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ID0218800200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 188. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957 10639 188. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 31. Januar 1957. Glückwünsche zum Geburtstag des Bundespräsidenten Prof. Dr. Heuss . . . . 10639 D Glückwünsche zu Geburtstagen der Abg. Raestrup und Schneider (Hamburg) . 10639 D Änderungen der Tagesordnung 10639 D, 10740 C, D Geschäftliche Mitteilungen 10651 C Beschlußfassung des Bundesrats zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestags . . . 10640 A Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 300, 315 und 316 (Drucksachen 2872, 3144; 3046, 3134; 3045, 3135) . . . 10640 A Mitteilung über Vorlage eines Zwischenberichts des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte über die Evakuiertenrückführung (Drucksache 3079) 10640 A Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (außenpolitische Lage, Wiedervereinigung Deutschlands, Sicherheitssysteme) 10640 A Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen . . . . 10640 B, 10674 C, 10707 C, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A, 10733 B Unterbrechung der Sitzung . . 10651 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 10651 D Kiesinger (CDU/CSU) . . 10651 D, 10653 A, C, 10654 A, B, 10660 B, C, 10661 A, 10662 B, 10671 B, 10675 A, 10686 B, 10701 C Dr. Mommer (SPD') . . . . 10653 A, 10727 C, 10730 D, 10732 C Erler (SPD) .. . 10653 C, 10662 B, 10698 B, 10716 D, 10727 D, 10730 B, 10730 D Mellies (SPD) 10654 A, 10735 A Unterbrechung der Sitzung . . 10664 A Ollenhauer (SPD) 10664 A, 10671 B, 10685 A Dr. Arndt (SPD) 10675 A, 10736 D, 10739 A, C Lenz (Trossingen) (FDP) 10677 B Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . 10682 A Feller (GB/BHE) 10687 A Dr. von Merkatz (DP) 10690 D Dr. Schäfer (Hamburg) (FVP) . . . 10695 D, 10698 C Wehner (SPD) . . 10700 B, 10701 C, 10705 D, 10706 B, 10708 A, D, 10709 A, D, 10710 A Rasner (CDU/CSU) . . . . 10705 D, 10706 B Dr. Furler (CDU/CSU) 10710 B Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 10715 D Strauß, Bundesminister für Verteidigung . . . . 10726 A, 10727 C, D, 10729 B, 10730 B, D, 10731 D, 10732 B, D, 10739 A, C Schmidt (Hamburg) (SPD) . . . 10729 B Mattick (SPD) 10732 A Dr. Gille (GB/BHE) 10734 A Zur Geschäftsordnung betr. Weiterberatung der Tagesordnung: Brandt (Berlin) (SPD) 10740 B Rasner (CDU/CSU) 10740 D Nächste Sitzung 10741 C Berichtigungen zum Stenographischen Be- richt der 184. Sitzung 10741 Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 10741 B Die Sitzung wird um 9 Uhr 2 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
  • folderAnlagen
    Berichtigungen zum Stenographischen Bericht der 184. Sitzung Es ist zu lesen: Seite 10178 A letzte Zeile unten „Dr. Schellenberg (SPD), zur Sache" statt „10243 B": 10234 B; Seite 10182 D Zeile 21 von unten statt „angenommen": abgelehnt; Seite 10297 Zeile 12 von unten in den Abstimmungen 5, 6 und 7: Scheel: beurlaubt; Seite 10297 Zeile 3 von unten in Abstimmung 7: Dr. Schneider (Saarbrücken): enthalten; Seite 10231 sind die vorletzte Zeile von A und die zweite Zeile von B auszutauschen. Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Arnholz 15.2. Dr. Bärsch 1.2. Berendsen 1. 2. Dr. Berg 31.1. Dr. Brühler 2. 2. Dr. Bürkel 31.1. Cillien 2.3. Corterier 1.2. Dr. Dehler 28. 2. Dr. Franz 31.1. Freidhof 1.2. Gedat 1.2. Geiger (München) 1. 2. Gockeln 2. 3. Dr. Gülich 1.2. Haasler 31.1. Dr. Hesberg 31.1. Heye 31.1. Dr. Köhler 2.3. Dr. Kreyssig 1.2. Dr. Mocker 31.1. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 31.1. Neumayer 16.3. Odenthal 15.2. Dr. Oesterle 1. 2. Op den Orth 31.1. Richter 31.1. Dr. Schmid (Frankfurt) 2. 3. Dr. Schmidt (Gellersen) 31.1. Schneider (Hamburg) 1.2. Frau Schroeder (Berlin) 15.4. Dr. Vogel 2.2. b) Urlaubsanträge bis einschließlich Frau Brauksiepe 16.2. Höfler 28.2. Diedrichsen 9.2. Meyer-Ronnenberg 23.2.
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt es, dem Bundestag heute einen Bericht über die außenpolitische Lage geben zu können. Gerade die Ereignisse der letzten Monate haben mit erschreckender Eindringlichkeit gezeigt, daß große Teile der Welt noch von einem Netz von Gegensätzlichkeiten und Spannungen überzogen sind. Diese stehen zum Teil innerlich und ursächlich miteinander in Beziehung. Aber auch dort, wo diese Wechselbeziehung fehlt, zeigt sich ein äußerer Zusammenhang, der in der zeitlichen Koinzidenz gewisser Ereignisse ebenso zum Ausdruck kam wie in der Beteiligung der gleichen subversiven oder ordnenden Kräfte.
    Wir haben es alle miterlebt und empfunden, daß die Vorgänge in einem Bereich der Welt Reflexwirkungen in anderen Teilen ausgelöst haben. Und diese Erfahrung hat wohl überall und nicht zuletzt im deutschen Volk die Erkenntnis verstärkt, daß die einzelnen Probleme nicht isoliert gesehen und gelöst werden können. Es ist kein Ausdruck der Resignation, wenn dies ausgesprochen wird. Aber sicherlich ist doch diese Erkenntnis bedrückend und in gewissem Sinne entmutigend für ein Volk wie das deutsche, das heute noch auf die Lösung einer Frage hofft, von deren Beantwortung die Zukunft Deutschlands letztlich abhängt. Denn wenn wir uns klar sind, daß auch das deutsche Problem in dieser Weise mit anderen weltpolitischen Fragen zusammenhängt, dann führt dies zwangsläufig zu der Feststellung, daß unsere eigenen Möglichkeiten in gewissem Maße beschränkt sind und daß für uns wie für die anderen daran beteiligten Staaten die Antwort voraussichtlich nur gefunden werden kann im Rahmen einer weltpolitischen Entspannung und gleichzeitig mit der Antwort auf andere Fragen, an denen wir nicht unmittelbar beteiligt sind und auf deren Lösung wir demgemäß nur geringen Einfluß haben.
    Seit den beiden letzten außenpolitischen Aussprachen im Bundestag am 28. Juni und am 8. November des vergangenen Jahres ist die weltpolitische Entwicklung nicht stehengeblieben. Das, was inzwischen geschehen ist, zu analysieren, ist in erster Linie Aufgabe der heutigen Aussprache. Eine solche Analyse wäre unvollkommen, wenn sie nicht auch die Frage einbezöge, ob die außenpolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre ihre Grundlage verloren haben und ob die politischen Tatsachen, denen wir uns heute gegenübersehen, eine Revision der Außenpolitik der Bundesregierung verlangen und, wenn wir diese Frage bejahen, in welchem Bereich und in welcher Richtung.
    Die Bundesregierung glaubt allerdings allen Anlaß zu haben, zunächst auf die erfreulichen Erfolge hinzuweisen, die die Frucht einer beständigen und glaubwürdigen Politik im Bereich der freien Welt des Westens waren. Es ist heute das erstemal, daß der Bundesminister des Auswärtigen im Deutschen Bundestag auch für das Saarland sprechen kann,

    (Beifall)

    das am 1. Januar dieses Jahres als zehntes Bundesland ein Teil der freien Bundesrepublik Deutschland geworden ist. Nach elf Jahren der Trennung und Ungewißheit ist ein Gebiet zu uns zurückgekehrt, das — sehr gegen seinen Willen — Jahrzehnte hindurch die Rolle eines umstrittenen Grenzlandes spielen mußte. Ständige Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis waren die Folge. Wir können heute mit tiefer Genugtuung feststellen, daß zum erstenmal seit 1918 wieder saarländische Abgeordnete an der gesetzgeberischen Arbeit eines in demokratischer Freiheit gewählten deutschen Parlaments teilnehmen.

    (Beifall.)

    Das Saarland darf überzeugt sein, daß sich die Bundesregierung auch im Rahmen der Außenpolitik der besonderen Verpflichtungen bewußt ist, die sie mit der Rückkehr dieses Teils Deutschlands in die Bundesrepublik übernommen . hat. Und das französische Volk und seine Regierung, die diese welthistorische Entscheidung im Geiste wahrer Freundschaft und verständnisvoller Zusammenarbeit mit uns gemeinsam herbeigeführt haben, dürfen gewiß sein, daß die Bundesrepublik alles tun wird, was in ihrer Macht steht, um die engen, freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem deutschen und dem französischen Volke zu vertiefen, zu einer engen politischen Zusammenarbeit beizutragen und die kulturellen, wirtschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen diesen beiden Völkern auszubauen.

    (Beifall.)

