Kollege Erler, darüber läßt sich reden. Solche Dinge gehen immer pari passu.
Das gilt auch für Abrüstung und Wiedervereinigung, das gilt auch für Sicherheit, Abrüstung und all diese Dinge!
— Wir machen Gebrauch von der Entscheidungsfreiheit, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, daß das ganze deutsche Volk von dieser Entscheidungsfreiheit Gebrauch machen kann! Und auf die Stunde warten wir in gemeinsamen Bemühungen.
Oder wollen Sie eine Vorwegbindung etwa von Pankow und Bonn in holder Zusammenkunft gegenüber Moskau?
— Ich sage: Wollen Sie das? Das ist ja nicht vorstellbar!
Jetzt Idarf ich auf den dritten fundamentalen Irrtum zu sprechen kommen, der einen, wenn man dieser Debatte mit innerer Anteilnahme zuhört, doch sehr beeindruckt, nämlich die Vorstellung, daß die Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems, in dem jeder innerhalb seiner Grenzen gemütlich und zufrieden leben kann — wobei für uns noch die Frage zu regeln wäre, was das bedeuten würde —, wo also „keinem von niemandem" eine Gefahr droht, daß die Ausarbeitung, die Diskussion und die Beratung eines solchen Systems — das habe ich Ihren Worten entnehmen müssen — identisch wäre mit der Wiedervereinigung Deutschlands und identisch wäre mit der Preisgabe oder Freigabe der mittel- und osteuropäischen Völker durch Moskau, daß also gewissermaßen Moskau nur darauf wartet, daß es unserem Ingenium gelingt, ein solches System vorzuschlagen, daß die Russen also darauf brennen, sich jenseits der ostpolnischen, der ostungarischen Grenze zurückziehen zu können. Das ist doch der fundamentale Irrtum. Wir können ihnen doch ein europäisches Sicherheitssystem anbieten, welches Sie wollen, — dafür zahlen sie nichts und geben keinen Quadratmillimeter preis!
Bis jetzt war doch die Frage „europäisches Sicherheitssystem" genauso eine „Optik" wie die Frage der Abschaffung und Ächtung der Atomwaffen. Da kam das Aber hinterher. Das erste war nur das Aushängeschild. Dann kamen die Voraussetzungen, daß aber selbstverständlich dann das ganze Deutschland 'demokratisch sein müsse — wobei wir uns angesichts der schauerlichen Sprachverwirrung zwischen freiheitlichen und totalitären Begriffen nicht darüber zu unterhalten brauchen, was dort „demokratisch" heißt —, daß es friedliebend sein müsse, daß es freiheitlich sein müsse, daß es gesäubert sein müsse von Militaristen, Nazis, Faschisten, Monopolkapitalisten, Junkern usw., wie diese ganze Litanei heißt, ferner daß die Errungenschaften oder Erzwungenschaften der anderen Seite auf keinen Fall angetastet werden dürften und daß dann unter diesen Voraussetzungen Bonn und Pankow sich miteinander einigen sollten, damit ihnen Moskau seinen Segen geben würde.
Das waren doch bisher die Forderungen, die von Moskau erhoben wurden. Nachdem man das schöne Wort „europäisches Sicherheitssystem", das auch in unseren Ohren gut klingt — wir sind gar nicht so dagegen —, vorausgeschickt hatte, kamen die kleinen Details. In denen steckt bekanntlich der Teufel, wie Kollege Gülich einmal in einer Rede über die EVG gesagt hat. Dann kamen die kleinen Bedingungen, und daran liegt es, daß weder Sie noch wir jemals diese Bedingungen annehmen können, weil auch Sie zwar die Freiheit des Bestehenden vielleicht noch bis zu einem gewissen Grade riskieren würden, aber sehenden Auges und bewußten Herzens zugunsten der Unfreiheit des vereinigten Ganzen die Freiheit aufgeben, — niemals!
Dann darf ich Sie auf zwei nicht fundamentale Irrtümer, aber sagen wir mißbräuchliche Definitionen hinweisen, die sich in unserem Sprachschatz sehr verwirrend auswirken. Das betrifft die Frage der Machtblöcke. Da werden zwei Machtblöcke einander gegenübergestellt. Der eine ist die NATO, der andere ist der Warschauer Pakt. Das Zentrum des einen ist Washington, das Zentrum des anderen ist Moskau, also so wie siamesische Zwillinge: verschwindet der eine, verschwindet der andere, so ungefähr.
— Gott sei Dank! 'Höchstens über unsere Köpfe hinweg, und dann könnte unsere Politik zum Teil daran schuld sein, und zwar dann, wenn wir mit 'beiden Füßen in den Wolken laufen,
über unseren eigenen Illusionen.
Aber wenn man diese beiden Blöcke vergleicht, dann muß man doch auch einmal fragen — und das ist ja seit der Ara Stalin in der praktischen Handhabung nicht viel anders geworden —: Warum ist es überhaupt zu dem Westblock gekommen? Die NATO ist doch nur deshalb gegründet worden, weil nach Kriegsende die konzentrierte Waffenmacht der Roten Armee als die integrierte Streitmacht eines ganzen Kontinents niemals aufgehört hat, im Sinne eines Blocks zu existieren. Der Block der Sowjetmacht war immer da, und dann kam der Gegenblock der NATO, denn das Ganze mit dem Warschauer Pakt war doch nur Fassade. Wenn es den Sowjets mit der Auflösung der Militärblöcke ernst wäre, dann brauchten sie den Angehörigen ihres Militärblocks nur einen Bruchteil der Entscheidungsfreiheit zu geben, die wir in vollem Umfang von der militärischen Hegemonialmacht unseres Militärblocks haben.
Das zweite ist weniger eine Sprachunschönheit als vielmehr in diesem Falle ein Stilfehler: Ist es richtig, in diesem Hause so zu tun, als ob der ehrliche, nackte, saubere Wille zur Wiedervereinigung zwischen den demokratischen Parteien der Bundesrepublik verschieden groß sei,
daß die einen die Firma Wiedervereinigung ,gepachtet haben für alle Zwecke und daß die ande-
ren die Todfeinde dieser Firma sind und nur am Rhein ihr gemütliches Leben auf Kosten der 17 Millionen, beschützt noch von den Amerikanern, sich möglichst lange angenehm gestalten wollen?
Das ist es doch nicht!
In demselben falschen Sinne wird immer wieder das Wort „Politik der Stärke" angewendet.
— Ja, wollen Sie es mich vielleicht interpretieren lassen? Dann werden Sie wohl einen anderen Zuruf machen.
—.Ja, er gehört nicht der Bundeswehr an und untersteht deshalb nicht meiner Kommando- und Befehlsgewalt.
Nur im Geiste!
Aber was heißt „Politik der Stärke"? Politik der Stärke heißt doch im Zeitalter der Atombombe, d. h. deutlicher gesagt, der Existenz der Wasserstoffbombe auf beiden Seiten, sowohl in den Händen der Machthaber des Kremls wie auch in den Händen der USA, niemals mehr, daß man durch einen militärischen Druck mit dem Risiko des dritten Weltkrieges irgendwelche territorialen Veränderungen und dann notfalls auf dem Wege der Gewalt herbeiführen will. Politik der Stärke heißt, so stark zu sein, daß die eigene Entscheidungsfreiheit nicht durch Druck von feindlicher oder unfreundlicher Seite 'beeinflußt oder ins Gegenteil verkehrt werden kann.