Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, jeder von uns in diesem Hause, niemand mehr als meine Freunde, stimmt der Apotheose auf die Freiheit zu, die Herr Kollege Kiesinger hat aufklingen lassen. Wir alle bejahen die Freiheit unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Wir alle wollen sie mit allen Mitteln sichern. Aber sie zu sichern, das ist doch nicht das Thema dieses Tages. Sie ist, das können wir mit Genugtuung feststellen, ernstlich nicht gefährdet und nicht bedroht.
Herr Kollege Kiesinger verwahrte sich sehr nachdrücklich gegen den Vorwurf, der aus der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer aufgeklungen ist, das große Ziel, die Wiedervereinigung, sei nicht gefördert worden, wir seien diesem Ziel nicht näher gekommen. Die Ausführungen des Herrn Kiesinger decken sich mit der Rede, die bei der Feier des 17. Juni der Regierungschef von dieser
Stelle aus gehalten hat, einer kurzen, aber bernerkenswerten Rede. Er hat gesagt:
Ich glaube, wir können sagen: wir sind in der Wiedervereinigung weitergekommen. Gegenüber dem Zeugnis der ganzen freien Welt
— es lag ein Telegramm des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Eisenhower, vor, und eine Rede des Präsidenten der amerikanischen Gewerkschaften, Meany, war am gleichen Tage zu erwarten —
wird auf die Dauer keine Macht der Erde widerstehen können. Und so
— sagte er —
haben wir die feste Hoffnung, daß der Tag der Wiedervereinigung Deutschlands in Einheit und Freiheit bald kommen wird.
Das ist ungefähr der Tenor, auf den auch die Ausführungen des Herrn Kollegen Kiesinger gestellt sind: die Hoffnung, daß eine geistige Macht, die geistige Hilfe der Welt dazu führen wird, daß die Männer im Kreml in sich gehen und das tun, was unser heißes Verlangen ist.
Herr Kiesinger spricht von der Ausgangsbasis, die geschaffen worden ist, von dem Interesse der Alliierten, das wir aufrechterhalten müssen, von dem Interesse der anderen Welt, das wir in Bewegung halten müssen. In der Erklärung der Regierung wird das umschrieben mit „zielbewußter Außenpolitik". Meine Damen und Herren, mir scheint das alles reichlich platonisch.
Wenn wir mal eine Bilanz ziehen — „Zwischenbilanz", sagt die Regierungserklärung —: Haben wir viele Aktivposten zu verzeichnen? Daß wir, daß die Bundesrepublik, dieser deutsche Teilstaat, ein freiheitlicher Staat ist, ist das ein Verdienst? Ist das nicht mehr Gunst des Schicksals, der Geschichte, daß wir eben eingeschlossen sind in eine freiheitliche Welt, in der die Grundsätze der Demokratie gelten? Was wir uns sonst als Ziele gesotze
haben — ich spreche nicht über die innere Ordnung dieses Teilstaates Bundesrepublik Deutschland und das, was wir in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht geschaffen haben; ich spreche von den großen nationalen Zielen, die uns gestellt sind —, haben wir sie erreicht?
Ein Ziel, die europäische Ordnung, wurde in der Form der Integration eines Teils Europas erstrebt, Frankreichs, Italiens, der Bundesrepublik und der Beneluxstaaten. Das Ziel ist nicht verwirklicht, ist gescheitert. Es scheint mir nicht realpolitisch zu sein, wenn man glaubt, daß die Verhandlungen von Messina oder Venedig hier im Grundsätzlichen noch etwas wandeln, nämlich durch Institutionen ein Europa herbeiführen könnten. Nein, die Lösung kommt auf ganz anderem Wege, durch einen ganz anderen Geist, durch eine ganz andere Grundhaltung: durch den freiheitlichen, durch den liberalen Geist auch in den politischen, in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen nationalen Staaten.
Ich will die Bilanz nicht ausdehnen. Ist sie so positiv, ist sie so in die Zukunft weisend, wie unser Herr Kollege Kiesinger mit seinem beschwingten Pathos uns glauben machen will?
Ich will es mir versagen, im Rahmen der Aufgabe dieser Aussprache in die Vergangenheit zu schauen, die Fehlentscheidungen und die Fehlentwicklungen dieser Vergangenheit aufzuzeigen;
das ist zur Genüge geschehen und bleibt als Vorwurf und als Mahnung bestehen.
Unsere Pflicht bei dieser Aussprache ist eine ganz andere, ist die zutreffende Analyse der gegenwärtigen Situation und der Versuch, aus ihrem Ergebnis die Folgerungen für unser aktives politisches Verhalten und Handeln zu ziehen. Ich meine, die Regierungserklärung bleibt vieles, allzu vieles schuldig, befaßt sich mehr mit der vergangenen Weltlage als mit der gegenwärtigen oder gar mit der Zukunft, die der Politiker voraussehen und gestalten soll, vermittelt vor allem nicht das, was sie sollte: Glauben, Vertrauen, Wollen, beweist nicht — es ist die bitterste Feststellung — innere Sicherheit und Kraft.
Was ist Politik, meine Damen und Herren? Politik ist die Brücke zwischen Idee und Wirklichkeit. Wer hat in dieser Regierungserklärung eine Idee gespürt, eine Vorstellung von dem, was geschehen soll, gar einen heißen Atem, einen wehenden Geist? Ach, das ist doch alles klügelndes Kalkül!
