Rede:
ID0214601500

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 2146

  • date_rangeDatum: 30. Mai 1956

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    2. Deutscher Bundestag — 146. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956 7697 146. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 30. Mai 1956. Nachruf für den Abg. Naegel 7698 B Ergänzung der Tagesordnung 7698 D Mandatsniederlegung des Abg. Dr. Maier (Stuttgart) 7699 A Eintritt der Abg. Weber (Untersontheim) und Albrecht (Hamburg) in den Bundestag 7699 A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Brönner und Frau Albrecht . . 7699 A Mitteilung über Verzicht des Haushaltsausschusses auf Mitberatung der in der 133. Sitzung überwiesenen Anträge betr Straßenbauvorhaben (Drucksachen 2117 und 2123) 7699 B Beschlußfassung des Bundesrats über Gesetzesbeschlüsse des Bundestags . . . 7699 B Mitteilung über Beantwortung der Kleinen Anfragen 242, 244, 246, 247, 249, 250, 252 (Drucksachen 2285, 2395; 2315, 2404; 2324, 2405; 2325, 2385; 2355, 2394; 2362, 2391; 2375, 2403) 7699 C Vorlage von Berichten über die Gewährung von Zuschüssen zur Gemeinschaftsverpflegung, über die Sozialabkommen der Brüsseler Vertragsstaaten und über die Unterzeichnung des deutsch-amerikanischen Filmabkommens (Drucksachen 2384, 2390, 2393) 7699 D Große Anfrage der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364, Umdrucke 608, 609, 610) . . . 7699 D Brandt (Berlin) (SPD), Anfragender . 7 700 A Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 7705 A Dr. Mommer (SPD) 7714 D Frau Hütter (FDP) 7717 D Brookmann (Kiel) (CDU/CSU) . . 7718 B Wehner (SPD) 7720 B Lemmer (CDU/CSU) 7725 D Dr. Will (FDP) 7728 A Seiboth (GB/BHE) 7730 A Frau Kalinke (DP) 7732 D Dr. Henn (DA) 7736 B, 7738 D Dr. Lenz (Godesberg) (CDU/CSU) . . 7739 D Annahme des Antrags Umdruck 609 . . . 7740 A Ausschußüberweisungen der Anträge Um- drucke 608 und 610 7740 A Begrüßung einer Gruppe von Mitgliedern des englischen Unterhauses 7738 D Große Anfrage der Abg. Mellies, Dr. Reif, Feller u. Gen. betr. Verfassungsklage wegen des Reichskonkordats (Drucksache 2258 (neu]) 7698 C, 7740 A Präsident D. Dr. Gerstenmaier . . . 7698 C Dr. Arndt (SPD), Anfragender . . . 7 740 B Dr. von Brentano, Bundesminister des Auswärtigen 7749 B Cillien (CDU/CSU) 7751 B Dr. Schmid (Frankfurt) (SPD) 7754 B, 7757 A Schütz (CDU/CSU) 7756 D Dr. Reif (FDP) 7757 D Dr. Dr. h. c. Prinz zu Löwenstein (FDP) 7759 D Eickhoff (DP) 7762 A Dr. Schneider (Lollar) (DA) . . . 7762 C Hoogen (CDU/CSU) 7763 C Dr. Welskop (CDU/CSU) 7766 A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Liquidation der Deutschen Reichsbank und der Deutschen Golddiskontbank (Drucksache 2327) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen 7766 C Erste Beratung des von den Abg. Lenz (Brühl), Dr. Hesberg, Lücke u. Gen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen (Drucksache 2321) 7766 C Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und an den Rechtsausschuß 7766 C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Internationale Pflanzenschutzabkommen (Drucksache 2346) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten . . 7766 D Erste Beratung des Entwurfs einer Wehrbeschwerdeordnung (WBO) (Drucksache 2359) 7766 D Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung und an den Rechtsausschuß 7766 D Nächste Sitzung 7766 D Anlage 1: Liste der beurlaubten Abgeordneten 7767 A Anlage 2: Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 608) 7767 C Anlage 3: Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 609) 7768 A Anlage 4: Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage betr. Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Umdruck 610) 7768 C Die Sitzung wird um 9 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier eröffnet.
