Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Debatte des heutigen Vormittags hat das Bild des großen deutschen Unglücks erschütternd vor aller Augen gestellt. Niemand, der diese Debatte mit Ernst angehört hat, wird in Zukunft dem Ungeist, der uns alltäglich — aus dem Übergewicht der materialistischen und egoistischen Auffassungen und Forderungen unserer Tage — mit dem Schrei nach eigener Sicherheit und eigenem Wohlleben anspricht, ohne Gewissenskonflikte begegnen können. Möge unsere heutige Diskussion auch alle diejenigen aufrütteln, die aus Trägheit der Herzen und aus Sattheit die Not des Alltags nicht mehr sehen und ihre Ohren der Stimme der Not verschließen. Es ist auch kein Ablaß, wenn wir uns mit guten Gaben, hier und da gegeben vom Überfluß, oder unseren Paketsendungen, so wichtig sie sind, von jenem Aufruf zu befreien suchen, der an uns alle ergeht: die große Not deutscher Menschen, unserer Brüder und Schwestern als gemeinsame Not zu empfinden. In der Aussprache dieses Tages und angesichts des erschütternden Bildes mit der Fülle der vielen einzelnen Sorgen des Alltags, die uns als Deutsche gemein-
sam erfüllen, darf keine neue falsche Hoffnung geweckt werden, die neue Enttäuschungen zur Folge haben könnte. Die Folgen des Hungers, die Folgen der Überanstrengung, die Folgen der Unfreiheit sind heute so vielfältig geschildert worden, daß ich dem, was von meinen Vorrednern gesagt worden ist, nicht einen Fall hinzufügen möchte. Aus dem Sattsein unserer wieder in Freiheit aufgerichteten, wirtschaftlich gesundeten und sozial immer weiter gesundenden Ordnung aber sollen wir täglich daran denken, daß wir den Mut und die Pflicht zum Opfer nicht verlieren dürfen. Wir sollten auch täglich daran denken, daß verlorene deutsche Heimaten genausowenig wie verlorene Freiheiten verloren zu sein brauchen, wenn wir sie niemals aufgeben. Alle Deklamationen über die Grundlagen unserer Auffassung von der Politik sind leere Worte, wenn die Not und die Unfreiheit nicht als unsere gemeinsame Not von uns allen getragen und die Beseitigung gemeistert wird.
Nach Ansicht der Fraktion der Deutschen Partei ist der Zeitpunkt gekommen, alle außen- und innenpolitischen Möglichkeiten neu zu überdenken und neu zu überprüfen. Wir, die Generation der beiden Kriege, und wir, die Männer und Frauen, die das Opfer des deutschen Ostens und den Opfergang der ostdeutschen Menschen miterleben mußten, dürfen nur ein oberstes Ziel kennen: um die Freiheit aller Deutschen zu ringen. Und unser gemeinsamer Appell möge heute nicht nur all denen dienen, die nicht täglich an diesen Auftrag denken; er möge an das Weltgewissen genauso rühren wie an das Gewissen unseres eigenen Volkes. Wir Frauen, die wir den Krieg hassen und den Frieden lieben, wissen, wie mühsam alle Ziele zu erreichen sind. Wir sehen real, daß das Ziel der Freiheit für unsere Brüder und Schwestern in allen deutschen Heimaten im Frieden nur erreicht werden wird, wenn wir auch die Notwendigkeit einsehen, uns um den Einsatz und den Kaufpreis, um das Kennenlernen dieses Kaufpreises zu bemühen. Niemand wird uns besser verstehen als die Menschen in der Zone, die zwischen Schein und Sein oft sehr viel klarer zu entscheiden wissen als mancher in unserem westlichen Teil Deutschlands.
Nachdem — ich verhehle das nicht — gegen ernste Bedenken der Deutschen Partei ein deutscher Botschafter nach Moskau gesandt wurde und Botschafter ausgetauscht worden sind, versteht es sich von selbst — und Herr Dehler sollte auch beruhigt sein —, daß die deutschen Botschafter sich, wo immer sie stehen, nicht auf Repräsentation beschränken werden.