Wir haben das bei anderer Gelegenheit schon erlebt. Herr Ollenhauer hat davon gesprochen, wie die Dinge liefen, als es um die Saar ging. War das eine große Konzeption, ein großer Wille? Man stelle sich vor, wie die Dinge jetzt geklittert werden, wie man sich das, was dann trotz der irrigen Vorstellung der hier Verantwortlichen geschehen ist, zu Buche schlagen will! Man muß sich vorstellen, was in der Saarfrage weiter geschah. Ein Akt, der mit professoraler Akkuratesse begonnen war, wurde einfach fortgeführt, als ob am 23. Oktober 1955 nichts geschehen wäre. Es war eine der merkwürdigsten Feststellungen der Regierungserklärung, die beabsichtigte Regelung an der Saar — dabei ist der 1. Januar 1957 noch nicht einmal ein absolutes, feststehendes Datum — sei durch beiderseitige Opfer erreicht. Merkwürdig, daß man nicht erkennt, daß uns und nur uns Opfer — gegenüber Ansprüchen, die nicht in die europäische Landschaft passen, will ich mal vorsichtig sagen — zugemutet werden.
Wenig von Politik habe ich in der Regierungserklärung gespürt, wenig auch von einem ernsten leidenschaftlichen Willen, die Dinge in Bewegung zu bringen.
Man sagt so gern, das gespaltene Deutschland sei ein gefährlicher Unruheherd im Herzen Europas, im Schnittpunkt der weltpolitischen Interessen, und alle seien daran interessiert, daß diese Gegensätze beseitigt werden, weil es sonst keine Sicherheit und keinen dauerhaften Frieden gebe. Meine Damen und Herren, das ist eine schöne These, die sich mit der Wirklichkeit nicht deckt. Zeigen Sie mir die Unruhe, zeigen Sie mir die Menschen, die sich gegen das Schicksal aufbäumen, zeigen Sie mir die Menschen in der Bundesrepublik, die Tag für Tag das Empfinden haben, daß dieser Eiserne Vorhang ein schweres Schicksal für uns ist! Es macht sich doch ein ganz anderer Geist in unserem Volke breit: Der Konformismus, das Sich-Abfinden mit den Dingen, das Hinnehmen dieses schwersten Schicksals. das ein Volk treffen kann. So sind doch die Dinge. Ich meine nicht, daß unsere Parteien die Verpflichtung fühlen, hier aufwühlend zu wirken.
Es hat sich schon in der Saarfrage gezeigt, welchen Geistes man ist. Das war die erste Möglichkeit, zu zeigen, daß man Deutschland will, daß man will, daß deutsches Land und deutsche Menschen zusammengehören. Da konnte man es zeigen.
Wie sind wir diffamiert worden, nicht von den einfachen Leuten, aber auf Weisung der führenden Wirtschaftsschicht; was hat man von Wirtschaftlern gehört!
Es wurde so getan, als ob es eins wäre, ob die Deutschen drüben oder herüben, ob sie autonom oder ob sie bei Deutschland wären. Jetzt hat man doch auch das Gefühl einer schlimmen Sattheit; es ist eine Tatsache, daß die Frage der deutschen Einheit nicht aufwühlt.
Herr Kiesinger sagte, wir müßten die Alliierten, wir müßten die Neutralen in der Welt an der Frage der Wiedervereinigung interessieren. — Wir müssen zunächst einmal die deutschen Menschen bewegen, daß sie das empfinden!
Wie weit sind wir doch gekommen! Ich glaube, es war der italienische Botschafter, der zu Hause bei einer Konferenz seiner Regierung berichtet hat, daß man in Deutschland hier und da bei schönen Festen, besonders am 17. Juni, von der Wiedervereinigung spreche, daß aber die Wiedervereinigung kein ernstes deutsches Anliegen, keine ernste deutsche Sorge sei. Soweit sind wir gekommen.
- Ich referiere nur. Das müssen Sie dem Mann
sagen, der es als ein objektiver neutraler Politiker vermittelt hat.
— Sie sind wirklich der letzte, der mir das sagen könnte.
Ich liebe dieses Volk, und ich treibe Politik, weil ich es liebe.
— Welcher Mangel an einfachstem Takt, meine Herren!
War das eine politische Rede?, frage ich. Steckt hinter dieser Rede eine Vorstellung, die ein politisches Gestalten aus einem Guß erstrebt? Ach, man hat das Gefühl, diese Rede war von den verschiedenen Referenten nach Abteilungen zusammengestellt, und einige Kabinettsmitglieder haben dann noch ihre Wünsche zur Geltung gebracht.
Manchmal hat man das Empfinden, meine Damen und Herren: es lohnt sich nicht mehr, hier in diesem Raume über Außenpolitik zu sprechen; das füllt Folianten, die in die Bibliothek kommen, aber
das rührt doch nicht die Menschen, besonders nicht eine solche Regierungserklärung.
Ein Wort: Eine Rede soll ja eine Tat sein.
Eine Rede soll wirken.
— Sie lachen, weil Sie durch die Deklamationen dieses Hauses verdorben sind.
