Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe die Freude, an Stelle des ausgeschiedenen Herrn Trittelvitz die Abgeordnete Frau Herklotz heute in unserer Mitte begrüßen zu dürfen.
Ich freue mich, daß Frau Herklotz da ist, und wünsche ihr und uns allen eine gute Zusammenarbeit in diesem Hause.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat werden die von dem Herrn Bundesminister der Finanzen auf Grund des § 33 Abs. 1 der Reichshaushaltsordnung übersandten Übersichten über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben dem Haushaltsausschuß überwiesen. Inzwischen ist die Übersicht über die über- und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im vierten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1955, Drucksache 2671, eingegangen. Ich darf unterstellen, daß das Haus mit der Überweisung dieser Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden ist.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Außenhandelsfragen hat mich darum gebeten, den in der 160. Sitzung des Deutschen Bundestages an den Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht überwiesenen Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Juli 1955 über die Gewährung der Meistbegünstigung und über gewerbliche Schutzrechte zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay — Drucksache 2592 — an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen und den zunächst dafür vorgesehenen Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht nur mitzubeteiligen. Der Ausschuß für Außenhandelsfragen macht geltend, daß es sich bei diesem Entwurf vornehmlich um außenwirtschaftliche Probleme handle, für die er in erster Linie zuständig sei.
Ich muß das Haus fragen, ob es damit einverstanden ist, daß in Abänderung des Plenarbeschlusses vom 27. September 1956 die Federführung für das genannte Gesetz an den Ausschuß für Außenhandelsfragen geht und der Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht nur mitbeteiligt wird. Ich frage deshalb, ob dem Antrag des Ausschusses für Außenhandelsfragen, ihn als federführenden Ausschuß zu beteiligen, stattgegeben werden soll. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Ausschuß für Außenhandelsfragen ist federführend. Der Plenarbeschluß vom 27. September ist insoweit abgeändert.
Schließlich hat mir die Fraktion der SPD mitgeteilt, daß sie als Nachfolger für den ausgeschie-
denen Abgeordneten Trittelvitz zum Stellvertreter in der Beratenden Versammlung des Europarats den Abgeordneten Jacobs benenne. Im Hinblick auf die unmittelbar bevorstehenden Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats — sie beginnen Ende nächster Woche in Straßburg -schlage ich dem Hause vor, diese Wahl unmittelbar durchzuführen. Erhebt sich gegen diesen Vorschlag Widerspruch? — Ich höre keinen Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden. Der Herr Kollege Jacobs tritt also an die Stelle von Herrn Trittelvitz in der Beratenden Versammlung des Europarats.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 1. Oktober 1956 die Kleine Anfrage 277 der Fraktion der SPD betreffend Hilfe für Unwettergeschädigte — Drucksache 2659 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2710 vervielfältigt.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir bei der Tagesordnung angelangt. Ich rufe auf den Punkt 1:
Nachwahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost.
Der Deutsche Bundestag hat in seiner 5. Sitzung auf Grund des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD, Drucksache 39, die gemäß § 5 des Postverwaltungsgesetzes vom Bundestag zu entsendenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Deutschen Bundespost und ihre Stellvertreter gewählt. Für den vertorbenen Kollegen Ziegler hat die Fraktion der SPD das jetzige stellvertretende Mitglied des Postverwaltungsrates Herrn Abgeordneten Kurlbaum und als Stellvertrener für Herrn Abgeordneten Kurlbaum den Herrn Abgeordneten Frenzel vorgeschlagen. Darf ich fragen, ob das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden ist. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Nun kommen wir zu Punkt 2 der Tagesordnung. Ich rufe — und unterstelle Ihr Einverständnis — die beiden Punkte 2 a und 2 b zusammen auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes in den Grenzkraftwerken ;
b) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Regelung von Fragen, welche die Aufsichtsräte der in der Bundesrepublik Deutschland zum Betrieb von Grenzkraftwerken am Rhein errichteten Aktiengesellschaften betreffen .
Meine Damen und Herren, wir haben uns im Ältestenrat die Behandlung der Sache so gedacht, daß wir zunächst die Begründung und die Antwort zu dem Punkt 2 a hören, dann die Begründung zu dem Punkt 2 b und dann in die gemeinsame Aussprache und anschließend in die Beschlußfassung eintreten. — Das Haus ist damit einverstanden.
Zunächst hat zur Begründung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Bleiß das Wort.
Dr. Bleiß , Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 6. Dezember 1955 ist zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein Vertrag geschlossen worden, der, wie es in der Überschrift heißt, „die Regelung von Fragen, welche die Aufsichtsräte der in der Bundesrepublik Deutschland zum Betrieb von Grenzkraftwerken am Rhein errichteten Aktiengesellschaften betreffen", zum Gegenstand hat.