Die Aufzählung all der Leiden und Nöte, die ich nicht wiederholen will, soll uns aber nicht nur heute bewegen. Sie zwingt uns immer wieder, nach Wegen zu suchen, um die Freiheit unserer Landsleute endlich zu gewinnen und für die Zukunft, nachdem wir sie gewonnen haben, auch zu verteidigen. Für die Deutsche Partei ist jede Forderung unannehmbar, die die Gefährdung der Freiheit unserer Landsleute oder die Übernahme scheinbarer sozialer Errungenschaften der DDR um des Preises der Freiheit willen zum Ideal und zum Ziel hat. Als unlängst eine deutsche Bundestagsdelegation Gast in England war, hat uns ein Labour-Abgeordneter in London gewarnt, in dem Wechsel der Taktik der Sowjetmachthaber etwa einen Wechsel der Gesinnung zu sehen, und gemahnt, das von den Sowjets niemals aufgegebene Ziel ihrer Oktoberrevolution stets im Auge zu behalten. Er hat uns mit allem Ernst aus der gemeinsamen europäischen Verantwortung gebeten, doch nicht zu übersehen, daß es den Sowjets darauf ankommt, mit legalen Mitteln die Westmächte auseinanderzubringen und zum Zweck der Beseitigung der Verträge und der Verhinderung einer deutschen Nachrüstung eine neue, scheinbar andere Taktik einzuschlagen.
Die Besprechungen mit den Russen in London haben ebenfalls gezeigt, daß die Russen zwar die Abrüstung des Westens fordern, selbst aber nicht bereit sind, eine Abrüstungskontrolle zuzulassen. Auch die Entlassung von Angehörigen der Streitkräfte, die dann in Uranbergwerken und anderswo für die Kriegsproduktion eingesetzt werden, ist ebensowenig überzeugend wie die Selbstanklagen und Versprechungen, wie die Selbstkritik Grotewohls und seine Eingeständnisse auf der SED-Konferenz in Ostberlin im März. Sein Versprechen, Rechtsbrüche und Willkür endlich zu beseitigen, ungerechte Verhaftungen zu verhindern, ist nur glaubhaft, wenn die geplagten und verzweifelten Menschen der Zone ihre Sorgen und Befürchtungen in aller Öffentlichkeit, ohne Angst vor offenen Türen und Fenstern, ohne jenen uns sattsam bekannten „deutschen Blick" aussprechen können. Wenn in der Sowjetzone und in den Satellitenstaaten endlich ein Hoffnungsschimmer auf wirkliche Freiheit sichtbar würde, für den noch alle Beweise fehlen, dann könnten wir hoffen, daß die neue Taktik nicht nur neue Überlegungen, sondern auch neue Maßnahmen zur Folge haben wird.
Derselbe sehr maßgebliche englische LabourAbgeordnete, der den Mitgliedern der Bundestagsdelegation, besonders auch seinen Freunden von der Sozialdemokratischen Partei das deutsche Dichterwort: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß", in Erinnerung brachte, hat uns auch darauf aufmerksam gemacht, daß in ganz Europa das Bewußtsein wächst, daß die Verteidigung der deutschen Freiheit und die Frage der deutschen Einheit eine Frage der europäischen Sicherheit und Freiheit ist.
Meine Freunde in der Deutschen Partei sind der Auffassung, daß, wenn auch die Kräfte des Herzens und des Geistes heute nicht hoch im Kurs stehen, doch alle diese Kräfte mobilisiert werden müssen, um unserem Volk den Willen zum Opfer, die Bereitschaft zum Risiko wieder in aller Verantwortung vor Augen zu führen. Wir wollen gemeinsam mit allen guten Kräften in unserem Volk darum ringen, daß in einem erneuerten deutschen Staat eine freiheitliche Ordnung geschaffen wird und eine Stabilisierung eintritt. Durch diesen Staat werden dann die Grundrechte der Freiheit, aber auch die Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Sicherheit, die alle Völker bewegt — ich meine den Wunsch nach Sicherheit und Frieden aus eigener Kraft —, allen Deutschen und allen Europäern gewährleistet werden.
Unsere Außenpolitik und unsere Innenpolitik haben in diesem Ziel unlösbar verbundene Aufgaben. Durch die außenpolitischen Bemühungen müssen die Weichen für die Erreichung auch der innenpolitischen Ziele gestellt werden, die für die Erhaltung der Freiheit nach innen und nach außen notwendig sind. Wir sollten darum bei allen Gesetzen, die wir in diesem Hause beschließen, bei
allen Ansprüchen, denen wir nachgeben oder denen wir uns versagen müssen, immer daran denken, daß wir die gleichen sozialen Leistungen, die gleichen Chancen zum Aufstieg, zum Erwerb, zur Erhaltung und zur Wiedergewinnung von Eigentum auch für die 16 Millionen mitgestalten müssen und in unsere Rechnung zu setzen haben, die die gleichen Ansprüche an uns anzumelden haben.
