Rede von
Erwin
Feller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir heute führen, erhält einen Akzent, der uns weg von jeder Deklamation und jedem Pathos zur Realistik führen muß, nämlich den Akzent, der ihr durch die Meldung über den Aufstand, der sich in Polen und vor allem in der Stadt Posen abspielt, gesetzt wird.
Die Meldungen darüber weisen im Ursprung und im Ablauf der Unruhen gewisse Übereinstimmungen mit dem 17. Juni 1953 in Berlin und in der Zone auf.
Wir wissen nicht, wie die Dinge sich entwickeln und wie sie enden werden. Wir wollen uns auch jeglicher Einmischung enthalten. Aber wir werden gerade an diesen Vorgängen beobachten können, wieweit die im Osten vorgegangenen Veränderungen wirklich zum Grundsatz der Nichteinmischung zurückgeführt haben oder zurückführen werden Daraus werden wir auch unsere Schlüsse zu ziehen haben auf das Verhältnis, das sich im Zuge der inneren Veränderungen in der Sowjetunion und in den Satellitenstaaten auch zur deutschen Frage und zu Deutschland ergeben könnte.
Aber sehen wir von diesen Vorgängen einmal ab, dann ist die heutige Debatte über die außenpolitische Lage, die nach langer Pause wieder einmal stattfindet, nicht durch ein bestimmtes außenpiolitisches Ereignis veranlaßt. Sie stellt vielmehr, wie die Regierungserklärung mit Recht sagt, eine Art Zwischenbilanz ,dar. Die Regierungserklärung fügt hinzu, daß sich aus ihrer Prüfung ergeben müsse, ob die bisherige Außenpolitik der Bundesregierung einer Änderung bedürfe oder nicht. Aber die Regierungserklärung nimmt selbst das Ergebnis dieser Prüfung vorweg, indem sie feststellt, daß keinerlei Änderung der Außenpolitik der Bundesregierung notwendig sei. Damit, meine Damen und Herren, erlangtallerdings die in der Regierungserklärung selbst verlangte Prüfung einen sehr einseitigen Charakter.
Meine Fraktion befaßt sich als ein Teil der Opposition idennoch mit dieser Prüfung und beteiligt sich daran, aber nicht etwa in der Absicht, von vornherein zu behaupten, daß alles an der bisherigen Außenpolitik der Bundesregierung falsch gewesen sei. Es kommt uns nämlich keineswegs darauf an, mit einer solchen Behauptung innerpalitisches Kapital zu schlagen oder unseren Übergangs der Koalition in die Opposition zu rechtfertigen. Wir wären sogar bereit, Irrtümer oder Fehler einzusehen, wenn wir zu der Überzeugung kämen, daß dadurch dem Ziele der deutschen Außenpolitik, nämlich der Herbeiführung der deutschen Einheit, ein Dienst erwiesen werden könnte.
Meine Damen und Herren, wir können hier ganz frei und unbelastet Stellung nehmen, weil wir uns der Übereinstimmung mit unseren Anhängern und Wählern in jedem Falle sicher sind. Wir haben am vergangenen Sonntag unseren Bundesparteitag in Fulda gehabt. Wir haben dort auch rüber die außenpolitischen Fragen gesprochen, haben Beschlüsse dazu gefaßt und sind deshalb der Zustimmung unserer Anhänger, die diese Beschlüsse gewollt und gefaßt haben, völlig sicher.
Wir haben auch nicht die Absicht und haben es nicht nötig, uns auf jene Entartungsformen einzulassen, die allmählich insofern im Schwange sind, als man draußen vor seinen Wählern und Anhängern etwas anderes sagt, als man hier zu sagen wagt.
— Verehrter Herr Kollege Kiesinger, es gibt eine ganze Reihe Ihrer Freunde, die draußen ganz anders sprechen, aber dann hier, wenn Sie versuchen, mit
Taschenspielerkunststückchen uns Osttendenzen unter die Jacke zu schieben, Beifall klatschen. Das wollte ich Ihnen einmal mit aller Deutlichkeit gesagt haben.
— Konkret? Meine Damen und Herren, ich kann mich hier gar nicht darauf einlassen,
weil ich jetzt nicht das Material vorliegen habe, wie viele Ihrer Parteifreunde draußen Reden halten, in denen Vorschläge und Gedanken enthalten sind, die sich durchaus mit dem vergleichen lassen, was wir vergangenen Sonntag in Fulda beschlossen haben. Es gibt ganze Sätze und Passagen der Regierungserklärung, die im Grunde nichts anderes besagen.
Aber diese Tendenz, die auch hier wieder versucht wird, kennen wir zu gut, als daß sie uns etwas anhaben könnte. Man hat diese Taktik lange Zeit nur gegenüber der Sozialdemokratie geübt, hinter der man dauernd die Türme des Kremls zu sehen behauptete. Jetzt, nachdem wir nicht mehr der Regierungskoalition angehören, versucht man sie auch uns gegenüber zu üben.
— Wo ist Idas geschehen? Vorhin von Herrn Kiesinger! Herr Rinke, Herr Kiesinger hat gesagt:
Sie haben sich in Fulda versammelt, wo ja gelegentlich der Geist besonders intensiv zu wehen pflegt.
Und er hat dann gesagt:
Ich habe den Eindruck gehabt, daß bei Ihren Vorschlägen, daß nach der Absetzung Walter Ulbrichts und Hilde Benjamins gewisse Kontaktnahmen möglich wären, ein etwas scharfer Ostwind geweht hat.
— Bitte sehr, Herr Kollege Kiesinger!