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordneter beurlaubt bis einschließlich Altmaier 2. 6. Arnholz 30. 5. Dr. Atzenroth 16. 6. Dr. Bartram 31. 5. Blachstein 30. 6. Dr. Blank (Oberhausen) 30. 5. Frau Dr. Bleyler (Freiburg) 30. 5. Brese 30. 5. Dr. Brühler 16. 6. Dannebom 5. 6. Dopatka 30. 5. Dr. Eckhardt 30. 5. Frehsee 30. 5. Friese 30. 5. Frau Friese-Korn 30. 5. Gedat 30. 6. Gefeller 2. 6. Geiger (München) 30. 5. Frau Geisendörfer 9. 6. Dr. Gille 16. 6. Heiland 30. 5. Dr. Hellwig 16. 6. Dr. Horlacher 2. 6. Hübner 1. 6. Jacobi 30. 5. Jacobs 30. 5. Dr. Jaeger 9. 6. Jahn (Frankfurt) 2. 6. Kahn 1. 6. Frau Kipp-Kaule 2. 6. Koenen (Lippstadt) 2. 6. Könen (Düsseldorf) 1. 6. Dr. Kopf 30. 5. Frau Korspeter 9. 6. Kortmann 30. 5. Dr. Kreyssig 30. 5. Kroll 30. 5. Kühlthau 30. 5. Kurlbaum 30. 5. Leibfried 30. 5. Dr. Lindenberg 30. 5. Lulay 9. 6. Maucher 30. 5. Meitmann 15. 7. Merten 30. 5. Dr. Mocker 30. 5. Müller-Hermann 2. 6. Neuburger 31. 5. • Dr. Orth 30. 5. Peters 15. 7. Pöhler 30. 5. Rademacher 30. 5. Raestrup 30. 5. Rasch 4. 6. Richter 2. 6. Runge 16. 6. Dr. Siemer 30. 5. Dr. Starke 31. 7. Frau Welter (Aachen) 30. 5. Dr. Werber 30. 5. Frau Wolff (Berlin) 10. 6. b) Urlaubsanträge Dr. Dittrich 30. 6. Dr. Seffrin 30. 6. Kraft 16. 6. Metzger 9. 6. Moll 23. 6. Dr. Dr. h. c. Müller (Bonn) 30. 6. Dr. Pferdmenges 9. 6. Siebel 9. 6. Anlage 2 Umdruck 608 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der SPD zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. alles zu tun - wenn nötig einseitig -, was die an der Zonengrenze aufgerichteten Grenzmauern abzutragen geeignet ist. In diesem Sinne muß der freie Verkehr aller Druckschriften über die Zonengrenze ermöglicht werden. Sollte sich ein Abkommen auf Gegenseitigkeit als unerreichbar erweisen, so soll die Bundesregierung den Bezug aller Drucksachen aus der „DDR" auf handelsübliche Weise zulassen; 2. den zuständigen Ausschüssen des Bundestages alle Gründe vorzutragen, die für und gegen eine Amnestie für politische Straftaten in der Bunresrepublik sprechen. Durch diese Amnestie könnte ein Beitrag zur Entspannung der Beziehungen der beiden Teile Deutschlands zueinander geleistet werden; 3. darauf hinzuwirken, daß auf Grund politischer Straftaten inhaftierte Personen in der Bundesrepublik in den Genuß aller Erleichterungen gelangen, die mit der Sicherung gegen Flucht vereinbar sind, und daß die Dauer der Untersuchungshaft sich in vertretbaren Grenzen hält; 4. auf diplomatischem Wege die Regierung der Sowjetunion auf die Verantwortung hinzuweisen, die sie für Verurteilte der sowjetischen Besatzungsbehörden in Deutschland hat, und die Freilassung aller dieser Gefangenen zu verlangen; 5. Wege zu erschließen und zu beschreiten, die geeignet sind, in der „DDR" zu erwirken, daß den aus politischen Gründen inhaftierten Personen alle in einem humanen Strafvollzug üblichen Erleichterungen gewährt werden und die Versorgung der Strafanstalten mit Medikamenten sichergestellt wird; 6. dem Bundestag einen Bericht über Fälle zuzuleiten, in denen von der Regierung der