Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mellies, wir alle stehen in den Fragen, die wir heute beraten, vor einer der schwersten Entscheidungen, die wir je in diesem Hause zu treffen hatten, und zwar in jeder Frage, in der Frage der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die mit unserer gesamten Politik, vor allen Dingen mit dem, was wir außenpolitisch zu tun haben, unlöslich verschlungen und verbunden ist, als auch in der Frage der Wiedervereinigung, ganz gleich, ob wir evangelische oder katholische Abgeordnete oder Abgeordnete anderer Gesinnung in diesem Hause sind.
Wenn die Entscheidung schwer ist, haben wir die Pflicht, sie uns auch schwer zu machen. Aber nicht nur dies! War haben dann auch die Pflicht, uns die Beweisführung nicht allzu leicht zu machen.
Es gibt für beide Standpunkte, die in diesem Hause vertreten werden, Gründe, die man hoffentlich gegenseitig respektiert. Aber einiges, was heute hier gesagt worden ist, zwingt mich, dazu Stellung zu nehmen, weil es nicht echte Argumente, sondern Scheinargumente gewesen sind. Ich glaube, wir haben bei einer so wichtigen Entscheidung wie dieser die Pflicht, auf beiden Seiten so zu sprechen, daß wir uns ganz ernst nehmen können.
Mein Kollege Berendsen hat in einer sorgfältig ausgearbeiteten Rede darzulegen versucht, warum wir der Meinung sind, daß wir die allgemeine Wehrpflicht einführen müssen. Ich habe bedauert, daß die Opposition in ihrer Kritik auf die entscheidenden Argumente meines Kollegen Berendsen nicht eingegangen ist.
— Ich habe sehr genau zugehört und verstehe zuzuhören. Ich habe insbesondere genau zugehört,
was der Kollege Erler zu diesen Dingen gesagt hat.
Meine Damen und Herren, auch wir von der Christlich-Demokratischen Union könnten es uns leicht machen. Es ist nach allem, was geschah, keine angenehme Sache, sich für die allgemeine Wehrpflicht einzusetzen. Es ist noch weniger angenehm, dies zu einer Zeit zu tun, in der die Wahlen des Jahres 1957 bereits ihre Schatten vorauswerfen. Ich sagte, wir könnten es uns leicht machen: wir könnten die Entscheidung verschieben, bloß in dem Gedanken daran, daß wir damit die Stimmen aller jener einfangen könnten, denen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in diesem Lande unangenehm ist. Wir werden dies nicht tun, sondern wir werden die Entscheidung treffen, die wir im Interesse unseres Volkes, seiner Freiheit und seiner Unabhängigkeit für notwendig halten.
Der Herr Kollege Er 1 e r hat uns den Vorwurf gemacht, daß wir eine Politik betrieben, die noch auf den Grundlagen des Jahres 1950 beruhe, inzwischen habe sich die Welt geändert, und wir
gingen blind an diesen Veränderungen vorüber. Ich muß auf diesen Vorwurf, den wir ja schon oft in diesem Hause gehört haben, noch einmal ganz kurz eingehen.
Hat sich denn wirklich in dieser Welt seit dem Jahre 1950 so viel gewandelt, daß wir von unserer politischen Konzeption abgehen müßten? Ich habe schon in der außenpolitischen Debatte dazu das Nötige gesagt und darf daran erinnern, daß die verspätete Reaktion der westlichen Welt auf die Expansionspolitik Stalins es nicht mehr verhindern konnte, daß eine ganze Zahl unserer Nachbarländer unter kommunistische Sklaverei gerieten. Soll ich daran erinnern, daß wir die Freiheit Berlins, die uns so teuer ist, dem Eingriff der westlichen Welt verdanken?
Herr Kollege Heiland und andere haben uns in dieser Diskussion durch Zwischenrufe daran erinnert, daß nicht die Russen, sondern Hitler 1939 den Krieg begonnen hat. Das ist wahr, und wir vergessen es nicht. Das bedeutet aber nicht, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, daß wir bei unserer heutigen Entscheidung die Realitäten übersehen, die nun einmal seit dem Jahre 1940 und insbesondere seit 1945 vor allem durch Stalin in Europa geschaffen worden sind.
