Dinge so darstellt, als wenn man diese Politik der brüchig gewordenen Militärpakte unverändert weitertreiben könne, ein Frevler an der Sicherheit des deutschen Volkes sei. Denn es kommt darauf an, Herr Kiesinger, daß in einer solchen Situation klar und deutlich ausgesprochen wird, wie die Dinge stehen.
    Nun ein paar Bemerkungen zu einigen anderen Fragen. Ich habe keinen Zettelkasten mitgebracht. Aber ich muß Ihnen zunächst einmal ein Zitat verlesen. Es heißt:
    Wenn die Sowietunion als Folge der Wiedervereinigung Deutschlands Beeinträchtigungen ihrer Sicherheit erwarten sollte, so sind wir durchaus bereit, das Unsrige dazu zu tun, an einem auch diese Besorgnis ausräumenden Sicherheitssystem mitzuarbeiten. Es erscheint mir wichtig, gleichzeitig mit den Beratungen, wie die Einheit Deutschlands wiederhergestellt wird, das Sicherheitssystem für Europa zu überlegen.
    Meine Damen und Herren, das sagte nicht etwa ein Vertreter der Opposition, sondern das sagte der Herr Bundeskanzler am 9. September 1955 in Moskau. Ich möchte besonders auf den letzten Satz hinweisen, aus dem doch wohl hervorgeht, Herr Kiesinger, daß es der Herr Bundeskanzler auch für notwendig hielt, daß der militärische Status eines wiedervereinigten Deutschlands vorher geklärt würde. Denn sonst wäre diese Formulierung ja nicht zu erklären.
    Nun, meine Damen und Herren, muß ich Ihnen leider — ich kann Ihnen das trotz der vorgerückten Stunde nicht ersparen — noch vorlesen, was die Bundesregierung in ihrem Memorandum, das sie nach Moskau geschickt hat, über das Sicherheitssystem gesagt hat. Sie ist ja auch dort konkret geworden. aber was sie konkret gesagt hat, ist doch aus den Debatten genommen, die in diesem Hause stattgefunden haben. Das ist im wesentlichen das, was die Redner der sozialdemokratischen Fraktion — Ollenhauer, Carlo Schmid, Wehner, Arndt, Erler, Mommer und wie sie sonst heißen mögen — zu dieser ganzen Frage beigetragen haben. Man hat sich heute hier hingestellt und so getan, als wenn man überhaupt keine Ahnung hätte, wie ein solches Sicherheitssystem wohl etwa aussehen könnte. Herr von Merkatz hat gesagt, das 'Studium dieses Memorandums sei eine außerordentlich schwierige Sache; es dauere 15 Stunden. Ich kann mir vorstellen, daß mancher vor diesen 15 Stunden zurückgeschreckt ist; aber ich habe auch bei Herrn von Merkatz den Eindruck gewonnen, daß er trotz dieses 15stündigen Studiums mindestens das, was über das kollektive Sicherheitssystem gesagt wird, nicht verstanden hat. Oder er hat es inzwischen vergessen und versucht jetzt eine neue Darstellung.
    Meine Damen und Herren, in diesem Memorandum ist über das kollektive Sicherheitssystem ausgeführt:
    Die Bundesregierung befürwortet ein europäisches Sicherheitssystem, das von einem feierlichen Verzicht aller Mitglieder ausgeht, in


    (Mellies)

