Rede von
Dr.
Ewald
Bucher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind zwei Gründe, die uns bewegen, diesen Antrag vorzulegen; einmal ein logischer Grund, der in der Natur der Sache liegt, daß man nämlich die gleichen Strukturprinzipien, die eigentlich für alle gerichtlichen Verfahren gelten, die hier aufgezählt sind, auch in den Gesetzen deutlich zum Ausdruck bringen soll.
Der zweite Grund ist ein praktischer; wir wollen nämlich einen Schritt auf dem Wege zur Gesetzgebungs- und Verwaltungsvereinfachung tun. Dieses Problem beschäftigt uns sehr oft in diesem Hause und in der Offentlichkeit. Da ist einmal ein heute schon zitierter höchst ehrenwerter Kollege dieses Hauses, der in regelmäßigen Abständen die Vereinfachungstrompete erklingen läßt. Er wird dann mit einigen Leitartikeln bedacht, erhält den Beinamen „Bundesbüroschreck", — und alles bleibt beim alten. Oder wir haben schon auf Anregung eines anderen Kollegen versucht, für ein Jahr einen § 4 a in das Haushaltsgesetz einzubauen, wonach jede vierte freiwerdende Beamtenstelle nicht mehr besetzt wird, — eine etwas grobschlächtige Methode der Verwaltungsvereinfachung. Alle diese Maßnahmen aber kurieren nur an den Symptomen und erreichen nicht die Quelle des Übels, die eben in dem Gesetzgebungsschwall steckt, den wir selber produzieren. Es ist nicht etwa so, daß die Bürokratie sich, wie es ein Witzbold unter Bezugnahme auf das sogenannte Parkinsonsche Gesetz geschildert hat, von selber sozusagen durch Zellteilung vermehrt, sondern es ist eben so, daß jeder Paragraph weitere Paragraphen hervorruft und deshalb auch weitere Stellen von Beamten notwendig macht, die das verdauen müssen.
Man kommt im Kampf gegen die Zunahme der Bürokratie auch zu ganz abwegigen Vorschlägen. So hat der Ministerpräsident eines deutschen Landes sogar einmal vorgeschlagen, doch den Verwaltungsrechtsschutz überhaupt einzuschränken, denn dieser weitgehende Rechtsschutz sei daran schuld, daß die Verwaltung so kompliziert sei; jeder Beamte müsse sich heute, bevor er einen Verwaltungsakt vollziehe, überlegen, ob dieser auch hieb- und stichfest sei und einer gerichtlichen Nachprüfung standhalte. Nun, gerade das wollen wir ja, daß der Beamte seine Verwaltungsakte möglichst hieb- und stichfest macht. Man schüttet das Kind mit dem Bade aus, wenn man etwa die Verwaltungsgerichtsbarkeit als solche einschränkt. Das sollten wir gar nicht überlegen, denn den „Luxus" eines ausgebauten Verwaltungsrechtsweges müssen wir uns auf absehbare Zeit noch in ausgedehntem Maße leisten.
Aber wenn man sich diesen praktischen Gesichtspunkt, den Wunsch nach Verwaltungsvereinfachung, vor Augen hält, dann drängt sich geradezu auf, auf dem Gebiet der Verfahrensordnungen dem logischen Anliegen, das ich zuerst erwähnte und das sich aus der Natur der Sache ergibt, zu entsprechen. Man kann oft im Zweifel sein: Soll man ein Gesetz machen oder nicht? Man kann darüber
streiten, ob es notwendig ist, den Lastenausgleich so eingehend zu regeln, wie es geschehen ist, ob wir ein Ladenschlußgesetz brauchen. Aber daß wir nicht fünf in vielen Punkten völlig verschiedene Gerichtsordnungen brauchen für ein Verfahren, das im Grunde dasselbe ist, liegt doch eigentlich auf der Hand. Die Verschiedenheit des materiellen Rechts begründet ja nicht eine Verschiedenheit des Verfahrensrechts.