Sowjetunion in der Bundesrepublik lebende Personen als Sowjetbürger reklamiert werden, die angeblich an der Heimkehr gehindert werden; 7. durch den Ausbau der Treuhandstelle für den Interzonenhandel das Verrechnungswesen zur Erleichterung des Personen- und Güterverkehrs über die Zonengrenze und zur Abwicklung aller übrigen Zahlungsverpflichtungen zu normalisieren und durch die Errichtung weiterer Treuhand- stellen die Normalisierung des Personen- und Güterverkehrs zu ermöglichen und in Kultur-und Unterrichtsfragen dem Auseinanderleben der Teile Deutschlands entgegenzuwirken; 8. um diese Ziele zu erreichen, um den Zusammenhalt der Teile Deutschlands zu festigen und da- mit der Wiedervereinigung unter einer frei gewählten deutschen Regierung zu dienen und der Welt zum Bewußtsein zu bringen, daß die Teilung Deutschlands vom deutschen Volke nicht anerkannt wird, unbeschadet der vorbehaltenen Rechte und Verpflichtungen der Vier Mächte gegenüber Deutschland als Ganzem, mit den in der sowjetisch besetzten Zone bestehenden Behörden alle nötigen Besprechungen zu führen. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Anlage 3 Umdruck 609 (Vgl. S. 7714 D, 7740 A) Antrag der Fraktionen der SPD, FDP, GB/BHE zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen wird beauftragt, die Aufgaben, die sich aus der Großen Anfrage — Drucksache 2364 — und ihrer Beantwortung ergeben, laufend zu verfolgen und zu gegebener Zeit dem Bundestag Bericht zu erstatten. Bonn, den 29. Mai 1956 Ollenhauer und Fraktion Dr. Dehler und Fraktion Feller und Fraktion Anlage 4 Umdruck 610 (Vgl. S. 7717 D, 7740 A) Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands (Drucksache 2364). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird beauftragt, darauf hinzuwirken, daß in weit größerem Umfange als bisher den jungen Menschen in der Bundesrepublik Gelegenheit gegeben wird, die besonderen Verhältnisse, die sich aus der Teilung Deutschlands ergeben, durch Reisen nach Berlin kennenzulernen. Insbesondere sollten die Abschlußklassen sämtlicher Schulen der Bundesrepublik Gelegenheit haben, die Verhältnisse in der ehemaligen Hauptstadt Deutschlands kennenzulernen. Die dazu notwendigen Gelder sind den Mitteln des Bundesjugendplanes zu entnehmen. Bonn, den 30. Mai 1956 Frau Hütter Dr. Dehler und Fraktion
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Will


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich für die Fraktion der Freien Demokraten zu der Großen Anfrage sämtlicher Fraktionen des Hauses in Kürze das Folgende ausführen. Ich habe nicht die Absicht, zu wiederholen, was meine Herren Vorredner hier schon gesagt haben, und zwar weil ich in der Lage bin, festzustellen, daß ein wesentlicher Unterschied in fast allen Fragen nicht besteht. Es ist hier eine der erfreulichen Tagesordnungen des Hauses gegeben, in denen eine einheitliche Meinung des gesamten Deutschen Bundestages zum Ausdruck kommen kann. Ich möchte glauben, daß gerade das der Sinn der heutigen Sitzung und letzten Endes der Sinn dieser Großen Anfrage gewesen ist.