So sehr wir Hitlers Überfall verurteilen, so wenig würde es uns nützen, nunmehr die Augen davor zu verschließen, daß seit 1945 Rußland die zweitgrößte Macht der Welt geworden ist, die, zudem mit einer aggressiven politischen Ideologie ausgestattet, bewiesen hat, daß sie 1945 nicht dem Glauben des Westens verfiel, es sei nunmehr eine ewige Epoche des Friedens angebrochen. Erst als die westliche Gegenreaktion erfolgte, kam die sowjetrussische Expansion zum Stillstand.
Nun wird gesagt: Die neue sowjetrussische Politik, die von Stalins Methoden abrücke, sollte uns veranlassen, unsere eigene Konzeption zu überprüfen und zu korrigieren. Meine Damen und Herren, ich habe es in der außenpolitischen Debatte gesagt und wiederhole es: ich denke nicht daran, die Augen vor hoffnungsvollen Vorgängen in Sowjetrußland zu verschließen. Es ware töricht, ganz und gar auf dem Standpunkt zu verharren, in der Sowjetunion könnte sich nichts ereignen, was uns hoffen ließe, daß es eines Tages in dieser Welt zu einer wirklichen Entspannung kommen wird.
Die Frage aber ist, ob der Augenblick schon gekommen ist, wo wir aus der Verantwortung für das Schicksal unseres Volkes sagen dürften: wir dürfen in unserer Wachsamkeit nachlassen und dürfen das mühselige Werk der Verteidigung, das der Westen in den vergangenen Jahren aufzubauen versucht hat und das noch lange nicht zu Ende geführt worden ist, aufgeben.
Ich habe in der außenpolitischen Debatte darauf hingewiesen, daß — jawohl, Herr Kollege Mende — vieles im Fluß ist. Aber wohin geht die Fahrt? Wer von uns vermag das zu sagen? Vermag nur einer zu sagen, daß die neue sowjetrussische Politik etwa weniger gefährlich sei als die unter Stalin? Niemand kann das sagen, und wenn das wahr ist, dann müssen wir uns darauf einrichten, daß es möglicherweise auch schlimme Überraschungen gibt.
Herr Kollege Schneider von der Deutschen Partei hat heute ein auch mir bekanntes Wort verlesen, das Anfang der dreißiger Jahre von einem führenden Sowjetpolitiker gesagt wurde. Es sollte uns mindestens nachdenklich machen. Dieses Wort steht ja auch nicht allein. Ich will zwar nicht verschweigen, daß Herr Mikojan auf dem XX. Parteitag das Gegenteil versichert hat. Er sagte: Unsere Gegner verleumden uns, wenn sie behaupten, wir machten die neue Politik nur, um uns zu stärken und dann eines Tages, wenn wir stark genug geworden seien und die Gegner eingelullt hätten, über die übrige Welt herzufallen.
Warum zitiere ich das? Um zu zeigen, meine Damen und Herren, daß ich beide Äußerungen zur Kenntnis genommen habe: jene aus dem Jahre 1931, diese aus dem XX. Parteikongreß. Aber wiederum berechtigt mich nichts, anzunehmen, daß die künftige sowjetrussische Politik lediglich nach dem Rezept des Herrn Mikojan verfahren werde, zumal da wir auf demselben Parteikongreß die Äußerung von Herrn Chruschtschow gehört haben, daß es keine ideologische Koexistenz gebe und daß die Tendenz zur Weltrevolution von Sowjetrußland weiterhin aufrechterhalten werde.
Außerdem: wer vermag uns denn zu sagen, daß in einem, in zwei, in fünf Jahren noch immer dieselben Männer — unterstellt, daß sie wirklich ernsthaft den Frieden wollen — in Sowjetrußland die Macht in Händen halten?
Weil dies alles so ist, müssen wir nach wie vor dafür sorgen, daß keine Kräfte in Sowjetrußland ermutigt werden, wieder zu einer expansiven Politik, die eines Tages auf unsere Kosten gehen könnte, zurückzukehren.
Die notwendige Reaktion auf die neue sowjetrussische Politik, sagen uns Herr Mende und andere, sei eine größere Elastizität. Nun, meine Damen und Herren: eine richtige Politik ist die notwendige Reaktion. Was heißt denn schon „eine größere Elastizität"? Diese Rufe nach größerer Elastizität kommen mir vor, wie wenn ein Boxer, der sich vor den andrängenden Schlägen des Gegners zurückzieht, dies mit der Behauptung tut, es sei „elastisch" begründet, bis er plötzlich über die Seile hinausfliegt.
