Rede von
Paul
Putzig
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Behandlung des Antrags, den ich für die Fraktion der SPD zu begründen habe, steht unter schlechten Vorzeichen. Zum fünften Male nämlich steht dieser
I) Antrag heute auf der Tagesordnung. Ich hoffe, daß die versäumte Zeit durch erhöhten Eifer in den Ausschüssen demnächst aufgeholt wird.
Ich bitte nun um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit, wenn ich mich bemühe, Ihnen ein Anliegen
vorzutragen, das unser gemeinsames Anliegen sein
sollte. Der Antrag meiner Fraktion Drucksache
2598, betreffend Verunreinigung der Luft durch
Industriebetriebe, soll bewirken, daß die bereits
von mehreren Ländern eingeleiteten Bemühungen
um Reinhaltung der Luft unterstützt werden. Der
Kern dieses Antrags ist der letzte Absatz, der von
der Bundesregierung Angaben darüber verlangt,
welche Möglichkeiten die Bundesregierung
sieht, sich die Erfahrungen der privaten und
gesetzlichen Bekämpfung der Verunreinigung
im In- und Ausland zunutze zu machen, um
neue gesetzgeberische Maßnahmen einzuleiten.
Ich bin nicht so vermessen, als Laie von mir aus ein Problem anzugehen, das schon seit Jahrzehnten Wissenschaftler und Techniker in allen Industriestaaten der Welt beschäftigt hat. Ich beziehe mich in meiner Begründung daher im wesentlichen auf die Auswertungen von Experten, die sich - das muß lobend anerkannt werden — so uneigennützig dieser Aufgabe gewidmet haben. Dank gebührt auch der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, die bereits wesentliche Vorarbeiten geleistet hat.
Wesentliche Forschungsergebnisse liegen bereits vor. Es sind von der Technik auch schon Abwehrmittel entwickelt worden, die der Luftverunreinigung mehr oder weniger entgegenwirken. In der Durchführung von Abwehrmaßnahmen sind zweifellos einige zum Teil beachtliche Erfolge erzielt worden. In sehr vielen Fällen sind jedoch diese Maßnahmen völlig unzureichend und geben wirklich berechtigten Anlaß zu Klagen. Das liegt meines Erachtens darin begründet, daß die gesetzlichen Grundlagen für Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft heute äußerst unzureichend sind.
Ich bin jedoch der Meinung, daß bei Beachtung der wenn auch unzureichenden Sicherungsvorschriften für Reinhaltung der Luft bei Produktionserhöhungen einiges erzielt werden könnte. Aus amtlichen Informationen aber ist mir bekannt, daß die Zahl der Verstöße von Jahr zu Jahr zunimmt und daß die Gewerbeaufsichtsbeamten in einigen Bezirken nur alle sieben Jahre einmal die in Frage kommenden Betriebe kontrollieren. Aber auch dann, wenn sie wirklich jährliche Kontrollen durchführten oder durchführen könnten, wäre keine Gewähr dafür gegeben, daß alle Vorschriften und Auflagen auch dauernd eingehalten oder berücksichtigt würden. Der wegen Mangels an Entstaubungsanlagen z. B. in meinem Wahlkreis Bekkum in Westfalen in die Luft abgelassene Zementstaub wurde am 13. Januar 1953 für diesen Tag auf 60 t im Wert von 3700 DM geschätzt. Das macht bei 300 Werktagen pro Jahr 18 000 t im Wert von rund 800 000 DM allein in einem Kreis. Diese Zahlen sind bei einer erheblichen Produktionssteigerung nach 31/2 Jahren weit überholt, genauso wie die Produktionsanlagen vieler Werk e mehr oder weniger überholt sind.
Die Luftverschlechterung in den Industriegebieten der Bundesrepublik, insbesondere im rheinischwestfälischen Industriegebiet, in den Räumen von Industriegroßstädten und in sonstigen Industriezentren hat nunmehr solche Ausmaße angenommen, daß sie für die Gesundheit der dortigen Bevölkerung bedenklich wird. Jedermann kennt die Dunstwolken über den Industriegebieten. Über dem Ruhrgebiet sind sie so dicht, daß sie das biologisch wirksame Licht hemmen und daß ständig ein dichter Flugascheregen auf seine Bewohner niedergeht, der infolge der Feinheit seiner Staubbestand-toile in die Lungenwege gelangt, Lungenschäden, insbesondere auch Lungenkrebs hervorruft und zu unzähligen Hornhauterkrankungen, ferner zu Herz- und Gefäßstörungen führt.
