Rede von
Dr.
Hans
Henn
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes habe ich für meine politischen Freunde folgendes zu bemerken.
Durch den neu eingefügten Absatz 2 zu § 1 wird zweifellos auch das Problem der sogenannten Spezialisten berührt. Diese Spezialisten sind freilich nur in den seltensten Fällen in Gewahrsam genommen worden, was § 1 Abs. 1 des Gesetzes als Voraussetzung vorschreibt. Es ist aber bekannt, daß die Spezialisten seinerzeit in der sowjetischen Besatzungszone häufig gegen ihren Willen zu Verpflichtungen gezwungen wurden. Auf jeden Fall ist eine Klarstellung in dem neu eingefügten Absatz 2 des § 1 zweckmäßig. Wir halten es für richtig, wenn die in der übergroßen Mehrzahl gegen ihren Willen in die Sowjetunion zwangsverpflichteten oder sogar ohne Verpflichtung verbrachten Spezialisten von den Betreuungsmöglichkeiten des Häftlingshilfegesetzes erfaßt werden.
Ausnahmen wären freilich in den Fällen vorzusehen, wo ein besonders guter Verdienst in der Sowjetunion festzustellen ist. Auf jeden Fall sollten die Spezialisten bei der Ausschußberatung in die Erörterungen einbezogen werden.
Zu § 9 schlagen wir vor, beide in diesen Bestimmungen genannten Fristen zu ändern. Wir hielten es für richtig, wenn auch diejenigen politischen Häftlinge in den Genuß des Entlassungs- und Begrüßungsgeldes von insgesamt 600 DM auf Grund des Heimkehrergesetzes kämen, die weniger als ein Jahr in Gewahrsam gehalten wurden. Man bedenke z. B., was es bedeutet, wenn ein Mensch mehrere Monate hindurch in der Untersuchungshaft des Staatssicherheitsdienstes verbringen mußte, selbst wenn im Anschluß an diese Haft ein gerichtliches Verfahren nicht durchgeführt worden ist. Man bedenke weiter, daß es gerade die Fälle der sogenannten „kleinen Hetze" sind, in denen die Angeklagten mit Freiheitsentzug bis zu einem Jahr davonkamen. Diese „kleine Hetze" besteht oft in nicht mehr als einem zugunsten des Westens ausfallenden Vergleich zwischen hier und der sogenannten DDR. Wir meinen, daß auch die Menschen, die wegen eines derartigen Sachverhaltes weniger als ein Jahr ihrer Freiheit beraubt waren, eine wirtschaftliche Unterstützung der Bundesrepublik nach ihrer Haftentlassung erhalten sollten, und zwar in Form eines gesetzlich festgelegten Anspruchs. Da nun irgendwo eine Grenze gezogen werden muß, möchten wir vorschlagen, diese Grenze bei einem Freiheitsentzug von über sechs Monaten zu ziehen. Darüber würde im Ausschuß noch zu sprechen sein.
Ebenfalls änderungsbedürftig hinsichtlich der Fristen erscheint uns die Bestimmung, wonach der Entlassene seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder in West-Berlin innerhalb von sechs Monaten genommen haben muß. Darüber ist dieser Tage in der Öffentlichkeit schon eine Diskussion entstanden, und auch der Herr Minister ist soeben in seiner Begründung des Entwurfs darauf zu sprechen gekommen. Wir möchten daran erinnern, daß viele entlassene politische Gefangene sich zunächst einmal im Leben zurechtfinden müssen, daß sie Fragen lösen müssen, die während ihrer Haft aufgetreten sind, daß sie gesundheitliche Schäden auskurieren müssen. Ein Zeitraum von sechs Monaten für die Regelung all dieser Angelegenheiten scheint uns reichlich kurz bemessen zu sein.
Wir wissen freilich, daß diese Frist überschritten werden darf, wenn der entlassene Gefangene durch ärztliches Attest nachweist, daß er wegen mangelnder Gesundheit zu einer Wohnsitzveränderung
schlechterdings nicht in der Lage war. Diese Voraussetzungen liegen aber nicht immer vor; es sind oft auch andere, voll anzuerkennende Gründe, die es geraten und zweckmäßig erscheinen lassen, daß der Entlassene noch einige Monate in der Zone verbleibt. Dem sollte durch eine längere Frist schon in § 9 und dann selbstverständlich auch in § 9 a Rechnung getragen werden. Schon oft ist es vorgekommen, daß ehemalige politische Häftlinge, die sich sieben oder acht Monate nach ihrer Entlassung aus der Haft nach dem Westen begeben haben, Klage darüber geführt haben, daß sie das nach den Bestimmungen des Heimkehrergesetzes zu gewährende Entlassungsgeld und die anderen Vergünstigungen nicht bekommen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß sie in der Zone von dieser Frist nichts gewußt haben und auch nichts wissen konnten. Sie sind dann erbittert über die Verständnislosigkeit des Westens. Eine solche Verbitterung aber hat, wie wir alle wissen, dann wieder Rückwirkungen auf die gesamte Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone.
Wir meinen allerdings, daß der entlassene Häftling, der länger als ein Jahr nach der Haftentlassung in der Zone verbleibt, ohne aus schwerwiegenden gesundheitlichen Gründen behindert zu sein, sich — zunächst wenigstens — offenbar endgültig entschlossen hatte, einen Neuaufbau seiner Existenz in der Zone zu versuchen. Wenn dieser Entschluß später aus irgendwelchen Gründen eine Änderung erfahren sollte, dann sollten nur noch die normalen Möglichkeiten nach dem Häftlingshilfegesetz, nicht aber die des § 9 oder § 9 a für ihn in Frage kommen. Die Frist von einem Jahr scheint uns aber doch besser als die bisherige Frist von sechs Monaten.
Zum § 9 a und zur Frage des Rechtsanspruchs möchte ich grundsätzlich folgendes bemerken. Nach § 2 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes gelten als Kriegsgefangene nur solche Personen, die in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen von einer ausländischen Macht festgehalten wurden oder werden. Für diese Personen besteht ein Rechtsanspruch auf Kriegsgefangenenentschädigung. So wird, um ein Beispiel zu nennen und einen Vergleich anzustellen, ein ehemaliger Sonderführer, der wegen seiner Tätigkeit in der Ukraine beim Einmarsch der Russen festgenommen wurde und fünf Jahre gefangengehalten wurde, nach seiner Rückkehr etwa 1440 DM Kriegsgefangenenentschädigung erhalten, ohne daß es dafür des Nachweises einer besonderen wirtschaftlichen Notlage bedarf und ohne daß die im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel zu berücksichtigen sind. Ein Mann dagegen, der im Jahre 1950 dem in der sowjetisch besetzten Zone herrschenden Unrechtssystem Widerstand geleistet hat und wegen dieses doch auch für den Westen geleisteten Widerstandes eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren verbüßen mußte, hat einen solchen Rechtsanspruch nicht, sondern kann nach dem jetzt geplanten § 9 a eine Beihilfe erhalten, sofern der Bundeshaushalt dies zuläßt. Wir halten diese unterschiedliche Rechtsstellung der politischen Gefangenen gegenüber den Kriegsgefangenen heute nicht mehr für vertretbar. Wir sind der Meinung, daß auch die politischen Gefangenen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung erhalten sollten, und zwar in dem Umfang, wie die Entschädigung den Kriegsgefangenen zugebilligt worden ist.