Die Abgeordneten Kiesinger und Lenz haben heute als Kern ihrer Ausführungen — wenn man sie ganz nüchtern nachliest — herausgestellt, daß in Wahrheit aus strategischen Erwägungen die Wiedervereinigung Deutschlands praktisch gar nicht möglich ist. Das ist der Kern der Sache, und es kommt darauf an, das einmal herauszustellen. Das bedeutet die Kapitulation der Politik vor sehr vergänglichen strategischen Erwägungen der Stunde. Das deutsche Volk hat mit einer solchen Politik öfter bittere Erfahrungen gemacht, z. B. als man im Jahre 1914 den strategischen Erwägungen des Schlieffenplans die belgische Neutralität opferte. Das ist nur ein Beispiel für manches in unserer eigenen Geschichte, an das man Sie erinnern muß, damit Sie begreifen, welche Verantwortung auf uns liegt, wenn wir für die Lösungen zur Wiedervereinigung unseres Landes uns den Weg verbauen lassen durch militärtechnische Lösungen, die auch anders angepackt werden können, wenn man den Mut zu einer anderen Lösung hat.
Es ist doch einfach nicht wahr, daß Deutschland nur gesichert werden kann, wenn es auch in Friedenszeiten bereits — das ist ja einer der Kernpunkte, um den Sie heute mit verschiedenen Umwegen so energisch gerungen haben, und das scheint mir die einzige Sicherheitsgarantie zu sein, ,die bei Ihnen gilt — Aufmarschfeld einer bestimmten Militärkoalition ist. Das ist doch der Kern der Sache.
Dazu möchte ich Ihnen etwas sagen, was Sie schmerzlich berühren wird; aber das liegt im Verlauf der geschichtlichen Liquidation des vergangenen Jahrzehnts in relativ naher Zukunft: Das hört sowieso auf! Wer seine Hoffnung darauf gründet, daß entgegen den natürlichen Gewichtsverhältnissen in der Welt auf Jahrzehnte hinaus fremde Truppen in einem anderen Lande stationiert bleiben können, der übersieht, daß ein solcher unnatürlicher Zustand, so notwendig er in Anbetracht der Wirren dieses Jahrzehnts hier gewesen sein mag, unter gar keinen Umständen von Dauer sein kann und auch nicht von Dauer sein wird.
Damit schwimmen Sie sowieso gegen den Strom. — Gut, wenn wir uns also darüber schon einig sind, daß zur Wiedervereinigung Deutschlands in der Zukunft gar nicht mehr die Anwesenheit fremder Truppen auf deutschem Boden gehört, meine Damen und Herren, welche andere Sicherheit bietet dann der Atlantikpakt als ein Beistandsversprechen, das auch in dem anderen Sicherheitspakt enthalten sein kann? Dann gibt es doch überhaupt keinen Unterschied mehr!
Hier ist beklagt worden eine Phantasielosigkeit, die sich in den Ausführungen manches Oppositionssprechers gezeigt habe. Meine Damen und Herren, können Sie sich denn gar nicht vorstellen, welche Veränderungen zum Vorteil der Sicherheit unseres Volkes mit der Wiedervereinigung Deutschlands so verbunden sind, daß demgegenüber die aus der jetzigen Spaltung geborenen strategischen Überlegungen erheblich an Gewicht verlieren?
Meine Damen und Herren! Die Wiedervereinigung ist doch nur möglich, wenn es überhaupt zwischen den beiden Großen ein anderes Verhältnis hier auf dem Kontinent gibt. Solange die beiden zähnebleckend einander gegenüberstehen, gibt es auch keine Einheit.
Deswegen ist das Problem Entspannung und Abrüstung und Wiedervereinigung e i n Problem, und unsere Aufgabe ist es, auf diesem Wege niemand anderem in den Arm zu fallen, sondern rechtzeitig durch praktikable deutsche Vorschläge den Weg zur Entspannung und Wiedervereinigung offenzuhalten und gangbar zu machen.
Meine Damen und Herren, welche Bedeutung hatte z. B. für den Ablauf der ungarischen Tragödie die Anwesenheit sowjetischer Truppen in diesem Lande! Welche Bedeutung kommt der Lageveränderung zu, wenn die sowjetische Besatzungszone und unsere östlichen Nachbarnstaaten von dem Gewicht der sowjetischen Militärmaschinerie frei werden! Ist nicht für unsere Sicherheit hier in diesem Lande damit unendlich viel mehr gewonnen, als so mancher im kleinlichen Rechnen nach bestimmten Formeln des atlantischen Denkens sich heute auszumalen vermag?