Natürlich müssen wir uns neuen Lagen anpassen. Wie sieht denn nun diese neue Lage außenpolitisch aus? Sehen wir einmal von den hochinteressanten innerpolitischen Vorgängen in Sowjetrußland ab. Ich wiederhole es: die neue politische Taktik, die neue politische Methode der sowjetrussischen Führer ist gefährlicher, als es die Stalinsche Methode war.
Die sowjetrussischen Führer haben die Isolierung, die auf die Stalinsche Politik gefolgt war, durchbrochen, — auf sehr kluge und geschickte Weise. Sie sind nach Belgrad gegangen, um Tito wieder in das gemeinsame kommunistische Lager zurückzuholen. Sie haben ihre großen Chancen in der kolonialen Welt entdeckt. Sie fühlen sich heute als Mittelpunkt eines großen Weltsystems, in dem es gewisse Stufen und Nuancen gibt, von der Zugehörigkeit zum kommunistischen Block bis zum
äußersten Ring der Neutralen und Neutralisten. Stalin hat die Einigung der westlichen Welt erzwungen, dieser müden, ach so friedlichen westlichen Welt, die zunächst glauben wollte, der ewige Frieden sei angebrochen. Das Ziel einer klügeren Politik als der Stalins war es, die westliche Welt davon zu überzeugen, die Einigung sei nicht so dringlich, man brauche vielleicht unangenehme Opfer nicht zu bringen und man könne es noch einmal mit dem lieben alten Schlendrian versuchen.
Haben wir nicht sofort die Erfolge dieser Politik gesehen? Überall in der Welt sagen Leute: „Wir haben die Dinge doch falsch gesehen. Die Sowjetunion ist nach allem doch nicht so schlimm. Die Gefahr ist übertrieben worden. Wozu wollen wir an der Politik der Verteidigung festhalten? Glauben wir doch den Friedensbeteuerungen und vermeiden wir die Opfer, die das gewaltige Verteidigungswerk von uns fordert." Ist das nicht ein deutlicher Erfolg der neuen sowjetrussischen Politik, und hilft nicht jeder, der sich in dieselbe Reihe stellt, dieser Politik weiter zum Erfolg?
Man konnte sich doch an den Fingern einer Hand ausrechnen, was die neuen klugen Machthaber drüben vorhatten. Es war doch ganz selbstverständlich, daß sie versuchen mußten, diesen Einigungsprozeß der westlichen Welt aufzuhalten. Wollen wir ihnen diesen billigen Erfolg gönnen in einem Augenblick, wo Westeuropa, unser eigenes Vaterland und die potentielle Freiheit der 18 Millionen Menschen drüben noch in keiner Weise gesichert sind?
Herr Erler hat uns heute wieder einmal den schwächsten Beweisgrund seiner oft recht klugen Argumentation vorgetragen. Er wiederholt immer wieder, daß der nächste Krieg nicht stattfinde. Er beruft sich dabei auf Autoritäten wie den General Gruenther und andere. Ich kann dazu nur mit allem Ernste sagen: der General Gruenther sowohl wie die verantwortlichen Politiker und Militärs der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft stehen bis zu dieser Stunde übereinstimmend auf dem Standpunkt — mein Kollege Berendsen hat es schon gesagt, und ich wiederhole es —, daß eine Verteidigung Westeuropas in den kommenden Jahren nur möglich sein werde, wenn in Westeuropa ein Landheer von beträchtlicher Größe stehe, zu dessen Bestand der Beitrag der Bundesrepublik völlig unerläßlich sei.
Erst heute haben Sie in den Zeitungen lesen können, daß der Stabschef der SHAPE, General Schuyler, 'erklärt hat, daß man auf konventionelle Landheere nicht verzichten könne, wenn man Europa und seine Freiheit verteidigen wolle.
Herr Mende ging sogar so weit, zu sagen, eine Änderung der militärischen Konzeption im Westen sei schon daran zu erkennen, daß der Vertreter der klassischen Strategie, General Gruenther, abgelöst worden sei. Herr Kollege Mende, das war kein solides Argument.
Nach meinen Erkundigungen — sie kommen aus
sehr seriösen Quellen — hat die Ablösung nicht
das geringste damit zu tun, daß der neue Mann
etwa im Gegensatz zu den strategischen Auffassungen des Generals Gruenther stünde.