Meine Damen und Herren, eine Rede, die nicht wirkt, ist doch sinnlos!
Betrachten wir uns einmal, wie nun diese Rede die politische Macht anspricht, auf die es bei der Frage der deutschen Einheit ganz wesentlich ankommt: die russische Regierung. Was könnte die russische Regierung — sie ist ja hier im Hause vertreten —,
was könnte die sowjetrussische Regierung veranlassen, etwas zu tun, kann diese Regierungserklärung sie veranlassen, auch nur das Geringste zu tun, um dem Streben nach der deutschen Einheit entgegenzukommen? Bitte, sagen Sie mir das. Das wäre ein konstruktives Werk, das wäre Politik gewesen, wenn die Rede auch nur einen Ansatzpunkt in dieser Richtung gezeigt hätte, wenn sie der russischen Regierung, der sowjetrussischen — ich will den Herrn Rasner wirklich nicht herausfordern; es ist geschichtlich Rußland und bleibt Rußland, auch wenn dort die Sowjets herrschen —, wenn sie der Regierung der Sowjetunion dargelegt hätte, was wir wollen, so daß unsere Wünsche, darf ich das Wort gebrauchen, ihr vertrauter geworden wären.
Es ist viel von „realistisch" und „unrealistisch" gesprochen worden. Wenn Sie die Regierungserklärung nach diesem Gesichtspunkt bewerten, wissen Sie erst, wie unrealistisch, wie trocken, wie abstrakt sie ist, wie immobil die Haltung ist, die hinter ihr steckt. Wenn Sie den Satz aufnehmen — er stammt nicht von mir, sondern von einem klugen Politiker — „Politik ist die Brücke von der Idee zur Wirklichkeit", müssen Sie sagen: diese Rede hat wahrlich keine Brücke geschlagen.
Es ist nicht einmal eine diplomatische Rede, meine Damen und Herren; denn die Diplomatie hat ja hohe Aufgaben. Auch hier das Zitat eines klugen Mannes: .,Die Diplomatie ist die Kunst. einen negativen Wert zu einem positiven Wert umzuformen."
Das ist die Aufgabe, die vor uns steht. Wir kennen alle die Schwierigkeiten und Hemmungen, die der Erfüllung unserer politischen Ziele entgegenstehen. Niemand verkleinert sie. Ich stimme mit Herrn Kiesinger in der Bewertung — ich suche ihn vergeblich mit meiner Seele — durchaus überein: es ist eine Illusion, zu glauben, daß die Aufgabe auch nur im geringsten leichter geworden sei. Um so größer ist die Aufgabe, die politische und die diplomatische Aufgabe, die uns gestellt worden ist.
Haben Sie aus dem Bericht der Regierung auch nur das Geringste an diplomatischem Vermögen herausgespürt, auch nur den Versuch zu einer Diagnose und dann zu einer Prognose? Und haben Sie einen starken, kräftigen Willen geahnt, der dahinterstünde? Nein! Es ist weder eine politische, noch eine diplomatische Regierungserklärung.
— Herr Kunze, es gibt keine politischen Rezepte; es gibt sie besonders nicht im Parlament. Wenn Sie das erwarten, dann sehen Sie, glaube ich, die Dinge der Außenpolitik falsch. Deswegen auch meine Skepsis, diese Fragen hier und auch im Ausschuß zu behandeln. Außenpolitik wird am Ende anders gemacht. Aber wir sind leider gezwungen, nun einmal sehr ernsthaft zu sagen, daß die Dinge so nicht weitergehen,
daß die Dinge auf einem schlechten Wege sind, daß wir dem Ziel der Wiedervereinigung durch die Politik, die getrieben worden ist, ferner sind denn je.
Sowohl in dem merkwürdigen Interview, das am Dienstag gegeben worden ist - wahrlich kein staatsmännisches Interview —, als auch in der Rede des Herrn Kiesinger klingt immer die Forderung an, wir müßten um das Vertrauen der westlichen Welt besorgt sein. Es ist so oft gesagt worden: Ja, wenn wir mit den Russen sprechen oder wenn wir Verhandlungen mit dem Osten aufnehmen — so ungefähr wird, glaube ich, gesagt —, dann räumen wir die Positionen, die wir in Frankreich, die wir in England, die wir in den Vereinigten Staaten haben.
Also wenn das der Ausgangspunkt, die Ausgangsbasis unserer Politik ist — Herr Kiesinger ist leider zum Telephon., glaube ich, gerufen worden —, wenn wirklich das Vertrauensverhältnis zwischen dem Westen und uns so labil ist, daß ein Gespräch mit dem Kreml — das doch immer die Abstimmung mit der westlichen Welt zur Voraussetzung hätte, weil es doch darum ginge, die Meinung der westlichen Welt mit der Rußlands und der unsrigen in Einklang zu bringen — die Gefahr heraufbeschwören würde, daß das Vertrauen der westlichen Welt zu uns erschüttert würde, auf welch schwankendem Boden steht dann dieses Vertrauen!
Was ist denn in den letzten Jahren nicht geschehen? In welchem Maße ist dann der westlichen Welt n i c h t zum Bewußtsein gebracht worden, wie tief die deutsche Demokratie in der Bundesrepublik begründet ist und daß es am Ende in dem verantwortlichen Deutschen Bundestag niemanden gibt, der nicht mit den demokratischen Verpflichtungen tief verbunden ist! Was ist hier gefehlt worden,
wenn so, wie man es darstellt, das Vertrauen der westlichen Welt auf ganz wenige Augen oder Schultern oder Herzen gerichtet ist!
