Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoogen hat in seinem Schriftlichen Bericht in sehr fairer Weise — und dafür bin ich ihm dankbar — die Gründe für und gegen die Führung einer Kartei über Verkehrsübertretungen und -vergehen angeführt. Er stellt sich in seinem Bericht auf den Standpunkt, daß die Gründe gegen eine solche Kartei überwiegen. Auch wir sehen ein, daß Gründe dafür und dagegen anzuführen sind, glauben allerdings, daß die sehr viel gewichtigeren Gründe für die Führung dieser Kartei sprechen, so wie das Verkehrsministerium und der Verkehrsausschuß sie im Einvernehmen mit dem Bundesrat vorgeschlagen haben.
Der Nutzen, den man sich von dieser Kartei verspricht, wird in drei Richtungen gesehen. Zunächst gibt eine solche Kartei dem Richter eine Handhabe für die Beurteilung von Verkehrsdelikten. Gerade bei Verkehrsdelikten, die Fahrlässigkeitsdelikte sind, kann sich der Richter ein Bild von der Persönlichkeit des Täters, das für die Beurteilung wesentlich ist, aus der Tat selbst zunächst nicht machen. Wer vorsätzlich stiehlt, hat bewiesen, daß er bereit ist, das Recht zu brechen. Wer aber fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, kann der gewissenhafteste Mensch sein, der nach 20 Jahren zuverlässigen Fahrens zum erstenmal einen Fehler begeht; für den es ein tragisches Ereignis ist, daß er Täter eines Verkehrsunfalls wird. Er kann aber auch der Typ des brutalen Fahrers sein, der bisher zehnmal Glück gehabt hat.
Das Zweite ist, daß die Verwaltung eine Handhabe braucht, unzuverlässige Fahrer und Verkehrsteilnehmer auszuschalten, ehe sie einen schweren Verkehrsunfall, der Leben oder Gesundheit von Menschen kostet, verursachen.
Der Nutzen, den man sich von der Kartei verspricht, ist drittens, daß sie Aufschlüsse für die künftige Handhabung von Verkehrsbestimmungen, für die Gesetzgebung, für die Erforschung von Unfallursachen, für die Feststellung der besonders gefährdeten Berufsgruppen und für die Wirkung von bereits eingeleiteten Maßnahmen geben kann. Zum
*) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4.
Beispiel würde eine solche Kartei deutlich machen, welche der vielen Verbotsgesetze, von denen wir viel zuviele haben, wirklich wirksam sind und welche nicht wirksam sind. Von § 315 a des Gesetzes zur Sicherung des Verkehrs hat man sich eine erhebliche Wirkung versprochen, und es hat sich ergeben, daß er so gut wie gar nicht gehandhabt werden kann. Ähnliches wird sich in bezug auf andere Verkehrsverbotsgesetze ergeben, wenn man einen Überblick darüber gewinnen kann, welche Übertretungen und Vergehen festgestellt werden, welche Bestimmungen wirklich gehandhabt werden können und welche nicht.
Nun die Einwendungen, die vor allem im Rechtsausschuß erhoben worden sind. Zunächst wird geltend gemacht — das ist der erste Einwand, der im Schriftlichen Bericht genannt ist —, daß das Bild der Persönlichkeit des Täters, das die Kartei liefert, unvollkommen ist. Z. B., wer viel fährt, wird leichter gegen Bestimmungen verstoßen, und er wird häufiger in eine Kartei eingetragen werden als der, der wenig fährt.
Es wird auch gesagt, daß die Polizei nicht überall gleichmäßig durchgreife und daß die Mehrzahl der tatsächlich vorkommenden Verstöße nicht festgestellt werde. Aber man kann ja wohl sagen, daß der, der sehr oft erwischt wird, auch sehr viele Fehler begangen haben wird.
Wir gehen davon aus, daß die Kartei nur bei einer größeren Zahl schwererer Verstöße eine Bedeutung hat. Kein Richter wird es schwer werten, wenn ein Kraftfahrer ein paarmal falsch geparkt hat. Aus der Kartei soll ersichtlich sein, wie der Verstoß aussieht und um welchen Verstoß es sich handelt. Wir müssen dem Richter und dem Verwaltungsbeamten schon zutrauen — und wir können es ihm zutrauen —, daß er nicht die Zahl der Eintragungen wie eine Additionsmaschine addiert, sondern daß er sie mit Verstand wertet.