Meine Damen und Herren, in Wahrheit ist doch mancher Kleingläubige von der Vorstellung besessen: „Die Sowjetunion stimmt ja sowieso überhaupt keiner Regelung zu, wie sie auch aussehen mag. Die Sowjetunion ist also günstigstenfalls bereit, der Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen, wenn sie das andere Teil Deutschlands sich einverleiben kann, und zu gar nichts anderem ist sie zu 'bewegen."
— Ich höre hier eben ein begeistertes oder besser: ein zustimmendes „Jawohl".
— Begeistert ist es nicht, das gebe ich zu. Ich höre
hier eben ein zustimmendes „Jawohl". Dieses „Ja-
L) wohl" macht klar, daß es also keine andere Form der Einheit als die sowjetische gibt,
die wir selbstverständlich nicht zu akzeptieren bereit sind. Nach diesem „Jawohl" ist überhaupt keine Einheit für unser Volk abzusehen.
Wie will 'die Bundesregierung in dieser Situation weiterkommen? Was hat die Bundesregierung auf dem Wege zur Wiedervereinigung mit der sowjetischen Besatzungszone bisher erreicht?
— Wer war denn in der Regierung und hat die Verantwortung getragen — Sie oder wir? — Mit Wiederholung alter Erklärungen ist kein Fortschritt zu erzielen. Das Los unserer Landsleute hat sich nicht verbessert. Die Regierung hat auch die Aussichten nicht verbessert, daß eine Lösung mit der Sowjetunion gefunden werden kann. Eine Lösung g e g en die Sowjetunion, von der mancher früher einmal geredet hat, gibt es überhaupt nicht; denn das wäre die Lösung der Gewalt, die von Ihnen genauso abgelehnt wird wie von uns, denn sie würde uns nicht in Freiheit, sondern im Massengrab vereinigen, darüber sind wir uns alle einig.
Es führt also, da die Gewaltlösung ausscheidet, kein Weg an einer Vereinbarung auch mit der vierten Macht, mit der Sowjetunion, vorbei.
Die Bundesregierung hat uns auch heute wieder
— jetzt sind wir einmal am Fragen — nicht gesagt, wie sie konkret — und zwar sehr konkret — beabsichtigt, die Sowjetunion ohne Gewalt zur Zustimmung zu einer Lösung, die es hier noch darzulegen gilt, in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands zu bewegen. Hier ist vorhin vom ersten Eden-Plan die Rede gewesen. Die Bundesregierung hat ihn abgelehnt, weil er auf die Vorstellung des Nebeneinanderbestehens zweier deutscher Staaten gegründet war. Eine gefährliche Lösung! Es gab manches an diesem Plan auszusetzen. Aber es gab einen anderen Grundgedanken, den man im Bereich der praktischen Politik hätte stehen lassen können und müssen, nämlich den Gedanken, daß sich auch im Zuge von Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands zwangsläufig die Notwendigkeit ergibt, wie es der Eden-Plan unter anderen Voraussetzungen versucht hatte, zu einer Verständigung über den militärischen Status des betroffenen Gebietes zu gelangen. Dazu hätte man nicht nur mit einem Nein, sondern mit deutschen praktischen Änderungsvorschlägen aufwarten müssen.
Es ist uns hier gesagt worden, wir stellten die Dinge so dar, als sei man auf Ihrer Seite nur aus Bosheit oder Dummheit so festgefahren, daß man der Einheit nicht näher komme. Nein, meine Damen und Herren, ich sehe den Komplex viel tiefer. Wollen wir das ehrlich ansprechen! Es ist Ihr Bedürfnis nach einer so bestimmten Form der milltärischen Sicherheit, daß Sie ,an dieser Form so fest hängen, daß daran jeder politische Fortschritt scheitert.
Sie geben der militärischen 'Eingliederung in den Atlantikpakt so den politischen Vorrang, daß wegen dieser Frage kaum Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands mit Aussicht auf Erfolg weiterkommen können.