Meine Damen und Herren, man malt oft den Geist von Rapallo als drohendes Gespenst an die Wand. In diesem Zusammenhang darf man das vielleicht erwähnen. Wie falsch! Als ob so etwas bestünde! Der Schock von Rapallo bestand doch
darin, daß damals ganz überraschend und ohne jede Verständigung der Westalliierten ein Abkommen mit Rußland getroffen wurde, — etwas, was in der gegebenen Situation überhaupt nicht im Bereich der Möglichkeiten unseres Willens liegt.
Ein Versuch der Analyse der gegenwärtigen Situation, um daraus Folgerungen zu ziehen: wie sind die augenblicklichen Strömungen in der Welt, in die ja die Frage der deutschen Wiedervereinigung eingebettet ist?
Man möchte zu der Regierungserklärung sagen: in ihr lebt die Vorstellung, als ob die Welt nur aus der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten bestünde. Daneben kam eigentlich nur noch der Präsident von Indonesien, Herr Sukarno, etwas plastischer zur Erscheinung. Mit ihm sind aber offensichtlich keine politischen Gespräche über die wechselseitigen Beziehungen und die Beziehungen zu den Weltproblemen geführt worden, sondern so, wie man es schildert, hat man nur „unsere" Tatsachen etwas renommierend vorgezeigt.
Wie ist die augenblickliche Strömung? Entscheidend ist die Haltung der Sowjetunion zur Frage der deutschen Wiedervereinigung. Darauf liegt selbstverständlich das Gewicht. Wie steht es damit?
Die Dinge sind überscharf am Anfang dieses Monats durch das, was in Luxemburg erklärt worden ist, beleuchtet worden, durch die alarmierende Nachricht, daß der französische Ministerpräsident Mollet ein . Gespräch mit Chruschtschow wiedergab, die Erklärung Chruschtschows, daß die Sowjetunion unter den gegebenen Umständen nicht bereit sei, einer Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen, selbst wenn dieses wiedervereinigte Deutschland neutralsiert sei; Rußland habe lieber 17 Millionen Deutsche mit sich als 70 Millionen Deutsche gegen sich; die weitere Erklärung, daß die Sowjetunion die Existenz zweier deutscher Staaten als Tatsache betrachtet und nicht bereit ist, die sogenannte Deutsche Demokratische Republik und ihre sozialen Errungenschaften aufzugeben. Ähnliche Erklärungen waren schon vorher, schon nach der zweiten Genfer Konferenz, auch schon nach der Juni-Konferenz, von den russischen Staatsmännern, von Bulganin und Chruschtschow, geäußert worden, auch bei dem Besuch der beiden in London im Mai dieses Jahres.
Bittere Feststellungen, die für uns entscheidend sind.
Maßgebend sind aber die Worte: „unter den gegebenen Umständen nicht bereit". Die Politik muß an diesem Punkte ansetzen. Hier beginnt die Pflicht einer aktiven deutschen Politik in der Frage der Wiedervereinigung. Sie muß versuchen, zu klären, was unter diesen „gegebenen Umständen" zu verstehen ist. Hier besteht Anlaß, meine Damen und Herren, daß die deutsche Regierung sich in das Gespräch zwischen Osten und Westen einschaltet und versucht, die Dinge zu beeinflussen, versucht, dem Ziele unseres nationalen Strebens näherzukommen. Hier empfindet man doch, meine ich, als eine beinahe quälende Verpflichtung, was die Aufgabe der Politik ist. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, zu polemisieren und zu agitieren, die Äußerung Chruschtschows zu variieren, entscheidende Worte „70 Millionen mit sich ", ;,20 Millionen gegen sich" nicht wiederzugeben und dann diese Äußerungen mit dem Vokabular
— Herr Ollenhauer hat schon darauf hingewiesen
— nun, ungefähr des Antikomintern-Paktes zu belegen, nicht nur als rechtlich unmöglich - das ist richtig! —, sondern auch als brutal und anmaßend usw. zu bezeichnen, und dann etwas selbstgerecht festzustellen, an dem Kurs Rußlands habe sich nichts geändert, und es bestehe kein Anlaß, etwas zu unternehmen; man kann sich wieder getrost in die politische Abstinenz hineinflüchten.
— Ich sage das. Ich befürchte das, Herr Kiesinger.
So dient man eben nicht der großen politischen Aufgabe der Entspannung, die gestellt worden ist, besonders gestellt worden ist von Leuten, die immer noch am meisten von praktischer Politik verstehen, von den Engländern. Großbritannien, ich muß schon sagen, diese Heimstatt nüchterner und unideologischer Politik.
Die Dinge sind dann weitergegangen. Der Standpunkt der Sowjetunion ist in den Gesprächen mit den französischen Staatsmännern zum Ausdruck gekommen, ist in einer Reihe von Veröffentlichungen deutlich geworden.