    Meine Damen und Herren, Frankreich und Deutschland haben in einer Welt, die unter der Unordnung leidet, in einer Zeit, die von Spannungen erfüllt ist, in einer Atmosphäre, die durch Mißtrauen und Angst vergiftet ist, einen überzeugenden Beweis dafür erbracht, daß es möglich ist, Interessengegensätze auszugleichen und die Zusammenarbeit von Völkern zu verwirklichen, wenn sie


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    sich nur zu den gemeinsamen Grundsätzen des
    Friedens, der Freiheit und des Rechts bekennen.

    (Erneuter Beifall.)

    Hier, im Herzen des europäischen Kontinents, vollzog sich also eine Entwicklung, die die ganze Welt sorgfältig hätte registrieren müssen. Statt dessen blieb dieses Geschehen leider beinahe unbeachtet. Die bedrohlichen Ereignisse in anderen Teilen der Welt überschatteten es.
    Im Nahen Osten konnte — nicht zuletzt durch die Intervention der Vereinten Nationen — eine akute Gefahr ausgeräumt werden. Entscheidende Fragen in diesem Raum harren noch ihrer Lösung. Trotzdem scheint es, daß seit dem 8. November, dem Tag also, an dem die Bundesregierung letztmals zu diesem Fragenkomplex Stellung nahm, erfreulicherweise eine merkbare Beruhigung in diesem Raum eingetreten ist und daß darum heute die Gefahr der Auslösung eines weltweiten Konfliktes durch den gewaltsamen Austrag gegensätzlicher Interessen als gebannt angesehen werden kann.
    Drei Ereignisse haben dazu in besonderer Weise beigetragen. Einmal war es den Ordnungskräften der Vereinten Nationen möglich, nach dem vollständigen Abzug der britischen und französischen Verbände aus dem Bereich des Sueskanals in diese Zone und auch in die Sinai-Halbinsel einzurücken. Ein Übereinkommen zwischen Ägypten und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen schuf die Voraussetzungen für den Beginn der Räumungsarbeiten im Sueskanal. Und letztlich hat die NahostErklärung des amerikanischen Präsidenten Eisenhower vom 5. Januar 1957 entscheidend zu einer Klärung der politischen Verhältnisse in diesem Bereich der Welt beigetragen.
    Der Herr Bundeskanzler hat bereits in der letzten Regierungserklärung die Bereitschaft der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu der Beseitigung der Spannungen im Nahen Osten beizutragen. Die Bundesregierung steht darum auch in einem laufenden Meinungsaustausch mit den verbündeten und befreundeten Nationen, um an der Erreichung dieses Ziels mitzuwirken. Sie hat dieser Bereitschaft äußeren Ausdruck gegeben durch den Beschluß, dem Ersuchen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu entsprechen und für die Kosten der Räumung des Sueskanals dieser Organisation vorschußweise den Betrag von 1 Million Dollar zur Verfügung zu stellen.
    Die Bundesregierung möchte auch heute und von dieser Stelle aus ihrer besonderen Genugtuung über die Erklärung Ausdruck geben, die der Präsident der Vereinigten Staaten am 5. Januar dem Kongreß unterbreitet hat. Wir haben heute in der Zeitung gelesen, daß das Parlament in Washington diese Erklärung mit überwältigender Mehrheit gebilligt hat, diese Erklärung, die in der Weltöffentlichkeit als „Eisenhower-Doktrin" bekannt wurde. Die Bundesregierung betrachtet diese Grundsätze als einen mutigen und entschlossenen Beitrag zur Erhaltung des Friedens im Nahen Osten ebenso wie zu einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung der Völker des Nahen Ostens und zu einer Befriedung ihrer gegenseitigen Verhältnisse. In der Tat wäre es für diese Völker und für die gesamte freie Welt eine unsagbare Tragödie, wenn sie das Opfer einer bewaffneten Aggression einer durch den internationalen Kommunismus kontrollierten Nation würden. Lauten Protest gegen diese Doktrin hörte man nur dort, wo man mit Recht befürchtet, daß die Befriedungsaktion der Verwirklichung subversiver machtpolitischer Ziele im Wege steht.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die Bundesregierung ist darum auch entschlossen, die Politik der Vereinigten Staaten, wie sie in dieser Erklärung ihren Ausdruck fand, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen. Sie erkennt ohne Einschränkung an, daß diese Erklärung getragen war von einem tiefen Verantwortungsgefühl für den kulturell, wirtschaftlich und politisch gleichermaßen bedeutsamen nahöstlichen Raum. Die Verwirklichung der Ziele dieser Erklärung liegt sowohl in unserem eigenen Interesse als auch im Interesse der selbständigen Entwicklung der nahöstlichen Völker, mit denen das deutsche Volk die bestehenden guten freundschaftlichen Beziehungen aufrechtzuerhalten und auszubauen wünscht.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Demgegenüber hat die Entwicklung im Bereich des Ostblocks uns alle mit tiefer Sorge erfüllt. Das, was sich dort in den letzten Wochen und Monaten ereignet hat, hat auch den Ernst unserer eigenen Lage deutlich werden lassen. Als der Herr Bundeskanzler vor dem Hohen Hause die letzte Regierungserklärung abgab, standen wir alle noch unter dem frischen Eindruck der erschütternden Ereignisse in Ungarn. In den Monaten, die seitdem vergangen sind, ist es der Sowjetunion nur unter Einsatz ihrer ungeheuren militärischen Machtmittel gelungen, die äußere Ruhe in diesem unglücklichen Land wiederherzustellen. Sowjetrussische Truppen, ungarische Staatspolizei, Sondergerichte, Deportationen haben den Freiheitskampf des ungarischen Volkes offenbar vorläufig beendet. Aber wir alle wissen es, daß der Freiheitswille dieses Volkes noch ungebrochen ist, und die Bundesregierung bezeugt dem mutigen ungarischen Volk für diese Haltung ihre uneingeschränkte Achtung und Anerkennung;

    (Beifall bei den Regierungsparteien, bei der FDP, beim GB/BHE und bei Abgeordneten der SPD)

    sie hofft und wünscht, daß die schweren Opfer nicht vergeblich waren und am Ende dem ungarischen Volke doch das Recht zur freien Selbstbestimmung vermitteln werden.
    Aber auch in anderen Teilen des sowjetrussischen Machtbereichs begannen sich freiheitliche Kräfte zu rühren. Die bescheidene Lockerung der Zügel nach dem XX. Parteikongreß hat dazu geführt, daß überall Risse im Sowjetimperium sichtbar wurden. Die schwere innere Krise hat dazu geführt, daß die Regierung der Sowjetunion im Bereich ihres Satellitensystems zu den Methoden zurückkehrte, die noch vor wenigen Monaten unter dem Schlagwort der sogenannten Entstalinisierung verurteilt worden waren. Die These, daß jedes Land seinen eigenen Weg zum Sozialismus beschreiten könne, eine These, die bekanntlich noch im Jahre 1956 die Grundlage für die Versöhnung zwischen Marschall Tito und den sowjetischen Führern bildete, gilt heute nicht mehr. Zwar will man noch gewisse Unterschiede in den Formen und Methoden des sozialistischen Aufbaus anerkennen, die grundlegenden Wege zum Sozialismus müssen aber für alle Länder identisch sein.


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    Von neuem erhebt die Kommunistische Partei der Sowjetunion den unbedingten und absoluten Führungsanspruch, dem sich alle anderen Länder des Sowjetblocks unterzuordnen haben. Zuletzt war es der rotchinesische Ministerpräsident Tschu En Lai, der den Auftrag übernahm und durchführte, den Stalinismus wieder zu Ehren zu bringen. Die Erklärungen, die dieser Staatsmann in Warschau, in Breslau und in Budapest abgab, sollten die ganze freie Welt mit ernster Sorge erfüllen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Sie offenbaren eine echte oder erzwungene Solidarität mit der Gewaltpolitik der Sowjetunion, die in jedem Falle geeignet ist, die Gefahr aufzuzeigen, die der freien Welt des Westens auch heute noch vom Ostblock her droht.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Es macht keinen entscheidenden Unterschied, ob man annimmt, daß diese Haltung des chinesischen Regierungschefs dem eigenen gesteigerten Machtbewußtsein entspricht, oder ob man glaubt, daß sie eine gewisse innere Schwäche des Sowjetsystems verrät, das sich eine solche Unterstützung sichern mußte.
    Als im vergangenen Herbst die ersten Krisenerscheinungen im sowjetischen Machtbereich sichtbar wurden, gab es Menschen in allen Teilen der Welt, die große Erwartungen an eine Entwicklung knüpften, die sie herbeisehnten. Zuweilen trat die nüchterne Erkenntnis hinter dem Wunschdenken zurück. Man war häufig geneigt, wohlformulierte Erklärungen ernst zu nehmen, die heute längst verklungen sind und keine Gültigkeit mehr haben. Wir müssen uns heute Rechenschaft darüber I geben, daß — leider — von allen diesen Wunschvorstellungen so gut wie nichts übriggeblieben ist.
    Wer damals behutsam äußerte, daß es vielleicht die Methode, die Taktik sei, die sich geändert habe, daß aber das Ziel unverrückbar das gleiche bleibe, sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, daß er die Zeichen der Zeit nicht verstehe

