Rede:
ID0214601700

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2146

  • date_rangeDatum: 30. Mai 1956

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    2. Deutscher Bundestag — 146. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956 7697 146. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956. Nachruf für den Abg. Naegel 7698 B Ergänzung der Tagesordnung 7698 D Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Maier (Stuttgart) 7699 A Eintritt der Abg. Weber (Untersontheim) und Albrecht (Hamburg) in den Bundestag 7699 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Brönner und Frau Albrecht . . 7699 A Mitteilung über Verzicht des Haushaltsausschusses auf Mitberatung der in der 133. Sitzung überwiesenen Anträge betr Straßenbauvorhaben (Drucksachen 2117 und 2123) 7699 B Beschlußfassung des Bundesrats über Gesetzesbeschlüsse des Bundestags . . . 7699 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 242, 244, 246, 247, 249, 250, 252 (Drucksachen 2285, 2395; 2315, 2404; 2324, 2405; 2325, 2385; 2355, 2394; 2362, 2391; 2375, 2403) 7699 C Vorlage von Berichten über die Gewährung von Zuschüssen zur Gemeinschaftsverpflegung, über die Sozialabkommen der Brüsseler Vertragsstaaten und über die Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Filmabkommens (Drucksachen 2384, 2390, 2393) 7699 D Große Anfrage der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364, Umdrucke 608, 609, 610) . . . 7699 D Brandt (Berlin) (SPD), Anfragender . 7 700 A Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 7705 A Dr. Mommer (SPD) 7714 D Frau Hütter (FDP) 7717 D Brookmann (Kiel) (CDU/CSU) . . 7718 B Wehner (SPD) 7720 B Lemmer (CDU/CSU) 7725 D Dr. Will (FDP) 7728 A Seiboth (GB/BHE) 7730 A Frau Kalinke (DP) 7732 D Dr. Henn (DA) 7736 B, 7738 D Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . . 7739 D Annahme des Antrags Umdruck 609 . . . 7740 A Ausschußüberweisungen der Anträge Um- drucke 608 und 610 7740 A Begrüßung einer Gruppe von Mitgliedern des englischen Unterhauses 7738 D Große Anfrage der Abg. Mellies, Dr. Reif, Feller u. Gen. betr. Verfassungsklage wegen des Reichskonkordats (Drucksache 2258 (neu]) 7698 C, 7740 A Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 7698 C Dr. Arndt (SPD), Anfragender . . . 7 740 B Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 7749 B Cillien (CDU/CSU) 7751 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 7754 B, 7757 A Schütz (CDU/CSU) 7756 D Dr. Reif (FDP) 7757 D Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 7759 D Eickhoff (DP) 7762 A Dr. Schneider (Lollar) (DA) . . . 7762 C Hoogen (CDU/CSU) 7763 C Dr. Welskop (CDU/CSU) 7766 A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank (Drucksache 2327) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 7766 C Erste Beratung des von den Abg. Lenz (Brühl), Dr. Hesberg, Lücke u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (Drucksache 2321) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und an den Rechtsausschuß 7766 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Internationale Pflanzenschutzabkommen (Drucksache 2346) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten . . 7766 D Erste Beratung des Entwurfs einer Wehrbeschwerdeordnung (WBO) (Drucksache 2359) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung und an den Rechtsausschuß 7766 D Nächste Sitzung 7766 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 7767 A Anlage 2: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 608) 7767 C Anlage 3: Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 609) 7768 A Anlage 4: Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 610) 7768 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordneter beurlaubt bis einschließlich Altmaier 2. 6. Arnholz 30. 5. Dr. Atzenroth 16. 6. Dr. Bartram 31. 5. Blachstein 30. 6. Dr. Blank (Oberhausen) 30. 5. Frau Dr. Bleyler (Freiburg) 30. 5. Brese 30. 5. Dr. Brühler 16. 6. Dannebom 5. 6. Dopatka 30. 5. Dr. Eckhardt 30. 5. Frehsee 30. 5. Friese 30. 5. Frau Friese-Korn 30. 5. Gedat 30. 6. Gefeller 2. 6. Geiger (München) 30. 5. Frau Geisendörfer 9. 6. Dr. Gille 16. 6. Heiland 30. 5. Dr. Hellwig 16. 6. Dr. Horlacher 2. 6. Hübner 1. 6. Jacobi 30. 5. Jacobs 30. 5. Dr. Jaeger 9. 6. Jahn (Frankfurt) 2. 6. Kahn 1. 6. Frau Kipp-Kaule 2. 6. Koenen (Lippstadt) 2. 6. Könen (Düsseldorf) 1. 6. Dr. Kopf 30. 5. Frau Korspeter 9. 6. Kortmann 30. 5. Dr. Kreyssig 30. 5. Kroll 30. 5. Kühlthau 30. 5. Kurlbaum 30. 5. Leibfried 30. 5. Dr. Lindenberg 30. 5. Lulay 9. 6. Maucher 30. 5. Meitmann 15. 7. Merten 30. 5. Dr. Mocker 30. 5. Müller-Hermann 2. 6. Neuburger 31. 5. • Dr. Orth 30. 5. Peters 15. 7. Pöhler 30. 5. Rademacher 30. 5. Raestrup 30. 5. Rasch 4. 6. Richter 2. 6. Runge 16. 6. Dr. Siemer 30. 5. Dr. Starke 31. 7. Frau Welter (Aachen) 30. 5. Dr. Werber 30. 5. Frau Wolff (Berlin) 10. 6. b) Urlaubsanträge Dr. Dittrich 30. 6. Dr. Seffrin 30. 6. Kraft 16. 6. Metzger 9. 6. Moll 23. 6. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 30. 6. Dr. Pferdmenges 9. 6. Siebel 9. 6. Anlage 2 Umdruck 608 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. alles zu tun - wenn nötig einseitig -, was die an der Zonengrenze aufgerichteten Grenzmauern abzutragen geeignet ist. In diesem Sinne muß der freie Verkehr aller Druckschriften über die Zonengrenze ermöglicht werden. Sollte sich ein Abkommen auf Gegenseitigkeit als unerreichbar erweisen, so soll die Bundesregierung den Bezug aller Drucksachen aus der „DDR" auf handelsübliche Weise zulassen; 2. den zuständigen Ausschüssen des Bundestages alle Gründe vorzutragen, die für und gegen eine Amnestie für politische Straftaten in der Bunresrepublik sprechen. Durch diese Amnestie könnte ein Beitrag zur Entspannung der Beziehungen der beiden Teile Deutschlands zueinander geleistet werden; 3. darauf hinzuwirken, daß auf Grund politischer Straftaten inhaftierte Personen in der Bundesrepublik in den Genuß aller Erleichterungen gelangen, die mit der Sicherung gegen Flucht vereinbar sind, und daß die Dauer der Untersuchungshaft sich in vertretbaren Grenzen hält; 4. auf diplomatischem Wege die Regierung der Sowjetunion auf die Verantwortung hinzuweisen, die sie für Verurteilte der sowjetischen Besatzungsbehörden in Deutschland hat, und die Freilassung aller dieser Gefangenen zu verlangen; 5. Wege zu erschließen und zu beschreiten, die geeignet sind, in der „DDR" zu erwirken, daß den aus politischen Gründen inhaftierten Personen alle in einem humanen Strafvollzug üblichen Erleichterungen gewährt werden und die Versorgung der Strafanstalten mit Medikamenten sichergestellt wird; 6. dem Bundestag einen Bericht über Fälle zuzuleiten, in denen von der Regierung der Sowjetunion in der Bundesrepublik lebende Personen als Sowjetbürger reklamiert werden, die angeblich an der Heimkehr gehindert werden; 7. durch den Ausbau der Treuhandstelle für den Interzonenhandel das Verrechnungswesen zur Erleichterung des Personen- und Güterverkehrs über die Zonengrenze und zur Abwicklung aller übrigen Zahlungsverpflichtungen zu normalisieren und durch die Errichtung weiterer Treuhand- stellen die Normalisierung des Personen- und Güterverkehrs zu ermöglichen und in Kultur-und Unterrichtsfragen dem Auseinanderleben der Teile Deutschlands entgegenzuwirken; 8. um diese Ziele zu erreichen, um den Zusammenhalt der Teile Deutschlands zu festigen und da- mit der Wiedervereinigung unter einer frei gewählten deutschen Regierung zu dienen und der Welt zum Bewußtsein zu bringen, daß die Teilung Deutschlands vom deutschen Volke nicht anerkannt wird, unbeschadet der vorbehaltenen Rechte und Verpflichtungen der Vier Mächte gegenüber Deutschland als Ganzem, mit den in der sowjetisch besetzten Zone bestehenden Behörden alle nötigen Besprechungen zu führen. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Umdruck 609 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen wird beauftragt, die Aufgaben, die sich aus der Großen Anfrage — Drucksache 2364 — und ihrer Beantwortung ergeben, laufend zu verfolgen und zu gegebener Zeit dem Bundestag Bericht zu erstatten. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Feller und Fraktion Anlage 4 Umdruck 610 (Vgl. S. 7717 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, darauf hinzuwirken, daß in weit größerem Umfange als bisher den jungen Menschen in der Bundesrepublik Gelegenheit gegeben wird, die besonderen Verhältnisse, die sich aus der Teilung Deutschlands ergeben, durch Reisen nach Berlin kennenzulernen. Insbesondere sollten die Abschlußklassen sämtlicher Schulen der Bundesrepublik Gelegenheit haben, die Verhältnisse in der ehemaligen Hauptstadt Deutschlands kennenzulernen. Die dazu notwendigen Gelder sind den Mitteln des Bundesjugendplanes zu entnehmen. Bonn, den 30. Mai 1956 Frau Hütter Dr. Dehler und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Frank Seiboth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nun bereits der dritte, der auf Grund der von dem Herrn Begründer der Großen Anfrage, Kollegen Brandt, ausgesprochenen Mahnung, sich nicht in die Weltpolitik zu verlieren, hier versichern kann, daß ich mich auch sehr knapp und eng an das durch die Große Anfrage gestellte Thema halten werde. Ich möchte andererseits doch auf eines hinweisen. Bei aller Zustimmung zu der Erklärung des Herrn Kollegen Brandt, es ginge hier weder um die Weltpolitik noch um die Frage, ob die sogenannte DDR eine demokratische Legitimität besitzt oder völkerrechtlich anzuerkennen sei, bei allem guten Willen, diese Fragen heute auszuklammern, müssen wir uns letzten Endes doch mit dem Tatbestand auseinandersetzen, daß jener Teil Deutschlands, der hinter dem Eisernen Vorhang liegt, sich selbst als Staat betrachtet und als Faktum, als Staat nun einmal da ist. Ich will keineswegs — erschrecken Sie nicht! — diesen Staat vielleicht als politisch ebenbürtig dieser Bundesrepublik gegenüberstellen. Ich will damit nur eines sagen: Auch wenn wir entschlossen sind, ihn politisch, diplomatisch und völkerrechtlich nicht anzuerkennen, so ist er auf Grund seines Bestehens doch immer in der Lage, alle Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, um unser gesamtdeutsches Anliegen zur Wiedervereinigung zu fördern, durch Gegenmaßnahmen, wenn es ihm so beliebt, unmöglich zu machen.

