Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion außerordentlich. Er greift ein Problem auf, das zweifellos wichtiger ist, als der Allgemeinheit in Deutschland bekannt ist. Die Beratung des von der Bundesregierung vorzulegenden Materials wird auch der Allgemeinheit zeigen, wie gefährdet und wie gefährlich wir leben. Wir jagen Jahr für Jahr eine solche Menge giftiger Gase in die Luft, daß die Behauptung — bei der sachlichen Unrichtigkeit, die sie sonst enthält — wohl richtig ist: Wenn das Ruhrgebiet in der Sahara stände, wären wir schon alle tot.
Die Bedeutung des Problems der Verunreinigung der Luft mögen Sie ,auch daran erkennen, daß die amerikanische Gesellschaft für Pathologie sich dieses Thema zum Kongreß des Jahres 1957 gewählt hat und daß die Vereinigung deutscher Veterinärmediziner das gleiche Thema im Jahre 1956 bei ihrem Kongreß behandelt hat.
Wir erwarten, daß der Bericht ,der Bundesregierung so umfassend, exakt und gründlich ist, daß er Material für die auf diesem Gebiet zweifellos notwendige Gesetzgebung liefert. Das Untersuchungsmaterial, das uns zur Verfügung steht, ist am umfangreichsten auf dem Gebiet der Botanik, nächst diesem auf dem Gebiet der Veterinärmedizin und erst dann auf dem Gebiet der Humanmedizin.
Die Versuche, zu einer Verminderung der Verunreinigung der Luft durch Gesetze und Verordnungen beizutragen, gehen in England und in Deutschland bis in das 13. und 14. Jahrhundert zurück; mit welch problematischer Wirksamkeit, mögen Sie daran erkennen, daß das Gesetz, welches das englische Unterhaus im Ausgang des letzten Jahres beschlossen hat, so stark im Feuer der öffentlichen Kritik liegt, daß es bereits Zweifel an seinem Erfolg gibt. Bei einer sehr interessanten Debatte in England im Anschluß an zahlreiche Todesfälle in der Stadt London selbst — etwa 4- bis 5000 nach sehr starkem Nebel in den Dezembertagen des
Jahres 1952 — hat man festgestellt, daß die Gefährdung für den Menschen so groß ist, daß eine gesetzliche Regelung noch einmal versucht werden muß. Nach den englischen Feststellungen — und insofern begrüße ich es besonders, daß die Antragsteller das Problem der Verunreinigung der Luft nicht nur durch Industriebetriebe, sondern auch durch andere Ursachen aufgeworfen haben — sind Industriebetriebe und Hausbrand an der Verunreinigung der Luft etwa zu gleichen Teilen beteiligt. In diesen Rauchgasen ist als wichtigster und in unserem Zusammenhang interessantester, weil gefährlicher Bestandteil das Schwefeldioxyd enthalten. Meine Damen und Herren, im Bundesgebiet verbrauchen wir jährlich rund 200 Millionen Tonnen Kohlen. Wenn wir einen im Durchschnitt 3%-igen Schwefelgehalt annehmen, heißt das, daß wir Jahr für Jahr etwa 10 Millionen Tonnen giftige Schwefeldioxydgase in die Luft jagen.
Jedem von Ihnen sind die sichtbaren Schäden an Gartenpflanzen und an Waldbäumen bekannt. Um auch das noch einmal zu demonstrieren: Wenn der normale Abrauch eines Fabrikschornsteins bei normaler Steinkohlenfeuerung auf junge kräftige Eichten geleitet wird, sterben diese innerhalb weniger Stunden vollkommen ab. Sie kennen die Schäden an Bauwerken; der Herr Antragsteller hat sie auch bereits erwähnt. Ich nenne als Beispiel noch einmal den Kölner Dom mit seinen fortgesetzten Schäden durch die Rauchabgase des naheliegenden Bahnhofs.