    Worauf es uns hier ankommt, meine Damen und Herren, das ist, heute eine Hand auszustrecken, eine Hand des guten Willens, in der Hoffnung, daß sie auf der andern Seite ergriffen wird, im Interesse der Erleichterung der Lebensführung unserer 18 Millionen Brüder und Schwestern, die nicht gleich uns in der Lage sind, frei über das zu sprechen, was ist. Ich werde auch nicht der Versuchung erliegen, hier eine Frage der Weltpolitik anzuschneiden, d. h. das Thema Wiedervereinigung zu erörtern, das heute nicht zur Diskussion steht. Auch meine Herren Vorredner der bisher zu Wort gekommenen Fraktionen haben ausgeführt, daß das heute nicht möglich ist. Ich sehe darin einen wesentlichen Fortschritt in der augenblicklichen Situation. Denn die übereinstimmende Meinung geht doch dahin, daß die Frage der Wiedervereinigung im eigentlichen Sinne als Lösung der deutschen Frage im Moment nicht wesentlich gefördert werden kann, nachdem auf der ersten Genfer Konferenz durch die erste Garnitur, durch die Regierungschefs selber, festgestellt worden ist, daß sie nicht zu einer Einigung kommen konnten. Die Frage, die ja nicht für sie lebenswichtig war, aber
    für uns, wird trotzdem niemals von der Tagesordnung des Deutschen Bundestages verschwinden.
    Wenn wir der Überzeugung sind, daß eine gewaltsame Lösung nicht möglich ist — darin weiß ich mich einig mit allen Parteien dieses Hauses dann bleibt ja nur der Weg der Verhandlung. Und wenn nun festgestellt worden ist, daß auf dem Verhandlungswege über diese Frage im Augenblick nichts erreicht werden kann, wie wir das in der Tat immer wieder hören und lesen, dann gibt es nur eine dritte Möglichkeit, nämlich die der geduldigen Vorbereitung eines Zustandes, in dem sich die Dinge allmählich so gestalten, daß später von einer clausula rebus sic stantibus gesprochen werden kann, von der berühmten normativen Kraft des Faktischen. Es muß uns also möglich sein, in kleineren Schritten auf Nebenwegen einen Zustand herbeizuführen, der dann eine Übereinstimmung auch in der großen politischen Frage ermöglichen wird. Dazu soll diese Große Anfrage beitragen. Dazu soll beitragen, was der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen hier ausgeführt hat und was nun in der Aussprache von seiten der Fraktionsvertreter erklärt werden kann.
    Ich schließe mich der Auffassung aller meiner Vorredner an, daß am Anfang unserer Erklärungen, unserer Stellungnahmen die eindeutige Forderung zu stehen hat: Gebt endlich die politischen Gefangenen frei! Ich kann es mir ersparen, nach all dem, was gerade zu diesem Punkt hier gesagt worden ist, auf besondere Einzelheiten einzugehen, obwohl natürlich auch bei meiner Fraktion, bei der Fraktion der Freien Demokraten, eine Unzahl von Einzelfällen bekannt sind, die hier vorgetragen werden könnten und genauso dramatisch wirken wie diejenigen, die dem Hause bereits zu Gehör gebracht wurden. Ich möchte es also dabei belassen, daß ich für meine Fraktion erkläre: Diese Forderung und all das, was dazu gesagt worden ist, machen wir uns in vollem Umfang zu eigen, und wir werden wie die übrigen Fraktionen dieses Hauses niemals aufhören, diese Forderung als erste immer wieder vorzutragen und zur Durchsetzung zu bringen.