    (Zustimmung beim GB/BHE.)

    Es ist hier genug darüber gesagt worden, daß wir es bei der sogenannten DDR mit keinem Rechtsstaat zu tun haben. Auch wir stehen auf diesem Standpunkt; denn ein Staat, dessen hohe Würdenträger betonen, daß man gar nicht daran denke, im Zuge angekündigter neuer Entwicklungen zwischen Legislative, Exekutive und Justiz die Gewaltentrennung, wie wir sie verstehen, herbeizuführen, ein Staat, in dem die Legislative eigentlich nur als dekoratives Feigenblatt für die Exekutive da ist und in dem die Justiz mit allen ihren Richtern von der Partei, der SED, und von der Regierung abhängig ist, ein solcher Staat verdient auch dann nicht, als Rechtsstaat anerkannt zu werden, bzw. er verdient nicht, daß man von ihm annimmt, er bewege sich bewußt zur Rechtsstaatlichkeit hin, wenn er Gefangene entläßt, die unter Gesichtspunkten eines Unrechtsstaates zu Strafen verurteilt wurden.
    Aber, meine Damen und Herren, es geht hier, wie -der Herr Kollege Wehner gesagt hat — und da stimmen wir ihm voll zu —, eben nicht darum, daß wir in dieser Situation und bei dem Anliegen, das wir mit der Großen Anfrage aller Fraktionen verfolgen, hier einen Streit darüber führen, was nach unseren Vorstellungen Recht und was Unrecht ist. Es geht darum, in erster Linie unglückliche Menschen da drüben, die unsere Brüder und Schwestern sind, die Opfer des Kalten Krieges, wie der Kollege Wehner sie genannt hat, aus ihrer unmenschlichen und unerträglichen Lage zu befreien. Unter diesem Gesichtspunkt und in Würdigung dieses Anliegens sollten wir überlegen, ob wir nicht auch bei der Untersuchung der Frage, was wir hier vom Westen zur Förderung dieses Anliegens beitragen können oder müssen, recht großzügig sein sollten, eben weil wir um die Tatsache dieses da drüben existierenden Staates und seiner Möglichkeiten nicht herumkommen.