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    und daß er nicht die nötige Phantasie aufbringe, um geänderten politischen Verhältnissen zu begegnen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Zuweilen galt es schon als Zeichen unverantwortlicher Aggressivität, wenn man es wagte, die guten
    Absichten der Sowjetunion in Zweifel zu ziehen.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Nur mit tiefem Bedauern stellt die Bundesregierung fest, daß die Hoffnungen und Wünsche der Gutwilligen und allzu Gutgläubigen nicht in Erfüllung gegangen sind. Schien es vorübergehend so, daß auch im Bereich des Sowjetblocks eine Entwicklung begonnen habe, die zu einer größeren Freiheit der unterdrückten Menschen führen werde, so müssen wir heute mit Trauer feststellen, daß die Sowjetunion das Rad dieser Entwicklung aufgehalten, ja zurückgedreht hat. Die Konferenz, zu der die folgsamsten Satelliten der Sowjetunion zu Beginn dieses Monats nach Budapest einberufen wurden, bot wahrhaftig ein makabres Schauspiel. Sollte vielleicht der Anblick dieser zerstörten Stadt ihnen klarmachen, wie schrecklich die Konsequenzen einer Auflehnung gegen den Willen der Machthaber im Kreml sind? Angesichts dieser Trümmer und inmitten des niedergeschlagenen ungarischen Volkes mußten sie feierliche Erklärungen abgeben, daß sie das Vorgehen der Sowjetunion in Ungarn gutheißen und sich zu der Einheit des sozialistischen Lagers unter sowjetrussischer Führung bekennen.
    Es klingt wie eine Herausforderung, wenn man dann liest, wie von den Verfechtern der Einheit des Sowjetblocks immer wieder ein Argument ins Feld geführt wurde, das auch uns unmittelbar berührt: die Gefahr, die diesen Völkern angeblich von der westlichen Welt, von Amerika und von der Bundesrepublik Deutschland drohe. So wurde insbesondere dem polnischen Volk eingeredet, daß es durch die deutsche Aufrüstung, durch den deutschen Imperialismus und durch den deutschen Revisionismus bedroht sei. Alle die Stimmen, die einer Verständigung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volke das Wort redeten, wurden überhört.
    Innerhalb und außerhalb Deutschlands wurde dabei auch die Frage der deutschen Ostgebiete in die öffentliche Diskussion einbezogen. Was dazu gesagt wurde, war nicht immer glücklich und beruhte nicht immer auf ausreichender Sachkunde.

    (Sehr richtig! beim GB/BHE.)

    Es gilt das auch, meine Damen und Herren, von einer Erklärung des Herrn Bundesratspräsidenten, die allerdings heute in einer Weise richtiggestellt ist, die wohl kaum mehr eine falsche Interpretation zuläßt.

    (Lachen und Zurufe von der SPD.)

    — Ich glaube, wir haben nachher eine Aussprache, meine Damen und Herren.
    Die Bundesregierung hat wiederholt in feierlichen Erklärungen ihren Standpunkt zu diesen Fragen dargelegt. Mit ihren Bündnispartnern ist sie darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland aufgeschoben werden muß. Nur eine gesamtdeutsche Regierung und eine vom ganzen Volk gewählte Volksvertretung sind legitimiert, diese Entscheidung über die künftigen deutschen Ostgrenzen zu treffen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die Bundesregierung hält daran fest, daß die Verhandlungen hierüber keinen Zweifel daran lassen dürfen, daß für den völkerrechtlichen Gebietsstand Deutschlands die Grenzen des Deutschen Reiches am 31. Dezember 1937 maßgeblich sind und daß das deutsche Volk die Oder-Neiße-Linie nicht als gegenwärtige oder künftige Grenze Deutschlands akzeptieren kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der FDP und des GB/BHE.)

    Sie hält aber auch daran fest, meine Damen und Herren, daß eine Lösung der Grenzfrage nur auf dem Verhandlungswege denkbar ist und ohne jede Androhung oder gar Anwendung von Gewalt erfolgen muß. Die Bundesregierung hält es für nötig, diese Erklärung auch heute zu wiederholen. Sie weiß sich der Zustimmung des Deutschen Bundestages und des deutschen Volkes sicher, also auch der Deutschen, deren Heimat östlich der Oder-Neiße-Linie liegt und die sich in der Charta der Vertriebenen mit gleicher Eindringlichkeit zu einer


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    friedlichen Regelung der Grenzfrage und zum Gewaltverzicht bekannt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aber die Entwicklung im Osten, die neue, besorgniserregende Perspektiven erkennen läßt, veranlaßt die Bundesregierung, ihre Politik gegenüber diesen 'Bereichen immer wieder von neuem sorgsam zu überprüfen. Nach Auffassung der Bundesregierung würde es dem europäischen Frieden und dem gemeinsamen Interesse der Völker in Ost- und Mitteleuropa dienen, wenn die Grundsätze anerkannt würden, die ich namens der Bundesregierung am 13. Dezember 1956 vor dem Ministerrat der NATO entwickelt habe und die dort allgemeine Zustimmung gefunden haben. Ich möchte diese Grundsätze heute auch hier und vor Ihnen wiederholen.
    1. Alle friedliebenden Völker sollten das Recht der osteuropäischen Völker auf Selbstbestimmung und Bestimmung ihrer eigenen Regierung in voller Freiheit unterstützen.
    2. Die politische Ordnung in den osteuropäischen Staaten soll auf den Grundsätzen der nationalen Unabhängigkeit, der Souveränität und der Ausschaltung jeglicher imperialistischen Unterdrückung kleiner Lander begründet sein.
    3. Alle osteuropäischen Staaten sollen das Recht haben, in voller Freiheit über die soziale Ordnung in ihrem Lande zu entscheiden.
    4. Die innere Entwicklung in den osteuropäischen Ländern soll nicht durch militärische Gewalt, durch Drohungen oder durch politischen und wirtschaftlichen Druck beeinflußt werden.
    Und 5. Es sollen keine Verstöße gegen die Menschenrechte der Bevölkerungen der osteuropäischen Länder geduldet werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! In ihrem Kommuniqué über die Ergebnisse der Dezembertagung haben die Mitglieder des Ministerrates der NATO ihrer Zustimmung zu diesen Grundsätzen Ausdruck verliehen mit den Worten:
    Die Völker Osteuropas müssen das Recht haben, ihre Regierungen frei und unabhängig von äußerem Druck und von Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung zu wählen und nach eigenem freiem Willen über die politische und soziale Ordnung zu entscheiden, unter der sie leben wollen.
    Das Verhältnis der Bundesrepublik zur Sowjetunion konnte von diesen Ereignissen, wie schon früher gesagt wurde, nicht unberührt bleiben. Sympathie und Mitgefühl verbinden uns wie alle Nationen der freien Welt mit den Völkern, die um ihre Freiheit kämpfen. Niemand wird ernstlich von dem deutschen Volk Verständnis oder gar Sympathie für diejenigen erwarten, die den Freiheitskampf blutig unterdrücken.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hier handelt es sich nicht um gefühlsbedingte Erwägungen, die man aus dem Bereich des politischen Denkens und Handelns ausschalten könnte. Gerade für das deutsche Volk gibt es keinen mittleren Weg und kein Bekenntnis zur Wertneutralität. Wir wissen zu unterscheiden zwischen Freiheit und Unfreiheit, zwischen Recht und Unrecht, und wir müssen dieses Unterscheidungsvermögen auch behalten, wenn wir den Kampf um die Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Frieden und Freiheit tatsächlich bestehen wollen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es geht um absolute Wertbegriffe, die keine Ausdeutung vertragen. Die Bundesregierung verfolgt darum auch mit Sorge jede Äußerung, die ein Abweichen von dieser eindeutigen Haltung erkennen oder sich dahin ausdeuten läßt.
    Wenn die Bundesregierung es als das Ziel bezeichnet hat, das deutsche Volk in Frieden und Freiheit wiederzuvereinigen, dem ganzen deutschen Volk den Segen einer rechtsstaatlichen Ordnung zu vermitteln und eine wirksame Sicherheitsgarantie dafür zu verlangen, daß Frieden, Freiheit und Recht im wiedervereinigten Deutschland nicht gefährdet sind, dann weiß sie wohl, daß sie angesichts der weltpolitischen Lage damit viel verlangt, aber nicht zuviel.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Es wird viel über den Preis diskutiert, den wir für die Wiedervereinigung entrichten sollen. Diese Formulierung ist nicht glücklich. Das Wort „Preis" wird hier in einem Zusammenhang gebracht, in dem es nicht auftauchen sollte.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Aber wie man auch die Konzessionen nennt, die Deutschland wohl machen muß, um das Ziel der Wiedervereinigung zu erreichen: sie dürfen nicht in einer Schmälerung oder Gefährdung der Freiheit, des Rechts und der Sicherheit beruhen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer es einmal zuläßt, daß man die Freiheit einschränkt, leugnet den absoluten Wert und degradiert den Freiheitsbegriff zum Gegenstand politischen Handels.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Wer glaubt, daß eine rechtsstaatliche Ordnung noch bestehen könne, wenn man Unrechtstatbestände legalisiert, leugnet die unverbrüchliche Gültigkeit des Rechts für alle.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wer die Auffassung vertritt, daß die Wiedervereinigung auch um den Preis der Sicherheit des deutschen Volkes eingehandelt werden müsse, muß sich klar sein, daß er glaubt, sich auf einen Damm verlassen zu können, der schon gebrochen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Gerade das Schicksal der Völker im Satellitenbereich zeigt, daß Konzessionen in diesen Gebieten ein Volk unweigerlich in den Abgrund der Abhängigkeit, der Rechtlosigkeit und der Friedlosigkeit führen.

