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ID0216800600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 168. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. November 1956 9259 168. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. November 1956 Gedenkworte für die Leiden und Opfer der Ereignisse im Nahen Osten und in Ungarn: Vizepräsident Dr. Jaeger 9259 B Mitteilung über Sitzung des Deutschen Bundesrats in Berlin 9259 D Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (weltpolitische Entwicklung, Vorgänge in Ungarn und Ägypten): Bundeskanzler Dr. Adenauer . . . 9259 D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung: Dr. Krone (CDU/CSU) 9264 C Mellies (SPD) 9267 A Dr. Dehler (FDP) 9269 D, 9275 D Vizepräsident Dr. Jaeger . 9275 C, 9276 D Feller (GB/BHE) 9277 A, B Dr. Schneider (Lollar) (FVP) . . . . 9280 C Dr. Brühler (DP) 9282 A Nächste Sitzung 9283 D Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 9283 B Die Sitzung wird um 9 Uhr 31 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Becker (Hamburg) 8. 11. Behrisch 10. 11. Berg 8. 11. Dr. Bucher 10. 11. Cillien 15. 12. Feldmann 20. 11. Funk 8. 11. Gerns 8. 11. Dr. Greve 10. 11. Dr. Graf Henckel 8. 11. Dr. Horlacher 10. 11. Jacobs 8. 11. Kahn-Ackermann 17. 11. Lenz (Trossingen) 10. 11. Lotze 9. 11. Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein 10. 11. Mattick 28. 11. Mayer (Birkenfeld) 1. 12. Dr. Mocker 10. 11. Morgenthaler 9. 11. Frau Nadig 9. 11. Neubauer 30. 11. Ohlig 8. 11. Platner 8. 11. Reitz 8. 11. Samwer 9. 11. Schill 8. 11. Dr. Schöne 10. 11. Seither 11. 11. Dr. Stammberger 17. 11. Stauch 8. 11. Wagner (Ludwigshafen) 10. 11. Dr. Wellhausen 8. 11. Dr. Welskop 8. 11. b) Urlaubsanträge Abgeordnete(r) bis einschließlich Arndgen 30. 11. Frau Beyer (Frankfurt) 14. 12. Fürst von Bismarck 30. 11. Blachstein 30. 11. Dr. Dittrich 17. 11. Eberhard 24. 11. Dr. Elbrächter 30. 11. Erler 30. 11. Eschmann 17. 11. Dr. Franz 30. 11. D. Dr. Gerstenmaier 3. 12. Dr. Hammer 17. 11. Kiesinger 3. 12. Dr. Klötzer 30. 11. Krammig 30. 11. Kühn (Köln) 30. 11. Dr. Lenz (Godesberg) 30. 11. Dr. Menzel 30. 11. Dr. Mommer 30. 11. Odenthal 17. 11. Ollenhauer 15. 12. Dr. Preiß 30. 11. Dr. Dr. h. c. Pünder 30. 11. Raestrup 17. 11. Frau Dr. Rehling 15. 12. Freiherr Riederer von Paar 30. 11. Scheel 22. 12. Dr. Schmid (Frankfurt) 3. 12. Schoettle 30. 11. Dr. Starke 1. 12.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Wilhelm Mellies