    (Zustimmung beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Wir schließen uns der Wertung an, die der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen vorgenommen hat, daß man nämlich keine Parallele zwischen den Verurteilungen, die drüben erfolgt sind, und den sogenannten politischen Urteilen ziehen kann, die in der Bundesrepublik ausgesprochen worden sind. Wir sollten aber vielleicht doch bedenken, daß es, wenn es darum geht, zwischen Deutschen die Lage zu entspannen, der Einheit Deutschlands zu dienen, Menschen zu helfen, die in Bedrängnis sind, nicht nur die Pflicht zur unbedingten Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien gibt, sondern unter Umständen auch die menschliche und die politische Pflicht, solche rechtsstaatlichen Prinzipien einmal weniger in den Vordergrund zu rücken, um Menschen, die unter Unrecht leiden, anderswo zu ihrem Recht zu verhelfen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Aus diesem Grunde steht die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE auf dem Standpunkt, daß die Bundesregierung und die anderen zuständigen Stellen unseres Staates doch sehr ernst und mit dem Willen zur Großzügigkeit die Frage prüfen sollten, ob wir nicht zur Unterstützung unseres Wunsches, daß drüben von den Zonenmachthabern und ihrer Justiz möglichst alle unter politischen Gesichtspunkten verurteilten deutschen Menschen entlassen werden, die andere Seite zu guten Taten dadurch provozieren könnten, daß wir hier im Bundesgebiet eine Amnestie für alle sogenannten politischen Straftaten erwägen. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Regierung dabei nicht so weitherzig wie gewisse Funktionäre der SED in Artikeln, die in den letzten Tagen in der Presse der Zone veröffentlicht wurden, bei der Umgrenzung des Personenkreises vorgehen sollte. Es sind dort als bei uns unter „politischen" Gesichtspunkten Verurteilte auch die sogenannten Kameradenschinder und auch, wie wir es schlicht und richtig ausdrücken, die Menschenräuber mit genannt worden.
    Nun, meine Damen und Herren, wir meinen, es ist eine Selbstverständlichkeit — und ich erwähne es nur, damit wir nicht mißverstanden werden —, daß wir alle, wenn wir uns mit dem Gedanken an eine solche Amnestie befassen, natürlich nur solche Straftaten amnestiert haben wollen, die nicht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also gegen Leib, Leben und Freiheit anderer, darstellen. Wir meinen aber andererseits, daß man ohne Ausnahme in eine solche Amnestie alle jene Straftaten mit ein-


    (Seiboth)

    beziehen sollte, die vor der Jugendgerichtsbarkeit zur Verhandlung anstanden.

    (Sehr gut! beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Wir haben es bei der sogenannten „DDR" nun eben einmal mit einem System zu tun, das den Druck auf andere — um das Wort „Terror" zu vermeiden — für ein anwendbares Mittel der Politik hält.
    Ich will hier nicht auf den Brief eingehen, den der sogenannte Präsident der „DDR" an den Herrn Bundespräsidenten geschrieben hat. Dieser Brief —er ist uns ja allen in Abschrift zugestellt worden — enthält von A bis Z Unwahrheiten, Entstellungen und Tatsachenverdrehungen. Aber dieser Brief an den Herrn Bundespräsidenten ist andererseits doch ein Anlaß, denen drüben, wenn hier eine Amnestie erfolgen sollte, zu sagen: Nun seid ihr beim Wort genommen; nun müßt ihr alle die, die unter politischen Gesichtspunkten verurteilt worden sind, aus den Gefängnissen, aus den Kerkern entlassen!
    Lassen Sie mich — ich will mich kurz halten, wie ich erwähnt habe — zu dem andern Thema dieser Großen Anfrage, zur Verbesserung der Kontakte zwischen der deutschen Bevölkerung in der Zone und uns noch einiges ausführen. Dieser Fragenkomplex scheint uns gleich wichtig dem der politischen Gefangenen zu sein. In dem ersten Falle geht es um Menschenschicksale, in dem zweiten Falle, bei der Herstellung oder Erhaltung der Beziehungen der beiden Teile der deutschen Bevölkerung, geht es aber um das Schicksal unseres Volkes und der Nation an sich.
    Die Entwicklung, die wir vor uns haben und die wir bisher nicht bremsen konnten — die Unterschiedlichkeit oder, noch richtiger gesagt, die Gegensätzlichkeit der Systeme hier und drüben, die in der sowjetisch besetzten Zone herrschende and ere Geistigkeit des Totalitarismus, die Verschiedenartigkeit auch der Begriffe hinter gleichen Worten ein- und derselben Sprache; unser Bekanntwerden hier im Westen mit dem Westen, seinem Geist, seinen Sitten, seinen gesellschaftlichen Formen, unsere fast ausschließliche Begegnung mit der Welt des Westens und andererseits die Einbeziehung des anderen Teiles Deutschlands in die Welt des kommunistischen Ostens —, läßt uns doch die Gefahren deutlich erkennen, daß wir als Volk auseinanderbrechen, ehe wir die staatliche Wiedervereinigung erreicht haben. Dieser Gefahr müssen wir mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen und die wir ergreifen können, begegnen, indem wir uns unsererseits bemühen, diese schändliche und, ich möchte sagen, im Sinne des Naturrechts geradezu verbrecherische Grenze mitten durch unser Volk durch Aufrechterhaltung und Vertiefung der menschlichen Beziehungen unwirksam zu machen. Wenn ich sagte „unsererseits bemühen", so meine ich natürlich nicht, nur oder hauptsächlich wir allein hätten Anlaß, bestehende Schranken wegzuräumen; wir wissen — und wir haben das heute oft und berechtigterweise aus dem Munde meiner Vorredner gehört —, daß unsere besten Maßnahmen nichts nützen oder unwirksam bleiben müssen, wenn die andere Seite eben nicht gewillt ist, mit gleichen Maßnahmen zu antworten, um zu einem Erfolg in der gesamtdeutschen Sache zu kommen. Aber ich möchte bei aller Betonung dieser für uns unglückseligen Situation und bei Anerkennung der Tatsache, daß auf der andern Seite der gute Wille viel mehr fehlt denn bei uns, doch sagen: wir könnten auch bei uns einige „Räumkommandos des guten Willens" einsetzen, um so manche Dinge, von denen heute die Rede war, wegzuräumen.
    Ich will nicht nur auf das eingehen, was hier schon der Herr Kollege Wehner erwähnt hat, beispielsweise hinsichtlich der oft recht wenig herzvollen, bürokratischen Behandlung der Menschen, die zu uns herüberkommen als Flüchtlinge oder als Besucher. Ich möchte darauf hinweisen, daß uns selbst ja auch die sonderbarsten Dinge passieren, wenn wir uns um einen engen persönlichen Kontakt auf brieflichem oder anderem Wege mit unseren Freunden und Brüdern drüben in der Zone bemühen. Wenn das der Wille dieses Bundestages ist, so mutet es zumindest sonderbar an, wenn beispielsweise bei der Beförderung von Post irgendwelcher Menschen drüben an mich — es sind oft gezwungene Briefschreiber; es wird Ihnen ähnlich gehen — der westdeutsche Briefbote nicht in der Uniform des bekannten Briefträgers kommt, sondern wenn ich so alle Vierteljahre von der Staatsanwaltschaft ein Päckchen mit Briefen zugestellt bekomme, mit einem höflichen Anschreiben, ich möge doch Verständnis für die Notwendigkeit haben, daß man diese Post durchsehe. Nun, meine Damen und Herren, ich habe für manches Verständnis, für die Notwendigkeit, daß man sich gegen Infiltration usw. schützt; aber ich glaube doch
    — — Ja, Sie schlagen die Hände zusammen, meine Damen und Herren; fragen Sie Kollegen aus unserer Fraktion! Das geht noch weiter! Da sind heute schon Zollämter, die bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Abgeordnete erstatten wollen, weil ihnen, ohne daß sie es wünschen, Propagandamaterial von drüben zugeschickt wird.