    (Abg. Dr. Bartram: Leider wahr!)

    Aus dieser Überzeugung ergeben sich aber auch die Konsequenzen für die Gestaltung unserer Außenpolitik. Es ist selbstverständlich — die Bundesregierung hat es oft genug betont —, daß sie immer bereit war und immer bereit sein wird, ihre politischen Entscheidungen den realen politischen Gegebenheiten anzupassen. Politik ist etwas Lebendiges. Sie kann in ihrer Ausdrucksform nicht starr sein; aber sie muß konsequent sein. Unentschlossen-


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    heit und Wankelmut sind nicht der Ausdruck bessere, sondern mangelnder Erkenntnis.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Haben Sie das dem Kanzler gesagt?)

    Sie sind kein Zeichen größerer, sondern ein Zeichen fehlender Verantwortungsbereitschaft.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung hält es darum auch für notwendig, gewisse mißverständliche Interpretationen und Kommentare richtigzustellen und eindeutig zu erklären, daß ihre Außenpolitik sich nicht gewandelt hat.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Die weltpolitische Lage kann sich zu jedem Zeitpunkt entscheidend ändern.

    (Lachen und Zurufe bei der SPD.) — Ist Ihnen das unbekannt?


    (Erneutes Lachen und Zurufe bei der SPD. — Unruhe in der Mitte.)

    Wir haben das in der Vergangenheit häufig erlebt, und es ist selbstverständlich, daß auch die Zukunft uns vor neue Aufgaben und vor neue Entscheidungen stellen wird. Wie in der Vergangenheit wird die Bundesregierung auch in Zukunft niemals zögern, dieser veränderten Lage Rechnung zu tragen. Sie wird aber dabei — und das ist eines der unabdingbaren Kriterien unserer Außenpolitik von gestern und von morgen — ihre außenpolitischen Entscheidungen immer mit ihren Verbündeten abstimmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Das ist nicht nur eine papierene Verpflichtung, die sich aus den Vertragssystemen ergibt, in die die Bundesrepublik aus freiem Entschluß eingetreten ist; es ist vielmehr die Konsequenz aus einer Erkenntnis, von der ich eingangs sprach, daß nämlich die Aufgaben und Probleme eines Volkes heute nicht mehr isoliert betrachtet und gelöst werden können

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und daß gerade das deutsche Volk auf die vertrauensvolle und freundschaftliche Zusammenarbeit mit der freien Welt und auf die politische und moralische Unterstützung dieser Staaten angewiesen ist. Das ist keineswegs ein Eingeständnis eigenen Unvermögens und noch weniger der Ausdruck der Unentschlossenheit oder der Versuch, eigener Verantwortung mit dem Hinweis auf die Mitverantwortung anderer auszuweichen.
    Manche Vorstellungen, die sich einmal an den Begriff der „Großmacht" geknüpft haben, besitzen heute keine Gültigkeit mehr. Keine europäische Nation, mag sie kleiner oder größer sein, ist heute noch in der Lage, ihre Zukunft allein und auf sich selbst gestellt zu bestimmen, ihre Sicherheit allein und aus eigener Kraft zu gewährleisten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung kennt die kritischen Stimmen, die sich gegen eine Politik der Bündnisbindungen wenden. Es ist eine beliebte Formulierung geworden, zu erklären, daß die unerträgliche Teilung der Welt in sogenannte Machtblöcke nicht fortdauern dürfe. Und es gibt Stimmen in diesem Chor, die sagen, daß Deutschland den mutigen Entschluß fassen müsse, den Anfang zu machen, sich aus dieser Verstrickung in Machtblöcke und zwischen Machtblöcken zu lösen und eine eigenständige Politik zu treiben. Aber die Bundesregierung glaubt, mit aller Klarheit aussprechen zu müssen, daß diese Vorstellungen abwegig sind, daß sie einer irrealen Betrachtungsweise entstammen und daß ihre Befolgung tödliche Gefahren für das ganze deutsche Volk mit sich bringen würde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist eine Simplifizierung der weltpolitschen Lage, wenn man von den zwei hochgerüsteten Machtblöcken spricht, die sich gegenüberstehen und deren Existenz eine friedliche Koexistenz der Völker gefährde oder unmöglich mache. Die Wirklichkeit sieht anders ,aus. Die Bundesregierung weiß sich in voller Übereinstimmung mit der Feststellung, die der Präsident der Vereinigten Staaten in seiner State of the Union Message am 10. Januar getroffen hat. Er hat darin ausgeführt, die Weltlage werde gekennzeichnet durch die Existenz einer hochgerüsteten imperialistischen Diktatur, die eine ständige Bedrohung der Sicherheit und des Friedens der freien Welt darstelle.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Mit tiefer Genugtuung hat die Bundesregierung auch die Feststellung zur Kenntnis genommen, daß für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten der Wohlstand und die Sicherheit Westeuropas sowie derjenigen Nationen entscheidend sei, die sich als zuverlässige Verteidiger der Freiheit erwiesen haben.
    In der Tat ist es nicht so, daß sich zwei hochgerüstete Machtblöcke gegenüberstehen, deren Antagonismus den Weltfrieden bedrohe. Es ist schlechthin unrichtig, eine solche Feststellung zu treffen; denn man vergleicht damit in Wahrheit zwei inkommensurable Größen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Richtig ist vielmehr, daß nach dem zweiten Weltkrieg die Sowjetunion eine Politik der Aggression, des Imperialismus und des Kolonialismus getrieben hat, die mit der Politik anderer, auch großer und mächtiger Lander überhaupt keinen Vergleich gestattet.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Entstehen dieses zwar von inneren Spannungen bedrohten, aber in seinem ungehemmten Streben nach Macht und Herrschaft unerschütterten Machtblocks hat überhaupt erst dazu geführt, daß die Völker der freien Welt sich zur Erhaltung und Sicherheit der ,eigenen Freiheit zusammenschlossen. Und man kann diese in ihrer inneren Form und in ihrer äußeren Zielsetzung so völlig unvergleichbaren Erscheinungen nicht einfach gegenüberstellen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Der innere Widerspruch einer solchen gefährlich vereinfachenden Darstellung wird am klarsten sichtbar, wenn man etwa Konstruktion und Aufgaben der Westeuropäischen Union mit denen des Warschauer Paktes vergleicht.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    In der Westeuropäischen Union haben sich freie Völker aus eigenem Entschluß zusammengefunden


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    mit dem Ziel, durch eine durch gemeinsame Vereinbarungen begrenzte und kontrollierte Rüstung das Mindestmögliche zu tun, um einer gemeinsamen Gefahr zu begegnen. Die innere Freiheit in diesen Ländern und die parlamentarische Kontrolle, die durch frei gewählte Parlamente ausgeübt wird, schließen den Mißbrauch dieses Instruments schlechthin aus. Oder glaubt wirklich jemand in der Welt, daß England, Frankreich, Holland, Belgien, Luxemburg, Italien und nicht zuletzt die Bundesrepublik die Absicht hätten, ihre Nachbarvölker anzugreifen, sie ihrer Freiheit zu berauben, sie zu unterjochen und sie auf den primitivsten Zustand eines längst verklungenen Kolonialismus herabzuwürdigen?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Oder zweifelt ernstlich noch jemand in der Welt, der die Ereignisse der letzten Jahre mit offenen Augen verfolgt hat, an der Zielsetzung des sogenannten Warschauer Paktes, einer Organisation, in der unfreie Völker unter die Herrschaft einer hochgerüsteten Diktatur gezwungen wurden, einer Diktatur, die bis in die jüngste Zeit hinein niemals einen Zweifel daran gelassen hat, daß die Unterwerfung der freien Völker und die Beherrschung der Welt im Weltkommunismus ihr letztes, unverhülltes Ziel ist?
    Und wenntatsächlich jemand daran gezweifelt haben sollte, dann müßten die Ereignisse der letzten Monate, von denen ich schon sprach, auch einem Blinden die Augen geöffnet haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Die schauerliche Tragödie, die sich vor den Augen der Welt in Ungarn abgespielt hat und bis zur Stunde noch andauert, zeigt in letzter Eindringlichkeit den Unterschied zwischen den beiden Machtblöcken, die so gerne in einem Atemzug genannt und beschuldigt werden.
    Ich tue es ohne jedes Gefühl der Genugtuung, wenn ich namens der Bundesregierung feststelle, daß die Ereignisse des letzten halben Jahres die gemeinsame Politik der Bundesrepublik und ihrer Verbündeten in erschreckender Weise bestätigt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Bundesregierung wird darum auch nicht in ihren Bemühungen nachlassen, den möglichen Gefahren mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu begegnen und zu diesem Zweck das innere Gefüge der westlichen Staatengemeinschaft zu stärken. Wir haben es erlebt, und wir sollten es nicht leugnen, daß auch das Bündnissystem des Westens gewisse Sprünge gezeigt hat.

    (Zurufe von der SPD: Na also!)

    Wir haben darüber nachzudenken, warum das möglich war, aber mehr noch, dafür zu sorgen, daß diese Gemeinschaft der freien Welt wieder zusammenwächst und aus der Krise gestärkt hervorgeht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Schmidt [Hamburg]: Aber eine Krise war es doch!)