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages habe ich folgende Erklärung abzugeben.
    Durch die Kämpfe in Ungarn und im Nahen Osten ist die Welt in den verflossenen Tagen in einem ungeheuren Maße erschüttert worden. Die Tatsache der Tausende von Toten, der aber Tausende von Verwundeten, der Hungernden und der Flüchtlinge, sie hat uns alle im Innersten aufgewühlt. Leider sind aber offenbar an beiden Stellen die Kämpfe noch nicht abgeschlossen, und noch immer gibt es Tote und Verwundete.
    Durch diese Auseinandersetzungen ist der Frieden in der Welt aufs äußerste gefährdet worden. Es muß bei einer Betrachtung der Dinge heute die Aufgabe sein, eine politische Wertung vorzunehmen, um daraus die Folgerungen für die künftigen politischen Notwendigkeiten zu ziehen.
    Die furchtbare Tragödie in Ungarn wird insbesondere unter zwei Gesichtspunkten politisch zu werten sein. Erstens ist die eisige Rücksichtslosigkeit zu sehen, mit der sich die Sowjetunion unter Verletzung aller Grundsätze des Völkerrechts und der Menschenrechte bestrebt zeigt, ihren Machtbereich zu behaupten, wie sie in einer durch militärische Blöcke geteilten Welt den eigenen Sicherheitswillen zur Geltung bringt. Zweitens ist die Unmöglichkeit eines bewaffneten Beistandes zu erkennen, weil ein militärisches Eingreifen den Krieg, den dritten Weltkrieg, der ein Krieg der Atomwaffen, der Wasserstoffbomben sein würde, 'bedeuten müßte.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ein solcher Krieg aber wäre keine Hilfeleistung, keine Rettung der Freiheit und keine Behebung der Not.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ein solcher Krieg wäre das absolut ungeeignete Mittel, die Probleme zu lösen. Er hätte nur den Untergang aller und wahrscheinlich die Vernichtung der Menschheit zur Folge. Auch ein Höchstmaß der Rüstung in den Ländern, die zu den westlichen Militärpakten gehören, könnte das ergreifende Schicksal Ungarns auf diese Weise nicht wenden.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Aus dieser Situation, die geschichtlich noch niemals da war und die erst durch die Atombomben bewirkt wurde, eröffnet sich nur ein einziger Ausweg: Alle Anstrengungen müssen gemacht werden, um die Spannungen in der Welt abzubauen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das kann aber nur durch eine größtmögliche Stärkung der Vereinten Nationen geschehen. Sie sind das Weltsystem der kollektiven Sicherheit. Spannungen sind doch nur der Ausdruck ungelöster Fragen und der daraus abgeleiteten Sicherheitsbedürfnisse. Man kann und darf deshalb gerade in dieser entscheidenden Stunde um des Friedens willen nicht resignieren.

    (Beifall bei der SPD.)

    Man darf sich auch nicht mit der Meinung abfinden, die Vereinten Nationen seien nicht in der
    Lage zu helfen. Die Vereinten Nationen, ihre
    Grundsätze und ihre Autorität sind die letzte Hoffnung der geängstigten Welt, die letzte Hoffnung der Völker, die auf Frieden und Freiheit bedacht sind. Darum muß alles geschehen, um ihre Autorität zu stärken und ihr System der kollektiven Sicherheit auf vielfältige Weise effektiver zu machen, z. B. durch die friedlichen Mittel der Rüstungsbegrenzung und der Rüstungskontrolle sowie gegebenenfalls durch die Bildung einer internationalen Exekutive.

    (Zuruf von der Mitte: EVG!)

    In dieser Stunde muß aber die Sowjetunion daran erinnert werden, daß sie am 30. Oktober 1956 eine Erklärung abgegeben hat, in der sie zum Ausdruck gebracht hat, daß die gegenseitigen Beziehungen der Staaten in ihrem Machtbereich nur auf den Grundsätzen der völligen Gleichberechtigung, der Achtung der territorialen Unverletzlichkeit, der staatlichen Unabhängigkeit und Souveränität sowie der gegenseitigen Nichteinmischung aufgebaut sein sollen. Die Sowjetregierung hat in dieser Erklärung selbst zugegeben, daß es in diesen Beziehungen in der Vergangenheit zahlreiche Schwierigkeiten ungelöster Aufgaben und wirkliche Fehler gegeben habe. Sie hat daran erinnert, daß der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion diese Verletzungen und Fehler ganz entschieden verurteilt habe. Angesichts der blutigen Ereignisse in Ungarn wird sich die Sowjetregierung von dem schweren Verdacht reinigen müssen, daß sie diese Erklärung nur zur arglistigen Täuschung des ungarischen Volkes veröffentlicht hat.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Sie muß jetzt durch die Tat bekunden, daß ihre Versicherungen mehr sind als bloße Lippenbekenntnisse.

    (Erneuter Beifall.)

