Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Novelle zum Häftlingshilfegesetz, die wir heute in erster Lesung zu behandeln haben, bringt, wie Herr Minister Oberländer bei der Begründung schon erklärt hat, einige gesetzestechnische Änderungen, ergänzt Verfahrensvorschriften und gibt einigen Formulierungen eine klarere Fassung. Darüber hinaus aber werden auch einige materielle Änderungen vorgenommen. Bei diesen materiellen Änderungen handelt es sich insbesondere um die Übernahme des bisher nur im Haushaltsgesetz verankerten Häftlingshilfefonds.
Das Häftlingshilfegesetz ist vor gut einem Jahr verabschiedet worden. Es mußte damals in äußerster Beschleunigung im Ausschuß beraten werden, damit das für den betroffenen Personenkreis so wichtige Gesetz noch vor den Parlamentsferien des vergangenen Jahres in Kraft treten konnte. Ich glaube, ich darf noch einmal daran erinnern, daß
sich die Bundesregierung damals mit der Fertigstellung des Entwurfs eines Häftlingshilfegesetzes sehr viel Zeit gelassen hat. Vom Tage des Ersuchens des Parlamentes an die Regierung, uns ein solches Gesetz vorzulegen, bis zur Einbringung des Gesetzentwurfes wurde ein Jahr benötigt, obwohl damals Herr Minister Oberländer erklärte, er brauche sehr kurze Zeit, um diesen Gesetzentwurf vorlegen zu können.
Man hätte also erwarten können, ja erwarten müssen, daß zum mindesten alle gesetzestechnischen Fragen und Verfahrensvorschriften genügend durchdacht gewesen wären, damit nicht nach kurzer Zeit wieder Änderungen des Gesetzes nötig werden. Ich glaube, das ist schlecht und dient ganz sicher nicht dem Ansehen der Bundesregierung, auch nicht dem Ansehen des Parlaments. Wir sollten uns alle einig sein in dem Verlangen, daß die Ministerien sorgfältig durchdachte Gesetze vorlegen und sie auch frühzeitig genug vorlegen, damit weder der Ausschuß noch das Plenum überhastet arbeiten muß.
Die Aufnahme einer Bestimmung über den Häftlingshilfefonds in diese Novelle und damit in das Häftlingshilfegesetz ist die wichtigste Änderung. Bislang hatten — das ist schon gesagt worden — die Beihilfen an ehemalige politische Häftlinge ihre Grundlage im Haushaltsgesetz.
Voraussetzung für die Gewährung dieser Beihilfe war eine auf Grund besonderer Richtlinien vorgenommene Hilfsbedürftigkeitsprüfung. Es handelte sich also um Ermessensfragen. Es ist bekannt, daß diese bürokratische Regelung bei dem betroffenen Personenkreis und auch in der Öffentlichkeit immer wieder Anlaß zu heftiger Kritik gegeben hat, und auch meine Fraktion hat sich von Anfang an gegen diese Ermessensentscheidungen gewandt, weil wir sie für menschlich und politisch ungenügend halten. Wir haben von jeher die Festlegung eines Rechtsanspruchs gefordert, also eine wiedergutmachende Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft gefordert. Der Entwurf der Novelle, wie ihn die Bundesregierung dem Bundesrat vorgelegt hatte, sah vor, die Gewährung der Beihilfe nach wie vor an eine Prüfung der wirtschaftlichen Lage der Antragsteller zu binden. Diese Regelung hätte es zwar gestattet, von dem Begriff der Hilfsbedürftigkeit oder von dem Begriff der Bedürftigkeit im engeren Sinne Abstand zu nehmen und die Einkommensgrenze nach und nach zu erweitern. Aber, meine Herren und Damen, die wirtschaftliche Lage hätte doch immer weiter bestimmend bei der Beurteilung gewirkt. Die Gewährung wäre also, wenn es nach der Bundesregierung gegangen wäre, weiterhin von Ermessensentscheidungen abhängig geblieben.
Deshalb halten wir den Vorschlag des Bundesrates, dem die Bundesregierung beigetreten ist, bei der Berechnung der Beihilfe die Dauer der Haft zugrunde zu legen und bei der Auszahlung nach der Dringlichkeitsstufe vorzugehen, für besser. Wir nehmen an, meine Herren und Damen, daß es ein Erfolg unseres immerwährenden Drängens gewesen ist, die Gewährung der Beihilfe von diesen Ermessensentscheidungen auszunehmen.
