Rede von
Dr.
Paul
Bleiß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten begrüßen den mit der Gründung der Europäischen Gesellschaft für die Finanzierung von Eisenbahnmaterial unternommenen Versuch, die Situation für eine Reihe westeuropäischer Eisenbahnverwaltungen zu erleichtern. Wir bekennen uns auch zu der in der Präambel des Abkommens über die Gründung der Eurofima getroffenen Feststellung, in der es heißt, daß die Eisenbahnen ihre Aufgabe in der Gesamtwirtschaft nur erfüllen können, wenn sie in der Lage sind, die einer normalen Erneuerung und unumgänglichen Modernisierung des rollenden Materials entsprechenden Investitionen durchzuführen.
Wir halten es weiterhin für absolut sinnvoll und zweckmäßig, wenn die Tätigkeit der neuen Gesellschaft dazu beiträgt, die Integration auf technischem Gebiet zu fördern, bestimmte Standardtypen im Fahrzeugbau herauszuarbeiten und den internationalen Kapitalmarkt zur Finanzierung der Vorhaben mit heranzuziehen.
Im Grundsätzlichen sind wir also mit der Gründung der Eurofima durchaus einverstanden. Die Bedenken, die wir anzumelden haben, richten sich also nicht gegen das Prinzip, sondern gegen einige Vertragsbestandteile, die nach unserer Auffassung klärungs- oder ergänzungsbedürftig sind. Es handelt sich praktisch um drei Fragenkomplexe: um den Geschäftsbereich der Eurofima, um das Prinzip der gleichen Wettbewerbsbedingungen und um die Revisionsklausel.
Über den Umfang des Geschäftsbereichs der Eurofima war in den Ausschußberatungen keine definitive Klarheit zu gewinnen. Die Präambel spricht vom rollenden Material, also praktisch nur vom Fahrzeugpark. In Art. 3 der Statuten aber ist von der Beschaffung von Eisenbahnmaterial einheitlicher Bauart und Leistung schlechthin die Rede. Hierunter könnte z. B. auch das gesamte Oberbaumaterial verstanden werden. Im letzteren Falle würde der Aufgabenbereich der Eurofima wesentlich vergrößert werden.
Wir bitten nun die Bundesregierung, im Interesse der Sache vor Hinterlegung der Ratifikationsurkunden die Klärung der Vertragstexte in der Weise herbeizuführen, daß mit dem Begriff des Eisenbahnmaterials eben nur das rollende Material gemeint ist.
Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen zu unserem zweiten Anliegen, zu der Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen, die von Herrn Kollegen Höck in seinem Schriftlichen Bericht auch schon angesprochen sind. Nach Art. 2 des Basisabkommens soll die Eurofima nach einer kurzen Übergangszeit den durch sie zu deckenden Bedarf ihrer Vertragspartner in Jahresprogrammen zusammenfassen und die Beschaffung im Wege internationaler Ausschreibungen zu den günstigsten Bedingungen vornehmen. Diese internationalen Ausschreibungen werden bei der zunehmenden Integration im Beschaffungswesen — und das ist doch der gewollte Zweck des Abkommens — eine wachsende Bedeutung erlangen. Bei dieser erkennbaren Entwicklung sollte es im Interesse einer loyalen internationalen Zusammenarbeit von vornherein klargestellt werden, daß für alle Anbieter die gleichen Wettbewerbsbedingungen gelten.
Diese Voraussetzung scheint mir besonders deswegen wichtig zu sein, weil zur Zeit im internationalen Markt für rollendes Material völlig unübersichtliche Angebots-, Preis- und Kalkulationsverhältnisse herrschen. Dieser Tatbestand ist auch im Verkehrsausschuß ausführlich behandelt worden. Der Herr Kollege Höck hat in seinem Bericht darauf hingewiesen.