    Meine Damen und Herren, wir beklagen es sehr, daß die westlichen Demokratien gerade in dem Augenblick, in dem das ungarische Volk der moralischen Unterstützung aller freiheitliebenden Völker sicher sein mußte, durch die unselige Aggression im Nahen Osten gelähmt wurden.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Man kann die Handlungsweise der britischen, der französischen und der israelischen Regierung gegenüber Ägypten nicht bloß als Intervention von Streitkräften bezeichnen,

    (Zustimmung bei der SPD)

    sondern man muß sie beim wirklichen Namen nennen: was sich dort abspielte, war Krieg!

    (Beifall bei der SPD.)

    Damit ist die freie Welt in Gefahr geraten, sich selbst unglaubwürdig zu machen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbar, daß einzelne ihrer Mitglieder, die sich dem Völkerrecht und der Demokratie verpflichtet haben, der Charta der Vereinten Nationen zuwiderhandeln und die Empfehlungen der Vollversammlung der Vereinten Nationen mißachten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Über eine bloße Absage an die Gewalt hinaus muß
    der entschlossene Wille des deutschen Volkes bekundet werden, jede Angriffshandlung für unbe-


    (Mellies)

    dingt verwerflich zu erklären und jedem Beginn eines Krieges, der keine reine Verteidigung ist, mit schärfster Mißbilligung zu begegnen.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE)

    Daher müssen wir alle Bemühungen der Vereinten Nationen um die Wiederherstellung des Friedens mit ganzer Kraft unterstützen.
    In diesem Augenblick aber, meine Damen und Herren, kommt es darauf an, ein höchstes Maß an Hilfe zur Unterstützung der Opfer der Ereignisse und zur Heilung der Wunden zu leisten. Über die unmittelbare Hilfstätigkeit hinaus sollte die Organisation für europäische Zusammenarbeit ihre Dienste anbieten und uneigennützig zum Wiederaufbau in Ungarn und im Nahen Osten beitragen.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Wir erwarten und fordern von der Bundesregierung, daß sie ihren Einfluß auf diese Organisation geltend macht, damit Wege gefunden werden, die einen solchen Beitrag ermöglichen. Wirtschaftliche Zusammenarbeit könnte und sollte der Anfang zu einer Änderung im Verhalten der west- und osteuropäischen Staaten zueinander sein, ungeachtet der Unterschiede der politischen und sozialen Systeme dieser Staaten. Darüber hinaus könnte und sollte Deutschland als ein Land der europäischen Mitte dazu beitragen, in den gegenseitigen Beziehungen neue Verhältnisse zu schaffen. Wir sagen das gerade angesichts der schweren Belastung, die unser eigenes Land durch die Fortdauer seiner Spaltung noch zu tragen hat. Die Teilung Deutschlands ist eine dauernde Gefahr für den Frieden.
    Deshalb kann in einer Stellungnahme zu den Ereignissen in den letzten Wochen an dieser Frage nicht vorbeigegangen werden. Es wäre aber widerspruchsvoll, eine Lösung der deutschen Frage von dem Ausbau der westlichen Militärpakte zu erwarten.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn die Fortdauer der Teilung Deutschlands eine wirkliche Gefahr ist, kann nicht durch die Einbeziehung der Bundesrepublik in den Nordatlantikpakt und die Westeuropäische Union die Spaltung Deutschlands behoben und damit die Gefahr beseitigt werden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Wenn es auch nach der Auffassung der Regierung die Teilung ist, durch die uns Gefahr droht, kann ein wirklicher Schutz auch nur des westlichen Teils Deutschlands durch den Ausbau einer Militärallianz nicht erreicht werden. Die Teilung muß überwunden werden, damit die Gefahr beseitigt wird;

    (Zurufe von der CDU/CSU: Wie?!)

    aber die Teilung kann nicht überwunden werden, wenn die Bundesrepublik Mitglied der NATO und der Westeuropäischen Union bleibt.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, es muß in dieser Stunde klar erkannt werden: aus diesem Widerspruch muß die deutsche Politik endlich durch eine Neuorientierung herausgeführt werden.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Wohin wollen Sie? — Weitere Zurufe und Unruhe in der Mitte.)