Man sollte bei einer so schicksalswichtigen Frage wie dieser nicht feuilletonistische Rätselraterei betreiben.
Wir alle hier wären heilfroh, wenn wir daran glauben könnten, daß sich die militärische Lage so geändert habe, daß die Bundesrepublik aus der furchtbar schweren Aufgabe entlassen werden könnte, ein Heer von einer halben Million Mann zu stellen. Wir wüßten Besseres mit unseren jungen Leuten anzufangen, als sie wieder in Uniformen zu stecken.
Aber wenn Sie uns gefragt haben, Herr Erler, welches die moralische Begründung sei, die den jungen Leuten, die wir einziehen wollen, einleuchte, dann kann ich Ihnen nur sagen: Die Wehrpflicht ist notwendig, weil wir noch weit entfernt sind von jenem Zustand der Sicherheit und Unabhängigkeit, ohne den kein Volk leben kann, ohne auf die Dauer in den Schatten einer stärkeren Macht gezogen zu werden.
Sie selbst, meine Damen und Herren von der Opposition, haben im Verteidigungsausschuß wissen wollen, ob zu dieser Verteidigung die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht notwendig sei oder ob nicht andere Maßnahmen genügten. Sie haben die Gutachten der Generale zur Kenntnis genommen und haben erfahren, daß die allgemeine Wehrpflicht leider eine bittere Notwendigkeit ist.
Der Kollege Berendsen hat heute früh mit Recht auf eine Ausführung des Marschalls Schukow, des sowjetrussischen Verteidigungsministers, auf dem XX. Parteikongreß hingewiesen. Dort sagte Schukow ausdrücklich, man könne nicht auf die konventionellen Truppen verzichten, in einem modernen Krieg spielten sie eine große Rolle, und deswegen erhalte sie Sowjetrußland aufrecht. Sollten wir Deutsche uns diesen Erkenntnissen entziehen? Allen Respekt, Herr Kollege Dr. Mende, vor Ihren strategischen Erwägungen,
aber ich ziehe es wirklich vor, den strategischen Erwägungen der verantwortlichen Militärs zu folgen, die doch seit Jahr und Tag nichts anderes tun, als an dieser verdammt verwickelten und schwierigen Frage der Verteidigung Europas und der freien Welt zu arbeiten,
und die nicht nur gelegentliche Expektorationen anstellen.
Es ist gesagt worden, wir merkten nicht, daß in der öffentlichen Meinung der Welt ein allgemeiner Umschwung eingetreten sei, und es sind wieder die uns ach so bekannten Namen und Zeitungen zitiert worden. Wir kennen doch diese Männer seit langem. Wir respektieren auch ihre Auffassung, genau so wie wir die Auffassungen respektieren, die Sie mit echten Argumenten vorbringen. Jede Entscheidung, die wir hier in der Wehrfrage zu treffen haben, trägt ein gewaltiges Risiko in sich, die unsere und die Ihre. Wir müssen die
Gründe gegeneinander abwägen. Wir haben das getan, und wir haben gefunden, daß unsere Gründe die stärkeren sind, und treffen danach unsere Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen.
Aber ich möchte noch eines zu diesem angeblichen Umschwung in der öffentlichen Meinung der Welt sagen. Manche Leute in den Vereinigten Staaten sagen sich heute: Ich weiß nicht recht, ob es richtig ist, die Politik, die wir Europa und Deutschland gegenüber getrieben haben, fortzusetzen. — Lesen Sie bitte aber auch die Begründung, die dazu gegeben wird!
Die Begründung lautet nicht etwa so — jedenfalls bei sehr vielen nicht; ich nehme Herrn Conant etwa aus —: Es lassen sich auch andere Wege für die Sicherung Europas vorstellen. Die Begründung lautet so: „Können wir uns denn darauf verlassen, daß die Deutschen wirklich bei der Stange bleiben?
Wird nicht das Problem der Wiedervereinigung auf die Art und Weise, wie es im Lande propagiert wird, dazu führen, daß die Deutschen unzuverlässige Bundesgenossen werden? Und ist es dann nicht besser, von vornherein — so schmerzlich und so gefährlich das auch sein mag — auf die deutsche Mitwirkung zu verzichten?"