    Ob auf irgendeine Weise durch Freilassung von politischen Gefangenen, die im Bundesgebiet noch vorhanden sind, etwas erreicht werden kann, will ich im Augenblick dahingestellt sein lassen. Wenn es aber dahin führen sollte, dann sollte kein Weg unbegangen bleiben, der zu einem solchen Ziel führen könnte.
    Nun wird es natürlich, wenn es sich darum handelt, allmählich eine Anpassung, eine Entspannung, eine Milderung der Gegensätze herbeizuführen, erforderlich sein, daß die Lebenshaltung in den beiden Teilen, einerseits dem Bundesgebiet, andererseits der DDR, nicht so auseinanderklafft, wie es bisher der Fall ist. Hier müßte noch ein Wort gesagt werden, das ich bisher vermißt habe, ein Wort über die Tatsache, daß wir immer noch Tausende, Zehntausende, ja zusammengenommen Hunderttausende von Zonenflüchtlingen haben, daß deren Zustrom nicht abreißt, im Gegenteil, in der letzten Zeit noch stärker geworden ist. Solange der Unterschied in der Lebenshaltung, in der Freiheit der Person so groß ist, daß ein großer Teil der Bevölkerung des einen Gebiets sich auf dem Fluchtwege von dem ihr auferlegten Zwange frei machen muß, so lange kann natürlich nicht davon geredet werden, daß auch nur in etwa eine Anpassung denkbar wäre.


    (Dr. Will)

    Es wäre verführerisch, an dieser Stelle darüber zu sprechen, welche Erfahrungen jedermann macht, der etwa in Berlin oder in Marienfelde an einem Notaufnahmeverfahren teilnimmt und die Gründe kennenlernt, die die Menschen dazu bringen, ihre Heimat und ihre Familien zu verlassen, was doch immerhin die schwersten seelischen Kämpfe voraussetzt, ein außerordentliches menschliches Risiko einschließt und letzten Endes auf die Dauer gesehen zu einer Entvölkerung eines deutschen Gebiets führen muß, an der uns natürlich auch nicht gelegen sein kann.
    Diese Fragen also, die mit den Gefangenen und mit den Flüchtlingen aus der Zone zusammenhängen, werden in erster Linie anzugehen sein, wenn es sich darum handelt, zu einer echten Entspannung zu kommen.
    Nun hat der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen eine meiner Meinung nach äußerst dankenswerte ausführliche Antwort zu jedem einzelnen Punkt der Großen Anfrage gegeben. Ich muß es mir, vor allem im Hinblick auf die vorgerückte Zeit, versagen, zu all diesen Dingen Stellung zu nehmen, was ja auch mein Herr Vorredner nicht mehr getan hat. Aber einige Dinge bedürfen doch noch einer Hervorhebung, weil, wie ich glaube, diese Taste besonders angeschlagen werden sollte, wenn uns daran liegt, allmählich zu einer Verbesserung der Beziehungen zu kommen.
    Das eine ist — es ist hier auch schon zum Ausdruck gekommen — die Verbesserung der Bedingungen des Interzonenhandels. Ich würde es durchaus begrüßen, wenn in Berlin die Verwaltungsstellen des Interzonenhandels ausgebaut werden könnten. Denn es ist nicht etwa so, daß durch eine Einschränkung der Handel zwischen dem Bundesgebiet und der DDR verhindert werden könnte; es besteht lediglich die Gefahr, daß dann über ausländische Leitfirmen die gleichen bundesdeutschen Waren eben doch dorthin kommen, nur mit dem Unterschied, daß dann natürlich die Gewinne und die Geschäftsbeziehungen nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, sondern, wie gesagt, über ausländische Leitfirmen. Das ist eine Frage, die uns zu beschäftigen haben wird.