Lassen Sie mich nur einige Beispiele von den vielen nennen, die man für dieses Auseinanderwachsen der Verfahrensordnungen anführen könnte. Zunächst ein Gegenbeispiel dafür, daß mit Recht Ungleiches ungleich behandelt wird. Daß etwa die Berufungsfristen in der Zivilprozeßordnung und in der Strafprozeßordnung völlig verschieden geregelt sind, hat seine Berechtigung. Denn im Zivilprozeß kann man es jeder Partei selber überlassen, ob sie sechs Monate lang abwarten will, bis ein Urteil rechtskräftig wird, oder ob sie durch Zustellung des Urteils diese Frist auf einen Monat abkürzen will. Im Strafprozeß dagegen hat sowohl der Staat ein Interesse daran, daß sein Strafanspruch alsbald verwirklicht wird, als auch der Angeklagte ein Interesse daran, daß er, wenn er freigesprochen worden ist, sehr schnell darüber Klarheit erhält, ob es bei dem Freispruch bleibt oder ob ein Rechtsmittel dagegen eingelegt wird.
Aber warum ist es nun so, daß im Arbeitsgerichtsgesetz die Berufungsfrist zwei Wochen beträgt, die Revisionsfrist einen Monat, während im Verwaltungsgerichtsgesetz, in der Finanzgerichtsordnung und in der Sozialgerichtsordnung — ich nenne hier auch die Gesetze, die uns erst als Entwürfe vorliegen — die Rechtsmittelfristen einen Monat betragen? Warum muß in der Zivilprozeßordnung, im Arbeitsgerichtsgesetz, im Sozialgerichtsgesetz das Rechtsmittel beim Rechtsmittelgericht eingelegt werden, dagegen im verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahren bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird? Beachten Sie besonders die tiefgründige Systematik, die darin liegt, daß im ersteren Fall, in der Frage der Rechtsmittelfristen, das sozialgerichtliche Verfahren wie das finanzgerichtliche und das verwaltungsgerichtliche Verfahren behandelt wird, während im zweiten Fall, nämlich bei der Frage, wo das Rechtsmittel eingelegt wird, das sozialgerichtliche Verfahren mit dem arbeitsgerichtlichen und dem des ordentlichen Prozesses rangiert. Worin liegt der Grund für solche Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens? Ich kann mir nicht denken, daß es ein sozialer Grund ist, denn soziale Gründe sprechen ebenso dafür, die Rechtsmittelfrist abzukürzen wie sie zu verlängern.
Wenn ich schon bei den Rechtsmitteln bin, ein weiteres Beispiel. Nach sämtlichen Verfahrensordnungen außer der Verwaltungsgerichtsordnung ist der Antrag beim Revisionsverfahren erst mit der Begründung einzubringen; nur nach der Verwaltungsgerichtsordnung muß dieser Antrag bereits im Revisionsschriftsatz enthalten sein. Das ist eine äußerst unzweckmäßige Regelung, denn über die Frage, ob ich Revision einlegen soll oder nicht, kann ich mir sehr schnell schlüssig werden. Die Frage, welchen Antrag ich stellen soll, kann ich dagegen erst entscheiden, wenn ich die ganze Begründung ausarbeite.
Ein ebensolches Durcheinander herrscht bei den Fristen im Vorverfahren nach den verwaltungsge-
richtlichen, finanzgerichtlichen und sozialgerichtlichen Gesetzen. Beim verwaltungsgerichtlichen Verfahren beträgt die Frist für einen Widerspruch gegen die Verfügung der Verwaltung zwei Wochen, beim finanzgerichtlichen und sozialgerichtlichen Verfahren einen Monat. Andererseits ist, wenn die Widerspruchsentscheidung nicht ergeht oder verzögert wird, beim Verwaltungsgericht und Finanzgericht die Klage innerhalb von drei Monaten, beim Sozialgericht innerhalb von sechs Monaten möglich. Auch hier wieder die durch nichts zu rechtfertigende Systemlosigkeit, nach der das eine Mal Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit und das andere Mal Finanz- und Verwaltungsgerichtsbarkeit gleich behandelt werden.