Wir haben manches in diesem Lande der seit 1945 entstandenen internationalen Spannung, ich müßte beinahe sagen: zu verdanken. Es hätte eine Entwicklung in der Welt einsetzen können, die unser Vaterland in eine ganz üble Lage gebracht hätte. Das bedeutet nicht, daß wir an der Aufrechterhaltung dieser Spannung interessiert sind. Aber eines muß gesagt werden: glauben Sie nicht, daß es auch die Gefahr gibt — sie wurde heute in diesem Saale schon angesprochen —, daß man eines Tages, der deutschen Zänkereien müde, an eine Lösung der Probleme der internationalen Spannung über unseren Kopf und über unsere Interessen hinweg gehen könnte?
Das vermeiden wir ganz gewiß, wenn wir loyale Bündnisparter bleiben.
— Die Bündnisse werden gebrochen bzw. in ihrem Wert geschwächt, Herr Kollege, wenn in diesem Augenblick verlangt wird, daß wir den Kernbestandteil des Bündnisses, den militärischen Beitrag der Bundesrepublik zur Sicherung der westlichen Welt, herauszubrechen versuchen.
— Ihre These ist doch die, daß wir den Verteidigungsbeitrag im Rahmen eines westlichen Bündnissystems nicht leisten sollten, daß wir versuchen sollten, unsere Bundesgenossen jetzt schon dazu zu veranlassen, uns aus unseren Verpflichtungen zu entlassen. Ein solches Beginnen müßte unseren Bundesgenossen klarmachen, daß sie sich nicht mehr auf uns verlassen könnten und daß sie daher nach anderen Lösungen, die vielleicht unsere Interessen unberücksichtigt ließen, suchen müßten.
Das Argument von der angeblichen Vertiefung der Spaltung, das immer wieder vorgetragen wird! Meine Damen und Herren, ich habe es in der letzten Woche gesagt und ich wiederhole es, für uns ist der entscheidende Gesichtspunkt der: Können wir die potentielle Freiheit der 18 Millionen drüben vorläufig auch dadurch sichern, daß die Bundesrepublik sich aus dem Verteidigungsverband der westlichen Welt heraushält?
— Um die Wehrpflicht! Ich antworte auf das, was Herr Erler hier gesagt hat.
— Es geht um Wehrpflicht, Herr Wehner. Bei der Wehrpflicht geht es um die Frage, ob es notwendig ist, durch einen Beitrag — —
— Herr Wehner, lassen Sie mich ausreden, wie ich es bei Ihnen auch zu tun pflege. Darf ich Ihnen noch einmal den sehr einfachen Gedankengang vortragen: Es geht um die Wehrpflicht. Bei der Wehrpflicht handelt es sich um die Frage, ob ein militärischer Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik zur Sicherung unseres Vaterlandes, Westeuropas und auch zur Sicherung der Zukunft der 18 Millionen drüben notwendig ist.
Die weitere dann zu beantwortende Frage ist, ob dieser militärische Beitrag der Bundesrepublik anders als durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht geleistet werden kann.
Diese Frage ist Ihnen eindeutig durch das Gutachten der Generäle, das auch von Ihnen angefordert wurde, beantwortet worden.
Danach ist die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht notwendig, wenn wir uns militärisch sichern wollen.
— Die Generäle, die Sie selbst auch im Verteidigungsausschuß als Sachverständige und Experten hören wollten!
Was die angebliche Vertiefung der Spaltung angeht: wir können nur zwischen den -Mein wählen. Es mag sein, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zur Verhärtung und zur Erschwerung mancher Dinge drüben im Osten führen kann. Ich leugne das nicht. Das ist ja schon durch die ganze Entwicklung, schon dadurch, daß wir hier die Bundesrepublik gründen mußten, geschehen. Wir können nicht anders, wir müssen die Wehrpflicht beschließen, und wir müssen den Menschen im Osten im selben Augenblick sagen: Wir tun dies nicht nur für unsere eigene Sicherheit, egoistisch und ohne Rücksicht auf euch, sondern wir tun es mit Rücksicht auf unser ganzes Volk und unser ganzes Vaterland, also auch für euch.