    (Zurufe. — Abg. Wehner: „Kalte-Kriegs" Freiwillige! — Heiterkeit.)

    — Ja! Meine Damen und Herren, es kann uns doch ganz bestimmt niemand zumuten, daß wir auf diese Propagandaparolen, die mir beispielsweise drei Jahre lang bis 1948 die Kommunisten im tschechischen Kerker ins Ohr gebrüllt haben, heute hereinfallen würden.
    Nun, meine Damen und Herren, das gehört aber alles mit dazu, das sind nicht kleine Schikanen, das sind Übervorsichtigkeiten, die geradezu lächerlich wirken und die unsere geistige Abwehrstärke gegenüber dem Bolschewismus in einem sehr sonderbaren Licht erscheinen lassen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD. — Abg. Baur [Augsburg] : Schade, daß der Bundesjustizminister nicht da ist! — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Politische Kinderbewahranstalt!)

    Wir sind außerdem der Meinung, daß wir auch geeignete Wege im Westen finden sollten, um dem Jugendaustausch oder besser — dieses Wort klingt schon zu sehr nach Organisation von östlicher Seite — dem ungehinderten Jugendwandern und dem ungehinderten Aufenthalt unserer Jugend drüben und der anderen Jugend bei uns Möglichkeiten zu geben.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Ich weiß, welche Gefahren darin stecken, wenn der Osten geschlossene Jugendgruppen zu sich einlädt, sie in sogenannten Erholungslagern unterbringt und dort auch politisch in seinem Sinne auf diese Jugend einwirkt. Ich weiß, daß wir auf der anderen Seite den Staat bei uns nicht für gleiche


    (Seiboth)

    oder ähnliche Maßnahmen einspannen wollen oder sollten. Wir könnten es wahrscheinlich auch gar nicht, weil dann der Osten bzw. die DDR-Regierung mit Verbotsmaßnahmen gegen einen Jugendaustausch überhaupt antworten würde.
    Aber ich meine, wir könnten etwas anderes tun: wir könnten uns bemühen — das ist allerdings nicht nur Sache dieses Bundestags oder der Bundesregierung, das ist auch Sache der Länder und vor allem ihrer Kultusministerien —, daß unsere Jugend schon in der Schule in geeigneter Weise darauf vorbereitet wird, was sie da drüben erwartet, wenn sie einmal hinkommt; daß ihr schon im Unterricht beigebracht wird, wie sie mit unseren Augen die Dinge, die sie dort sieht, beurteilen soll.
    Schließlich sollten wir selber, wo wir können, ein Beispiel dafür geben, daß wir trotz aller bestehenden Schwierigkeiten, die uns gemacht werden, immer nach einer Möglichkeit suchen, Mitteldeutschland auch heute noch als unsere Heimat und damit als unser Reise-, Urlaubs- und Wanderland zu sehen. Ich weiß — ich sagte das schon —, das ist nicht so einfach. Man braucht Aufenthaltsgenehmigungen. Aber wer von uns hat nicht Verwandte drüben? Wenn wir das endlich einmal in einer großen Zahl täten, dann wäre wohl auch die Befürchtung vieler auszuräumen, daß man dort zurückgehalten wird und die Angehörigen — oder in unserem Falle eine staatliche Stelle oder eine Stelle unseres Parlaments — bekämen die Mitteilung, man habe drüben politisches Asyl gesucht. Ich möchte hier das Wort von Professor Friedensburg benützen, das er in Heidelberg einmal ausgesprochen hat: Wir sollten das „mystische Grauen", wie er es nannte, das gegenüber dem Bolschewismus vorhanden ist, nun nicht auch noch gegenüber dem anderen Teile Deutschlands bei uns durch solche Befürchtungen und solche Erwägungen wecken.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Schließlich meinen wir, daß wir bei unserem Bestreben, auch die sprachliche, die geistige, die kulturelle innere Einheit unseres Volkes zu wahren, auf westdeutscher Seite mit guten Beispielen und einer gewissen Vorleistung, die drüben zur Nachahmung zwingt, vorangehen sollten. Wir sind in dem Falle nicht befriedigt, Herr Bundesminister, wenn Sie in Ihrer Regierungserklärung sagten, in der Frage des freien Einlasses von Druckerzeugnissen, Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, müßten wir uns immer entsprechend denen verhalten, die drüben den freien Austausch solcher Erzeugnisse durch ihre Maßnahmen unmöglich machen. Wir sind der Auffassung, daß wir damit anfangen sollten. Wir sollten die Druckerzeugnisse, die Zeitungen, die Zeitschriften, die Bücher, auch die Filme, die drüben erzeugt werden, frei nach Westdeutschland passieren lassen. Fürchten wir uns etwa, daß das, was in diesen Zeitungen geboten, in Propagandabroschüren geschrieben oder auf der Leinwand an Propagandafilmen gezeigt wird, unsere westdeutsche Bevölkerung zum Bolschewismus hinführen könnte? Ich bin persönlich gegenteiliger Ansicht. Wenn solche Zeitungen hier verbreitet würden, in denen der Herr Bundeskanzler täglich oder wöchentlich dreimal als Kriegsverbrecher apostrophiert wird, diese oder jene Organisation als faschistisch oder meine Partei, weil sie den Namen „Heimatvertriebene" mit im Schilde führt
    statt, wie es ostzonalen Ohren vielleicht lieber wäre „human Ausgesiedelte" oder „Umgesiedelte", als revanchistisch bezeichnet wird, —