Herrn Kollegen Lenz möchte ich sagen: Die Bundesregierung und die Koalition sollen doch bei der Darlegung ihrer drei Alternativen nicht so tun, als wüßten nicht unsere westlichen Vertragspartner und die Sowjetunion, welche dieser drei Alternativen ihr politisches Ziel ist. Die beiden anderen stehen doch nur zur Wahrung des Prinzips da. Wenn das deutsche Volk wirklich die Freiheit hätte, sich nach der Wiedervereinigung für eine Form militärischer Zusammenarbeit mit dem Westen, für eine solche mit der Sowjetunion oder, wie Sie das meist darstellen, „freischwebend aufgehängt" zwischen den beiden für einen neutralen Status zu entscheiden, nun, wenn es nur diese drei Alternativen gäbe, würde ich keine Sekunde daran zweifeln, daß sich das deutsche Volk für die militärische Zusammenarbeit mit dem Westen entscheiden würde. Sie vergessen nur eins: solange jedermann in der Welt mit dieser Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit rechnen muß, so lange steht dieses ganze Gebäude in Wahrheit auf Sand; denn dieses wiedervereinigte Deutschland mit dieser Art Entscheidungsfreiheit wird es überhaupt nicht geben. Das ist die nackte Wahrheit!
— Was also nach menschlichem Ermessen, Ihren Gedanken zu Ende gedacht, dazu führt: Ergo müssen wir die Wiedervereinigung Deutschlands eben praktisch abschreiben.
— Weil weder der eine noch der andere Wegdenkbar ist.
Meine Damen und Herren! Ziel der Vorschläge der Genfer Konferenz war eindeutig, daß auch das wiedervereinigte Deutschland dem Atlantikpakt angehören sollte; denn eine Reihe von Zusagen — nicht alle, aber eine Reihe von Zusagen — an die Sowjetregierung für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands waren ausdrücklich an die Alternative der Entscheidung Deutschlands für die Zugehörigkeit zum Atlantikpakt geknüpft.
— Aber immerhin die wesentlichen, die, auf die es hier ankam. Das wissen Sie auch!
Nun ist hier gesagt worden, wenn man alle diese Fragen sehr ernsthaft mit unseren Vertragspartnern diskutieren wolle, dann genüge dazu der normale diplomatische Kontakt. Ich will gar nicht leugnen, welche Möglichkeiten die Ausnutzung der diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten bietet. Aber bis zur Stunde hat mich niemand davon überzeugt, was es eigentlich für einen Sinn hat, wenn der Deutsche Bundestag im Zusammenhang mit der Verabschiedung von Verträgen am
23. Februar 1955 eine ganze Reihe zukunftsweisender Beschlüsse faßt und man dann sagt: Ja, der Punkt, der uns da besonders auffällt, gilt nur für die nächsten 14 Tage, nämlich bis wir normale diplomatische Beziehungen haben. Der Grundgedanke dessen, was hier festgelegt worden ist, lag in den Worten:
Es soll eine ständige Kommission, bestehend aus je einem Vertreter der drei Westmächte und der Bundesrepublik Deutschland, gebildet werden, deren Aufgabe es ist, alle zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands sich bietenden Gelegenheiten zu erörtern und Vorschläge auszuarbeiten, um aussichtsreiche Verhandlungen vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, mir kann niemand sagen, daß irgend jemand in diesem Saal bei der Verabschiedung dieser Entschließung der Meinung gewesen sei, das werde 14 Tage später nur noch ein bedrucktes Stück Papier sein; denn daß man in 14 Tagen keine Kommission dieser Art mit anderen Regierungen auf die Beine bringt, das war doch völlig selbstverständlich. Hier handelte es sich um die Schaffung eines über den normalen diplomatischen Kontakt hinausgehenden ständigen Arbeitsgremiums, wie es die Bundesregierung für andere Zwecke auch geschaffen hatte.
Ich bin z. B. zweimal mit einer Anzahl von Damen und Herren dieses Hauses bei den Verhandlungen über den EVG-Vertrag in Paris gewesen und habe mir dort angesehen, wie über hundert deutsche Damen und Herren in einer Kommission, im Interimsausschuß für den EVG-Vertrag, gearbeitet haben, um mit den anderen vertragschließenden Mächten eine Reihe von Einzelheiten und Problemen zu beraten und ständig miteinander in Kontakt zu bleiben und Vereinbarungen vorzubereiten. Das macht doch auch wieder — leider! — sichtbar, daß man, vielleicht aus Hoffnungslosigkeit, vielleicht aus übertriebener Angst, eben diesen Weg der Beauftragung eines ständigen Arbeitsgremiums zwar für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft sogar mit guter Bestückung zu gehen bereit war, daß man es aber bei den sehr dornigen Problemen der Wiedervereinigung Deutschlands bei den normalen diplomatischen Kontakten bewenden ließ.