Die Wirtschaft und der Handel sind nur eins der möglichen Hilfsmittel zur Wiedervereinigung. Der Vorschlag, mit der Zone in stärkerem Umfange als bisher Handel zu treiben, hat sicher viel Bestechendes an sich. Durch verstärkte Handelsbeziehungen, so argumentiert man, könnte den deutschen Menschen in der Zone unmittelbar geholfen werden. Ihr großer Hunger nach Konsumgütern könnte mehr denn je mit unserer Hilfe gestillt werden. Hier haben wir sehr ernsthaft zu prüfen, ob diese Vorstellung real ist. Den Menschen in der Zone würde durch verstärkte Handelsbeziehungen nur dann wirksam geholfen werden, wenn sie auch unmittelbar in den Genuß der Auswirkungen dieser wirtschaftlichen Beziehungen kämen. Dabei ist das System der Zone und das Fehlen von privatwirtschaftlichen Einrichtungen ein entscheidendes Hindernis.
Nun lehnen wir selbstversändlich die wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion nicht grundsätzlich ab. Wir glauben vielmehr, daß es an der Zeit ist, die wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion zu normaliseren. Wir sind uns aber bewußt, daß alle wirtschaftlichen Beziehungen allein nicht die Entspannung zwischen West und Ost bewirken können. Es ist heute darauf hingewiesen worden, welchen Wert die Möglichkeiten des gemeinsamen Gesprächs bei den Aufgaben der
Verkehrspolitik, bei einer gemeinsamen Beteiligung im Alltag beim Sport, in den Feierstunden und an Feiertagen, bei musikalischen und kirchlichen Veranstaltungen, bei den großen gemeinsamen karitativen Aufgaben durch Werke der gegenseitigen Hilfe haben können. Sie sind aller hier aufgezeigt worden. Meine Freunde in der Deutschen Partei haben keine Angst, alle diese Möglichkeiten des Gesprächs zu fördern und an ihnen teilzuhaben. Es ist notwendig, daß wir täglich die Frage vor unser Gewissen stellen, ob wir dazu auch genug getan haben.
Wenn in vereinzelten Presseerklärungen im Zusammenhang mit den Ausführungen des zweiten Vorsitzenden der Deutschen Partei, Dr. von Merkatz, auf unserem Lüneburger Parteitag, hinter denen die Fraktion der Deutschen Partei geschlossen steht, unsere gemeinsame Verantwortung in der Koalition auch nur im geringsten in Frage gestellt wurde, so sei hier in aller Deutlichkeit erklärt, daß sich die Fraktion der Deutschen Partei zur Pflicht der Erfüllung der Pariser Verträge genauso bekennt, wie sie ein enges Zusammenwirken mit unseren Bundesgenossen für unerläßlich hält. Wir halten allerdings die Nachrüstung der Bundesrepublik ohne weitere Verzögerung für dringlich und lehnen mit gleicher Deutlichkeit die Verhandlungen mit der Pankower Regierung ab.
Was den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei angeht, so können wir dem Abs. 1 Satz 2 und vor allem dem letzten Satz des Abs. 8, daß, „unbeschadet der vorbehaltenen Rechte und Verpflichtungen der Vier Mächte gegenüber Deutschland als Ganzem, mit den in der sowjetisch besetzen Zone bestehenden Behörden alle nötigen
Besprechungen zu führen" sind, nicht zustimmen. Wir glauben, daß die Vertreter des Unrechtsregimes in der Zone nicht die geeigneten Persönlichkeiten sind, mit denen wir darüber verhandeln könnten!
— Ich will Ihnen darauf antworten, Herr Wehner; haben Sie ein wenig Geduld; ich habe Sie auch mit Geduld angehört. — Wir werden in Übereinstimmung mit dem Vorschlag der CDU der Ausschußüberweisung zustimmen und über unsere Bedenken im Ausschuß mit Ihnen sprechen.