    Das war auch die Aufgabe der Bundesregierung bei der letzten Sitzung des Ministerrates der Nordatlantischen Gemeinschaft.
    Manche Kritiker, die nicht in der Regierungsverantwortung stehen, haben zuweilen mit der perversen Genugtuung des Selbstmörders ausgesprochen, daß die NATO durch die Ereignisse im Nahen Osten auseinandergefallen sei,

    (Oh-Rufe bei der SPD)

    daß die 'westliche Gemeinschaft gespalten sei

    (fortgesetzte Zurufe von der SPD)

    — ja, das haben Sie gesagt, meine Damen und Herren —,

    (Zuruf von der SPD: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)

    daß das Verteidigungsbündnis weitgehend aufgelöst oder mindestens in seinem Wesensgehalt ernstlich bedroht sei. Ich glaube, mit Genugtuung feststellen zu können, daß alle diese düsteren Prophezeiungen, die zuweilen auch unausgesprochene Wünsche enthielten, nicht in Erfüllung gegangen sind.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Im Gegenteil, diese Krise, von der ich sprach, hat die Erkenntnis der Notwendigkeit einer stärkeren politischen Koordinierung gerade auch im Rahmen der Nordatlantischen Gemeinschaft nur gestärkt. In einer Gemeinschaft freier und im guten Sinne des Wortes souveräner Völker kann es stets Differenzen geben. Das unterscheidet eben eine solche Gemeinschaft von Systemen, die nur der Gewalt und der Unterjochung Entstehen und Fortbestehen verdanken. Aber ich glaube, daß die Meinungsverschiedenheiten im Rahmen der Nordatlantischen Gemeinschaft ein Zeichen der inneren Freiheit und Unabhängigkeit sind, die wir uns für unsere Völker allerdings wünschen,

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    und daß es besser um uns bestellt ist, wenn wir diesem sogenannten Machtblock angehören als dem östlichen. Die Methode, in der Meinungsverschiedenheiten im östlichen Bereich gelöst werden, haben wir in Ungarn erlebt. Es wird wohl kaum einen Menschen geben, der so wahnwitzig wäre, angesichts dieser Entwicklung noch weiterhin diese beiden Machtblöcke in einem Atemzug zu nennen und ihre Existenz für den Unfrieden und die Unordnung in der Welt gleichermaßen verantwortlich zu machen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wenn sich solche Differenzen in einer auf Freiheit begründeten Gemeinschaft ergeben, dann besteht immer die Möglichkeit, im offenen und vertrauensvollen Meinungsaustausch mit den anderen Mitgliedstaaten zu einer Klärung zu gelangen. Das ist im Dezember im Ministerrat der Nordatlantisehen Gemeinschaft geschehen. Alle Mitglieder der Nordatlantischen Gemeinschaft haben zur Beseitigung der Spannungen und Mißverständnisse beigetragen, und alle waren und sind bereit, aus den Erfahrungen zu lernen. Die Tatsache, daß der Bericht der drei beauftragten Außenminister — Italiens, Norwegens und Kanadas — einstimmig angenommen wurde, ist der beste Beweis für meine Feststellung. Dieser Bericht, der übrigens weitgehend den deutschen Vorstellungen und Vorschlägen entsprach, soll einer engeren Zusammenarbeit dienen und soll diese enge Zusammenarbeit im Wege der laufenden Konsultation sicherstellen.
    Ich könnte vieles anführen, um diese Feststellung zu bekräftigen. Ich begnüge mich, auf die Ausführungen zu verweisen, die gerade vor wenigen


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    Tagen der norwegische Außenminister Lange — Ihnen (zur SPD) kein Unbekannter — in der Debatte zur Thronrede gemacht hat, und auf den Bericht, den der Präsident der auswärtigen Kornmission im norwegischen Storting, Fin Moe — auch vielen in diesem Hause bekannt —, im Storting erstattet hat. Ich möchte schon in Vorwegnahme einer späteren Feststellung unterstreichen, was er gesagt hat. Er bezeichnete es als besonders bedeutungsvoll, daß der Westen jetzt wieder eng zusammengeschweißt sei, und bezeichnete es als eine überaus gefährliche Illusion, zu glauben, daß eine eigene europäische Sicherheitsordnung ohne amerikanische Mitwirkung und außerhalb der Nordatlantischen Gemeinschaft überhaupt möglich sei.
    — Der Sprecher gehört nicht der Regierungskoalition in Bonn an.

    (Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Sehr geistvolle Feststellung! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    — Ja, wenn Sie es nicht hören wollen, meine Damen und Herren, — ich kann nichts dazu, daß er Sozialist ist.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Mellies: Sehr geistvoll, Herr Minister! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ich erinnere an die State of the Union Message mit der unzweideutigen Erklärung des Präsidenten, eine enge Zusammenarbeit mit den Alliierten sei unerläßlich, und zwar im System der Regionalpakte, die alle Zerreißproben überstanden hätten. In gleicher Weise ist die Bundesregierung bestrebt, die Westeuropäische Union weiterhin zu stärken und auszubauen. Diesem Ziel wird auch eine Tagung des Ministerrats dieser Union dienen, die 'auf Einladung des englischen Außenministers voraussichtlich noch im nächsten Monat in London stattfinden wird. Nach der Vorstellung der Bundesregierung gilt es — für die Westeuropäische Union ebenso wie für die Nordatlantische Gemeinschaft —, aus diesen Organisationen lebendige politische Instrumente zu machen, die nicht nur die gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen unterstützen, sondern einer stärkeren Koordinierung aller politischen Entscheidungen dienen sollen.
    Das gilt nicht minder für die Bemühungen der Bundesregierung um die Verwirklichung der europäischen Integration.
    Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratische Partei hat vor wenigen Tagen unter der Überschrift „Sicherheit für alle" die zentrale Wahlparole bekanntgegeben.

    (Zurufe von der SPD.)

    Es wird Sie vielleichtinteressieren, daß Sie die Parole einer Erklärung des Bundeskanzlers vom 4. September 1953 entnommen haben.

    (Große Heiterkeit und 'Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der SPD. — Abg. Mellies: So geistvoll habe ich Sie lange nicht gesehen, Herr Minister! — Abg. Wehner: Das haben wir schon vor sieben Jahren gesagt!)

    — Meine Damen und Herren, ich kann diese Erklärung verteilen lassen. —

    (Unruhe.)

    Diese Erklärung vom 4. September 1953 trägt die Überschrift: „Sicherheit und Frieden für alle."
    Aber in dieser Wahlparole ist die überraschende Feststellung zu finden, daß die Sozialdemokratische Partei jeden Versuch bekämpfen werde, der ein Europa mit antiamerikanischen Vorzeichen organisieren wolle.

    (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin sehr glücklich, feststellen zu können, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung mit dieser Forderung der Sozialdemokratischen Partei ohne jede Einschränkung übereinstimmt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Erler: Aber erst neuerdings! In Brüssel war der Bundeskanzler anderer Meinung! — Abg. Mellies: Sie scheinen überhaupt dem Bundeskanzler heute morgen allerhand Mahnungen geben zu wollen! — Abg. Welke: Sie haben einen schlechten Tag erwischt! — Unruhe.)

    Das, was der amerikanische Präsident Eisenhower über Europa gesagt hat — ich habe es oben schon zitiert —, stimmt voll überein mit der Auffassung der Bundesregierung. Die Bundesregierung geht noch weiter als Sie, meine Damen und Herren, und glaubt,ihre Übereinstimmung mit der amerikanischen Politik auch in der Zusammenarbeit mit der Nordatlantischen Gemeinschaft klar zum Ausdruck gebracht zu haben.
    Ebenso weiß sich die Bundesregierung der politischen und moralischen Unterstützung der Vereinigten Staaten sicher bei ihren Bemühungen um die Schaffung des Gemeinsamen Marktes und der europäischen Atomorganisation. Die Verhandlungen über diese so entscheidend wichtigen Probleme sind noch im Gange. Vor wenigen Tagen nahm ich an der Außenministerkonferenz der sechs Länder der Montangemeinschaft in Brüssel teil. Am kommenden Montag werden die Verhandlungen dort weitergehen. Sie haben gute Fortschritte gemacht, und die erzielten Erfolgeberechtigen in der Tat zu der Hoffnung, daß die beiden Verträge bald unterzeichnet und den Parlamenten der Unterzeichnerstaaten zugeleitet werden.
    Ich glaube, ich kann mich hier darauf beschränken, das Ziel und den Stand der Verhandlungen mit wenigen Worten zu umreißen.

    (Abg. Wehner: Tatsachen!) — Sind das keine Tatsachen?