Herr Kollege Kiesinger hat gesagt, es sei fraglich, ob die Einheit Deutschlands erreicht werden könne, selbst wenn das wiedervereinigte Deutschland eben nicht dem Atlantikpakt angehören würde,
— außer Frage; gut, noch schlimmer — weil die Sowjets sogar noch eine ganze Reihe von anderen Bedingungen hätten.
Aber, meine Damen und Herren, eins ist sonnenklar: Welches auch das Schicksal anderer für uns um der Freiheit des Volkes, um unserer inneren Lebensordnung willen unannehmbarer sonstiger russischer Forderungen sein mag, die Frage der Zugehörigkeit zum Atlantikpakt ist in Wahrheit nie mit der Sowjetunion ausdiskutiert worden, und mir scheint festzustehen: mit dieser Vorstellung
gibt es die Wiedervereinigung Deutschlands auf gar keinen Fall.
— Auch da nicht. Das ist genau in der Form jener möglichen Alternativen und der Formel der Entscheidungsfreiheit geschehen, mit der ich mich eben schon auseinandergesetzt habe. Zutiefst liegt doch unserem Problem die Reflexsituation oder sagen wir richtiger: das Spiegelbild der beiden Auffassungen hüben wie drüben zur Lösung der Deutschlandfrage zugrunde. Die einen meinen, die Wiedervereinigung Deutschlands ist für uns nur in der Form erwünscht, denkbar, vorstellbar — es ist unser Ziel, wollen wir einmal sagen —, daß ganz Deutschland dem Atlantikpakt angehört. Die andere Seite, nämlich die Sowjetunion, sagt, sie will ein Deutschland — das sagt sie neuerdings mit besonderer Härte; das ergibt sich aus einer ganzen Reihe von Forderungen, die in dem Zusammenhang erhoben werden —, das eben im ganzen mit einer schweren kommunistischen Hypothek belastet ist. Aus diesem Teufelskreis kommen wir nur dann heraus, wenn wir die Bereitschaft der sowjetischen Seite zum Wegnehmen dieser Hypothek auf der Deutschlandfrage dadurch erreichen, daß wir uns bereit erklären — mehr verlangt doch gar keiner —, dann auch die westliche militärische atlantische Hypothek auf der Lösung der Deutschlandfrage wegzunehmen. Das ist eine der Kernfragen dieser ganzen Debatte gewesen.
Da ist es eigentlich ein magerer Trost, wenn der Kollege Lenz sagt: die Verhältnisse werden sich später schon ändern; dann kommen wir vielleicht ganz von selbst dazu.
--- Er hat gesagt: wenn die machtpolitischen Verhältnisse sich verändert haben. Da wurde ich etwas hellhörig. Was heißt das eigentlich? Wenn die Vorstellung bleibt, daß das wiedervereinigte Deutschland eben doch dem Atlantikpakt angehören solle und die machtpolitischen Voraussetzungen den Weg dahin ebnen sollen, dann läuft das doch praktisch auf die Kapitulation der Sowjetunion vor dieser westlichen Forderung hinaus.
Im Zusammenhang mit den machtpolitischen Veränderungen erinnert das etwas an die Politik der Stärke, an Ihren merkwürdig verschlungenen Zickzackweg, an den man Sie auch mal erinnern muß. Erst haben Sie den ganzen Wahlkampf damit bestritten, und dann ist der Bundeskanzler nach Moskau gereist. Dort hat er plötzlich gesagt: Politik der Stärke habe ich nie gemeint, das war nie meine Sache. Hier kommen jetzt wieder ähnliche Klänge wie in jener Zeit, „verändert durch die weltpolitischen Machtverhältnisse" — sprich: die auch durch die Aufrüstung der Bundesrepublik sich verändert haben —, zum Vorschein.
— Gut, ich nehme mit Befriedigung zur Kenntnis, daß nicht etwa die Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschland die weltpolitischen Machtverhältnisse so mit ändern helfen soll, damit man etwa einen Druck in Richtung auf die Wiedervereinigung aus-
üben könne. Denn so hat man es auch draußen im Lande oft und oft gehört.
Diese Vorstellung ist so gefährlich, daß ich mit Befriedigung davon Kenntnis nehme, daß sie hier auf den Bänken der Regierungskoalition von niemandem mehr vertreten wird.