    Es kommt darauf an, im Rahmen der Vereinten Nationen durch ein kollektives Sicherheitssystem in Europa die Wiedervereinigung Deutschlands überhaupt erst zu ermöglichen. Das ernstliche Bemühen, alsbald ein solches europäisches Sicherheitssystem unter Mitwirkung Amerikas und auch der Sowjetunion aufzubauen, ist der friedliche Weg, urn den durch Verhandlungen gerungen werden muß.
    Es kommt jetzt darauf an, die militärischen Paktsysteme der vergangenen Jahre und die Art der zwischenstaatlichen Beziehungen ernstlich zu überprüfen. Das ist um so mehr notwendig, als es sich gerade in diesen Wochen gezeigt hat, daß die Militärpaktsysteme beider Seiten sich in einer Krise befinden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Unmöglich wäre der Versuch, sie durch Intensivierung alter Methoden wieder zu beleben.

    (Beifall bei der SPD.)

    Notwendig und zukunftsträchtig allein ist die schrittweise Änderung des Paktsystems beider Seiten, des Warschauer Paktes und auch des Atlantikpaktsystems.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist deshalb mit der Bundesregierung darin einverstanden, daß die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion nicht abreißen dürfen, sondern stärker ais bisher gepflegt werden müssen. Es geht bei diesen Beziehungen nicht darum — lassen Sie mich das mit Nachdruck betonen —, der Sowjetunion gefällig zu sein oder die von ihr geschaffenen Tatsachen anzuerkennen. Nein, es handelt sich hier um einen Dienst an Deutschland, um einen Dienst an den Menschen in der Zone und letzten Endes um ein Werk des Friedens.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ein verstärkter und unmittelbarer Gedankenaustausch mit der Regierung der Sowjetunion, der selbstverständlich stets in engstem Kontakt mit unseren westlichen Freunden vorgenommen werden muß, ist sicher kein Imstichlassen Ungarns. Jeder Schritt zu einer Entspannung in Mitteleuropa, eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und die Sicherung des Friedens durch ein europäisches Sicherheitssystem bringen auch eine Erleichterung für das ungarische Volk.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sah sich Ende voriger Woche veranlaßt, dem Herrn Außenminister ihre Bedenken über die geplante Reise des Bundeskanzlers nach Paris vorzutragen. Wenn der Herr Bundeskanzler vorhin in seiner Erklärung zum Ausdruck gebracht hat, daß der Erfolg des Besuchs diesen rechtfertige, so müssen wir allerdings sagen, daß er sich damit nach unserer Auffassung in einem Irrtum befindet.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die schwierige Lage des um seine Wiedervereinigung in Freiheit ringenden gespaltenen Deutschlands sollte die Bundesregierung veranlassen, jede Tuchfühlung mit irgendeiner Aggression, wo immer sie auch stattfindet, peinlich zu vermeiden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)



    (Mellies)

    Wir müssen deshalb nach wie vor bedauern, daß der Herr Bundeskanzler daran festgehalten hat, den Plan seines Besuchs in Paris zu einem so unglücklichen Zeitpunkt auszuführen. Es muß dadurch der Anschein erweckt werden, daß sich die Bundesregierung von der kriegerischen Aktion Frankreichs gegen Ägypten nicht deutlich distanziert, sondern sie unter Umständen sogar bejaht.

    (Erneuter Beifall bei der SPD. — Lebhafte Gegenrufe von der Mitte.)

    Es geht, meine Damen und Herren, in solchen Augenblicken in der Politik nicht nur um die Frage eines offenen Gesprächs zwischen Freunden, sondern es geht auch darum, welcher Eindruck durch einen solchen Besuch bei den friedliebenden Völkern der Welt hervorgerufen wird, wenn der Freund zum Aggressor geworden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine enge Gemeinschaft mit Frankreich wird von uns allen gewünscht.