    Nach der Überzeugung der Bundesregierung hängt die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung der westeuropäischen Völker entscheidend davon ab, ob es gelingt, die trennenden Barrieren abzubauen und den Gemeinsamen Markt zu errichten. Es ist nicht mehr und nichts anderes als die konsequente Weiterentwicklung der am 18. April 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Kernstück des Vertrags ist die Schaffung einer Zollunion unter den Mitgliedstaaten in drei Etappen mit einem gemeinsamen Außentarif in der Übergangszeit. Es ist klar, daß eine solche umwälzende Neuordnung auch eine gemeinsame Handelspolitik der Mitgliedstaaten erfordert sowie Vorschriften und Regeln für den Wettbewerb, die Beihilfen, die durch die strukturellen Änderungen notwendig werden, und den Ausgleich der Zahlungsbilanz.
    Es ist heute noch nicht der Anlaß, .auf Einzelheiten dieses Plans näher einzugehen. Ich kann mich


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    darauf beschränken, einige wenige Fragen anzudeuten. Ich nenne dabei besonders das Problem der Einbeziehung der überseeischen Gebiete. Um Mißverständnissen zu begegnen, beschränke ich mich auf die Feststellung, daß alle Vertragspartner davon überzeugt sind, daß der Gemeinsame Markt auch auf die überseeischen Gebiete ausgedehnt werden sollte, die einen Teil des Wirtschaftsraums der Teilnehmerstaaten bilden, daß aber eine besondere Form gefunden werden muß, in der die Assoziierung mit diesen Gebieten vollzogen wird. Die Aufgabe der Gemeinschaft wird es sein, die Entwicklung der Gebiete in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zu fördern, wobei das Interesse der Gemeinschaft durchaus identisch sein wird mit den Interessen der Bevölkerung dieser Gebiete. Die Gemeinschaft wird die Aufgabe haben, eine besondere Form zu finden. Als Beispiel kann ich den Marshallplan oder den Kolomboplan nennen.
    Parallel mit den Bemühungen um die Gründung des Gemeinsamen Marktes laufen die Verhandlungen über die Angliederung einer Freihandelszone. Eine Reihe von europäischen Staaten haben ihre Bereitschaft erklärt, sich in dieser Form dem Gemeinsamen Markt anzuschließen; ich verweise auf die Äußerungen der britischen Regierung und des britischen Parlaments. Die Bundesregierung zweifelt nicht, daß sich weitere kontinentaleuropäische Staaten in dieser Weise dem Gemeinsamen Markt anschließen werden. Diese Entwicklung wird eine verheißungsvolle Grundlage schaffen für einen Zusammenschluß Europas, der nach dem Willen der Vertragschließenden durchaus nicht auf die sechs Staaten der Montanunion beschränkt sein soll.
    Das gleiche gilt für die geplante europäische Atomgemeinschaft. Der leitende Gedanke ist der, daß angesichts der fortgeschrittenen Entwicklung auf dem Gebiete der Atomenergie in anderen Ländern die unbedingte Notwendigkeit besteht, im europäischen Bereich gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Die Grundelemente der europäischen Atomgemeinschaft liegen in dem gemeinsamen Bemühen, die wissenschaftlichen Erfahrungen auszutauschen, die Forschung zu koordinieren und Forschungsaufgaben, die die Leistungsfähigkeit des einzelnen Staates überschreiten, gemeinsam durchzuführen. In welcher Weise dies geschehen soll, bleibt der Entscheidung des Ministerrats und der Kommission überlassen. Der Vertrag wird solche Entscheidungen nicht präjudizieren; er dient dem Zweck, eine sinnvolle Entwicklung zu ermöglichen, von der ich ausdrücklich betonen möchte, weil darüber manches Wort in der Öffentlichkeit erschienen ist, das nicht von Sachkenntnis zeugt, daß die Initiative des einzelnen nicht ausgeschlossen oder behindert, sondern befruchtet und gefördert werden soll.
    Ich beschränke mich auf diese kurzen Ausführungen, um darzulegen, daß die Bundesregierung entschlossen ist, diese bestehenden Verträge nicht nur zu erfüllen, sondern auf dem begonnenen Wege fortzuschreiten. Sie ist überzeugt von der Notwendigkeit, die engen Beziehungen mit der freien Welt weiter auszubauen, und sie wird dazu jeden Beitrag leisten. Sie ist frei von dogmatischen Vorstellungen und wird jeden Weg prüfen, um gemeinsam mit den anderen Partnern jeden Schritt zu unternehmen, der diesem Ziele dient.
    Jeder Weg, der zu einer engen Zusammenarbeit im Bereich der Außenpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik und der geistigen und kulturellen Zusammenarbeit führt, wird gegangen werden. Ein Mindestmaß von Perfektionismus und ein Höchstmaß an Bereitschaft zur praktischen Verwirklichung dieses Zieles dienen nach der Überzeugung der Bundesrepublik am besten der Verwirklichung dieser Pläne.
    Mit aller Klarheit möchte ich betonen, daß nach der Überzeugung der Bundesregierung diese Politik, die ich in ihren Grundzügen skizziert habe, einer erfolgreichen Bemühung um die Wiedervereinigung nicht im Wege steht, sondern sie fördert. Zuletzt hat die Bundesregierung ihre Vorstellungen über diese Frage, die mit Recht das ganze deutsche Volk und darüber hinaus die ganze freie Welt beschäftigt, in ihrem Memorandum vom 2. September 1956 an die Regierung der Sowjetunion dargelegt. Die Bundesregierung hat es nicht nötig, ihren Standpunkt in dieser Frage mit ihren Verbündeten kontrovers zu diskutieren. Seit Jahren bestehen über Weg und Ziel in dieser Frage keine Meinungsverschiedenheiten. Die Vorschläge der Außenminister auf der zweiten Genfer Konferenz wurden zusammen mit der Bundesregierung ausgearbeitet. Sie bilden auch heute noch die Grundlage der gemeinsamen Politik.
    Die Bundesregierung bedauert es, daß die öffentliche Diskussion über diese Lebensfrage des deutschen Volkes nicht immer mit der Sachlichkeit geführt wurde, die sie erfordert. Es handelt sich nicht um eine Frage, die zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen gemacht werden sollte.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts. — Zuruf von der SPD: Wer macht das denn? — Abg. Wehner: Das Monopol dazu haben Sie! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Das Anliegen berührt jeden Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenzen, jeden Deutschen, der sich zu den programmatischen Zielen der einen oder anderen deutschen Partei bekennt.

    (Abg. Dr. Arndt: Das hätten Sie vorher beherzigen sollen!)

    Eine Diskussion darüber, wem dieses Anliegen mehr am Herzen liegt, sollte von uns allen als unwürdig abgelehnt werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und rechts. — Abg. Metzger: Dann hätten Sie anders reden müssen!)

    Vor wenigen Tagen hat ein deutscher Politiker erklärt, der Bundeskanzler müsse in der Frage der Wiedervereinigung „buchstäblich zum Jagen getragen werden".

    (Lebhafte Zurufe: Sehr gut! und Beifall bei der SPD.)

    Derselbe Politiker zitierte eine Äußerung von mir: die Wiedervereinigung sei eine vordringliche Aufgabe, aber nicht die vordringlichste,

    (Abg. Dr. Arndt: Hört! Hört!)

    mit dem Kommentar: „Das war die Stimme seines Herrn."

    (Lachen bei der SPD.)

    Es ist nicht meine Aufgabe und nicht meine Absicht
    als Sprecher der Bundesregierung, zu polemisieren.

    (Zurufe und Lachen bei der SPD.)

    Aber es ist mein Recht als deutscher Bürger, als
    Mitglied des Kabinetts und als Abgeordneter,


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    solche Äußerungen als das zu bezeichnen, was sie sind: als bewußte Verleumdungen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mellies: Auf dem Gebiete der Verleumdung hat sich ja der Herr Bundeskanzler einiges geleistet! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

    Man mag mit der Bundesregierung diskutieren. Es ist das gute Recht der politischen Parteien und des Parlaments, Kritik zu üben. Aber es ist nicht das Recht irgendeines Politikers, die anständige Gesinnunganderer in Zweifel zu ziehen

    (Beifall und stürmische Zurufe von der SPD: Sehr wahr!)

    und Äußerungen zu zitieren, — —

    (Zuruf von der SPD: Geben Sie das dem Kanzler schriftlich! — Abg. Mellies: Sagen Sie das Ihrem Kanzler! — Abg. Dr. Arndt: Davon leben Sie doch! — Weitere lebhafte Zurufe von der SPD.)

    — Meine Damen und Herren, ich verstehe Sie nicht recht; vorhin haben Sie geklatscht als Zustimmung für diese Verleumdung, und jetzt klatschen Sie, wenn ich sie verurteile.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Mellies: Das ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Ich wiederhole: es ist nicht das Recht irgendeines Politikers, die anständige Gesinnung anderer in Zweifel zu ziehen und Äußerungen zu zitieren, indem man sie aus dem Zusammenhang reißt

    (erneute Zurufe von der SPD)

    und ihnen eine Interpretation gibt, von der man selbst weiß, daß sie falsch ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Mellies: Wollen Sie das im Kabinett nicht einmal Herrn Schröder sagen?)

    Mit diesen unaufrichtigen Methoden dient man nicht der Wiedervereinigung, sondern man erschwert sie.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Sehr gut! und lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Solche Äußerungen sind kein Beitrag zu einer konstruktiven und sinnvollen Politik, sondern sie offenbaren — ich bedaure, es sagen zu müssen — einen beklagenswerten Tiefstand der geistigen Auseinandersetzung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Abg. Erler: Das war ein hartes Urteil über Bundeskanzler Dr. Adenauer!)

    Die Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, für die Wiedervereinigung mehr getan und mehr erreicht zu haben als mancher — —

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD: Was haben Sie denn erreicht? Nichts! — Abg. Schmidt [Hamburg] : Was haben Sie erreicht?)