Wir glauben, daß es an der Zeit ist — und die Macht der realen Tatsachen, die veränderte und sich täglich neu verändernde weltpolitische Situation zwingt genauso wie unsere wachsende Sorge um die schwindenden physischen und psychischen Kräfte unseres Volkes jenseits des Eisernen Vorhangs verantwortungsbewußte Politiker dazu —, nach neuen Wegen zur Beendigung der Unfreiheit in der Zone zu suchen. Wir hoffen, daß unser Bestreben von einer zielklaren Außenpolitik gestützt wird, die sich darum bemühen muß, ein Ausklammern der deutschen Frage auf der Grundlage des Status quo der Teilung Deutschlands zu verhindern und den Kalten Krieg zu beenden.
Wenn es sich als richtig erweisen sollte, daß die Gefahrenlage wirklich verändert ist, und wenn eine andere Taktik der Sowjets eine andere Art der Anpassung notwendig macht, dann sollten alle Möglichkeiten, die unsere Verbindung mit der freien Welt nicht stören, ausgewertet werden. Wenn es die Entwicklung verlangt, sollten wir, wenn sich nach verantwortungsbewußter Prüfung neue Gesichtspunkte zeigen, ohne Angst — auch ohne Angst vor dem Unter- und Hintergründigen, auch ohne Angst vor „Teufeln", wie Sie es nannten — die Voraussetzungen für neue Formen der diplomatischen Beziehungen prüfen.
Mit der praktischen Politik der Aufnahme der Beziehungen zu den Ostblockstaaten ist weder zur Oder-Neiße-Grenze noch zu dem Unrecht, das unseren Vertriebenen angetan wurde und unseren ostdeutschen Menschen noch angetan wird, eine Zustimmung gegeben. Es ist auch sicher ein Irrtum, daß es nur eines deutsch-russischen Gesprächs oder nur eines Gesprächs mit den Machthabern der Zone bedürfte, um die Wiedervereinigungsprobleme zu lösen.
Nicht nur die Westmächte, sondern auch Polen hat dabei ein Wort mitzureden.
Die Fraktion der Deutschen Partei ist in Übereinstimmung mit den in der gesamten Presse veröffentlichten Erklärungen des 2. Vorsitzenden der Deutschen Partei davon überzeugt, daß die gesamte freie Welt durch eine gemeinsame Aktion das Unrecht in der sowjetisch besetzten Zone endlich beseitigen und für die Wiederherstellung von Recht und Freiheit in allen totalitären Herrschaftsbereichen eintreten sollte. Wir sind den freien Juristen der Welt dankbar, daß sie unermüdlich den Protest der Weltöffentlichkeit wachgerufen und an das Gewissen der freien Völker appelliert haben. Ich glaube in diesem Zusammenhang nicht, daß der Vorschlag Dr. Dehlers bezüglich einer Volksbefragung ohne internationale Kontrolle
realisierbar ist. Er dürfte genau wie die Forderung nach freien Wahlen noch für lange Zeit auf den Widerstand der sowjetischen Machthaber stoßen und an ihren Methoden der fortgesetzten Verletzung freiheitlicher Prinzipien scheitern.
Statt dessen glaube ich aber, daß die Russen wie die Machthaber der Zone nicht ausweichen dürften, ihre eigenen Forderungen nach gemeinsamen Gesprächen in Freiheit zu realisieren. Die Deutsche Demokratische Republik sollte den Mut aufbringen, ihren Bürgern jede Möglichkeit des Gesprächs mit Freunden und Verwandten im Westen zu gestatten. Sie sollte freie Diskussionen in Schulen, Universitäten und in der Öffentlichkeit zulassen. Sie sollte endlich die Briefkontrolle und das Versagen der Reisegenehmigung aufgeben. Ich könnte mir auch vorstellen, daß eine Vereinbarung zwischen dem Rundfunk der DDR und unseren Rundfunkanstalten über ein freimütiges Gespräch, eine halbe Stunde Diskussion zwischen Ost und West vieles dazu beitragen könnten, in Offenheit die Probleme der gemeinsamen deutschen Not zu diskutieren. Wenn es der DDR wirklich ehrlich ist um solche Gespräche, die sie fordert, muß sie alles tun, um sie zu ermöglichen. Auch wir sollten den Mut haben, noch mehr als bisher jede Gelegenheit des Zusammenseins mit den Menschen der Zone zu ergreifen. Insofern stimme ich mit dem, was die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei gesagt haben, durchaus überein. Die Westmächte sollten dazu beitragen, daß unter ihrer Kontrolle ein Organ des Kontakts zwischen Ost und West — und das ist die Antwort, Herr Wehner, die ich Ihnen jetzt gebe — aus unabhängigen Persönlichkeiten gebildet wird, aus Persönlichkeiten aus Kreisen der Kirchen, der Universitäten, aus Wissenschaft und Forschung, aus der Welt des Geistes und aus dem Kreis derjenigen, die sich in der Nächstenliebe betätigen, die allgemeines Vertrauen und allgemeines Ansehen besitzen — wir alle kennen solche Persönlichkeiten in Ost und West —, aus einem Kreis von Männern und Frauen, die Mut zur Unabhängigkeit und Kraft der Überzeugung haben, ohne sich mit Pankow zu identifizieren. Schon im Oktober 1953 hat die Fraktion der Deutschen Partei vorgeschlagen, Gespräche zwischen freiheitlich gesinnten Vertretern der ost- und mitteleuropäischen Nachbarstaaten Deutschlands in Gang zu bringen und vorzuschalten, um zu einer friedlichen Regelung der Wiedervereinigungsprobleme zu kommen und damit künftige freie Wahlen vorzubereiten.