Die Sowjetunion hat — ich will die Quellen nicht im einzelnen bezeichnen; das würde zu weit führen — klar zum Ausdruck gebracht, daß ein wiedervereinigtes Deutschland die Gefahr einer Agitation, einer Aggression gegen Rußland in sich schließen könne, daß eine Irredentapolitik einsetzen könne, daß die Wiedervereinigung zwar eine Spannungsgefahr beseitigen, aber neue Spannungsgefahren schaffen könne. Das sind die Tatsachen.
Meine Damen und Herren, auch Irrtümer, auch falsche Vorstellungen, auch psychologische Fehlleitungen sind politische Tatsachen. Sie gilt es zu beeinflussen. Das kann man nur im Gespräch. Und vor der Sorge gegenüber Deutschland können die Russen nur durch uns, also nur durch deutsche Politik, nur durch deutsche politische Aktivität befreit werden. Hier können wir uns nicht auf die Westalliierten verlassen.
Ich bin nicht der Meinung — um noch ein Wort zu dem Dienstag-Interview zu sagen -, daß diese Methode geeignet ist, aus einer passiven Resignation herauszuführen und zu dem zu führen, was notwendig ist: aktive, konstruktive deutsche Politik in unserer Lebensfrage, in der Frage der deutschen Wiedervereinigung. Wir können einmal auch das Positive der gegenwärtigen Situation sehen. Niemals war nach meiner Meinung die äußere Voraussetzung für die Aufnahme von Kontakten besser als die jetzige. Durch die atomare, durch die nukleare Gleichgewichtigkeit ist in der Welt vieles in Fluß gekommen. Neues will werden und will sich gestalten. Man muß schon sagen: überall in der Welt ist dieses Empfinden vorhanden, wird gedacht, wird geplant, wird gesprochen. Da können doch nicht nur wir Deutschen stumpf sein und die gleichen Litaneien in diesem Hause abbeten, wie wir es jetzt schon im siebenten Jahre tun.
Nein, der Fluß der Zeit darf an uns nicht vorbeigehen. Es geht doch am Ende um unser Schicksal, und es geht um das deutsche Schicksal!
Ich frage - Herr Ollenhauer und Herr Kiesinger haben die Frage schon aufgeworfen —: Gibt es eine neue Lage in der Sowjetunion, oder ist alles
beim alten geblieben, so wie es ungefähr die Regierungserklärung uns glauben machen will? Ich glaube, man darf der Geheimrede Chruschtschows vom 24. Februar dieses Jahres kein übermäßiges Gewicht beimessen. An sich war sie keine Überraschung für denjenigen, der die russischen Dinge kennt; denn schon nach dem Tode Stalins hat die neue Regierung ganz positiv versprochen, daß die Kommunistische Partei alle Mängel des Staatsapparats beseitigen und alle Akte von Willkür und Ungesetzlichkeit aufdecken und ausmerzen wird. Dieses Versprechen stand schon im Raum, und wir wissen doch, wie vieles geschehen ist, wie Tausende und aber Tausende von Menschen rehabilitiert worden sind, in sehr ausführlichen Schauprozessen, so wie sie mit dem umgekehrten Vorzeichen seinerzeit verurteilt worden wären.
Die Rede Chruschtschows war die Einlösung dieses Versprechens, und darum die Feststellung, meine Damen und Herren: mit dieser Rede entfernt sich der Kommunismus nicht von sich. Der Kommunismus gibt sich nicht auf. Es wäre eine Illusion — da hat Herr Kiesinger vollkommen recht —, diesen Schluß zu ziehen; im Gegenteil, der Kommunismus festigt sich und seinen Apparat. Das ist die Situation.
— Was heißt „also"? Um so mehr muß man tun!
— Ja, Herr Krone, das, was bisher geschehen ist: nichts zu tun, — soll ich Ihnen wirklich diese Banalitäten vorhalten? Soll ich Ihnen sagen, wie man den Herrn Sorin behandelt? Soll ich Ihnen sagen, wie man den Herrn Haas einsetzt? Soll ich Ihnen den ganzen Leidensweg der letzten fünf Jahre aufzeigen, welche Chancen man nicht genützt hat?
Ich glaube, in diesem Hause braucht man ja nicht mehr beim Abc der Politik zu beginnen. So sind doch die Dinge!
Die Dinge haben sich drüben nicht gewandelt; sie sind genauso hart, wie sie waren.
Aber worum geht es? Es geht nicht etwa um eine Revolution gegen den Kommunismus, sondern es geht um eine Evolution des Kommunismus mit immerhin bedeutsamen Wandlungen. Stalin hatte versucht, alle kommunistischen Staaten zu Satelliten, zu wirtschaftlichen Kolonien zu machen. Das hat er getan. Tito hat dagegen rebelliert. Sein Besuch und seine Aufnahme in Moskau haben doch eine symbolische Bedeutung. Das Zeichen des anderen Kurses ist, daß man jetzt im kommunistischen Bereich eine Vielzahl von selbständigen nationalen Staaten zugesteht. Hier vollzieht sich in einem gewissen Maße eine Aufweichung, eine zunehmende nationale Ordnung und auch eine Form des Antikolonialismus. Tito ist meines Erachtens der lebendige Beweis für eine ganz entscheidende politische Tatsache, der lebendige Beweis dafür, daß nationale Unabhängigkeit innerhalb der kommunistischen Welt möglich geworden ist, daß ein Staat mit den beiden großen Mächtegruppen in der Welt verbunden sein kann.