    — Ich weiß gar nicht, warum Sie so nervös werden, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Über die Genugtuung!)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung nachher vorzunehmen.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Anhaltende Zurufe von der SPD. — Abg. Schmidt [Hamburg] : Das ist keine Regierungserklärung, sondern eine Wahlrede!)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Die Bundesregierung — ich wiederhole es, meine Damen und Herren — nimmt für sich in Anspruch, für die Wiedervereinigung mehr getan und mehr erreicht zu haben als mancher, der in den letzten Jahren abseits stand oder abseits stehen mußte und nun billige Wahlparolen sucht.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Mit Gemeinplätzen wäre eines nicht erreicht worden,

    (lebhafte Zurufe von der SPD: Aufhören! Aus! — weiterer Zuruf von der SPD: Sie werden nicht einmal rot dabei, Herr von Brentano!)

    was die Bundesregierung heute erneut feststellen kann, ohne daß ein Widerspruch möglich wäre: Die gesamte freie Welt hat die Gefahr erkannt, die dem Weltfrieden droht, solange die Spaltung Deutschlands fortdauert. Die gesamte freie Welt respektiert die gesamtdeutsche Politik der Bundesregierung. Überzeugender Ausdruck dieser Feststellung ist die Tatsache, daß alle freien Nationen der Welt in der Bundesregierung den einzigen legitimierten Sprecher des deutschen Volkes sehen und die Anerkennung der sogenannten DDR abgelehnt haben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nur die Staaten des Sowjetblocks haben sich die These der Sowjetunion zu eigen gemacht, daß die Spaltung Deutschlands eine Realität sei, der man Rechnung tragen müsse.
    Die Bundesregierung hat niemals eine Diskussion über die Wege gescheut, auf denen das Ziel der Wiedervereinigung erreicht werden kann.

    (Abg. Erler: So wie jetzt!)

    In zahllosen Debatten hat sie ihren Standpunkt dargelegt und begründet. Sie tut es auch heute von neuem. Aber sie läßt auch keinen Zweifel daran — und ich verweise hier auf das, was ich zu Eingang der Regierungserklärung schon gesagt habe —, daß es nach ihrer Überzeugung Forderungen gibt, die unabdingbar sind. Wir wollen die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit. Über die Interpretation des Wortes Freiheit ist die Bundesregierung nicht bereit zu diskutieren.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ebenso verlangt die Bundesregierung für das wiedervereinigte Deutschland eine wirksame und unverbrüchliche Garantie seiner Sicherheit. Das meinte auch die Äußerung, von der ich vorhin sprach und zu der ich heute noch stehe: Das oberste Ziel deutscher Politik muß die Wiedervereinigung sein; aber wir sind nicht bereit, dafür einen Preis zu zahlen, der auf eine Beschränkung der Freiheit und eine Gefährdung der Sicherheit hinauslaufen würde.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD. — Abg. Mellies: Hof fentlich reden Sie in der Abendländischen Aktion auch immer so über die Freiheit!)


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    Wer dazu bereit wäre — und ich glaube nicht, daß es jemand in diesem Saale ist —, müßte sich sagen lassen, daß er die Wiedervereinigung mit der Freiheit bezahlen wolle. Das wäre ein Verbrechen am ganzen deutschen Volk, an denen, die heute die Segnungen der Freiheit genießen, und nicht minder an denen, die heute noch auf die Freiheit warten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, ich sagte, daß sich die freie Welt diese Forderung zu eigen gemacht hat, und ich darf trotz des Widerspruchs noch einmal feststellen, daß das wohl der überzeugendste Erfolg der Außenpolitik der vergangenen Jahre gewesen ist.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich könnte unzählige Erklärungen zitieren, die diese Feststellung unterstreichen. Ich beschränke mich darauf, mit aufrichtiger Dankbarkeit auf die Erklärung des amerikanischen Präsidenten vom 22. Januar zu verweisen, in der es heißt:
    Im Herzen Europas liegt Deutschland, das in tragischer Weise geteilt ist, und so ist der gesamte Kontinent, j a sogar die gesamte Welt geteilt. Die Kraft, die diese Teilung bewirkt, ist der internationale Kommunismus und die Macht, über die er gebietet.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, auch hier glaube ich feststellen zu können, daß keine Meinungsverschiedenheiten zwischen der amerikanischen und der deutschen Politik bestehen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Diese Feststellung bedarf keines Kommentars. Daß sie von dem neu gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten in dieser unmißverständlichen Klarheit ausgesprochen wurde, erfüllt uns mit tiefer Befriedigung, macht aber auch klar, daß sie uns verpflichtet, nämlich dazu verpflichtet, mit der letzten Kraft und Entschlossenheit an der Erhaltung der Freiheit dort teilzunehmen, wo sie besteht, um sie denen zu vermitteln, die sie heute entbehren. Das mögen auch die Kritiker hören, die an diesem Erfolg deutscher Politik nicht mitgewirkt haben, die aber offenbar bereit sind, diesen Erfolg mit gefährlichen Parolen aufs Spiel zu setzen.

    (Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

    Ich sagte und wiederhole es, daß die Bundesregierung immer bereit war und sein wird, über die Wege zu diskutieren, die zur Wiedervereinigung führen.

    (Zuruf von der SPD: Das können Sie gar nicht!)

    Niemand von uns kann den Anspruch erheben, daß er allein im Besitze der letzten Erkenntnis sei. Und darum glaube ich auch, daß eine Diskussion, wie wir sie heute führen wollen, der deutschen Politik nur dienlich sein kann.

    (Zurufe links.)

    Die Bundesregierung glaubt aber nicht — und ich sage das ohne jede aggressive Absicht und ohne jede unangebrachte Polemik —, daß man Teile einer Gesamtkonzeption herausgreifen kann, indem man andere, wesentliche Elemente negiert oder verschweigt.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Wir haben auch in letzter Zeit von der Opposition gehört, das Ziel der deutschen Politik müsse sein, die Machtblöcke aufzulösen und an ihre Stelle ein europäisches Sicherheitssystem zu stellen.

    (Zuruf von der SPD.)

    Diese Forderung stimmt in ihrem letzten Teil durchaus überein mit den Vorschlägen, die die Bundesrepublik in ihrem Memorandum der Sowjetunion mitgeteilt hat.

    (Abg. Dr. Mommer: Umgekehrt!)

    Aber es ist, so meine ich, nicht zulässig, ein Teilproblem herauszugreifen und andere, wesentliche Elemente beiseite zu schieben. Gewiß, wir wünschen ein wirksames Sicherheitssystem; aber wir müssen auch Klarheit darüber geben, wo der Standort der Bundesrepublik heute und des wiedervereinigten Deutschlands morgen in einem solchen Sicherheitssystem sein wird.

    (Beifall in der Mitte. — Zurufe links.)

    Ein Sicherheitssystem, das nur auf papierenen Abmachungen beruhen würde, wäre in Wahrheit ein System der Unsicherheit. Wiedervereinigung, Sicherheit und kontrollierte Abrüstung stehen in einem unlösbaren Zusammenhang, und alle Modalitäten eines Sicherheitssystems können ernsthaft nur diskutiert werden, wenn man diesen Zusammenhang bejaht und bereit ist, ihm Rechnung zu tragen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die weltpolitische Lage ist nun einmal nicht so einfach, wie mancher sie zu sehen wünscht.

    (Zuruf von der SPD: Kann man wohl sagen!)

    Wunschvorstellungen sind begreiflich; aber sie dürfen nicht die nüchterne Erkenntnis realer Tatsachen verdrängen. Ich bin überzeugt, daß ich keinen ernsthaften Widerspruch finde, wenn ich feststelle: eine Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs hat einen anderen politischen und moralischen Wert als eine gleiche Garantie der Sowjetunion.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Die Methoden, mit denen in einem Teil der Welt die Sicherheit anderer Völker verwirklicht wird, sind nicht identisch mit denen des anderen Teiles der Welt.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Die Bundesregierung ist sich klar darüber, daß jede politische Entscheidung mit unvermeidlichen Risiken verbunden ist, und sie beabsichtigt auch nicht, einem erträglichen Risiko auszuweichen. Das haben die Reise des Bundeskanzlers nach Moskau und der vom Bundestag einmütig gebilligte Entschluß, die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion aufzunehmen, bewiesen. Aber die Sowjetunion muß wissen, und auch das deutsche Volk und die Welt dürfen daran keinen Zweifel haben, daß Freiheit und Sicherheit keine Handelsobjekte sind.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Und weil wir uns darüber klar sind, wird die Bundesregierung auch in ihren Anstrengungen fortfahren, gemeinsam mit den anderen Nationen der freien Welt für das deutsche Volk das unerläßliche Mindestmaß an Sicherheit zu schaffen, das über-


    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    haupt Voraussetzung einer jeden fruchtbaren Diskussion ist.

    (Beifall in der Mitte.)

    So zu handeln, ist nicht nur das Recht, sondern die moralische und politische Pflicht der Bundesregierung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das deutsche Volk hat einen Anspruch darauf, in Sicherheit zu leben und das Bewußtsein zu besitzen, daß seine Freiheit nicht heute und nicht morgen gefährdet werden kann.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    Wir wissen wohl, daß wir allein das nicht zu erreichen vermögen. Wir wissen aber auch, daß andere bereit sind, uns in diesem Bemühen zu unterstützen. Ihre Mitarbeit wollen und werden wir nicht durch Experimente aufs Spiel setzen, die uns das Vertrauen und die Freundschaft der freien Welt kosten und die Verachtung derjenigen einbringen würden, die uns bedrohen und denen wir damit den Weg frei machen würden.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung keine Gelegenheit versäumt, um dieses gesamtdeutsche Anliegen in das Bewußtsein der gesamten Welt zu rücken. Es wurde kein Gespräch auf internationaler Ebene geführt, das dieses Thema nicht zum Gegenstand hatte. Es wurde keine Entscheidung getroffen, bei der wir nicht prüften, ob sie mit der Erreichung dieses Zieles vereinbar sei. Es liegt in der Natur der Sache, daß nicht jede Initiative zur öffentlichen Aussprache ) gestellt wurde. Die Bundesregierung glaubt sogar ernsthaft davor warnen zu sollen, diesem Problem eine unangebrachte Publizität zu geben und ernsthafte Anstrengungen mit Propaganda zu verwechseln.