    (Heiterkeit beim GB/BHE)

    wer wird sich daran stoßen, wer fällt denn auf so etwas schon herein?! Unsere Menschen sind doch politisch reif genug, um bald erkennen zu können, daß es drüben nur ein en Chefredakteur gibt und alles nur auf das abgestellt ist, was man dort erreichen will. Wir sollten hier also nicht so kleinlich sein. Wir sollten nicht nur immer von der Notwendigkeit der geistigen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus, mit dem Kommunismus reden. Ich weiß, es gibt jetzt schon einige Volkshochschulen, wo seit kurzem Kurse im dialektischen Materialismus veranstaltet werden. Ich weiß nicht, wie groß die Besucherzahlen dort sind. Das scheint mir aber nicht das geeignete Mittel zu sein. Ich bin überzeugt, wenn unsere Bevölkerung diese Zeitungsartikel, diese unmöglichen Riemen nur einmal vier, fünf Wochen oder Monate lesen würde, in einer Zeitung immer dasselbe wie in der anderen, ein Zeug, das man nicht lesen kann, weil man ebenso gut Leder fressen könnte, dann hätte sie genug davon, dann würde sie zu unterscheiden wissen zwischen Literatur und Makulatur.
    Meine Damen und Herren, auf Grund dieser Einstellung zu den Problemen sind wir nicht nur geneigt, heute zuzustimmen, daß der Antrag, den die Sozialdemokratische Partei gestellt hat, mit seinen mehreren Verlangen an die Bundesregierung in die Ausschüsse überwiesen wird, sondern wir werden uns auch in der Ausschußarbeit durchaus im Sinne dieses von der Sozialdemokratischen Partei geäußerten Anliegens verhalten.
    Ich darf mir erlauben — ich hoffe, damit Ihre Zustimmung zu finden —, zu dem Berliner Komplex nichts weiter auszuführen. Dazu haben Kollegen, die Berliner sind, schon sehr Richtiges gesagt, dem wir uns voll und ganz anschließen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Margot Kalinke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Debatte des heutigen Vormittags hat das Bild des großen deutschen Unglücks erschütternd vor aller Augen gestellt. Niemand, der diese Debatte mit Ernst angehört hat, wird in Zukunft dem Ungeist, der uns alltäglich — aus dem Übergewicht der materialistischen und egoistischen Auffassungen und Forderungen unserer Tage — mit dem Schrei nach eigener Sicherheit und eigenem Wohlleben anspricht, ohne Gewissenskonflikte begegnen können. Möge unsere heutige Diskussion auch alle diejenigen aufrütteln, die aus Trägheit der Herzen und aus Sattheit die Not des Alltags nicht mehr sehen und ihre Ohren der Stimme der Not verschließen. Es ist auch kein Ablaß, wenn wir uns mit guten Gaben, hier und da gegeben vom Überfluß, oder unseren Paketsendungen, so wichtig sie sind, von jenem Aufruf zu befreien suchen, der an uns alle ergeht: die große Not deutscher Menschen, unserer Brüder und Schwestern als gemeinsame Not zu empfinden. In der Aussprache dieses Tages und angesichts des erschütternden Bildes mit der Fülle der vielen einzelnen Sorgen des Alltags, die uns als Deutsche gemein-


    (Frau Kalinke)

    sam erfüllen, darf keine neue falsche Hoffnung geweckt werden, die neue Enttäuschungen zur Folge haben könnte. Die Folgen des Hungers, die Folgen der Überanstrengung, die Folgen der Unfreiheit sind heute so vielfältig geschildert worden, daß ich dem, was von meinen Vorrednern gesagt worden ist, nicht einen Fall hinzufügen möchte. Aus dem Sattsein unserer wieder in Freiheit aufgerichteten, wirtschaftlich gesundeten und sozial immer weiter gesundenden Ordnung aber sollen wir täglich daran denken, daß wir den Mut und die Pflicht zum Opfer nicht verlieren dürfen. Wir sollten auch täglich daran denken, daß verlorene deutsche Heimaten genausowenig wie verlorene Freiheiten verloren zu sein brauchen, wenn wir sie niemals aufgeben. Alle Deklamationen über die Grundlagen unserer Auffassung von der Politik sind leere Worte, wenn die Not und die Unfreiheit nicht als unsere gemeinsame Not von uns allen getragen und die Beseitigung gemeistert wird.
    Nach Ansicht der Fraktion der Deutschen Partei ist der Zeitpunkt gekommen, alle außen- und innenpolitischen Möglichkeiten neu zu überdenken und neu zu überprüfen. Wir, die Generation der beiden Kriege, und wir, die Männer und Frauen, die das Opfer des deutschen Ostens und den Opfergang der ostdeutschen Menschen miterleben mußten, dürfen nur ein oberstes Ziel kennen: um die Freiheit aller Deutschen zu ringen. Und unser gemeinsamer Appell möge heute nicht nur all denen dienen, die nicht täglich an diesen Auftrag denken; er möge an das Weltgewissen genauso rühren wie an das Gewissen unseres eigenen Volkes. Wir Frauen, die wir den Krieg hassen und den Frieden lieben, wissen, wie mühsam alle Ziele zu erreichen sind. Wir sehen real, daß das Ziel der Freiheit für unsere Brüder und Schwestern in allen deutschen Heimaten im Frieden nur erreicht werden wird, wenn wir auch die Notwendigkeit einsehen, uns um den Einsatz und den Kaufpreis, um das Kennenlernen dieses Kaufpreises zu bemühen. Niemand wird uns besser verstehen als die Menschen in der Zone, die zwischen Schein und Sein oft sehr viel klarer zu entscheiden wissen als mancher in unserem westlichen Teil Deutschlands.
    Nachdem — ich verhehle das nicht — gegen ernste Bedenken der Deutschen Partei ein deutscher Botschafter nach Moskau gesandt wurde und Botschafter ausgetauscht worden sind, versteht es sich von selbst — und Herr Dehler sollte auch beruhigt sein —, daß die deutschen Botschafter sich, wo immer sie stehen, nicht auf Repräsentation beschränken werden.

    (Zuruf von der SPD: Woher wissen Sie das?)