Ach, ich erwarte nicht von Ihnen, daß Sie das sofort abnehmen.
Dafür ist der Gedanke vielleicht viel zu neu und zu kühn.
Immerhin sehe ich in dieser Entwicklung eine ganz entscheidende Umstellung. Man kann neutral und trotzdem gebunden sein. Na, beflügeln Sie einmal Ihre Phantasie, vielleicht kommen Sie zu guten Lösungen.
Das erscheint mir bedeutsam: die Möglichkeit der Neuorientierung einer Politik im Rahmen einer bestehenden Allianz. Nun muß sich natürlich manches erweisen, z. B. ob die Sowjetunion bereit ist, den Oststaaten große Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu gewähren. Ich habe mir die Mühe gemacht, interessante Gespräche mit Menschen aus Polen und aus der Tschechoslowakei zu führen.
Ich empfehle es jedem, dem die Dinge am Herzen liegen. Das Bewußtsein dieser Menschen, daß sie Europäer sind, daß sie zum Westen gehören wollen, ist bewegend. In Polen klingt der Schmerz auf, daß Polen durch die Zone der Sowjetunion, durch die Sowjetmacht von Deutschland getrennt ist. Hier sind doch Dinge, die in Bewegung sind. Sie zu fördern und in unserem Sinne zu beeinflussen, ist Aufgabe der deutschen Außenpolitik und Diplomatie.
Ich will mich nicht mit der These der Regierungserklärung auseinandersetzen, daß die Sowjetpolitiker ihre Politik immer dann ändern, wenn sie spüren, daß sie auf unüberwindliche Widerstände stoßen. Na, ich weiß nicht — —
— Meinen Sie, daß das richtig sei und daß Sie das durch die Entwicklung der letzten Jahre beweisen könnten? Selbst wenn das richtig wäre, Herr Rasner: ein guter Diplomat würde das nicht sagen, sondern würde über diese Möglichkeit schweigen und nicht dem, mit dem er weiter politisch handeln will, das Gefühl der Niederlage zufügen.
Ich meine, es ist ein krasses Mißverhältnis in der Wertbeziehung, wenn man diesen Weg geht.
Auf jeden Fall: Nützt uns Bundesrepublikanern eine solche Auffassung? Der Wandel der sowjetrussischen Politik ist doch nicht zu leugnen. Ich übersehe gar nicht, was geschehen ist, wie bedeutsam, sagen wir einmal, der Widerstand in Griechenland, in Nordpersien,
die Überwindung der Blockade Berlins, der Widerstand in Korea waren. Aber die Gründe für die Wandlung der Haltung der Sowjetpolitiker sind doch ganz andere, sind Fakten, die zu analysieren jetzt zu weit führen würde und nicht notwendig ist.
Aber, meine Damen und Herren, müssen wir uns denn wirklich in Hoffnungen wiegen, daß diese — ich muß sie noch einmal zitieren — Politik der Stärke eine Wirksamkeit haben könnte? Gibt es nicht ganz andere Faktoren, die zu einer Verständigung führen können?
Können wir nicht mit einem Rußland, das in sich beruhigt, das sicher ist, das Angstkomplexe aus Überlegenheit abreagiert hat, eher zur Erfüllung unserer politischen Ziele kommen als mit einem Rußland, das ängstlich ist oder das gar vom Westen her entwertet, diffamiert wird? Von den Leuten, die mich kennen, wird niemand sagen, daß ich mein Urteil in dieser Frage geändert habe. Auf jeden Fall ist festzustellen: in dieser Frage ist vieles, allzu vieles im Fluß. Grundsätzliches hat sich geändert.
Nach der Herbstkonferenz in Genf hat die Sowjetunion den Ring des „containment", der Zurückdrängung Rußlands mit all seinen Lebensfunktionen durchbrochen, praktiziert auf jeden Fall die Methode der klassischen Diplomatie, der Diplomatie des Lächelns — wir wissen, mit welchem Erfolg —, dringt dabei in die westliche Welt ein und wirbt um Sympathien nicht nur bei uns, sondern vor allem im asiatischen Raum. Es geschieht nicht zuletzt durch das Angebot der wirtschaftlichen Hilfe. Man kann sagen, die Sowjetunion gibt den Kalten Krieg auf und beginnt sich zur Zusammenarbeit im Rahmen der UNO zu rüsten.
Sehr interessant ist das gemeinsame Kommuniqué, das aus Anlaß des Besuchs Titos in Moskau herausgegeben worden ist und das von einer „großen kollektiven internationalen Aktion" spricht. Ich glaube, dahinter verbirgt sich das, was die Sowjetregierung will. Es beginnt nach meiner Meinung eine starke Bewegung der Neutralen. An uns ist es nicht, an dem Ufer des Stromes dieser Zeit liegenzubleiben, sondern mitzuschwimmen. Das ist die Aufgabe einer deutschen Politik, und von dem Bewußtsein dieser Verpflichtung habe ich aus der Regierungserklärung nichts entnommen.