— Seien Sie vorsichtig, sonst schauen auch wir in unserem Zettelkasten einmal nach, Kollege Stücklen. Ich habe da noch einiges in Erinnerung.
Da wir gerade bei dem Zickzackkurs waren, möchte ich hier noch einmal an folgendes erinnern.
— Eben, der Herr Bundeskanzler hat die größte Erfahrung auf diesem Gebiet und geht uns da mit leuchtendem Beispiel voran. — Der Herr Bundeskanzler unterzeichnete mit Präsident Eisenhower eine Erklärung über ein Sicherheitssystem, und jetzt sagt er plötzlich auf einer Pressekonferenz, er weiß gar nicht, was das ist. Das war selbst für mich hartgesottenen Sünder ein reichlich starker Tobak. Erst will er eine verdünnte Zone, dann rückt er von der Idee der verdünnten Zone wieder ab. Erst wird Elastizität zum Ausdruck gebracht — ein bißchen für den Hausgebrauch —, dann kommt der markige Männerchor mit der Gesinnung aus dem Jahre 1950, um also doch wieder die Stärke vorzutäuschen. Meine Damen und Herren, die Elastizität nützt doch gar nichts, wenn man nur davon redet. Die Elastizität ist für uns nur von Wert, wenn sie auch zu praktischen Konsequenzen für unsere Politik führt. Das ist das, worauf es dabei ankommt, und da haben wir ja heute hier ein lehrreiches Beispiel etwa in bezug auf die Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten gehört. Da ist uns gesagt worden: „Man darf die DDR nicht stärken." Meine Damen und Herren, hängt es denn allein vom formellen Bestehen diplomatischer oder handelspolitischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und osteuropäischen Staaten ab, ob die Freundschaften, die es überall draußen in der Welt gibt, ins Wanken geraten? Wer nur dieses Vorwandes bedürfte, der hätte schon die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Moskau als Vorwand benutzen können,
um aus der Solidarität auszubrechen, zumal es sich ja bei den freien Staaten durchweg um Staaten handelt, die ihrerseits selbst Missionen in den osteuropäischen Staaten unterhalten.
— Eben, das verlange ich auch gar nicht.
Es ist die Rede davon, daß die Bundesrepublik endlich in den Stand gesetzt werden soll, daß auch die osteuropäischen Staaten ohne den Vormund Moskau mit uns reden können, und daß sie endlich in den Stand gesetzt werden — so sie das wünschen, und das gilt es zu ergründen, — —
— Ach, jetzt leugnen Sie plötzlich alles, was Sie ( vorhin über die Entwicklung in Polen selber gesagt haben. — Meine Damen und Herren, es ist die Rede davon, daß diese Staaten jetzt endlich in den Stand gesetzt werden, als Deutsche die Vertreter des einzigen aus freien Wahlen hervorgegangenen deutschen Parlaments und der deutschen Regierung kennenzulernen und nicht nur jene, die man ihnen aus Pankow dorthinschickt. Das ist doch das wirkliche Problem unserer Ostbeziehungen. Da hat es plötzlich einmal Ansätze zu elastischerem Verhalten gegeben, und dann hat die Regierung das selber wieder zurückgezogen. Mit einer solchen Form merkwürdiger Elastizität ist uns kaum gedient.
Noch weniger ist uns damit gedient, wenn etwa die Kollegen Schäfer und Furler hier vor Ungeduld warnen. Meine Damen und Herren, vor dieser Ungeduld zu warnen, ist hier am Rhein eine verhältnismäßig einfache Sache.
Der Kollege Schäfer hat darauf hingewiesen, daß schon vor 1933 das Volk in Deutschland aus Ungeduld in die nationale Katastrophe hineingerannt sei. Meinen Sie nicht, daß auch die Ungeduld damals — über deren verderbliche Konsequenzen wir uns wohl hoffentlich alle einig sind — ihre Ursache in der Not von 61/2 Millionen Arbeitslosen, in der Not von vielen anderen durch die Wirtschaftskrise schwer angeschlagenen Menschen hatte, mit der auch der demokratische Staat damals leider nicht fertig geworden ist? Meine Damen und Herren, die demokratischen Kräfte müssen immer wieder zeigen, daß sie, wenn es um die Beseitigung eines dringenden Notstandes geht, diejenigen sind, die darauf drängen, daß der Notstand behoben wird.