Eine solche Aussprache zwischen Ost und West ist aber nur auf der Grundlage einer demokratischen Legitimation möglich, mit einem in freiheitlicher Methode gewählten oder bestellten vorbereitenden Organ. Wenn Grotewohl wirklich will, dann kann er diese Voraussetzungen vorbereiten durch den eigenen Rücktritt und durch den Rücktritt seiner Regierung und durch die Bereitschaft seiner Regierung, solche Legitimation durch wirklich freie und geheime Wahlen zu schaffen. Zum mindesten sollte er dann seine sowjetischen Freunde darum ersuchen.
In einer frühen Ausgabe der Bismarckschen Erinnerungen steht das Widmungswort: „Den Söhnen und Enkeln zum Verständnis der Vergangenheit und zur Lehre für die Zukunft." Es wiederholt sich in der Geschichte seltsamerweise vieles. Aber es wiederholt sich in der Geschichte des einzelnen wie der der Völker seltsamerweise auch, daß die Menschen aus der Geschichte nicht lernen.
— Ich freue mich über diese Übereinstimmung, die ich mit Ihnen in diesen grundsätzlichen Fragen habe.
Trotz allen Wundern von Fortschritt und Technik, trotz Atomzeitalter sind die Probleme, die den Generationen gestellt werden, gar nicht so unterschiedlich. Es hat sich leider immer wiederholt, daß es die Alten, die Einsamen und vor allem die Frauen eines Volkes sind, die die Last der Notzeiten besonders zu tragen haben.
Ich wiederhole: Das oberste Gesetz aller unserer Bemühungen bleibt die Bewahrung der Freiheit, die Herstellung der Einheit Deutschlands in Zusammenarbeit mit den Partnern der Bundesrepublik und die Bewahrung des Friedens durch friedliche Auseinandersetzung mit den Machthabern der Zone.
Trotz allem Unglück und allen zum Trotz, die es bestreiten wollen, gibt es noch eine unzerstörbare Einheit des nationalen Empfindens aller Deutschen. Es gibt noch ein Gefühl für unlösbare Bande eines gemeinsamen Schicksals, einer gemeinsamen Not.
Das Menschliche, das heute hier von allen Rednern so offen und bewegend angeklungen ist, das Menschliche aber sollte das oberste Gesetz unseres Handelns sein. Das tägliche Denken an die gequälten alten Menschen, an die fliehende Jugend, an die einsamen Gräber der Zone — das alles darf uns niemals ruhig schlafen lassen. Die Sorge um Freiheit und Frieden für alle deutschen Menschen wird uns auch den Mut geben, bisher Ungewohntes und vielleicht in der Zukunft auch Ungewöhnliches zu tragen.
Wenn Grotewohl mit seinen Genossen wirkliche Entspannung wünscht, dann möge er mit ihnen alles tun, um an Stelle der bisherigen Deklamationen durch Taten zu zeigen, daß er den Menschen in der Zone nicht neue Enttäuschungen und nicht neues Leid zumuten will. Dann möge er endlich — es ist heute schon ausgesprochen worden — die Tore der Zuchthäuser öffnen und denen die Angst um Leben und Sicherheit nehmen, die noch tagtäglich und stündlich um ihre Freiheit zittern müssen.