    (Zurufe von der Mitte: Na also! Zur Freundschaft gehören auch Besuche! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Aber es war nach unserer Auffassung nicht der geeignete Augenblick, die Gemeinschaft mit Frankreich in dieser Weise zu betonen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es wäre statt dessen richtiger gewesen, von der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen, daß eine Solidarität die unbedingte Vermeidung bewaffneter Angriffe sowie die Achtung vor den Beschlüssen der Vereinten Nationen voraussetzt.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Tatsache, daß an dem Tage des Besuchs die Anordnung zur Einstellung des Feuers gegeben wurde, soll offenbar auch benutzt werden, um eine gewisse Legendenbildung zu erreichen, die dem Volke sagt, daß der Besuch des Bundeskanzlers diesen Abschluß ermöglicht habe.

    (Zurufe von der Mitte: Stimmt doch! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Wenn der Herr Bundeskanzler auf eine Frage der
    französischen Regierung den Rat gegeben hat, das
    Feuer einzustellen, so ist das doch nur das, was
    jeder Staatsmann und Politiker, der die Welt vor
    einem dritten Weltkrieg bewahren wollte und dem
    es um die Erhaltung des Friedens ging, getan hätte.

    (Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    — Meine Damen und Herren, wir haben ja von uns aus nicht gewünscht, eine solche Auseinandersetzung zu führen. Sie ist von Ihnen begonnen worden.

    (Widerspruch in der Mitte.)

    Wer sich aber die Situation vom 6. November vor Augen führt, weiß, daß die Regierungen von Frankreich und England auch bei einem gegenteiligen Rat kaum in der Lage gewesen wären, eine andere Entscheidung zu fällen, als sie tatsächlich gefällt worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, der Abschluß des Waffenstillstandes ist in viel stärkerem Maße Kräften zu verdanken, die sich hingebend zu einer Zeit um den Frieden bemühten, als die Bundesregierung sich noch jeder Stellungnahme enthielt

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und sich gegenüber dem Konflikt im Nahen Osten in tiefstes Schweigen hüllte. Beigetragen zu dem erfolgreichen Waffenstillstand hat zunächst das überraschend schnelle und energische Handeln der Vereinten Nationen, insbesondere der Beschluß hinsichtlich der Aufstellung einer internationalen Polizei.

    (Beifall bei der SPD und beim GB/BHE.)

    Weiter hat die Weltöffentlichkeit, die sich fast überall klar und deutlich gegen die Angreifer gestellt hat, so daß diese sich in einer fast völligen Isolierung befanden, den Abschluß des Waffenstillstandes gefördert. Die britische Arbeiterpartei hat durch ihren harten Widerstand im Parlament und durch ihre Aufklärung in der Bevölkerung entscheidend dazu beigetragen, daß die englische Regierung dem Waffenstillstand geneigt wurde.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Hilbert: Mollet ist doch Sozialist!)

    Und letzten Endes sollte man auch die Bemühungen des indischen Ministerpräsidenten Nehru und der Schweizerischen Bundesregierung nicht vergessen, die ihre guten Dienste angeboten haben, um den Konflikt zu beenden.

    (Beifall bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns gezeigt, in welche Gefahr die Welt gestürzt werden kann durch Regierungen, die die Freiheit, die Menschenwürde und die Selbstbestimmung der Völker nicht achten,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und durch Regierungen, die der Auffassung sind, daß Streitigkeiten zwischen den Völkern auch heute noch mit Waffengewalt ausgetragen werden könnten und müßten.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Diese Erschütterungen, die wir alle mit größter innerer Anteilnahme erlebt haben, stellen die Politik und vor allem die deutsche Politik vor neue Aufgaben. Die Haltung der Bundesregierung und die heute abgegebene Erklärung berechtigen uns leider nicht zu dem Vertrauen, daß die Bundesregierung die für eine Neuorientierung notwendigen Schritte tun wird. Nicht das Herumflicken an alten Projekten, sondern das Bemühen um neue, reale Lösungen, die den Frieden sichern, ist das Erfordernis für die deutsche Politik