Der Tatbestand, der dem Vertragsabschluß zugrunde liegt, ist — etwas vereinfacht — die Absicht der Bundesregierung, bei einigen deutschen Aktiengesellschaften die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes zu verhindern. Es handelt sich um drei Kraftwerke mit einem Aktienkapital von insgesamt 32,4 Millionen DM und mit annähernd 350 Beschäftigten.
Der hier unternommene Versuch, die Belegschaften von drei Großbetrieben von der Anwendbarkeit eines Bundesgesetzes auszuschließen, wird nicht nur von den betroffenen Arbeitnehmern, sondern auch von den einschlägigen Gewerkschaften als ein Verstoß gegen das in Art. 3 des Grundgesetzes verankerte Prinzip der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz empfunden. Daran ändert auch nichts der Umstand, daß die Kraftwerke an der Grenze liegen, daß sie auf Grund erteilter Konzessionen in Betrieb genommen und teilweise mit Schweizer Kapital finanziert worden sind. Denn, meine Damen und Herren, es wird doch sicherlich auch der Bundesregierung nicht unbekannt geblieben sein, daß in ähnlich gelagerten Fällen die uneingeschränkte Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes ohne Schwierigkeiten möglich war. Beispielhaft hierfür ist die DonauKraftwerke Jochenstein-. Aktiengesellschaft. Auch dieses Kraftwerk wurde auf Grund eines Vertrages der beiden Uferstaaten, in diesem Falle der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Österreich, errichtet, und auch dieses Werk arbeitet mit einer 50% igen Beteiligung ausländischen Kapitals. Trotzdem ist schon bald nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes bei der Kraftwerke Jochenstein Aktiengesellschaft die Mitwirkung des Aufsichtsrates in der Weise geregelt worden, daß von den vorhandenen 24 Aufsichtsratssitzen acht den Arbeitnehmern eingeräumt wurden, und zwar je vier den deutschen und den österreichischen Arbeitnehmern, um die Parität in der Staatszugehörigkeit zu wahren.
Die Tätigkeit der Arbeitnehmer in dem neuen Aufsichtsrat des Kraftwerks Jochenstein vollzieht sich nach unseren Informationen ohne Schwierigkeiten. Wir haben auch nichts darüber gehört, daß sich die Umbildung des Aufsichtsrats etwa zum Schaden der Unternehmung ausgewirkt habe. Die österreichische Seite hat in der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes keine Verletzung völkerrechtlicher Bindungen erblickt.
Meine Damen und Herren! Ungeachtet unserer grundsätzlichen Einstellung zu .dem gesamten Fragenkomplex ist es nicht einzusehen, warum für gleichgelagerte Fälle unterschiedliches Recht geschaffen werden soll. Wir fragen deshalb: War der Bundesregierung bekannt, daß in ähnlich gelagerten Fällen die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes ohne Schwierigkeiten möglich war?
Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß das von ihr unterzeichnete Abkommen eine Beschrän-
kung der Souveränität bedeutet und daß sie ihre verfassungsrechtlichen Befugnisse überschreitet, indem sie deutsche Gesetze für einen Teil der deutschen Arbeitnehmer außer Kraft setzt?
Herr Staatssekretär S au er b o r n hat am 20. Januar dieses Jahres auf eine Frage meines Freundes Arnholz erklärt, daß Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen zu dem in Frage kommenden Fragenkomplex gehört worden seien. Die von uns in der Zwischenzeit durchgeführte Nachprüfung hat ergeben, daß die von Herrn Staatssekretär Sauerborn erteilte Auskunft nicht vollständig war. Es ist zwar richtig, daß mit den zuständigen Gewerkschaften im Jahre 1954 wegen des damals schon geplanten Sonderabkommens Fühlung genommen wurde. Aber nachdem sich die Gewerkschaften eindeutig gegen die Außerkraftsetzung des Betriebsverfassungsgesetzes in den Grenzkraftwerken ausgesprochen hatten, wurden sie am 29. September des gleichen Jahres durch Herrn Ministerialdirektor Herschel dahingehend informiert, daß das Bundesarbeitsministerium nicht daran denke, dem Deutschen Bundestag eine Sonderregelung für die Kraftwerke am Oberrhein vorzulegen. Damit schien die Angelegenheit erledigt zu sein. In der Zwischenzeit hat sich jedoch einiges geändert, und unsere Anfrage bezieht sich nun auf die Verhandlungen n a c h dem September 1954. Auf diesen Zeitabschnitt bezogen, darf ich die Frage stellen, ob die Bundesregierung mit beiden Sozialpartnern Fühlung genommen hat.
Meine Damen und Herren, es handelt sich bei unserer Großen Anfrage um einen Tatbestand von grundsätzlicher Bedeutung. Deshalb bitte ich die Bundesregierung um eine ausführliche Stellung-
) nahme.