Ähnlich ist es mit den Fristen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Auch hier sind Unterschiede. Die Fristen für die Urteilsabfassung betragen nach der ZPO eine Woche, für das Verwaltungsgericht und das Finanzgericht zwei Wochen und für das Arbeits- und Sozialgericht drei Tage. Denkt man, es sei eine besonders soziale Maßnahme, wenn im letzten Falle das Urteil innerhalb von drei Tagen abgefaßt wird? Ich kann mir jedenfalls keine andere Motivierung hierfür vorstellen. Ähnliches gilt für sonstige Beschwerdefristen und für Ladungsfristen.
Man könnte noch zahlreiche andere Beispiele anführen. Stichwortartig nur ganz weniges. Frage: Gibt es beim sozialgerichtlichen Verfahren ein Zwischenurteil? Das Gesetz schweigt darüber, im Gegensatz zu den anderen Gesetzen. Gibt es eine Streitgenossenschaft in der Finanzgerichtsordnung? Hier steht nichts drin. Im Sozialgerichtsgesetz ist sie erwähnt. Dort ist auch die Hauptintervention erwähnt. Aber diese ist wieder nicht in der Verwaltungsgerichtsordnung erwähnt. Warum gibt es nach dem einen Gesetz die Möglichkeit, einen Urkundsbeamten mit einer Kostenstrafe zu belegen, und nach den anderen Gesetzen nicht?
Schließlich — darauf sei auch hingewiesen — gibt es noch höchst überflüssige stilistische Unterschiede in Bestimmungen, die genau dasselbe aussagen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur drei Absätze aus den §§ 104 und 105 der Verwaltungsgerichtsordnung zitieren und zu jedem Absatz jeweils den entsprechenden der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichtsgesetzes:
Nach Aufruf der Sache trägt der Vorsitzende oder der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Akten vor.
Zweites Gesetz:
Der Vorsitzende oder der Berichterstatter trägt den Sach- und Streitstand vor.
Drittes Gesetz:
Die Verhandlung beginnt nach Aufruf der Sache mit der Darstellung des Sachverhalts. Weiterer Absatz:
Hierauf erhalten die Beteiligten das Wort, um ihre Anträge zu stellen und zu begründen.
Zweites Gesetz:
Anschließend hört das Gericht die Beteiligten.
Drittes Gesetz:
Sodann erhalten die Beteiligten das Wort.
Und der letzte Fall:
Der Vorsitzende hat die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich erschöpfend zu erörtern.
Zweites Gesetz:
Der Vorsitzende hat die Streitsache mit den Beteiligten allseitig zu erörtern.
Und im dritten Gesetz hat er sie auch zu erörtern, aber nicht allseitig. Das nur nebenbei.
Ich möchte abschließend zu diesen Beispielen nur noch zwei Punkte hervorheben. Schon die Generalklausel, mit der in diesen verwaltungsgerichtlichen Verfahrensgesetzen die Zivilprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz für anwendbar erklärt werden, ist widerspruchsvoll abgefaßt. Sie heißt nämlich in dem einen Gesetz folgendermaßen:
Soweit dieses Gesetz keine entsprechenden Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensfragen dies nicht ausschließen.
Das bedeutet für den Juristen: die Vermutung
spricht für die Anwendbarkeit der Zivilprozeßordnung. In der Finanzgerichtsordnung heißt es aber:
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es zulassen, die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.
Das heißt: die Vermutung spricht gegen die Anwendung der Zivilprozeßordnung. Wahrscheinlich ist jedoch in beiden Gesetzen dasselbe beabsichtigt. Wenn das aber der Richter liest, unterstellt er zunächst, daß sich der Gesetzgeber bei diesen verschiedenen Fassungen etwas Unterschiedliches gedacht habe. Wir wollen uns freuen, wenn und solange die Richter das noch unterstellen; aber wenn mit solcher Gesetzgebungstechnik weitergemacht wird, kann es eines Tages dazu kommen, daß das die Gerichte nicht mehr ohne weiteres unterstellen; und das wäre tief bedauerlich.
Schließlich ist noch etwas sehr Wesentliches verschieden geregelt, nämlich die Vorbildung der Richter. Bereits das Arbeitsgerichtsgesetz hat das sogenannte Juristenmonopol beseitigt. Nun verlangt § 15 der Verwaltungsgerichtsordnung zu der allgemeinen Richterqualifikation eine besondere dreijährige Tätigkeit.