600 000 t Ruß und Staub rieseln jährlich auf das Ruhrgebiet nieder, 1 Million t auf das Bundesgebiet. Die Gefahr des Entstehens von Rauchnebelkatastrophen, wie sie in der City von London 1952 und unlängst auch im Maastal und im Coloradotal in USA vorgekommen sind und viele Menschenleben gekostet haben, besteht stellenweise auch im Ruhrgebiet. Aus den Statistiken der Straßenreinigungsämter der Industriestädte läßt sich unschwer belegen, daß die Menge des zusammengefegten Straßenkehrichts ständig wächst. Staub, Rauch, Ruß, Asche, Dampf, Abgase und nicht zuletzt die Ausscheidungen der schweren Lastzüge setzen die Bewohner der Industriegebiete Belästigungen aus, die immer unerträglicher werden und die Bewohnbarkeit einzelner Stadt- und Ortsteile erheblich beeinträchtigen, wenn nicht gar unmöglich machen. Solche Belästigungen sind zumindest menschenunwürdig. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet werden diese durch die industrielle Immission entstehenden Schäden noch verstärkt durch die industrielle Erosion, also die Verwendung der das Werk umgebenden Landschaft zu Tagebauten, Halden usw.
Das Ergebnis dieser Entwicklung sind gesundheitliche Schäden an Mensch und Tier, durch klimatische Veränderungen beeinflußte seelische Schäden und allen Bewohnern oder Besuchern von Industriezentren offenkundige wirtschaftliche Schäden an Bauwerken, Kleidung und Wohnung der Menschen.
Die ständig zunehmende Luftverunreinigung durch Rauch und chemische Bestandteile in den Industriegebieten beruht im einzelnen zwar auf vielen Faktoren, ist aber vor allem eine Folgeerscheinung des allgemeinen industriellen Anstiegs, der Zusammenballung von Kraftwerken, der Verwertung ballastreicher Kohle, die bis zu 50 % Asche bzw. große Mengen von Schwefel enthält. Hinzu kommt, daß in den Industriezentren oft nicht der Raum vorhanden ist, wo die industriellen Abfälle sachgemäß und ohne gesundheitliche Schädigung der Bevölkerung untergebracht werden können, und ferner, daß noch lange nicht alle Trümmerfelder beseitigt sind. Bedenklich ist, daß in zahlreichen Betrieben noch immer veraltete Kesselanlagen vorhanden sind, die die Rauch- und Rußbildung verstärken, und daß auch die technisch bereits erprobten industriellen Abluftreinigungsanlagen und Entstaubungsanlagen der hohen Kosten wegen nicht in dem Umfang eingebaut werden, wie es die Rücksicht auf das allgemeine Wohl erfordert.
Die deutsche Industrie ist zum Teil auf arme und geringwertige Rohstoffe angewiesen. Es ist daher volkswirtschaftlich durchaus zu begrüßen, daß sich, wenn möglich, die Großkraftwerke auf die Verwendung der ballastreichen und schwefelreichen Staubkohle, die Stahlwerke auf Koksfeuerung und industrielle Werke auch anderer Art auf die Verwendung billiger Kohlensorten umgestellt haben. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten, so daß bei weiterem Anhalten des industriellen Anstiegs unbedingt mit einer weiteren Luftverschlechterung zu rechnen ist.
Diese Erwägungen sollten aber Veranlassung geben, der weiteren Verschlechterung der Luft und damit einer weiteren Beeinträchtigung der Gesundheit der Bewohner der Industriegebiete Einhalt zu gebieten. Wissenschaftler, Techniker und Juristen aus aller Welt haben seit langem hierzu Vorarbeit geleistet. Die technischen Möglichkeiten sind hinsichtlich verschiedener Industriezweige zum Teil bereits erforscht. Auch über die volkswirtschaftlichen Schäden, die z. B. durch Verwendung technisch überholter Kesselanlagen oder durch das Abfackeln von Gas entstehen, liegen bereits Forschungsergebnisse vor. Ebenso beschäftigen sich die Mediziner mit der Erforschung der gesundheitlichen Schäden, die Landwirte mit den Folgen für die Land- und Forstwirtschaft usf. Namhafte Stellen wie das Hygienische Staatsinstitut in Hamburg, der Fachausschuß für Staubtechnik im VDI, das Hygiene-Institut des Ruhrgebiets in Gelsenkirchen und der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk befassen sich mit den gerade auf dem Gebiete der Lufthygiene sehr wichtigen Fragen der Grundlagenforschung. Die von Oberstadtdirektor Hülsmann in Gelsenkirchen 1954 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Lufthygiene", der mehrere Städte der Ruhrgebietsmitte angehören, unterhält die zuständige Abteilung des Gelsenkirchener Hygiene-Instituts.