Die Mehrheit der Kollegen im Verkehrsausschuß glaubte diesen Vertragsmangel durch die mit dem Schriftlichen Bericht vorgelegte Entschließung heilen zu können. Ich bin der Meinung, daß die Entschließung nicht ausreicht. Es genügt nicht, in der Entschließung zu sagen:
eine Konsultation der Mitgliedsländer zu verlangen, wenn festgestellt wird, daß die Belange der deutschen Industrie durch wettbewerbsverfälschende Exportförderungsmaßnahmen anderer Staaten geschädigt werden.
Nach meiner Meinung wäre es richtiger, wenn sich die vertragschließenden Staaten von vornherein verpflichteten, dafür zu sorgen, daß eine Wettbewerbsverfälschung unterbleibt und daß die ,bestehenden, stark unterschiedlichen, teilweise versteckten Exportförderungsmaßnahmen und Steuervergünstigungen innerhalb von drei Jahren im Rahmen des Geschäftsbereichs der Eurofima abgebaut werden; denn es ist doch eine Tatsache, daß die westeuropäische Waggonindustrie stark übersetzt ist und daß die mangelhafte Beschäftigung zu starken Preisunterbietungen auf dem Weltmarkt geführt hat. Wenn man schon einen so langfristigen Vertrag schließt, dann sollte man von vornherein für klare und saubere Wettbewerbsverhältnisse sorgen.
Ich glaube, das ist kein unbilliges Verlangen. Aber wenn man nicht bereit ist, diese Forderung zu realisieren — und nun frage ich Sie —, würde das nicht bedeuten, daß wir mit dem Beitritt zur Eurofima bewußt wirtschaftliche Benachteiligungen in Kauf nehmen, die sich eines Tages sehr
zu unserem Schaden auswirken können? Ich halte gerade diese Forderung der gleichen Chance für alle Beteiligten deswegen für so wichtig, weil sich für den Waggonbau, für die Lokomotivindustrie und für die Hersteller von Reisezugwagen ohnehin schon die Notwendigkeit einer beschleunigten Rationalisierung und Umstellung aus dem Großserienbau ergibt. Ich glaube, daß der Umstellungsprozeß nur noch schwieriger werden wird, wenn sich durch internationale Ausschreibungen von Großserien der Wettbewerb weiter verschärft. Deswegen sollte man im Interesse der 25 000 Menschen, die in den einschlägigen Betrieben beschäftigt sind, auf die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen besonderen Wert legen.
Schließlich noch ein letztes Anliegen. Das Eurofima-Abkommen hat eine Laufzeit von 50 Jahren. Eine Kündigungsklausel ist nicht vorgesehen.
Der Rücktritt vom Vertrag ist derartig erschwert, daß er praktisch kaum wirksam werden kann. Bei einer so langen Laufzeit und einer so festen Bindung muß nach meiner Auffassung eine Möglichkeit geschaffen werden, die Vertragstexte nach einer gewissen Zeit zu überprüfen und sie möglicherweise veränderten Verhältnissen und Erfordernissen der gleichberechtigten Zusammenarbeit anzupassen Wir halten es deshalb für erforderlich, sicherzustellen, daß nach Ablauf von fünf Jahren auf Verlangen einer der beteiligten Regierungen in Verhandlungen über eine Revision der Vertragstexte eingetreten werden kann.
Nun noch ein paar Bemerkungen zu den unmittelbaren Auswirkungen der Verträge auf die Deutsche Bundesbahn. Herr Kollege Höck spricht
in seiner schriftlichen Begründung davon — und er gibt damit der Auffassung der Mehrheit des Ausschusses Ausdruck —, daß die Bundesbahn aus dem Beitritt zur „Eurofima" nur Vorteile zu erwarten habe. Nun, Herr Kollege Höck, ganz so optimistisch sind wir nicht. Denn schon beim Gründungsakt der „Eurofima" fängt es doch mit zusätzlicher Bürokratie und mit zusätzlichen Kosten an.