Man kann sagen: der Prozeß der Entspannung setzt sich fort, der militärische Charakter der heutigen Allianzen bekommt einen starken wirtschaftlichen und politischen Akzent. Die Möglichkeit der Zusammenarbeit der beiden Welten und der Neutralen verstärkt sich. Es zeigen sich immer größere Möglichkeiten, und nur im Rahmen dieser Entwicklung kann die deutsche Frage durch hochgespannte deutsche politische Aktivität gelöst werden, kann die deutsche Einheit in einer Form hergestellt werden — darauf kommt es eben am Ende an —, die von der Sowjetunion hingenommen wird und die unsere Interessen, besonders das, was Herr Kiesinger euch herausgestellt hat, den Grundsatz unserer politischen, geistigen und gesellschaftlichen Freiheit, wahrt.
— Ich glaube. wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie von meiner Tendenz und von den Möglichkeiten der Zeit Kenntnis nehmen müssen. Ich glaube, ich habe in noch viel stärkerem Maße als meine beiden Vorgänger versucht, zu analysieren und zu folgern. Ich bin der Meinung, die Chance steigt von Tag zu Tag, und unsere Chance zu nützen, ist die Aufgabe.
Ich sollte manches über den Standpunkt der Freien Demokraten im einzelnen sagen. Ich bin durchaus der Meinung, daß der Rechtsanspruch auf Wiedervereinigung nach wie vor besteht und mit allen Mitteln von uns geltend gemacht werden muß, nicht nur durch die Festlegung in den Pariser Verträgen, die wir mit beschlossen haben und zu denen wir stehen, von denen wir uns nicht distanzieren, die deutsche Einheit ist eine Verpflichtung, die auch im Potsdamer Kommuniqué ratifiziert worden ist, die in der Atlantikcharta vom 14. August 1941 festgelegt und die in das Krimabkommen vom 12. Februar 1945 übernommen worden ist. Wir haben eine gute Rechtsposition, wir denken nicht daran, sie zu verlassen.
Die Regierungserklärung ist sehr schön, mit klingenden Worten über das Verhältnis von Recht und Macht, ausgeklungen. Ich will nicht Macchiavelli zitieren. Die Rechtsposition aufrechtzuerhalten ist Macht. Ich bin ein Mann des Rechtes und glaube, daß sich Recht immer am Ende durchsetzt, wenn es mit heißem Willen vertreten wird. Die Erkenntnis: in der Wiedervereinigungsfrage geht es um uns; ich habe vor Jahren hier an diesem Platz einmal gesagt: Nostra res agitur. Hier stehe ich in schroffstem Widerspruch zu dem, was in dem Interview vom letzten Dienstag gesagt worden ist.
Man wirft uns vor, daß viele unserer Äußerungen — was weiß ich; in der Regierungserklärung kommen sehr harte Adjektiva vor — „unrealistisch" gewesen seien, „aus Emotion geboren" seien, „abwegige Vorstellungen" seien. Das ist ja nicht gerade sehr liebenswürdig und eine gewisse Umkehr der Dinge. Das Parlament qualifiziert die Regierung und nicht die Regierung die Parlamentarier. Alles was recht ist!
Ich meine, ich befinde mich in guter Gesellschaft. Der Arthur S c h o p e n h a u er, Herr Kiesinger, hat einmal gesagt: Gute, wirksame Ideen werden zunächst verlacht, im zweiten Stadium sind alle dagegen, und im dritten erkennen sie alle an.
Ich könnte Ihnen manches sagen, was ich im Laufe der Jahre erklärt habe und was man mir übelgenommen oder verdacht hat.
— Aber trotzdem! Das ist ein primitiver Umkehrschluß, Herr Kiesinger. Aber bitte, ich rechte mit Ihnen: Sagen Sie mir eine meiner Ideen, die zu Recht verlacht worden wäre! Ich erkenne den Vorwurf, der erhoben worden ist, wir hätten irgend einmal Deutschland geschadet, nicht an, weil ich das Gefühl habe, daß das, was meine Freunde und mich bewegt, aus heißestem Herzen kommt. Gerade die Passivität der Bundesregierung, das Gefühl bei uns: „Notwendiges geschieht nicht", hat uns bewogen, mit gesteigerter Leidenschaftlichkeit zu wägen: Was ist möglich und was ist notwendig? Das nehmen wir für uns in Anspruch.
Ich will mich mit vielem nicht auseinandersetzen. Der Vorschlag der Volksbefragung ist in der gestrigen Regierungserklärung vollkommen falsch bewertet worden. Das ist auch eine sehr einfache Art, mich ad absurdum führen zu wollen, wenn man fragt: Was wäre die Volksbefragung in letzter Konsequenz? Ich will keine letzte Konsequenz, sondern
ich will eine Volksbefragung, eine Erklärung des Volkes zu einer bestimmten Frage, zu einer Frage, die man durchaus positiv beantworten kann. Man sagt, das sei selbstverständlich. Gar nichts ist selbstverständlich. Die Frage, die ich vorlegen wollte, war wohl bedacht, war die Fortführung der Direktiven der Chefkonferenz von Genf vom Juli vorigen Jahres: die Befragung, ob die deutschen Menschen in einem wiedervereinigten Deutschland ein Sicherheitssystem wollen, zu dem mindestens die vier Siegermächte gehören. Wir wissen, was die Volksbefragung vom 23. Oktober 1955 an der Saar ausgelöst hat:
die Möglichkeit, daß deutsche Menschen sich zur deutschen Schicksalsfrage äußern können. Kann man das entwerten? Nein!