    (Zurufe von der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat vor kurzem auch davon gesprochen, daß die Bundesregierung sich mit dem Gedanken trage, die Vereinten Nationen mit der deutschen Frage zu beschäftigen. Ich war überrascht, meine Damen und Herren, daß diese Absicht auch auf Kritik gestoßen ist, und ich vermag die Begründung — —

    (Abg. Wehner: Waren nicht auch Sie überrascht, daß er sie an dem Tag ausgesprochen hat?)

    — Durchaus nicht!

    (Abg. Wehner: Aha! Sehr höflich gegenüber dem Bundeskanzler!)

    — Aber meine verehrten Damen und Herren, wenn Sie wüßten, wie lange wir daran schon arbeiten, wären Sie ganz beruhigt.

    (Zuruf von der SPD: Schlechte Arbeit leisten Sie!)

    Ich war über diese Kritik überrascht, und ich vermag die Begründung nicht anzuerkennen, daß man „Fremde" dann in einer Weise mit dem Problem beschäftige, die die Gefahr in sich berge, daß die Verantwortlichen sich der Verantwortung entziehen könnten. Es ist mir ganz unbegreiflich, daß ein solcher Vorwurf laut wurde von einer Seite, die gleichzeitig sagt, daß die Sicherheit Europas und damit auch Deutschlands von den Vereinten Nationen garantiert werden solle.

    (Hört! Hört! in der Mitte. — Abg. Mellies: Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind, Herr Minister!)

    — Nein, ich habe eben nicht von mir gesprochen.

    (Abg. Erler: Mitglied oder Nichtmitglied, das ist doch wohl ein Unterschied!)

    Die Bundesregierung kennt sehr wohl die beschränkten Möglichkeiten der Vereinten Nationen. Sie beklagt es aufs tiefste, daß diese Beschränkung in den vergangenen Wochen sichtbar wurde: Im nahöstlichen Konflikt haben sich die meisten Nationen der moralischen Autorität der Organisation der UNO unterworfen, weil ihre Unterschrift unter die Charta der Vereinten Nationen doch mehr war als ein Lippenbekenntnis.
    In Ungarn, wo unzählige Tausende ihr Leben oder ihre Freiheit verloren und Hunderttausende die Flucht ergriffen, ging man über das Votum der Vereinten Nationen mit einem beispiellosen Zynismus hinweg.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Hier stellt sich allerdings die Frage, ob ein Sicherheitssystem unter alleiniger Garantie der Vereinten Nationen wirklich Sicherheit zu gewährleisten vermag.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Die Bundesregierung glaubt aber nicht, daß dieser Zweifel zur Resignation führen darf. Die moralische Unterstützung der Vereinten Nationen im Kampf um die Wiedervereinigung ist nach unserer Überzeugung von unschätzbarer Bedeutung. Für die sonderbare Auffassung, die hier geäußert wurde, daß man die Verantwortlichen aus der Verantwortung entlasse, habe ich kein Verständnis. Im Gegenteil, ich glaube, daß man die Verantwortung nicht besser schärfen kann als durch den moralischen Appell, ,der, in einem Beschluß der Vereinten Nationen liegen würde.

    (Abg. Mellies: Deren Bedeutung Sie eben gerade herabgesetzt haben!)

    — Nein, nicht ich, sondern Sie! — Wann der Zeitpunkt gekommen sein wird, eine solche Initiative zu entfalten, und wie dies geschehen soll, darüber zu reden, erscheint heute verfrüht.
    Man wird der Bundesregierung auch heute und morgen den Vorwurf machen, daß sie nicht das Mögliche und das Notwendige unternommen habe, um die Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Frieden und Freiheit durchzusetzen. Aber diejenigen, die diesen Vorwurf ernsthaft erheben, müssen ihn begründen, und sie müssen — das soll auch der Zweck 'dieser Aussprache sein — konkrete Vorschläge machen. Die Wiederholung der These, daß die von der Bundesregierung in den vergangenen Jahren getroffene Entscheidung, daß das Freundschaftsband, das die Bundesrepublik heute mit der freien Welt verbindet, der Wiedervereinigung im Wege stehe, reicht nicht aus.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Auch die Behauptung, daß die Bundesregierung echte Möglichkeiten ausgelassen habe, wird durch ihre Wiederholung nicht richtiger.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)



    (Bundesaußenminister Dr. von Brentano)

    Diejenigen, die verlangen, daß man die Verträge umgestalten und ein europäisches Sicherheitssystem errichten soll, stellen damit keine überzeugende oder glaubwürdige Alternative auf. Sie begnügen sich damit, eine These vorzutragen, ohne sie zu konkretisieren.
    Die Bundesregierung ist allerdings fest davon überzeugt, daß es für die bisher verfolgte Außenpolitik tatsächlich keine echte Alternative gibt.

    (Zuruf von der SPD: Die können Sie auch nicht sehen!)

    — Nein, dafür sind Sie ja da! — Ich höre schon die Antwort auf diese Feststellung: Starrheit, Unbelehrbarkeit, mangelndes Anpassungsvermögen.

    (Abg. Wehner: Warum sind Sie so ängstlich? — Weil Sie schon das vorwegnehmen, was wir sagen!)

    — Ich habe vorhin den Eindruck gehabt, Sie wollten jetzt schon die Debatte führen; aber ich kann mich geirrt haben.

    (Zurufe von der SPD.)

    Aber die Bundesregierung hält es — ich habe das schon einmal gesagt — nicht für richtig, Konsequenz mit Starrheit zu verwechseln.

    (Zuruf von der SPD: Sie merken es auch selbst!)

    Es fehlte in der Vergangenheit nicht an Initiative, weder seitens der Bundesregierung noch seitens ihrer Verbündeten. Nicht die Vorschläge, die gemacht wurden, waren unzureichend; die Reaktion der Sowjetunion war unbefriedigend, nämlich rein negativ.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Wenn es jemals eine Äußerung der Sowjetunion gab, aus der man auf ein wachsendes Verständnis, auf eine größere Bereitschaft schließen zu können glaubte, dann dauerte es nur sehr kurze Zeit, bis entgegengesetzte Erklärungen solche Hoffnungen zunichte machten. Das bedeutet nicht, daß wir in unseren Bemühungen nachlassen werden. Es bedeutet noch weniger, daß die Bundesregierung an dem Erfolg ihrer Politik zweifeln oder gar verzweifeln würde. Sie wird vielmehr auch in Zukunft jeden Versuch unternehmen, mit der Sowjetunion im Gespräch zu bleiben und eine klare Antwort auf die Frage zu fordern, die schlechthin die deutsche Frage ist: nämlich die Frage nach dem Schicksal und der Zukunft des deutschen Volkes, seine Einordnung in eine friedliche Welt und die Sicherheit seiner Existenz. Wir werden alles tun, um die Sowjetunion und alle unsere östlichen Nachbarn davon zu überzeugen, daß wir den Frieden wünschen, ja daß wir ihn als das höchste Gut betrachten, das wir den Völkern vermitteln können. Die Bundesregierung zweifelt auch nicht daran, daß wir dem gemeinsamen Ziele näher gekommen sind; nicht weil wir nicht bereit waren, Kompromisse zu schließen, die zur Selbstaufgabe führen müßten, sondern weil die Welt im Osten und im Westen keine Zweifel mehr daran hat, wo die Grenzen unserer Verhandlungsbereitschaft tatsächlich liegen.
    Eine freiheitliche Ordnung für das ganze deutsche Volk gefährdet nicht die Sicherheit seiner Nachbarn, sondern stärkt sie. Deutschland will nicht mehr an Lebensrecht, als es anderen einzuräumen bereit ist. Die wahnwitzigen Vorstellungen, die das deutsche Volk unter der Herrschaft des „Dritten Reiches" ins Unglück geführt haben, besitzen keine Gültigkeit mehr. Aber ebensowenig sollten wir zulassen, daß gefährliche Spekulationen diese Entwicklung gefährden. Solange irgend jemand in der Welt glaubt, daß die Begriffe von Freiheit, Frieden und Sicherheit im deutschen Volke heute oder morgen einer verschiedenartigen Interpretation unterliegen, werden wir unser Ziel nicht erreichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Unsere Glaubwürdigkeit sinkt in dem Maße, in dem die Umwelt vermutet, daß wir uns mit weniger zufriedengeben würden, als wir heute verlangen.
    Darum appelliert die Bundesregierung auch heute an die große gemeinsame Verantwortung, die auf uns allen ruht. Wir können sie nur gemeinsam meistern. Die Einheit des freien deutschen Volkes in der Bundesrepublik ist Garantie, aber auch Voraussetzung für Frieden, Freiheit und Sicherheit des ganzen deutschen Volkes in einem wiedervereinigten Deutschland.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)