Rede von
Margot
Kalinke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei dem § 150 Abs. 1 handelt es sich um eine der entscheidenden Fragen in diesem Gesetz, nämlich um die Höhe des Beitragssatzes. Bei aller Berücksichtigung der Probleme, die dafür sprechen, den Beitragssatz zu erhöhen oder zu senken, bei aller Notwendigkeit der Ausweitung von Leistungen auch dafür zu sorgen, daß gleichzeitig die entsprechende Beitragsreserve gegeben ist, auch bei aller Berücksichtigung ,der Bedenken, die der Präsident Scheuble von der Bundesanstalt hier in Bonn unlängst gegen die Senkung des Beitrags geltend gemacht hat, nämlich daß ein Ausfall von, wie er sagte, 600 Millionen DM jährlich und damit das Ende der Überschüsse bei der Bundesanstalt gegeben seien, auch unter Berücksichtigung der Bedenken, daß damit die bisherigen Leistungen der Bundesanstalt auf dem Wohnungsmarkt eingeengt werden können, ja, selbst unter Berücksichtigung des Tatbestandes, daß die hier beschlossene verlängerte Bezugsdauer weitere Kosten und unter Umständen ein weiteres Defizit zur Folge haben wird, sind wir der Auffassung, daß in der Frage der Beiträge ein übergeordneter moralischer Gesichtspunkt Geltung haben muß. Der überge-
*) Siehe Anlage 5 zur 171. Sitzung. **) Siehe Anlage 3 zur 171. Sitzung.
***) Siehe Anlage 7 zur 171. Sitzung.
****) Siehe Anlage 6 zur 171. Sitzung. *****) Siehe Anlage 4 zur 171. Sitzung. ******) Siehe Anlage 9 zur 171. Sitzung.
ordnete Gesichtspunkt, der für die Sozialversicherungsbeiträge wie für die Steuern gleichermaßen gelten muß, kann nur der sein, daß niemandem mehr Beiträge abverlangt werden dürfen, als für die Erfüllung der Leistungen notwendig sind, und daß bei jedem Gesetz festgestellt werden muß, was die Leistungen kosten und welch ein Beitragssatz als Ausgleich für diese Leistungen erhoben werden kann oder erhoben werden muß. Wir begrüßen daher, daß der Ausschuß dem Grundsatz der Beitragssenkung auf 2 % zugestimmt hat. Wir glauben aber, daß es in der Sozialversicherung seit jeher ein guter Grundsatz gewesen ist, einheitliche Beiträge für alle Versicherten zu haben.
Dem weiteren Beschluß des Ausschusses. für die Versicherten im Bau- und Baunebengewerbe und in den Gewerbezweigen, die infolge von Witterungseinflüssen Arbeitsausfällen ausgesetzt sind, den Beitrag nach wie vor auf 3% festzulegen, halten wir die allergrößten Bedenken entgegen, nicht etwa wegen der besonderen saisonalen Schwierigkeiten und wegen der Belastung, die die Arbeitslosenversicherung durch die Arbeitskräfte dieser Zweige hat. Man könnte sehr wohl darüber sprechen, für bestimmte Gruppen, die ein besonderes Risiko sind, besondere Beiträge und Leistungen festzusetzen. Dann müßte aber die Konsequenz sein, diese Gruppen als besondere Risikogemeinschaften aus der Solidarhaftung der größeren Gemeinschaft herauszunehmen. Wenn man das nicht tut und wenn man dann innerhalb der Solidarhaftung der gesamten Versicherung einer Gruppe Vorzüge einräumt, dann muß man sehr wohl auch all den Wünschen entsprechen, die schon gestern in der Debatte der zweiten Lesung angeklungen sind, z. B. auch den Wünschen derjenigen, die mit Recht geltend machen, daß sie jahrzehntelang Beiträge gezahlt haben, ohne je etwas von der Arbeitslosenversicherung herausbekommen zu haben.
Es ist ein offenes Geheimnis, daß sogenannte Rechtsberater Sozialversicherte in der Vergangenheit darauf aufmerksam gemacht haben, daß man durch Lücken des Gesetzes schlüpfen kann, wenn man am Ende seiner Berufslaufbahn, ehe man die Rente beantragt, sich noch schnell nach Erfüllung der Wartezeit und aller Voraussetzungen für ein halbes Jahr Arbeitslosenversicherungsleistungen beschafft. Ich habe in einer ganzen Reihe von Fällen im Laufe des letzten Jahres Anfragen bekommen, ob man nicht in der Novelle, um wirklich sauberes Recht zu schaffen, verankern könnte, daß derjenige, der die Arbeitslosenversicherung in seinem Leben nie in Anspruch genommen hat, wenigstens zum Schluß seines Berufslebens für ein halbes Jahr die Abfindungssumme in Höhe der Leistungen der Arbeitslosenversicherung sozusagen als Prämie erhält.
Es ist sicherlich auch in ,diesem Zusammenhang interessant, was Herr Professor Pfister, München, einmal auf einer Tagung der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft dargestellt hat, wie hoch das vorenthaltene Spargeld bei denen ist, die Jahrzehnte in die Zwangsversicherung einbezahlt haben, ohne je Leistungen empfangen zu haben.
Ich glaube, man kann alle diese Überlegungen im Interesse der Solidarhaftung mit Recht nur dann ablehnen, wenn man einheitliches Recht und damit auch eine einheitliche Beitragsgestaltung schafft. Aber auch von dieser Frage gilt das
gleiche, was ich gestern in einem anderen Zusammenhang sagte: man soll auch an die Durchführung der Gesetze durch ,die Verwaltung denken. Es ist z. B. bisher nicht ersichtlich, ob die unterschiedliche Regelung im Baugewerbe nur für die Arbeiter oder auch für die Angestellten gelten soll. Mir leuchtet nicht ein, daß die Angestellten im Baugewerbe, etwa im Lohnbüro oder im Zeichenbüro, von der gleichen Möglichkeit der Arbeitslosigkeit durch Witterungseinflüsse betroffen sein sollen. Hier zeigt sich schon wieder, zu welchen Schwierigkeiten ein unterschiedliches Recht auch in der Verwaltung führt. Die Ortskrankenkassen, die Betriebskassen und die Ersatzkassen müßten genau prüfen, erstens, ob die einzelnen in einem solchen Betrieb beschäftigt sind, zweitens, ob Arbeiter und Angestellte unterschiedlich behandelt werden müssen. Außerdem muß noch darauf hingewiesen werden, daß eine solch unterschiedliche Regelung in der Praxis zweifellos dazu führen würde, daß unterschiedliche Beiträge für die Verwaltung einen ungeheuren Mehraufwand durch die Prüfung erfordern würden und daß sich im übrigen durch die notwendige Kontrolle sehr große Schwierigkeiten ergeben würden.
Wir wären Ihnen daher dankbar, wenn Sie in Würdigung dieser, wie mir scheint, übergeordneten Gesichtspunkte unserem Antrag, den ich namens der Fraktion der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei zu begründen die Ehre hatte, zustimmen würden. Wir bitten, den § 150 Abs. 1 wie folgt zu fassen:
Der Beitragssatz ist zwei vom Hundert des nach Absatz 2 für die Bemessung maßgeblichen Betrages
und damit einen einheitlichen Beitrag für alle Versicherten in der Arbeitslosenversicherung festzusetzen.