Wir und die Sowjetunion! Wir oft sollen wir es wiederholen, daß es gar nicht im Gegensatz zueinander steht, wenn wir uns in vollem Ernste — der Bundeskanzler hat es gerade heute wieder getan — zum Gedanken der allgemeinen Abrüstung bekennen und im selben Augenblick unsere Verpflichtung aus den Pariser Verträgen zu einem militärischen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik erfüllen wollen. Das ist kein Widerspruch! Es wird noch eine gute Weile dauern, bis die Abrüstung sich durchsetzt; das können Sie jeden Tag aus berufenstem Munde hören. Man darf deshalb die Geduld nicht verlieren; man muß weiter auf das große Ziel hinarbeiten. Aber nichts berechtigt uns doch, in der Zwischenzeit unser Volk und Land völlig wehrlos zu halten!
Und nun, Herr Erler, eine weitere Überlegung: der berühmte Krieg, der nicht stattfindet. Ich hoffe mit Ihnen, daß es zu einem Krieg mit Atomwaffen nicht kommen wird, daß die Abschreckung, die von den schrecklichen Wirkungen dieser Atomwaffen ausgeht, die Mächtigen dieser Welt davon abhalten wird, einen Atomkrieg zu beginnen. Aber wer garantiert Ihnen dafür, daß nicht eine Seite mit dieser Furcht vor einem Krieg mit Atomwaffen spekuliert, daß im Falle eines Angriffs mit konventionellen Waffen — mit Landheeren, Panzern und Flugzeugen, wie wir sie kennen — gerade die Angst vor den Atomwaffen die westliche Welt davon abhalten könnte, mit Atomwaffen zu reagieren? Und was wäre die Folge? Es gäbe nur zwei Alternativen für die westliche Welt. Die eine Alternative wäre die Kapitulation: Man kann und will die Atomwaffen nicht einsetzen, aber man hat auf der anderen Seite keine konventionellen Armeen, die stark genug wären, den Angriff abzuwehren. Die andere Alternative allerdings ist die, daß man nicht kapitulieren will und daß dann gar nichts anderes übrig bleibt, als einen allgemeinen Atomkrieg zu entfesseln, der für die Menschheit zum Verhängnis werden würde. Ist es da nicht richtig, wenn wir sagen, daß wir durch die Unterstützung der Idee der allgemeinen Landheere in Europa und durch unseren deutschen Beitrag dazu der Sache des Friedens dienen, im schlimmsten Fall wenigstens dazu beitragen, daß es nicht zum Einsatz der schrecklichsten Vernichtungsmittel aller Zeiten kommt?
— Meine Herren, wenn Sie diese Gedankengänge nicht für überzeugend halten, — ich bin gerne bereit, überzeugende Argumente dagegen zu hören. Aber ich habe sie in dieser Aussprache heute zu meinem Bedauern nicht gehört.
Es ist leider unvermeidlich, daß im Zusammenhang mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht der mögliche Ernstfall ins Auge gefaßt wird. Man führt ja eine Wehrpflicht nicht zu Spielereien ein, auch nicht, Herr Kollege, der Sie heute den Zwischenruf gemacht haben, zur Gründung einer „Kanzlerarmee".
Dieser Zwischenruf hat mich wieder einmal nachdenklich gemacht, nachdenklich darüber, aus welchen Gründen wohl manche von Ihnen der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht so feindlich gegenüberstehen.
Niemand in unserem Lager denkt wirklich daran, das neue Heer zu parteipolitischen Zwecken zu mißbrauchen. Unsere Haltung in den militärischen Fragen im letzten Jahr müßte Ihnen doch bewiesen haben, daß uns alles daran liegt, diese Aufgabe mit Ihnen zusammen durchzuführen. Haben wir Ihnen nicht viele Zugeständnisse gemacht? Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, mein Kollege Dr. Jaeger, hat ganz und gar in diesem Sinne gewirkt. Er hat doch versucht, ein gemeinsames Vorgehen dieses Hauses in dieser wichtigen Frage zu erreichen.
Aus allen Zwischenrufen des heutigen Tages sind mir noch andere Ressentiments in Ihren Reihen deutlich geworden. Ich kenne ja die Schwierigkeiten in Ihrem eigenen Lager in der Wehrfrage.
Auch Sie sind sich doch über diese Fragen nicht einig. Es ist für die Sozialdemokratie immer eine Zeit schwierigster Entscheidungen gewesen, wenn über Wehrfragen zu beschließen war. Das ist vor dem ersten Weltkrieg, im ersten Weltkrieg, nach dem ersten Weltkrieg so gewesen. Wir haben durchaus Respekt vor diesen Schwierigkeiten, und wir versuchen wahrhaftig nicht, sie zu vergrößern und zu vertiefen. Im Gegenteil, wir haben die ganze letzte Zeit versucht,
— ja, so können Sie sagen: Ihnen dadurch zu helfen, daß wir jede vernünftige Forderung — denken wir an den Wehrbeauftragten und an andere Dinge —, die Sie gestellt haben, erfüllt haben. —
— Lassen wir doch einmal diese zweite Lesung!