Nach den Statuten muß die Deutsche Bundesbahn anteilmäßig ihre Güterwagen als Sachkapital einbringen. Nach dem Basis-Abkommen ist sie verpflichtet, die Waggons gegen Zahlung einer etwas reichlich bemessenen Amortisationsquote und eines Zuschlags zur Deckung der Geschäftsunkosten wieder zurückzumieten. Das erste Geschäft also, das getätigt wird, erfordert zusätzliche Bürokratie und zusätzliche Kosten, ohne daß es der Bundesbahn einen Vorteil bringt. Sie hat für ihre eigenen Güterwagen Amortisationsquoten und Verwaltungskosten zu tragen. Es bleibt nur zu hoffen, meine Damen und Herren, daß sich mit zunehmender Vertragsdauer die Verhältnisse bessern und zusätzliche Bürokratie sowie zusätzliche Kosten durch positive Wirkungen des Vertrages überkompensiert werden.
In der Finanzierungsfrage selbst bin ich der Meinung, daß die bei der Bundesbahn vorhandene Finanzierungslücke auch in der Beschaffung von rollendem Material so groß ist, daß sie von der Eurofima auch nicht annähernd geschlossen werden kann. Sie bleibt vorerst eine innerdeutsche Angelegenheit. Aber selbst wenn der internationale Kapitalmarkt Mittel zur Verfügung stellen könnte, so müßte doch bei der gegenwärtigen konjunkturellen Situation und Devisenlage zusätzlich
geprüft werden, ob bei dem ohnehin starken Devisenzufluß die Hereinnahme größerer Auslandskredite verantwortet werden kann; denn mit der Erhöhung des Devisenbestandes ist doch wahrscheinlich auch eine weitere Erhöhung des Geldumlaufs mit allen preispolitisch gefährlichen Konsequenzen verbunden. Auch aus diesem Grunde ist das Vertragswerk für die Bundesbahn im Augenblick nicht so sehr interessant.
Schließlich, meine Damen und Herren, soll ja mit der „Eurofima" eine Einrichtung geschaffen werden, ,die nicht etwa Kredite vermittelt — wie Sie es in Ihrem Bericht darstellten, Herr Kollege Höck —, sondern die sich durch das Instrument der Kauf-Leihe auf eine sich immer mehr ausdehnende Geschäftstätigkeit mit einer wachsenden Apparatur einrichtet.
Aber, meine Damen und Herren, diese Fakten sind für uns nicht entscheidend. Wir sind trotz der vorgetragenen Bedenken bereit, dem Ratifikationsgesetz zuzustimmen, wenn unsere größten Besorgnisse durch die Annahme unseres Antrages, den wir Ihnen auf Umdruck 743 vorlegen, ausgeräumt werden.
Wir bitten Sie in diesem Umdruck, dafür zu stimmen, daß die Bundesregierung v o r Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch Verhandlungen mit den am Eurofima-Abkommen beteiligten Regierungen durch Zusatzprotokolle sicherstellen möge, daß unter Eisenbahnmaterial nur rollendes Material zu verstehen ist, daß bei internationalen Ausschreibungen im Sinne von Kapitel 2 des Basisabkommens im Verlaufe von drei Jahren gleiche Wettbewerbsbedingungen durch Vereinheitlichung der steuerlichen Vergünstigungen, Preissubventionen und Importbelastungen hergestellt werden und daß schließlich nach Ablauf von fünf Jahren auf Verlangen von einer der beteiligten Regierungen in Verhandlungen über eine Revision der Vertragstexte eingetreten werden kann.
Sollte sich für unseren Antrag keine Mehrheit finden, dann halten wir die Mängel des Abkommens allerdings für so arheblich, daß wir dem Ratifikationsgesetz in der dritten Lesung nicht zustimmen können. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bitte ich Sie um die Annahme unseres Antrages.