    (lebhafter Beifall bei der SPD — Zurufe von der Mitte)

    und auch für die Politik aller Regierungen, die eine friedliche Entwicklung wollen. Wir neigen uns heute vor den Opfern der blutigen Ereignisse in den letzten Wochen. Wir übernehmen damit zugleich die Verpflichtung, den deutschen Beitrag für die Befriedung der Welt zu leisten. Dieser Aufgabe müssen wir jetzt unseren Blick zuwenden.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regierungserklärung ist ein Meisterstück. Hätte ich doch einen winzigen Teil der Unbekümmertheit, der Selbstsicherheit, der — darf ich sagen? - Selbstgerechtigkeit ihres Verfassers! Immerhin, es ist manches, es ist viel geschehen. Das Vertragssystem, das die Grundlage unserer politi-


    (Dr. Dehler)

    sehen Existenz sein soll, hat schon seine erste Belastungs- und Bewährungsprobe nicht bestanden.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Zwei Mächte, die sich vor knapp zwei Jahren in feierlichen Erklärungen uns gegenüber verpflichtet haben, ihre Streitfragen mit friedlichen Mitteln zu lösen, auf daß der Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, sich der Gewaltandrohung gegen die Unversehrtheit irgendeines Staates zu enthalten, brechen ihr Wort,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    setzen Gewalt, tun es, ohne ihre Vertragspartner zu befragen, ohne sich mit einem Worte bei ihnen zu rechtfertigen. Der Grundsatz von Treu und Glauben im Verkehr der Völker, das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts als Grundlage der Ordnung der Völker und zwischen den Völkern werden erschüttert. Bomben fallen auf Unschuldige: Frauen, Männer und Kinder. Ein wertvolles Volk, das der Ungarn, zerfleischt sich im Bruderkampf,

    (lebhafte Pfui-Rufe von der Mitte — Abg. Hilbert: Was „Bruderkampf"? — Unruhe)


    (Aha! in der Mitte.)

    — Ich glaube, Sie sollten warten, bevor Sie Pfui rufen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Die haben keinen Verstand dafür! — Pharisäerhaft ist das schon! — Weitere Zurufe von der SPD.)

    Die freie Welt sieht diesem bitteren Schicksal tatenlos zu, muß ihm tatenlos zuschauen.
    Man traut seinen Ohren nicht, was die Bundesregierung dazu und zu dem, was die Welt tief bewegt und wandelt, zu sagen hat: „die unverbrüchliche Solidarität zwischen den Mächten festigen" —, „wir zweifeln nicht, daß alle Staaten ohne Vorbehalt diese Bemühungen unterstützen werden" —, „Frieden, Sicherheit, Freiheit; alle müssen auf die Anwendung von Gewalt verzichten". — Die Bundesregierung und ihre Politik sind ohne Fehl und Tadel und über alle Zweifel erhaben. Die letzten Wochen, so hören wir, haben die Richtigkeit der politischen Ziele und Vorstellungen der Bundesregierung mit größter Deutlichkeit - so, glaube ich, hieß es — bewiesen. Haben die Richtigkeit der Politik der Bundesregierung bewiesen!

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Und niemand, so hören wir, wird sie von ihrem bisherigen Wege abbringen.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte.)

    Kein Wort der Kritik, auch kein Wort der Selbstkritik,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    kein Wort über den Vertragsbruch Edens und Mollets,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    aber Deklamationen über unverbrüchliche Vereinbarungen!

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Durch das Bundeshaus geht eine Mär: Frankreich
    und England, die ihr Verhalten mit keinem Wort
    berichtigt haben, haben unserem Regierungschef zuliebe, als er an die Seine fuhr, die Waffen am Nil schweigen heißen.

    (Lachen bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, wir hören mit Erschütterung: die Waffen schweigen gar nicht, auch nicht am Nil.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Armes deutsches Volk,

    (Abg. Hilbert: Wenn es von Ihnen einmal geführt würde!)

    das nicht weiß — —. Ach, Herr Hilbert, ich dränge mich nicht zur Führung!

    (Lachen und Zurufe von der Mitte.)

    Wer tut das?

    (Erneute Zurufe von der Mitte.)

    — Ach, Herr Scharnberg, Sie haben keinen Anlaß zu diesen Gesten, einer der Totengräber der deutschen Demokratie.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und beim GB/BHE. — Pfui-Rufe von der Mitte. — Zuruf von der Mitte: Wo bleibt der Ordnungsruf? — Weitere Zurufe von der Mitte.)