— Meine Damen und Herren, ich weiß, sie gibt Ihnen ein brauchbares Argument für Ihren kommenden Parteitag.
Das pflegt so zu sein, und wir nehmen Ihnen das auch gar nicht übel.
Aber in Wahrheit ging es doch die ganze Zeit darum — und wie lange ringen wir denn schon um die Verwirklichung unserer Verpflichtung aus den Verträgen! —, daß wir unsere Verpflichtung verwirklichen wollten und daß Sie versuchten, sie so lange wie möglich zu verzögern.
Das entspricht der Grundhaltung Ihrer Politik, gut; aber dann schimpfen Sie doch nicht nur über die unglückselige zweite Lesung!
Der Konflikt liegt doch ganz woanders.
— Ach, wissen Sie, Herr Metzger, manchmal gibt es Entscheidungen in diesem Lande, wo auch der Parteipolitiker — ein häßliches Wort, nicht wahr?
— sich überlegt, was besser wäre: ein glanzvoller Sieg seiner eigenen Partei oder ein im Interesse unseres Vaterlandes geschlossenes Zusammengehen der Gruppen dieses Hauses.
Herr Metzger, ich würde sogar gern ein paar Tausend Stimmen bei der nächsten Bundestagswahl zu Ihren Gunsten opfern, wenn es gelänge, Sie in dieser Frage auf unseren Standpunkt zu bringen.
— Meine Damen und Herren, es reden so viele durcheinander, daß ich beim besten Willen die einzelnen Einwürfe nicht mehr verstehe und daher leider auch nicht beantworten kann.
Ich sagte vorhin, es sei leider unvermeidlich, bei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht den Ernstfall ins Auge zu fassen. Viele harmlose Gemüter, die die Kompliziertheit der Zusammenhänge nicht durchschauen können, erhalten dadurch leicht den Eindruck, nun stehe wahrhaftig der nächste kriegerische Konflikt vor der Tür. Wenn dann wohldosierte Zwischenrufe aus Ihren Reihen aufklingen, wie „Rußlandfeldzug", „Hitler", „Goebbels" usw., dann wird natürlich dieser Eindruck — besonders über den Rundfunk — urbi et orbi verstärkt.
— So sollten wir in dieser Frage nicht miteinander sprechen.
Der Herr Bundeskanzler hat gesagt — und ich glaube, man darf ihm nach seiner ganzen Vergangenheit glauben — —
— O ja! Lachen Sie nicht so höhnisch, Herr Kollege drüben! Der Bundeskanzler ist kein Mann, der in irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens irgendeiner Gewaltpolitik das Wort geredet hat.
Und was ein Mann in einem 80jährigen Leben klar und deutlich bewiesen hat, das dürfte man ihm wahrhaftig auch in dieser Zeit, da er eine schwere Entscheidung zu treffen hat, glauben und abnehmen.
Meine Damen und Herren, treffen wir also unsere Entscheidung, wir die unsere, Sie die Ihre! Es ist wahr: erst die Geschichte wird beweisen, wer von uns recht gehabt hat.
— „Wie schon einmal", „es ist immer dasselbe", hören Sie es? Als ob, Herr Heiland, es nicht ein Unterschied ist, ob ein Adolf Hitler an die Aufrüstung geht oder ein Mann wie der deutsche Bundeskanzler, der bewiesen hat, wo er steht.
Ihnen, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, geht es — ich weiß es — genau so wie uns um die Erhaltung des Friedens und der Freiheit. In diesem Ziele sind wir uns einig, und ich war glücklich, das bei meiner außenpolitischen Rede feststellen zu können. Lassen Sie uns dann doch die Unterschiede, die uns im Methodischen, im Weg zum gemeinsamen Ziel trennen, nicht verfälschen und vernebeln! Sagen wir klipp und klar, was wir wollen und warum wir es wollen. Wir glauben, daß wir richtig entschieden haben für die höchsten Güter, die wir schützen müssen, für Frieden und Freiheit unseres Volkes.