Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die geschäftsordnungsmäßige Seite der Angelegenheit hätte man mit der jetzigen Beratung nicht in Verbindung zu bringen brauchen. Wir könnten, wenn es wesentlich genug wäre, darauf später zurückkommen.
Die Novelle zum Häftlingshilfegesetz, die die Bundesregierung dem Hohen Hause unterbreitet, enthält wesentliche Verbesserungen. Sie weist allerdings auch noch einige Lücken auf. Ich habe nicht die Absicht, mich im Rahmen einer ersten Grundsatzdebatte über einzelne Paragraphen zu verbreiten, werde allerdings bei dem Hinweis auf grundsätzliche Änderungen nicht umhin können, auf einzelne Paragraphen zu verweisen.
Einen wesentlichen Fortschritt bedeutet — darauf ist Herr Kollege Henn auch schon zu sprechen gekommen — die Einfügung des § 9 a. Er besagt, wie der Herr Bundesminister bereits ausgeführt hat, daß die Bewilligung der Beihilfen in Zukunft nicht vom Vorliegen einer sozialen Notlage abhängig gemacht, sondern daß sie nach Gesichtspunkten der sozialen Dringlichkeit erfolgen wird. Das bedeutet also, daß im Gesetz einzig und allein die Reihenfolge der Bewilligungen für die auszuzahlenden Beihilfen geregelt ist.
Materiell ist durch diesen § 9 a der politisch Inhaftierte dem Kriegsgefangenen gleichgestellt. Außerdem ist eine unbillige Härte, die durch das ursprüngliche Gesetz begründet war, aus der Welt geschafft: nach dieser Regelung können auch diejenigen Antragsteller noch zum Zuge kommen, deren Antrag in der Vergangenheit abgelehnt worden ist, weil ihr Einkommen bzw. ihr Vermögen über die im Gesetz festgelegte Grenze hinausgegangen ist. Sie können also die Beihilfe noch nachträglich bekommen, sobald sie die soziale Dringlichkeitsstufe erreicht haben. Wesentlich ist, daß jetzt der Fonds, aus dem die Beihilfen geleistet werden, nicht nur im Haushaltsgesetz, sondern im Häftlingshilfegesetz selbst verankert ist. Damit ist eine letzte Sicherheit für die Hilfe geschaffen worden, und das ist entscheidend; denn es handelt sich um ein Hilfegesetz.
Man könnte fragen: Wenn nun schon eine Analogie zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz gefunden ist, warum legt man dann nicht einen Rechtsanspruch fest? Auch darüber hat der Herr Bundesminister gesprochen, und der Kollege Henn ist ebenfalls darauf zu sprechen gekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben diese Frage im Ausschuß, ich darf es sagen, beinahe leidenschaftlich diskutiert, und die Mehrheit hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß man aus politischen Rücksichten auf die Festlegung des Rechtsanspruchs verzichten sollte. Uns ist es wesentlich erschienen, daß die Hilfe garantiert ist, und es ist nachweisbar, daß diese Regelung für die Antragsteller, d. h. für den Berechtigtenkreis, in gar keiner Weise nachteilig wird.
Ich persönlich habe noch andere Erwägungen angestellt. Die Kriegsgefangenenentschädigung ist, soweit ich orientiert bin, völkerrechtlich geregelt. Die politische Inhaftierung richtet sich in einer ganz anderen Art als der Krieg gegen die Einzelpersönlichkeit und gegen die Freiheit schlechthin. Es wäre tragisch, wenn die politische Inhaftierung mehr wäre als ein erschütterndes Zeitereignis, mehr wäre als eine erschütternde Zeiterscheinung, wenn sie eine historische Gegebenheit würde, die Anlaß gäbe, eine feststehende rechtliche, eventuell völkerrechtliche Regelung zu treffen. Das Wesentliche ist, daß die Regelung, die im Gesetz vorgenommen ist, die Hilfe in größtmöglichem Umfange sichert.
Eine andere wesentliche Änderung, die man als Fortschritt bezeichnen muß, ist die Einbeziehung der Verschleppten in den Berechtigtenkreis, d. h. der Personen — der Bundesrat bringt hier eine Einschränkung, die meines Erachtens glücklich ist —, die gegen ihren Willen in ausländisches Staatsgebiet verbracht worden sind und an ihrer Rückkehr gehindert werden.