    Die Aufzählung all der Leiden und Nöte, die ich nicht wiederholen will, soll uns aber nicht nur heute bewegen. Sie zwingt uns immer wieder, nach Wegen zu suchen, um die Freiheit unserer Landsleute endlich zu gewinnen und für die Zukunft, nachdem wir sie gewonnen haben, auch zu verteidigen. Für die Deutsche Partei ist jede Forderung unannehmbar, die die Gefährdung der Freiheit unserer Landsleute oder die Übernahme scheinbarer sozialer Errungenschaften der DDR um des Preises der Freiheit willen zum Ideal und zum Ziel hat. Als unlängst eine deutsche Bundestagsdelegation Gast in England war, hat uns ein Labour-Abgeordneter in London gewarnt, in dem Wechsel der Taktik der Sowjetmachthaber etwa einen Wechsel der Gesinnung zu sehen, und gemahnt, das von den Sowjets niemals aufgegebene Ziel ihrer Oktoberrevolution stets im Auge zu behalten. Er hat uns mit allem Ernst aus der gemeinsamen europäischen Verantwortung gebeten, doch nicht zu übersehen, daß es den Sowjets darauf ankommt, mit legalen Mitteln die Westmächte auseinanderzubringen und zum Zweck der Beseitigung der Verträge und der Verhinderung einer deutschen Nachrüstung eine neue, scheinbar andere Taktik einzuschlagen.
    Die Besprechungen mit den Russen in London haben ebenfalls gezeigt, daß die Russen zwar die Abrüstung des Westens fordern, selbst aber nicht bereit sind, eine Abrüstungskontrolle zuzulassen. Auch die Entlassung von Angehörigen der Streitkräfte, die dann in Uranbergwerken und anderswo für die Kriegsproduktion eingesetzt werden, ist ebensowenig überzeugend wie die Selbstanklagen und Versprechungen, wie die Selbstkritik Grotewohls und seine Eingeständnisse auf der SED-Konferenz in Ostberlin im März. Sein Versprechen, Rechtsbrüche und Willkür endlich zu beseitigen, ungerechte Verhaftungen zu verhindern, ist nur glaubhaft, wenn die geplagten und verzweifelten Menschen der Zone ihre Sorgen und Befürchtungen in aller Öffentlichkeit, ohne Angst vor offenen Türen und Fenstern, ohne jenen uns sattsam bekannten „deutschen Blick" aussprechen können. Wenn in der Sowjetzone und in den Satellitenstaaten endlich ein Hoffnungsschimmer auf wirkliche Freiheit sichtbar würde, für den noch alle Beweise fehlen, dann könnten wir hoffen, daß die neue Taktik nicht nur neue Überlegungen, sondern auch neue Maßnahmen zur Folge haben wird.
    Derselbe sehr maßgebliche englische LabourAbgeordnete, der den Mitgliedern der Bundestagsdelegation, besonders auch seinen Freunden von der Sozialdemokratischen Partei das deutsche Dichterwort: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß", in Erinnerung brachte, hat uns auch darauf aufmerksam gemacht, daß in ganz Europa das Bewußtsein wächst, daß die Verteidigung der deutschen Freiheit und die Frage der deutschen Einheit eine Frage der europäischen Sicherheit und Freiheit ist.
    Meine Freunde in der Deutschen Partei sind der Auffassung, daß, wenn auch die Kräfte des Herzens und des Geistes heute nicht hoch im Kurs stehen, doch alle diese Kräfte mobilisiert werden müssen, um unserem Volk den Willen zum Opfer, die Bereitschaft zum Risiko wieder in aller Verantwortung vor Augen zu führen. Wir wollen gemeinsam mit allen guten Kräften in unserem Volk darum ringen, daß in einem erneuerten deutschen Staat eine freiheitliche Ordnung geschaffen wird und eine Stabilisierung eintritt. Durch diesen Staat werden dann die Grundrechte der Freiheit, aber auch die Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Sicherheit, die alle Völker bewegt — ich meine den Wunsch nach Sicherheit und Frieden aus eigener Kraft —, allen Deutschen und allen Europäern gewährleistet werden.
    Unsere Außenpolitik und unsere Innenpolitik haben in diesem Ziel unlösbar verbundene Aufgaben. Durch die außenpolitischen Bemühungen müssen die Weichen für die Erreichung auch der innenpolitischen Ziele gestellt werden, die für die Erhaltung der Freiheit nach innen und nach außen notwendig sind. Wir sollten darum bei allen Gesetzen, die wir in diesem Hause beschließen, bei


    (Frau Kalinke)

    allen Ansprüchen, denen wir nachgeben oder denen wir uns versagen müssen, immer daran denken, daß wir die gleichen sozialen Leistungen, die gleichen Chancen zum Aufstieg, zum Erwerb, zur Erhaltung und zur Wiedergewinnung von Eigentum auch für die 16 Millionen mitgestalten müssen und in unsere Rechnung zu setzen haben, die die gleichen Ansprüche an uns anzumelden haben.
    Die Wirtschaft und der Handel sind nur eins der möglichen Hilfsmittel zur Wiedervereinigung. Der Vorschlag, mit der Zone in stärkerem Umfange als bisher Handel zu treiben, hat sicher viel Bestechendes an sich. Durch verstärkte Handelsbeziehungen, so argumentiert man, könnte den deutschen Menschen in der Zone unmittelbar geholfen werden. Ihr großer Hunger nach Konsumgütern könnte mehr denn je mit unserer Hilfe gestillt werden. Hier haben wir sehr ernsthaft zu prüfen, ob diese Vorstellung real ist. Den Menschen in der Zone würde durch verstärkte Handelsbeziehungen nur dann wirksam geholfen werden, wenn sie auch unmittelbar in den Genuß der Auswirkungen dieser wirtschaftlichen Beziehungen kämen. Dabei ist das System der Zone und das Fehlen von privatwirtschaftlichen Einrichtungen ein entscheidendes Hindernis.
    Nun lehnen wir selbstversändlich die wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion nicht grundsätzlich ab. Wir glauben vielmehr, daß es an der Zeit ist, die wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion zu normaliseren. Wir sind uns aber bewußt, daß alle wirtschaftlichen Beziehungen allein nicht die Entspannung zwischen West und Ost bewirken können. Es ist heute darauf hingewiesen worden, welchen Wert die Möglichkeiten des gemeinsamen Gesprächs bei den Aufgaben der
    Verkehrspolitik, bei einer gemeinsamen Beteiligung im Alltag beim Sport, in den Feierstunden und an Feiertagen, bei musikalischen und kirchlichen Veranstaltungen, bei den großen gemeinsamen karitativen Aufgaben durch Werke der gegenseitigen Hilfe haben können. Sie sind aller hier aufgezeigt worden. Meine Freunde in der Deutschen Partei haben keine Angst, alle diese Möglichkeiten des Gesprächs zu fördern und an ihnen teilzuhaben. Es ist notwendig, daß wir täglich die Frage vor unser Gewissen stellen, ob wir dazu auch genug getan haben.
    Wenn in vereinzelten Presseerklärungen im Zusammenhang mit den Ausführungen des zweiten Vorsitzenden der Deutschen Partei, Dr. von Merkatz, auf unserem Lüneburger Parteitag, hinter denen die Fraktion der Deutschen Partei geschlossen steht, unsere gemeinsame Verantwortung in der Koalition auch nur im geringsten in Frage gestellt wurde, so sei hier in aller Deutlichkeit erklärt, daß sich die Fraktion der Deutschen Partei zur Pflicht der Erfüllung der Pariser Verträge genauso bekennt, wie sie ein enges Zusammenwirken mit unseren Bundesgenossen für unerläßlich hält. Wir halten allerdings die Nachrüstung der Bundesrepublik ohne weitere Verzögerung für dringlich und lehnen mit gleicher Deutlichkeit die Verhandlungen mit der Pankower Regierung ab.
    Was den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei angeht, so können wir dem Abs. 1 Satz 2 und vor allem dem letzten Satz des Abs. 8, daß, „unbeschadet der vorbehaltenen Rechte und Verpflichtungen der Vier Mächte gegenüber Deutschland als Ganzem, mit den in der sowjetisch besetzen Zone bestehenden Behörden alle nötigen
    Besprechungen zu führen" sind, nicht zustimmen. Wir glauben, daß die Vertreter des Unrechtsregimes in der Zone nicht die geeigneten Persönlichkeiten sind, mit denen wir darüber verhandeln könnten!

    (Abg. Welker: Sondern? — Abg. Wehner: Was wollen Sie überhaupt?)