    ihren gegenseitigen Beziehungen Gewalt zur Lösung politischer Fragen anzuwenden. Im Rahmen eines solchen Sicherheitssystems sollte sich jeder Mitgliedstaat verpflichten, einem Angreifer jegliche Unterstützung zu verweigern. Die Bundesregierung steht diesem Gedanken grundsätzlich positiv gegenüber. Sie wird sich auch anderen geeigneten Vorschlägen für Elemente eines Sicherheitssystems nicht verschließen. So befürwortet sie auch eine gegenseitige Beistandsverpflichtung aller Mitglieder eines europäischen 'Sicherheitsvertrags für den Fall eines bewaffneten Angriffs in Europa durch ein NATO-Mitglied auf einen nicht der NATO angehörenden Staat und umgekehrt. Soweit es Befürchtungen für ihre eigene Sicherheit sein sollten, welche die Sowjetunion veranlassen, ihre Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands zu verweigern, steht nichts im Wege, die bisherigen Überlegungen erneut auf ihre Brauchbarkeit zu überprüfen.
    Angesichts dieser ausführlichen Darlegungen der Bundesregierung in ihrem Memorandum haben hier heute eine Reihe von Rednern gefragt: Wie soll denn das aussehen? Der Herr Minister Strauß redete von schemenhaften Vorstellungen. Es ist gesagt worden: das ist ein illusionäres System, das ist eine nebelhafte Vorstellung. Ja, es ist sogar gesagt worden, das sei ein gefährlicher Vorschlag. Aber, meine Damen und Herren, ein solcher Vorschlag ist hier doch von der Bundesregierung gemacht worden.
    Der Bundesaußenminister — er ist im Augenblick anscheinend nicht im Saale — und die Koalitionsparteien haben heute doch den ganzen Tag versucht, dieses kollektive Sicherheitssystem, um es mit einem Wort zu sagen, madig zu machen. Wenn das, Herr Minister, Ihre Auffassung ist, sollten Sie im Interesse der Glaubwürdigkeit und des Ansehens der deutschen Politik einen solchen Vorschlag, wie Sie ihn 'hier gemacht haben, zurückziehen. Die heutige Debatte wird dazu führen, die Ernsthaftigkeit der Vorschläge der Bundesregierung in diesem Memorandum an die Sowjetregierung in großen Zweifel zu ziehen.
    Lassen Sie mich noch ein paar Worte zu dem Problem der Sicherheit in dem System der kollektiven Sicherheit sagen. Ich glaube, Herr Minister Strauß, auch bei Ihren Überlegungen müßte das mehr berücksichtigt werden. Man kann drei Dinge nicht übersehen, erstens einmal die Tatsache, daß mit der Schaffung eines solchen Sicherheitssystems eine ungeheure Entspannung nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt einträte, und das wäre doch schon eine wesentliche Vergrößerung der Sicherheit. Die Unsicherheit beruht doch darauf, daß heute so starke Spannungen in der Welt vorhanden sind. Die zweite Tatsache ist folgende. Darüber ist viel gesprochen worden. Sie haben eben, Herr Minister, Ihre Zweifel angemeldet, daß eine vernünftige Lösung gefunden werden könnte. Sie muß aber gefunden werden, wenn man nicht überhaupt das 'Sicherheitssystem ablehnen will, bei dem mit dem Beitrag der einzelnen Nationen die zur Sicherung notwendigen Kräfte einzusetzen sind. Und wenn dann drittens, wie es Herr Erler ausgeführt hat, mit der Garantie der beiden großen Mächte, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, praktisch deren Blockierung erfolgt, wird die Sicherheit ganz erheblich größer sein als gegenwärtig. Und nur mit einer solchen Lösung wird —
    das ist ja doch auch in der Debatte heute zum sehr
    großen Teil von Ihnen anerkannt worden — die
    Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen sein.
    Ich muß nun noch ein paar Worte zu Ihnen sagen, Herr Lenz. Man soll ja sein Licht nicht unter einen Scheffel stellen. Aber, Herr Lenz, man soll auch seine Intelligenz nicht unter einen Scheffel stellen. Es hat mir wirklich leid getan, daß Sie aus Ihrem Zettelkasten heute die Fragen herauszogen und versuchten, nun so einen Gegensatz etwa zwischen der Auffassung von Herrn Ollenhauer und meiner Auffassung zu konstruieren, obwohl Sie doch ganz genau wissen, verehrter Herr Kollege Lenz, wie der Ablauf der Dinge sein wird.
    Wir haben festgestellt — und das ist das, was ja immer wieder am Anfang gestanden hat —: Wir werden keine Verträge zerreißen; wir werden versuchen, durch Verhandlungen, durch sehr nachdrückliche Verhandlungen eine Änderung der Verträge zu erreichen. Aber wenn man das auf dem Verhandlungswege erreichen will, dann kann man das natürlich nur durch eine Vereinbarung aller Teilnehmer erreichen. 'Eine solche Vereinbarung würde doch nur erreicht werden können, wenn die bisherigen Partner wüßten, daß ihre Sicherheit durch eine solche neue Lösung nicht beeinträchtigt wird. Das heißt, praktisch könnte doch das neue Sicherheitssystem und damit das Ausscheiden der Bundesrepublik aus der NATO nur mit Zustimmung der Partner erreicht werden. Ich glaube, das ist so einfach und so klar, daß Sie nicht lange philosophische Betrachtungen darüber anstellen sollten, wie nun wohl die Äußerung von Herrn Ollenhauer oder die Äußerung von mir zu werten ist. Wie gesagt, Sie wissen es ja auch ganz genau.

    (Abg. Dr. Lenz [Godesberg] : Ich nehme Ihre Äußerungen 'ernst!)

    — Ja, ja, eben, das hoffe ich, daß Sie es tun, Herr Lenz. Aber ebenso sollten Sie auf Grund dieses Ablaufs der Dinge ganz genau wissen, wie das gemeint ist und daß man nicht dadurch, daß man die eine oder die andere Äußerung herauspickt oder die eine und die andere Äußerung nebeneinander-stellt, versuchen darf, hier Mißverständnisse, Schwierigkeiten oder Unstimmigkeiten zu konstruieren, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind.
    Meine Damen und Herren, nach der langen und ausführlichen Debatte, die heute gewesen ist, möchte ich mich auf diese kurzen Bemerkungen beschränken. Aber 'ich glaube, die Debatte des heutigen Tages hat gezeigt, daß alle Überlegungen und alle Prüfungen letzten Endes doch darin münden: die Wiedervereinigung Deutschlands wird nicht zu erreichen sein, wenn man nicht zu neuen Lösungen kommt. Wenn wir diesen Weg gehen sollen und wollen, dann sollten wir uns alle der großen Aufgabe unterziehen und dafür sorgen, daß hier Lösungen gefunden werden, die eine wirkliche Sicherheit in Europa verbürgen, die aber gleichzeitig auch die Wiedervereinigung Deutschlands bringen.

    (Beifall bei der SPD.)