Die dritte Einwendung geht dahin, daß es eine Mehrbelastung der Gerichte durch Einlegung von Rechtsmitteln geben wird. Es ist sicher möglich, daß eine ganze Reihe von Übertretungen jetzt in die Rechtsmittelinstanz gehen werden, bei denen das vorher nicht der Fall gewesen ist. Aber wir haben auch die Hoffnung, daß durch eine derartige Registrierung der Übertretungen eine warnende Wirkung ausgeübt wird, so daß die Zahl der Übertretungen und der Unfälle sinkt. Dazu kommt, daß der Spielraum der Polizei bei der Erteilung von gebührenpflichtigen Verwarnungen, die nicht in die Kartei kommen, vergrößert worden ist und daß dadurch wiederum eine Entlastung der Rechtsmittelinstanzen eintritt.
Schließlich der vierte Einwand. Es ist gesagt worden, bei den richterlichen Strafverfahren dürften nur gewichtige Vorstrafen berücksichtigt werden. Gerade bei dem Verkehrsdelikt, das meistens ein Fahrlässigkeitsdelikt ist, ist es für den Richter maßgebend, auf welcher charakterlichen Grundlage ein derartiges Fahrlässigkeitsdelikt zustande gekommen ist. Deshalb ist es für den Richter wichtig, eine Grundlage für die charakterliche Beurteilung von Verkehrsteilnehmern, die Fehler begangen haben, zu haben.
Die letzten Bedenken sind verwaltungsmäßiger und rechtspolitischer Art. Die Gefahr, daß weitere Karteien für andere Fragen errichtet werden, daß
das Schule macht, daß man derartige Karteien einrichtet, in denen der Staatsbürger überwacht, registriert und beobachtet wird, scheint mir hier wirklich nicht gegeben zu sein. Es handelt sich hier um Fälle und um Tatbestände, die ganz außerhalb des Rahmens der übrigen Tatbestände liegen. Hier geht es um Leben und Gesundheit von Menschen.
Man wird nicht Konsequenzen etwa für Steuersünder oder für irgendwelche anderen Verstöße
ziehen können aus Maßnahmen, bei denen es sich darum handelt, das grauenhafte Anwachsen der Todesfälle und Verletzungen auf den Straßen zu verhindern.
Im Jahre 1955 sind durch Verkehrsunfälle über 12 000 Menschen getötet worden, über 350 000 Menschen sind verletzt worden, und diese Zahlen sind in grauenhafter Weise im Steigen.
Wir wissen, daß auch noch anderes geschehen muß: die Straßen müssen verbessert werden, die Polizei kann vielleicht anders handeln. Aber wir wissen auch, daß eines der Momente, gegen die wir angehen müssen, dies ist, daß schlecht und fahrlässig gefahren wird. Und wenn wir etwas tun können, um hier zu warnen und um diese Komponente der Unfälle auszuschalten, dann, glaube ich, können wir es nicht verantworten, dies zu unterlassen.
Demgegenüber sollte man nicht einwenden, daß dies ein Eingriff in die Freiheit, ein Eingriff in das Leben der Staatsbürger sei. Bei dem Impfzwang greifen wir in viel, viel intimere persönliche Sphären ein. Alle Gesetze etwa wie die Gesundheitsüberwachung, die Tuberkulosefürsorge oder das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten greifen ja wahrhaftig viel tiefer ein, während es sich hier nur darum handelt, daß tatsächliche Übertretungen von Gesetzen registriert werden. Wenn man etwa hoffen kann, daß diese Registrierung eine warnende, eindämmende, zurückhaltende Wirkung haben kann, dann, glaube ich, kann man es angesichts der Zahl der Verkehrsunfälle und der Toten nicht verantworten, etwas zu unterlassen.
Die Sachverständigen im Verkehrsausschuß und im Verkehrsministerium versprechen sich von dieser Maßnahme etwas. Es ist eine Maßnahme, die nach dem, was uns gesagt wird, hundert Personen erfordert, hundert Personen, die im wesentlichen die Bedienung von Buchungsmaschinen zur Aufgabe haben werden. Ich glaube, dieser Aufwand ist nicht so enorm gegenüber der Hoffnung, auch nur einige Tote und einige Verkehrsunfälle verhindern zu können. Es ist eine Maßnahme, die rückgängig gemacht werden kann, wenn sich nach drei oder vier Jahren erweist, daß sie nichts hilft. Sie kann rückgängig gemacht werden. Aber die Verkehrsunfälle sind nicht rückgängig zu machen. Ich glaube, deshalb sollten wir nicht die Verantwortung auf uns nehmen, etwas zu unterlassen, was auch nur einige Hoffnung in sich trägt, daß hier eine Besserung gefunden werden kann.