    — Ich will Ihnen darauf antworten, Herr Wehner; haben Sie ein wenig Geduld; ich habe Sie auch mit Geduld angehört. — Wir werden in Übereinstimmung mit dem Vorschlag der CDU der Ausschußüberweisung zustimmen und über unsere Bedenken im Ausschuß mit Ihnen sprechen.
    Wir glauben, daß es an der Zeit ist — und die Macht der realen Tatsachen, die veränderte und sich täglich neu verändernde weltpolitische Situation zwingt genauso wie unsere wachsende Sorge um die schwindenden physischen und psychischen Kräfte unseres Volkes jenseits des Eisernen Vorhangs verantwortungsbewußte Politiker dazu —, nach neuen Wegen zur Beendigung der Unfreiheit in der Zone zu suchen. Wir hoffen, daß unser Bestreben von einer zielklaren Außenpolitik gestützt wird, die sich darum bemühen muß, ein Ausklammern der deutschen Frage auf der Grundlage des Status quo der Teilung Deutschlands zu verhindern und den Kalten Krieg zu beenden.
    Wenn es sich als richtig erweisen sollte, daß die Gefahrenlage wirklich verändert ist, und wenn eine andere Taktik der Sowjets eine andere Art der Anpassung notwendig macht, dann sollten alle Möglichkeiten, die unsere Verbindung mit der freien Welt nicht stören, ausgewertet werden. Wenn es die Entwicklung verlangt, sollten wir, wenn sich nach verantwortungsbewußter Prüfung neue Gesichtspunkte zeigen, ohne Angst — auch ohne Angst vor dem Unter- und Hintergründigen, auch ohne Angst vor „Teufeln", wie Sie (zur SPD) es nannten — die Voraussetzungen für neue Formen der diplomatischen Beziehungen prüfen.
    Mit der praktischen Politik der Aufnahme der Beziehungen zu den Ostblockstaaten ist weder zur Oder-Neiße-Grenze noch zu dem Unrecht, das unseren Vertriebenen angetan wurde und unseren ostdeutschen Menschen noch angetan wird, eine Zustimmung gegeben. Es ist auch sicher ein Irrtum, daß es nur eines deutsch-russischen Gesprächs oder nur eines Gesprächs mit den Machthabern der Zone bedürfte, um die Wiedervereinigungsprobleme zu lösen.

    (Zuruf links: Aber auch nicht durch Selbstgespräche!)

    Nicht nur die Westmächte, sondern auch Polen hat dabei ein Wort mitzureden.
    Die Fraktion der Deutschen Partei ist in Übereinstimmung mit den in der gesamten Presse veröffentlichten Erklärungen des 2. Vorsitzenden der Deutschen Partei davon überzeugt, daß die gesamte freie Welt durch eine gemeinsame Aktion das Unrecht in der sowjetisch besetzten Zone endlich beseitigen und für die Wiederherstellung von Recht und Freiheit in allen totalitären Herrschaftsbereichen eintreten sollte. Wir sind den freien Juristen der Welt dankbar, daß sie unermüdlich den Protest der Weltöffentlichkeit wachgerufen und an das Gewissen der freien Völker appelliert haben. Ich glaube in diesem Zusammenhang nicht, daß der Vorschlag Dr. Dehlers bezüglich einer Volksbefragung ohne internationale Kontrolle


    (Frau Kalinke)

    realisierbar ist. Er dürfte genau wie die Forderung nach freien Wahlen noch für lange Zeit auf den Widerstand der sowjetischen Machthaber stoßen und an ihren Methoden der fortgesetzten Verletzung freiheitlicher Prinzipien scheitern.
    Statt dessen glaube ich aber, daß die Russen wie die Machthaber der Zone nicht ausweichen dürften, ihre eigenen Forderungen nach gemeinsamen Gesprächen in Freiheit zu realisieren. Die Deutsche Demokratische Republik sollte den Mut aufbringen, ihren Bürgern jede Möglichkeit des Gesprächs mit Freunden und Verwandten im Westen zu gestatten. Sie sollte freie Diskussionen in Schulen, Universitäten und in der Öffentlichkeit zulassen. Sie sollte endlich die Briefkontrolle und das Versagen der Reisegenehmigung aufgeben. Ich könnte mir auch vorstellen, daß eine Vereinbarung zwischen dem Rundfunk der DDR und unseren Rundfunkanstalten über ein freimütiges Gespräch, eine halbe Stunde Diskussion zwischen Ost und West vieles dazu beitragen könnten, in Offenheit die Probleme der gemeinsamen deutschen Not zu diskutieren. Wenn es der DDR wirklich ehrlich ist um solche Gespräche, die sie fordert, muß sie alles tun, um sie zu ermöglichen. Auch wir sollten den Mut haben, noch mehr als bisher jede Gelegenheit des Zusammenseins mit den Menschen der Zone zu ergreifen. Insofern stimme ich mit dem, was die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei gesagt haben, durchaus überein. Die Westmächte sollten dazu beitragen, daß unter ihrer Kontrolle ein Organ des Kontakts zwischen Ost und West — und das ist die Antwort, Herr Wehner, die ich Ihnen jetzt gebe — aus unabhängigen Persönlichkeiten gebildet wird, aus Persönlichkeiten aus Kreisen der Kirchen, der Universitäten, aus Wissenschaft und Forschung, aus der Welt des Geistes und aus dem Kreis derjenigen, die sich in der Nächstenliebe betätigen, die allgemeines Vertrauen und allgemeines Ansehen besitzen — wir alle kennen solche Persönlichkeiten in Ost und West —, aus einem Kreis von Männern und Frauen, die Mut zur Unabhängigkeit und Kraft der Überzeugung haben, ohne sich mit Pankow zu identifizieren. Schon im Oktober 1953 hat die Fraktion der Deutschen Partei vorgeschlagen, Gespräche zwischen freiheitlich gesinnten Vertretern der ost- und mitteleuropäischen Nachbarstaaten Deutschlands in Gang zu bringen und vorzuschalten, um zu einer friedlichen Regelung der Wiedervereinigungsprobleme zu kommen und damit künftige freie Wahlen vorzubereiten.
    Eine solche Aussprache zwischen Ost und West ist aber nur auf der Grundlage einer demokratischen Legitimation möglich, mit einem in freiheitlicher Methode gewählten oder bestellten vorbereitenden Organ. Wenn Grotewohl wirklich will, dann kann er diese Voraussetzungen vorbereiten durch den eigenen Rücktritt und durch den Rücktritt seiner Regierung und durch die Bereitschaft seiner Regierung, solche Legitimation durch wirklich freie und geheime Wahlen zu schaffen. Zum mindesten sollte er dann seine sowjetischen Freunde darum ersuchen.
    In einer frühen Ausgabe der Bismarckschen Erinnerungen steht das Widmungswort: „Den Söhnen und Enkeln zum Verständnis der Vergangenheit und zur Lehre für die Zukunft." Es wiederholt sich in der Geschichte seltsamerweise vieles. Aber es wiederholt sich in der Geschichte des einzelnen wie der der Völker seltsamerweise auch, daß die Menschen aus der Geschichte nicht lernen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    — Ich freue mich über diese Übereinstimmung, die ich mit Ihnen in diesen grundsätzlichen Fragen habe.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Trotz allen Wundern von Fortschritt und Technik, trotz Atomzeitalter sind die Probleme, die den Generationen gestellt werden, gar nicht so unterschiedlich. Es hat sich leider immer wiederholt, daß es die Alten, die Einsamen und vor allem die Frauen eines Volkes sind, die die Last der Notzeiten besonders zu tragen haben.
    Ich wiederhole: Das oberste Gesetz aller unserer Bemühungen bleibt die Bewahrung der Freiheit, die Herstellung der Einheit Deutschlands in Zusammenarbeit mit den Partnern der Bundesrepublik und die Bewahrung des Friedens durch friedliche Auseinandersetzung mit den Machthabern der Zone.
    Trotz allem Unglück und allen zum Trotz, die es bestreiten wollen, gibt es noch eine unzerstörbare Einheit des nationalen Empfindens aller Deutschen. Es gibt noch ein Gefühl für unlösbare Bande eines gemeinsamen Schicksals, einer gemeinsamen Not.