Die organischen Schäden beim Menschen, von denen der Kollege, der den Antrag begründete, schon eingehend sprach, möchte ich so formulieren: Organische Schädigungen beim Menschen durch die Verunreinigung der Luft sind noch nicht einwandfrei erwiesen, aber auch nicht — und das ist entscheidend — mit Sicherheit auszuschließen. Mit Sicherheit steht aber fest, daß das vegetative Nervensystem der Menschen durch diese Verhältnisse stark beeinflußt wird, auf deutsch: daß das allgemeine Wohlbefinden unter diesen Verhältnissen erheblich leiden kann.
Das Problem ist aber auch volkswirtschaftlich von größter Bedeutung. In England, wo man aus naheliegenden Gründen dem Problem besonders nachgegangen ist, hat man errechnet, daß durch eine unzweckmäßige Kohleverbrennung jährlich 50 Millionen Pfund Sterling in die Luft gejagt werden.
Ich möchte aber auch noch ein anderes Problem hier andeuten und die Bundesregierung bitten, in der Beantwortung diesem Problem ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Ich meine das Problem der zusätzlichen Verunreinigung der Luft durch Kohlenoxyd, jenes farblose und geruchlose Gas, das seine besondere Bedeutung u. a. auch durch die steigende Automobilfabrikation erhält. Herr Kollege Schmidt hat vor längerer Zeit einmal — bei den Haushaltsberatungen war es wohl — darauf hingewiesen, daß unsere Automobilfabriken nicht glauben dürften, Kunden dadurch bekommen zu können, daß sie immer phantastischere Geschwindigkeiten ihrer Wagen anpreisen, Geschwindigkeiten, die längst über unser natürliches Reaktionsvermögen im Straßenverkehr hinausgehen. Es erscheint mir notwendig, bei steigender Automobilproduktion - soweit ich weiß, versuchen die Firmen es auch bereits — sehr viel mehr Sorgfalt darauf zu verwenden, die Giftigkeit der Auspuffgase herabzusetzen.
Meine Damen und Herren, in den Auspuffgasen sind etwa 7 % des sehr giftigen Kohlenoxyds enthalten. Beim Anfahren, beim vermehrten Gasgeben steigert sich das auf 15 %. Denken Sie an die Rauchschwaden, die Sie durch Ihre Heizungsvorrichtung einatmen, wenn Sie hinter Diesellastwagen herfahren, die bei Bergfahrten so richtig Gas geben! Hier ist auch eine viel stärkere Überwachung dieser gesundheitlichen Gefährdung der Menschen durch die Polizei erforderlich. Es ist nicht nötig, daß wir auf unseren Autobahnen zeitweise derart in Rauchwolken eingehüllt werden und das Gas in solchem Umfange einatmen, wie es jetzt der Fall ist. Jeder Großstädter atmet Tag für Tag sowieso schon kleinere Mengen dieses giftigen Gases ein. Es ist nicht uninteressant, daß in verkehrsreichen Straßen New Yorks, die besonders eng und hinsichtlich der Windrichtung ungünstig gelegen sind, die Konzentration dieses giftigen Gases bereits ein Zehntel der tödlichen Dosis erreicht hat. In Deutschland zeigen Polizisten an Verkehrsmittelpunkten, wo Autos häufig stehenbleiben und wieder anfahren müssen, bereits nach 8 Stunden einen sehr zu beachtenden Anstieg von Kohlenoxyd in ihrem Blut. Das ist etwas, was wir nicht einfach als unbedeutend betrachten können.
Ich darf die Kollegen aus der Landwirtschaft noch einmal darauf hinweisen, welche Bedeutung das Problem insbesondere auch für sie hat. Ich erinnere an die Vergiftung und Verunreinigung der Luft durch Blei, Arsen, Fluor und Selen. In der Veterinärmedizin hat man festgestellt, daß bei Pferden und Rindern noch in einer Entfernung von 5 km von Bleihütten Vergiftungserscheinungen eintreten. Kupfer-, Blei-, Zinkwerke, Kalk-
und Zementwerke haben durch den selenhaltigen Staub in großem Ausmaß Vergiftungserscheinungen hervorgerufen, wie die Untersuchungen in den Vereinigten Staaten bewiesen haben. Fluorvergiftungen durch Abgase der Aluminiumwerke sind bereits seit 30 Jahren beobachtet worden. Hier ein nicht uninteressanter Hinweis, der die Bedeutung dieser Feststellung beweist. In einer sehr exakt durchgeführten Untersuchung hat sich ergeben, daß in der Nähe von Aluminiumwerken von 170 Tieren bereits nach einem Aufenthalt von einem halben Jahr bis einem Jahr 70 und nach einem Aufenthalt von mehr als drei Jahren rund 400 von 500 Tieren die typischen Fluorvergiftungserscheinungen an Knochen und Zähnen aufgewiesen haben!