In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff des Gewahrsams neu interpretiert, und zwar weiter gefaßt. Die neue Fassung nähert sich, möchte ich sagen, mehr dem Wesen des Gewahrsams, das in der Freiheitsentziehung besteht, und nimmt Abstand von dem engen Begriff der räumlichen Einengung — sozusagen mit vorgehaltenem Bajonett —, eine Vorstellung, die die ursprüngliche Fassung im Gesetz erweckte.
Ich deutete zu Beginn meiner Ausführungen darauf hin, daß dieses Gesetz lückenhaft ist. Es hat sich eine Schwierigkeit bei solchen nach dem Häftlingshilfegesetz Berechtigten ergeben, die auch zum Personenkreis der nach dem Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes Berechtigten gehören. Die Bestimmung des § 14 des Häftlingshilfegesetzes erfaßt nur jene Angehörige des öffentlichen Dienstes, die am Stichtag des Gesetzes zu 131 bereits in Gewahrsam waren. Wer erst später in Gewahrsam geriet und wer erst nach Inkrafttreten des Häftlingshilfegesetzes ins Bundesgebiet oder nach West-Berlin kam, hat daher Schwierigkeiten, seine Rechte nach dem Gesetz zu Artikel 131 geltend zu machen. Freilich gehört es nicht in erster Linie zu den Aufgaben der Novelle oder des Häftlingshilfegesetzes, sondern in erster Linie zu den Aufgaben der Novelle zum 131er-Gesetz, diese Lücke zu schließen. Trotzdem sollten wir bei der Behandlung der Novelle zum Häftlingshilfegesetz an dieser Frage nicht vorbeigehen und eventuell eine Zwischenlösung herbeiführen. Wir werden uns im Ausschuß darüber ausgiebig zu unterhalten haben.
Eine zweite Lücke. Das Häftlingshilfegesetz sieht keine Möglichkeiten für Existenzaufbaudarlehen und Wohnungsbaudarlehen vor. Tatsächlich besteht im Regelfall keine Notwendigkeit dazu, weil die nach dem Häftlingshilfegesetz Berechtigten meist SBZ-Flüchtlinge sind und daher die Möglichkeit haben, den Härtefonds im Lastenausgleich in Anspruch zu nehmen. Das waren die Gründe, warum wir in das Häftlingshilfegesetz keine Bestimmungen aufgenommen haben, die dem Teil 2 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes entsprechen. Inzwischen hat die Erfahrung gezeigt, daß doch, wenn auch nur in einem geringen Umfang, ein Bedürfnis bleibt, eine solche Darlehensmöglichkeit zu schaffen. Es gibt ehemalige politische Häftlinge, die nicht SBZ-Flüchtlinge sind, weil sie aus
dem Bundesgebiet oder aus West-Berlin stammen und nur in der SBZ in Haft geraten sind. Dabei handelt es sich nur um eine geringe Zahl von Personen, und wir dürften deshalb um so leichter in der Lage sein, auch diese Gesetzeslücke zu schließen.
Wiederholte Klagen der Berechtigten richteten sich gegen die Sechsmonatsfrist, von der auch Herr Kollege Henn gesprochen hat. Es ist angeregt worden, diese Frist auf zwölf Monate zu erweitern oder sie gar zu streichen. Ob wir sie streichen, ob wir sie erweitern oder beibehalten, ist eine Frage, die politische Auswirkungen hat, insbesondere auch Auswirkungen auf andere Betreuungsgesetze, und sie verdient, daß wir im Ausschuß sehr gewissenhaft über sie beraten.
Meine Damen und Herren! Wenn ich in der Lage war, einige Lücken aufzuweisen, so besagt das nicht, daß diese Novelle nicht einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der ursprünglichen Fassung darstellt. Es besagt nur, daß wir bei der Durchführung dieses Gesetzes ständig vor neue Tatsachen gestellt werden, daß wir Fragen zu lösen haben, die im Fluß sind und die sich aus den Zeitverhältnissen und aus der Entwicklung ergeben. Wir werden alle diese Anregungen, wie sie von den Abgeordneten gegeben werden, im Ausschuß beraten.
Ich beantrage Überweisung — Herr Kollege Henn, ich weiß nicht, ob Sie das schon getan haben; wenn nicht, möchte ich es tun — an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen und bitte das Hohe Haus, der Überweisung zuzustimmen.