    Besonders aber ist es die Verkehrsfrage, die auch heute und gerade jetzt zuletzt immer wieder berührt worden ist. Zu den vielen Wünschen, die wir auf diesem Gebiet haben, gehört die endliche Wiederherabsetzung der Autobahngebühren, die insbesondere von dem Berliner Senat mit allen Mitteln angestrebt, aber nicht erreicht worden ist. Zu diesen Fragen gehört auch der Flugverkehr, von dem bisher noch nicht die Rede war. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß es nicht möglich ist, mit einem deutschen Flugzeug, d. h. mit der Deutschen Lufthansa nach Westberlin und nach der DDR zu gelangen. Es ist der Deutschen Lufthansa nicht gestattet, Berlin anzufliegen. Abgesehen davon, ist dies überhaupt ein sehr ernstes Thema, weil die ausländischen Maschinen, die zur Verfügung gestellt werden, bei weitem nicht ausreichen. Es ist, wie ich höre, schon so, daß auf der meistbeflogenen Strecke nach Hannover insbesondere die verbilligten Nachtmaschinen schon bis in den August hinein ausverkauft sind, so daß einem wesentlichen Teil der Berliner Bevölkerung kein anderer Ausweg bleibt, als sich entweder der Autobahn oder der Eisenbahn zu bedienen, mit all den Schwierigkeiten, mit all den Aufenthalten, mit all den Risiken, von denen wir
    hier ja gehört haben und die sowohl an der Berliner Zonengrenze als auch in Helmstedt bestehen. Wir können natürlich nicht mehr tun, als daß wir die Bundesregierung oder im Rahmen der Zuständigkeit den Senat von Berlin ermuntern oder ermahnen, in ihren Anstrengungen nicht zu erlahmen, gerade auf dem Gebiet des Verkehrs das Möglichste zu erreichen.
    Wenn ich hier — und Sie werden mir als Berliner das gestatten — noch einiges zu den besonderen Problemen dieser Stadt sage, dann möchte ich meinen — und hier befinde ich mich etwas im Gegensatz zu dem, was vorher gesagt worden ist -, daß man eigentlich mit der Auflockerung am besten und am einfachsten in Berlin beginnen sollte und könnte. Wenn man zum Reichskanzlerplatz fährt — er heißt immer noch nicht Bundeskanzlerplatz, Herr Regierender Bürgermeister! —, dann kommt man normalerweise am Funkhaus in der Masurenallee vorbei, das sich ja viele Jahre hindurch gerade gegenüber der britischen Besatzungsmacht befunden hat. Dieses an sich durchaus geeignete Zweckgebäude steht seit soundso viel Jahren vollkommen leer, verkommt innen und außen, obwohl es für unsere Zwecke außerordentlich geeignet wäre. Sollte es nicht möglich sein, bei einigem guten Willen hier eine Vereinbarung zu erreichen, da dies keinerlei Verzicht für die sowjetzonalen Behörden bedeuten würde, die ja von diesem Gebäude gar keinen Gebrauch machen? Wir haben etwas Ähnliches seinerzeit mit dem Verwaltungsgebäude der Reichsbahn am Anhalter Bahnhof erlebt. Dort ist ja ein Versuch gemacht worden, zu einer etwas gewaltsamen Lösung zu kommen, die natürlich nach wenigen Tagen zum Scheitern verurteilt war. Auch hier handelt es sich um Enklaven, die der Gegenseite absolut nichts nützen, während sie für uns in Westberlin von großem Nutzen sein könnten.
    Das sind natürlich nur Beispiele für Beweise des guten Willens, die vorhanden sein müßten, wenn wir mit der Großen Anfrage und mit der Erwiderung Erfolg haben wollen. Der Sinn der ganzen Debatte, die wir heute haben, ist doch, wenn es schon nicht im Großen möglich ist, dann wenigstens auf Einzelgebieten, die lokale Bedeutung haben, zu einem Ausgleich zu kommen, und schon das würde in der gegenwärtigen Situation ein wesentlicher Fortschritt sein. Meine Damen und Herren, wir dürfen der Auffassung sein, daß mit einer Politik der Stärke, die nach Lage der Dinge im wesentlichen nur eine Politik der starken Worte sein kann, auf Jahre hinaus ein Erfolg sowieso nicht zu erzielen ist. Wenn diese Überzeugung Allgemeingut ist, bleibt uns nur übrig, hier immer wieder durch Vorleistungen, durch ständige Versuche, durch Kontakte, die natürlich technischer Art sein müssen, eine Erleichterung für die Bevölkerung in der Ostzone und in Ostberlin zu erreichen.