    (Beifall bei der DP.)

    Das Menschliche, das heute hier von allen Rednern so offen und bewegend angeklungen ist, das Menschliche aber sollte das oberste Gesetz unseres Handelns sein. Das tägliche Denken an die gequälten alten Menschen, an die fliehende Jugend, an die einsamen Gräber der Zone — das alles darf uns niemals ruhig schlafen lassen. Die Sorge um Freiheit und Frieden für alle deutschen Menschen wird uns auch den Mut geben, bisher Ungewohntes und vielleicht in der Zukunft auch Ungewöhnliches zu tragen.
    Wenn Grotewohl mit seinen Genossen wirkliche Entspannung wünscht, dann möge er mit ihnen alles tun, um an Stelle der bisherigen Deklamationen durch Taten zu zeigen, daß er den Menschen in der Zone nicht neue Enttäuschungen und nicht neues Leid zumuten will. Dann möge er endlich — es ist heute schon ausgesprochen worden — die Tore der Zuchthäuser öffnen und denen die Angst um Leben und Sicherheit nehmen, die noch tagtäglich und stündlich um ihre Freiheit zittern müssen.
    Der Standpunkt eines politischen Machtkampfes ist dabei kein guter Berater. Was der stellvertretende Ministerpräsident Rau in der Zone vertrat, als er die Todesstrafe für politische Vergehen verteidigte mit den Worten: „Die Frage kann nur vom Standpunkt der Macht der Arbeiterklasse gesehen werden" — diese Auffassung lehnt die Fraktion der Deutschen Partei mit aller Entschiedenheit ab. Dem Machtstandpunkt und dem parteipolitischen Machtkampf sollten wir immer wieder den gemeinsamen, Willen, den wir heute hier bekundet haben, entgegensetzen, und wir sollten gemeinsam uns immer wieder in Fragen der Not- und Schicksalsgemeinschaft unseres Volkes und unserer Brüder und Schwestern finden.
    Es gibt sicher, und wer ehrlich ist, wird es mir zugeben, kein Rezept und kein Heilmittel, mit dem ad hoc eine Klarheit über Lüge und Wahrheit in der Zone zu erhalten ist. Es gibt sicher auch keinen totalen Vorschlag, der sofort realisierbar würde und sofort zum Ziel führte. Es gibt aber die Zuversicht, daß die Kraft unserer Überzeugung und die


    (Frau Kalinke)

    Stärke unseres Willens vereint mit der Kraft der Herzen und des Glaubens eines unlösbar miteinander verbundenen Volkes dazu beitragen wird, die Opferbereitschaft und die Bereitschaft zum Tragen des Risikos auch bei denen zu wecken, die sich allem bisher noch verschlossen haben. Wir sind besorgt darum, daß die Sorge um die eigene Sicherheit und Sattheit und das Schreien organisierter Gruppen nach immer mehr Sicherheit nicht den Willen ersticken möchte zur Verteidigung der Freiheiten für alle Deutschen.
    Die Geschichte unseres Volkes, aber auch die Erfahrungen unserer Generationen sollten eine gute Lehrmeisterin sein. Wir, die wir als die Vertriebenen des deutschen Ostens die bitteren Erfahrungen der blutenden Grenze nach 1918, die Opfer vor und nach 1939 und den Opfergang des deutschen Ostens nach dem Zusammenbruch miterlebt haben, wir sind einig, und ich persönlich bin es auch mit dem Kollegen Brandt, in der Feststellung, daß der deutsche Osten diese Zeche nicht allein bezahlen darf.
    Wenn die Geschichte eine Lehrmeisterin ist, so sollte uns Hoffnung daraus werden, wenn wir uns zurückerinnern an jene Zeit nach dem Tilsiter Frieden, als das Reich zerschlagen und die staatliche Einheit zerstört war, aber das Band des gemeinsamen Schicksals nach der geschichtlichen Erfahrung um so enger geknüpft wurde. Im Frieden zu Tilsit verlor Preußen die Hälfte seines Gebiets; aber gerade die Not und das Unglück jener dunklen Tage deutscher Geschichte schufen ein neues Bewußtsein zur Erneuerung des Staates und eine nie dagewesene Bereitschaft zum Opfern und zum Zusammenstehen der Deutschen, die damals unter der Führung des Nassauers Stein, des Altpreußen Humboldt, des Hannoveraners Scharnhorst und des Württembergers Gneisenau gemeinsam die Erneuerung vorbereiteten.
    Wir haben in diesen Jahren in gemeinsamen Anstrengungen die Trümmer unserer Städte und die Trümmer unserer Arbeitsplätze beseitigt. Jetzt ist es höchste Zeit, die Trümmer unserer Zerrissenheit aus einer tiefen menschlichen Verpflichtung endlich zu beseitigen. Wieder ist die Einheit des Reichs zerschlagen. Aber die Einheit des deutschen Volkes als lebendig wirkende Kraft aus dem gemeinsamen Schicksal unserer Geschichte, dem Erbe unserer Muttersprache, den ewigen Quellen unserer Kultur und dem Vermächtnis der Heimat ist unzerstörbar. Aus diesem Gefühl der unzerreißbaren Verbundenheit mit unseren Landsleuten und mit unseren deutschen Heimaten werden wir in Fragen des deutschen Gewissens und der Nation mit allen Männern und Frauen in diesem Hause hoffentlich einig sein. Sie (zur SPD) sollten nicht nur zuhören, wenn die Sprecher Ihrer eigenen Fraktion sprechen. In den Schicksalsfragen der Nation werden wir uns von niemandem, von keinem anderen Volk, aber auch von keiner anderen politischen Partei übertreffen lassen in dem Ziel, im Unglück erst recht zusammenzustehen.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)