Es ist also unbedingt notwendig, daß wir zu Maßnahmen kommen, die einen ausreichenden Schutz für Mensch, Tier und Pflanzenwuchs sicherstellen. Es muß geprüft werden, ob es möglich und erfolgreich ist, die Industriebetriebe zu einer Reinigung der Abluft im selben Maße zu verpflichten, wie sie heute schon der Verpflichtung der Reinigung ihrer Abwässer unterliegen. Zweifellos gibt es hier noch viele Möglichkeiten, dabei sogar verwertbare Produkte zu gewinnen. Ich erinnere Sie an den Idealfall der Gaswerke, wo die Nebenprodukte der Gasgewinnung zumindest nicht weniger wertvoll — auch finanziell wertvoll — sind als das eigentliche Produkt Gas: u. a. Düngemittel, Benzole, Öl. Man wird von den Industriebetrieben verlangen müssen, daß sie die Unschädlichkeit ihrer Abluft nachweisen.
Meine Damen und Herren, vielleicht muß man diese Maßnahmen auch steuerlich oder in anderer Weise fördern; denn es darf nicht zu einer Regelung kommen, die, wie sich jetzt in England zeigt, an offenbar begründeten Einsprüchen der Industrie, weil die geforderten Maßnahmen finanziell angeblich nicht tragbar seien, scheitert. Man muß weiterhin der Raumplanung bei Industrieanlagen, zum mindesten bei Neuanlagen, wohl größere Aufmerksamkeit widmen. Es zeigt sich, daß allein schon durch Talanlagen von Industriebetrieben die Vergiftung und Verunreinigung der Luft wesentlich größer sind. Man muß sich überlegen, ob man nicht bei städtischer Neusiedlung an Stelle der sehr unproduktiven und auch sehr schädlichen Ofenheizung mehr zu Fernheizungen übergeht — das geschieht noch viel zuwenig —, damit nicht Hunderte von Schornsteinen ihre giftigen Gase in die Luft jagen. Die Verkehrsstraßen müßten breiter und — das wird oft übersehen — unter Ausnützung normaler Windrichtungen angelegt werden, damit es nicht zu einer Stauung von Abgasen usw. in diesen Straßen kommt.
Ein sehr wichtiges Kapitel, das auch in England von großer Bedeutung ist, ist die Verminderung von Dampflokomotiven bei den Eisenbahnen, insbesondere im Stadtverkehr. Das ist besonders in der Nähe von Rangierbahnhöfen von Bedeutung, wo etwa ein Siebentel des an die Luft abgegebenen schädlichen Rauchs von diesen Lokomotiven stammt, weil da der Rauch in großer Erdnähe abgelassen wird und also besonders stark auch den Menschen trifft.
Die Wünsche an die Autoindustrie, die mir sehr begründet erscheinen, habe ich bereits erwähnt. Ich möchte von mir und auch von meiner Fraktion aus noch einmal darauf hinweisen, daß es sehr zweckmäßig sein wird, sich bei der Abfassung des Berichts, den die Bundesregierung vorzulegen hat, auf alle Fälle der Wissenschaftler zu bedienen. Ich möchte aber auch bereits heute dem Verband der deutschen Ingenieure und auch der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft für ihre Arbeit, die sie auf diesem Gebiet vorbereitend geleistet haben, danken. Wir werden den Bericht der Bundesregierung mit großem Interesse lesen, und ich darf noch einmal sagen: Wir erwarten, daß er ausreichendes Material für eine Gesetzgebung auf diesem Gebiet enthält, die wir für sehr notwendig erachten.