    Worauf kommt es an? An der Spitze aller Bemühungen, mit denen wir heute beginnen wollen, muß unser Ziel stehen, endlich die Vereinigung in Freiheit zu erreichen. Wir wissen, daß es hier Bedingungen gibt, die wir niemals erfüllen werden, wozu unfreie Wahlen, wozu ein unmittelbarer Kontakt mit Pankow gehören. Aber davon abgesehen gibt es eine ganze Reihe anderer Dinge, die heute besprochen worden sind und die sehr wohl eine Einigung ermöglichen würden. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß auf beiden Seiten die Absicht einer friedlichen Lösung besteht und nicht diejenige


    (Dr. Will)

    einer Verwandlung dessen, was man bisher den Kalten Krieg genannt hat, in einen „heißen" Krieg. Ich möchte glauben, daß diese Absicht auf beiden Seiten nicht besteht. Wenn es also darum geht, auf friedlichem Wege zunächst ein Nebeneinander als Vorbereitung zu einem Miteinander zu schaffen, dann sollten wir uns über eines klar sein: Falls man diesen Frieden will, kann nicht das Wort gelten: Si vis pacem, para bellum, das immer wieder genannt wird, sondern dann sollten wir sagen: Si vis pacem, para pacem. Allein in dieser Entscheidung, in dieser Haltung sehe ich, und zwar für eine längere Zeit, einen Ausweg, der das vorbereitet, was unserem Ziel näher kommt, nämlich die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit.

    (Beifall rechts, in der Mitte und links.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Frank Seiboth


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GB/BHE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nun bereits der dritte, der auf Grund der von dem Herrn Begründer der Großen Anfrage, Kollegen Brandt, ausgesprochenen Mahnung, sich nicht in die Weltpolitik zu verlieren, hier versichern kann, daß ich mich auch sehr knapp und eng an das durch die Große Anfrage gestellte Thema halten werde. Ich möchte andererseits doch auf eines hinweisen. Bei aller Zustimmung zu der Erklärung des Herrn Kollegen Brandt, es ginge hier weder um die Weltpolitik noch um die Frage, ob die sogenannte DDR eine demokratische Legitimität besitzt oder völkerrechtlich anzuerkennen sei, bei allem guten Willen, diese Fragen heute auszuklammern, müssen wir uns letzten Endes doch mit dem Tatbestand auseinandersetzen, daß jener Teil Deutschlands, der hinter dem Eisernen Vorhang liegt, sich selbst als Staat betrachtet und als Faktum, als Staat nun einmal da ist. Ich will keineswegs — erschrecken Sie nicht! — diesen Staat vielleicht als politisch ebenbürtig dieser Bundesrepublik gegenüberstellen. Ich will damit nur eines sagen: Auch wenn wir entschlossen sind, ihn politisch, diplomatisch und völkerrechtlich nicht anzuerkennen, so ist er auf Grund seines Bestehens doch immer in der Lage, alle Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, um unser gesamtdeutsches Anliegen zur Wiedervereinigung zu fördern, durch Gegenmaßnahmen, wenn es ihm so beliebt, unmöglich zu machen.

    (Zustimmung beim GB/BHE.)