Der Standpunkt eines politischen Machtkampfes ist dabei kein guter Berater. Was der stellvertretende Ministerpräsident Rau in der Zone vertrat, als er die Todesstrafe für politische Vergehen verteidigte mit den Worten: „Die Frage kann nur vom Standpunkt der Macht der Arbeiterklasse gesehen werden" — diese Auffassung lehnt die Fraktion der Deutschen Partei mit aller Entschiedenheit ab. Dem Machtstandpunkt und dem parteipolitischen Machtkampf sollten wir immer wieder den gemeinsamen, Willen, den wir heute hier bekundet haben, entgegensetzen, und wir sollten gemeinsam uns immer wieder in Fragen der Not- und Schicksalsgemeinschaft unseres Volkes und unserer Brüder und Schwestern finden.
Es gibt sicher, und wer ehrlich ist, wird es mir zugeben, kein Rezept und kein Heilmittel, mit dem ad hoc eine Klarheit über Lüge und Wahrheit in der Zone zu erhalten ist. Es gibt sicher auch keinen totalen Vorschlag, der sofort realisierbar würde und sofort zum Ziel führte. Es gibt aber die Zuversicht, daß die Kraft unserer Überzeugung und die
Stärke unseres Willens vereint mit der Kraft der Herzen und des Glaubens eines unlösbar miteinander verbundenen Volkes dazu beitragen wird, die Opferbereitschaft und die Bereitschaft zum Tragen des Risikos auch bei denen zu wecken, die sich allem bisher noch verschlossen haben. Wir sind besorgt darum, daß die Sorge um die eigene Sicherheit und Sattheit und das Schreien organisierter Gruppen nach immer mehr Sicherheit nicht den Willen ersticken möchte zur Verteidigung der Freiheiten für alle Deutschen.
Die Geschichte unseres Volkes, aber auch die Erfahrungen unserer Generationen sollten eine gute Lehrmeisterin sein. Wir, die wir als die Vertriebenen des deutschen Ostens die bitteren Erfahrungen der blutenden Grenze nach 1918, die Opfer vor und nach 1939 und den Opfergang des deutschen Ostens nach dem Zusammenbruch miterlebt haben, wir sind einig, und ich persönlich bin es auch mit dem Kollegen Brandt, in der Feststellung, daß der deutsche Osten diese Zeche nicht allein bezahlen darf.
Wenn die Geschichte eine Lehrmeisterin ist, so sollte uns Hoffnung daraus werden, wenn wir uns zurückerinnern an jene Zeit nach dem Tilsiter Frieden, als das Reich zerschlagen und die staatliche Einheit zerstört war, aber das Band des gemeinsamen Schicksals nach der geschichtlichen Erfahrung um so enger geknüpft wurde. Im Frieden zu Tilsit verlor Preußen die Hälfte seines Gebiets; aber gerade die Not und das Unglück jener dunklen Tage deutscher Geschichte schufen ein neues Bewußtsein zur Erneuerung des Staates und eine nie dagewesene Bereitschaft zum Opfern und zum Zusammenstehen der Deutschen, die damals unter der Führung des Nassauers Stein, des Altpreußen Humboldt, des Hannoveraners Scharnhorst und des Württembergers Gneisenau gemeinsam die Erneuerung vorbereiteten.
Wir haben in diesen Jahren in gemeinsamen Anstrengungen die Trümmer unserer Städte und die Trümmer unserer Arbeitsplätze beseitigt. Jetzt ist es höchste Zeit, die Trümmer unserer Zerrissenheit aus einer tiefen menschlichen Verpflichtung endlich zu beseitigen. Wieder ist die Einheit des Reichs zerschlagen. Aber die Einheit des deutschen Volkes als lebendig wirkende Kraft aus dem gemeinsamen Schicksal unserer Geschichte, dem Erbe unserer Muttersprache, den ewigen Quellen unserer Kultur und dem Vermächtnis der Heimat ist unzerstörbar. Aus diesem Gefühl der unzerreißbaren Verbundenheit mit unseren Landsleuten und mit unseren deutschen Heimaten werden wir in Fragen des deutschen Gewissens und der Nation mit allen Männern und Frauen in diesem Hause hoffentlich einig sein. Sie sollten nicht nur zuhören, wenn die Sprecher Ihrer eigenen Fraktion sprechen. In den Schicksalsfragen der Nation werden wir uns von niemandem, von keinem anderen Volk, aber auch von keiner anderen politischen Partei übertreffen lassen in dem Ziel, im Unglück erst recht zusammenzustehen.