Es fehlt jedoch an einer Zusammenfassung der Forschungseinrichtungen verschiedenster Art und damit einer gemeinsamen Abstimmung der Forschungsergebnisse und daraus folgend der gemeinsamen Erarbeitung eines Abwehrplanes. Es ist außerdem verfehlt, mit Abwehrmaßnahmen erst dann einzusetzen, wenn man mit einer neuen industriellen Arbeitsweise bereits begonnen hat und die durch sie entstehenden Schäden, nämlich eine Verunreinigung der Luft, bereits in Erscheinung getreten sind. Es ist vielmehr notwendig, durch sorgfältige wissenschaftliche Vorausplanung die Möglichkeit des Entstehens von Schäden schon im Zuge der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung von Arbeitsmethoden zu erforschen und damit zugleich vorsorglich Maßnahmen zur Fernhaltung solcher Schäden zu planen. Da außerdem die Verunreinigung der Luft auf vielen Faktoren beruht, deren Ausmaß und Gewicht im einzelnen festzustellen schwierig ist, muß die Erforschung der maßgeblichen Faktoren auf breite Basis gestellt, jedoch einheitlich gelenkt werden. Es müssen also alle Kreise der Wissenschaft, der Technik, der Wirtschaft, die Berufsverbände usf. zur Mitarbeit gewonnen werden, einmal, um die Ursachen zu erforschen, ferner aber auch, um die Grundlagen zur Abhilfe zu schaffen.
Der Nachholbedarf an industriellen Einrichtungen zur Abluftreinigung ist zweifellos enorm. Neben der wissenschaftlichen Untersuchung der Luftverunreiniger muß daher die Feststellung des technischen Nachholbedarfs an Abhilfevorrrichtungen einhergehen. Diese Feststellung wird die Industrie im wesentlichen selbst treffen können, außerdem müßten insoweit die Gewerbeaufsichtsämter tätig werden. Aus diesen Feststellungen muß ein Gesamtplan für die Deckung dieses Nachholbedarfs entwickelt werden, und zwar in technischer und finanzieller Hinsicht. Industrielle Neuanlagen müssen zum Schutze der Bevölkerung alle technischen Einrichtungen erhalten, die eine möglichst geringe Verunreinigung der Luft gewährleisten.
Nach den Ergebnissen der bisherigen Forschung muß davon ausgegangen werden, daß technische Abhilfemittel allein nicht ausreichen, um die Luftverschmutzung zu verhindern. Es müssen biologische Abhilfemaßnahmen hinzukommen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß industrielle Werke, die in Grün eingebettet sind, insbesondere in Waldnähe liegen, infolge dieses natürlichen Schutzgürtels keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung bilden. Von dieser Erfahrung ausgehend, müßten Maßnahmen eingeleitet und mit Energie durchgeführt werden, die der Wiederherstellung des in den Industriezentren verlorengegangenen Grüngürtels dienen. Baumanpflanzungen selbst in Großstadtstraßen, Begrünung und Bepflanzung an Halden und Schuttabladeplätzen, Baumanpflanzungen in Werkshöfen und in brachliegendem Werksgelände müßten planmäßig durchgeführt werden.
Zur Erforschung aller die Verschmutzung der Luft veranlassenden Umstände und zur Ermittlung von Abhilfemaßnahmen technischer und biologischer Art und zur Feststellung des gesamten Nachholbedarfs in technischer und finanzieller Hinsicht soll eine unabhängige Kommission von Wissenschaftlern, Hygienikern, Technikern, Juristen und Betriebswirten eingesetzt werden. Das Ziel der Arbeiten der vom Bundestag zu bildenden Kommission muß sein, aus der Erkenntnis der Schäden sowie der Möglichkeiten ihrer Beseitigung einen Gesetzentwurf vorzubereiten, der Abhilfemaßnah-
men an dem Bestehenden und für die Zukunft — bei Neuerrichtung von industriellen Anlagen — Vorsorgemaßnahmen vorsieht und in geeigneten Fällen zwingend vorschreibt. Die Erfahrungen des Auslandes sind hierbei nutzbar zu machen, die gesetzgeberischen Maßnahmen des Auslands zu erforschen und je nach Brauchbarkeit auszuwerten, staatliche, gemeindliche und private Forschungsinstitute, die sich mit den Fragen der Lufthygiene befassen, zu fördern, die Errichtung weiterer Institute in den bedrohten Gebietsteilen anzuregen. Ich glaube, daß es nicht allzu schwierig sein wird, einen Anfang zu machen. Ich weise darauf hin, daß in England bereits, wenn auch noch nicht vorbildliche, immerhin aber Gesetze bestehen, die die Grundlage für derartige Maßnahmen bieten, gleichfalls in verschiedenen Staaten der USA.
Nach dieser Begründung, meine sehr verehrten Damen und Herren, für eine Sache, die weite Kreise unseres Volkes interessiert, bitte ich Sie, dem Antrag der SPD-Fraktion betreffend Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe — Drucksache 2598 — zuzustimmen, ihn zuvor aber zur weiteren Beratung an die Ausschüsse für Kommunalpolitik und für Fragen des Gesundheitswesens zu überweisen.