Trotzdem befriedigt uns die Regelung in § 9 a nicht. Nach der Formulierung dieses Paragraphen können Beihilfen nur nach Maßgabe der im Haushalt vorgesehenen Mittel gewährt werden. Das Schwergewicht liegt also nach wie vor auf dem
Wort „können". Wir sind sicher, daß diese Formulierung, wie sie jetzt im Gesetzentwurf lautet, bei den Haushaltsberatungen einen fortwährenden Kampf um die einzusetzenden Mittel auslösen wird. Das aber, meine Herren und Damen, wollen wir nicht. Im Gegenteil, wir wollen erreichen, daß endlich auch die ehemaligen politischen Häftlinge, die bereits vom Dezember 1953 ab entlassen worden sind und zu uns gekommen sind und die nach den einengenden Richtlinien keine Beihilfe erhielten, endlich diese Beihilfe und damit ihr Recht bekommen.
Wir werden deshalb im Ausschuß einen Änderungsantrag in dieser Richtung einbringen, und wir hoffen auf die Unterstützung des Hauses. Wir hoffen auch, daß der Herr Minister Oberländer von seinem Glauben — ich finde, dieser Glaube gehört eigentlich schon in die Komplexe des Aberglaubens — geheilt ist, daß die Machthaber der Zone bei Anerkennung eines Rechtsanspruchs zu einem Wechselspiel zwischen Massenverhaftungen und Massenentlassungen kommen und dadurch das soziale, wirtschaftliche und finanzielle Gefüge der Bundesrepublik erschüttern könnten.
Ich möchte auch noch auf eine andere Frage eingehen, die hier schon besprochen worden ist und die wir auch schon bei der Beratung des Häftlingshilfegesetzes im Ausschuß aufgeworfen haben. Es handelt sich dabei um den Stichtag, der die Inanspruchnahme der Leistungen aus dem Gesetz ermöglicht. Nach dem Gesetz — es ist schon gesagt worden — können ehemalige politische Häftlinge Leistungen aus diesem Gesetz nur dann erhalten, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach der Entlassung aus dem Gewahrsam ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen haben. Diese Regelung hat zu vielen unliebsamen Härten geführt. Nach meinen Erfahrungen sind die Bestimmungen des sogenannten Härteparagraphen in Einzelfällen leider nicht großzügig gehandhabt worden. Man hat nur sehr sparsam und sehr engherzig davon Gebrauch gemacht, obwohl der Gesamtdeutsche Ausschuß bei seinen Beratungen sich dafür ausgesprochen hat — es ist im Protokoll festgelegt —, von den Härteparagraphen in einer großzügigen Weise Gebrauch zu machen.
Wir wissen alle, die Lage eines in der Zone entlassenen Häftlings ist sehr schwer. Es ist ihm oft aus vielen Gründen, die außerhalb seiner Person liegen, unmöglich, die Zone im Zeitraum von sechs Monaten zu verlassen. In manchen Fällen mag er auch hoffen, drüben mit seiner Lage fertig zu werden, und schließlich muß er feststellen, daß es doch nicht geht. Er kennt nicht — das können wir nicht verlangen — unsere Gesetze, er kennt nicht den Stichtag, der bei uns Rechtens ist. Dann kommt er oft nur wenige Tage nach dem Stichtag zu uns herüber und muß erleben, daß die Behörde ihm erklärt, er sei von den Leistungen dieses Gesetzes ausgeschlossen. Hinzu kommt auch noch, daß von allen Stellen im Westen immer wieder an die Bevölkerung der Zone der Appell gerichtet wird, zu versuchen, trotz aller Bedrängnisse drüben auszuhalten. Ich frage mich nun: Sollen die ehemaligen politischen Häftlinge, wenn sie den Versuch unternehmen, diesen Ratschlägen zu folgen, dann aber doch feststellen müssen, daß sie drüben nicht leben können, für ihr Ausharren bestraft werden? Ich glaube, das kann nicht unser Wille sein. Darüber müssen wir im Ausschuß beraten, und ich darf heute schon sagen, daß meine Fraktion den
Antrag stellen wird, diesen Stichtag völlig zu beseitigen.
Lassen Sie mich, meine Herren und Damen, zum Schluß noch folgendes sagen. Wir sollten uns bei den Beratungen über diese Novelle von kleinlichen Bedenken, von formalen Gesichtspunkten frei machen und sollten mit dem vollen Willen zur Gerechtigkeit auftreten, die jenen Menschen zukommt. Sie haben innere und äußere Not gelitten, sie 'haben soviel Unrecht erduldet, sie haben es erduldet für die menschliche Freiheit und damit für uns alle.