Ich könnte einen ganzen Katalog von dem aufzählen, was wir seit Jahren überlegt haben — wirklich nicht leichtfertig —, was unser Freund Pfleiderer schon Anfang 1952 als mögliche Lösung der Wiedervereinigungsfrage dargestellt hat.
— Nun, Sie haben gar keinen Grund, das mit Heiterkeit festzustellen. — Andere haben es übernommen, immerhin Leute mit politischem Rang, Herr Pelster: Herr Churchill in seinem Ost-LocarnoVorschlag, Herr Eden mit seinem Vorschlag bei der ersten Konferenz in Genf. Wahrlich kein Grund zur Heiterkeit! Viele andere Dinge könnte ich Ihnen darlegen. Soll einmal die Regierung sagen, ob das wahr ist, was bei dem Deutsch-Engtischen Gespräch in Königswinter behauptet worden ist: daß dieser gute Wille Edens bei der ersten Genfer Konferenz — in Anlehnung an das, was wir vorgedacht haben —, daß sein Plan — Begründung einer entmilitarisierten oder militärisch „verdünnten Zone" und anderes — zurückgezogen worden ist, nicht, wie Chruschtschow in einem Interview behauptet hat, weil Amerika dagegen Verwahrung eingelegt hätte, sondern — so die Behauptung englischer Abgeordneter — weil die Bundesrepublik das gewollt habe.
Halten Sie das für eine konstruktive, für eine fördernde Außenpolitik für die Lösung des Problems, das uns gestellt ist?
Herr Kiesinger will etwas hören von meinem Vorschlag oder von meiner Äußerung über Gespräche mit Pankow auf einer Pressekonferenz in Berlin — ich glaube, es war am 11. Juni —, die sehr stark beschickt war
mit Korrespondenten nicht nur aus dem Ostsektor und aus der Zone, auch aus den Oststaaten, Polen und Tschechoslowakei. Die Frage lautete: Wollen Sie mit Pankow verhandeln? Meine Antwort — nun, ich habe wohl die schroffste Ablehnung gegeben, die es jemals gegeben hat —: Mit einem Leprakranken legt man sich nicht ins Bett!
Und dann habe ich weiter erklärt: Ich habe gestern ein Gespräch — zufällig — mit einem Russen von Rang gehabt, der mich auch danach gefragt hat, und da habe ich ihm gesagt — und das hat er akzeptiert —: In der Frage der deutschen Wiedervereinigung geht es nicht um Themen, die man mit Pankow besprechen kann, sondern es geht um
die Frage des Status, des völkerrechtlichen, des politischen und des militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands im Zusammenhang mit den beiden Weltblöcken;
dazu hat doch eine Regierung von Pankow niemals eine Kompetenz! Dann habe ich — natürlich übersteigernd — gesagt, das mindeste, was Rußland tun müßte, sei, von vornherein anzuerkennen, daß Pankow berechtigt sei, über eine seiner — Rußlands — Lebensfragen, über die Frage der militärischen Struktur Mitteleuropas zu verhandeln.
— Was heißt „na, na"? Wen hat es nicht überzeugt? — Wie?
Ich nehme nicht an, daß Rußland sein Schicksal
oder auch nur einen kleinen Teil der politischen
Dinge, die Rußland wesentlich berühren, in die
Hand des Herrn Ulbricht geben wird.
Ich will mich mit dem, was ich hier, natürlich etwas verkürzt, gesagt habe, begnügen. Vielleicht noch einmal ein Bekenntnis, um Mißverständnisse auszuräumen: Ich glaube, keine Partei ist nach ihrer Grundhaltung mehr dem Bolschewismus entgegengesetzt als wir.
Was ist denn die Gegenkraft gegen den Bolschewismus? Der Wille, das Leben in Freiheit, in Selbstverantwortung im Geist, im Staat und in der Politik zu gestalten. Das ist das, was uns erfüllt. Es kann keine leidenschaftlicheren Gegner des Bolschewismus geben als uns. Wir sind über Verleumdungen, als ob wir hier anfällig wären, weit erhaben.
Aber darauf kommt es an: Wir haben Sorge um Deutschland. Die Dinge sind bisher, Herr Kiesinger, nicht gut gegangen. Es ist nicht gelungen, in diesem nationalen Notstand eines gespaltenen Deutschlands wenigstens hier in der Bundesrepublik, in diesem Hause eine Einheitsfront in der Lebensfrage des deutschen Volkes herbeizuführen. Das ist ein Fehler — ich will nicht rechten, ich will hier keine Verantwortungen aufstellen —, eine bittere Fehlentwicklung. Wir sind sachlich in der Frage der deutschen Einheit — wir wollen uns doch nicht täuschen — nicht weitergekommen. Sprechen Sie mit den Menschen, die von drüben kommen, und sehen Sie die Verzweiflung in ihren Augen! Dann wissen Sie, was nicht erreicht worden ist. Meine Freunde sind aus der Koalition geschieden, weil ihnen der Glaube an den klaren Willen der Regierung in dieser Frage verlorengegangen ist. Die Regierungserklärung ist wahrlich nicht geeignet, diesen Glauben erneut zu schaffen.