    Es ist hier genug darüber gesagt worden, daß wir es bei der sogenannten DDR mit keinem Rechtsstaat zu tun haben. Auch wir stehen auf diesem Standpunkt; denn ein Staat, dessen hohe Würdenträger betonen, daß man gar nicht daran denke, im Zuge angekündigter neuer Entwicklungen zwischen Legislative, Exekutive und Justiz die Gewaltentrennung, wie wir sie verstehen, herbeizuführen, ein Staat, in dem die Legislative eigentlich nur als dekoratives Feigenblatt für die Exekutive da ist und in dem die Justiz mit allen ihren Richtern von der Partei, der SED, und von der Regierung abhängig ist, ein solcher Staat verdient auch dann nicht, als Rechtsstaat anerkannt zu werden, bzw. er verdient nicht, daß man von ihm annimmt, er bewege sich bewußt zur Rechtsstaatlichkeit hin, wenn er Gefangene entläßt, die unter Gesichtspunkten eines Unrechtsstaates zu Strafen verurteilt wurden.
    Aber, meine Damen und Herren, es geht hier, wie -der Herr Kollege Wehner gesagt hat — und da stimmen wir ihm voll zu —, eben nicht darum, daß wir in dieser Situation und bei dem Anliegen, das wir mit der Großen Anfrage aller Fraktionen verfolgen, hier einen Streit darüber führen, was nach unseren Vorstellungen Recht und was Unrecht ist. Es geht darum, in erster Linie unglückliche Menschen da drüben, die unsere Brüder und Schwestern sind, die Opfer des Kalten Krieges, wie der Kollege Wehner sie genannt hat, aus ihrer unmenschlichen und unerträglichen Lage zu befreien. Unter diesem Gesichtspunkt und in Würdigung dieses Anliegens sollten wir überlegen, ob wir nicht auch bei der Untersuchung der Frage, was wir hier vom Westen zur Förderung dieses Anliegens beitragen können oder müssen, recht großzügig sein sollten, eben weil wir um die Tatsache dieses da drüben existierenden Staates und seiner Möglichkeiten nicht herumkommen.

    (Zustimmung beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Wir schließen uns der Wertung an, die der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen vorgenommen hat, daß man nämlich keine Parallele zwischen den Verurteilungen, die drüben erfolgt sind, und den sogenannten politischen Urteilen ziehen kann, die in der Bundesrepublik ausgesprochen worden sind. Wir sollten aber vielleicht doch bedenken, daß es, wenn es darum geht, zwischen Deutschen die Lage zu entspannen, der Einheit Deutschlands zu dienen, Menschen zu helfen, die in Bedrängnis sind, nicht nur die Pflicht zur unbedingten Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien gibt, sondern unter Umständen auch die menschliche und die politische Pflicht, solche rechtsstaatlichen Prinzipien einmal weniger in den Vordergrund zu rücken, um Menschen, die unter Unrecht leiden, anderswo zu ihrem Recht zu verhelfen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Aus diesem Grunde steht die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE auf dem Standpunkt, daß die Bundesregierung und die anderen zuständigen Stellen unseres Staates doch sehr ernst und mit dem Willen zur Großzügigkeit die Frage prüfen sollten, ob wir nicht zur Unterstützung unseres Wunsches, daß drüben von den Zonenmachthabern und ihrer Justiz möglichst alle unter politischen Gesichtspunkten verurteilten deutschen Menschen entlassen werden, die andere Seite zu guten Taten dadurch provozieren könnten, daß wir hier im Bundesgebiet eine Amnestie für alle sogenannten politischen Straftaten erwägen. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Regierung dabei nicht so weitherzig wie gewisse Funktionäre der SED in Artikeln, die in den letzten Tagen in der Presse der Zone veröffentlicht wurden, bei der Umgrenzung des Personenkreises vorgehen sollte. Es sind dort als bei uns unter „politischen" Gesichtspunkten Verurteilte auch die sogenannten Kameradenschinder und auch, wie wir es schlicht und richtig ausdrücken, die Menschenräuber mit genannt worden.
    Nun, meine Damen und Herren, wir meinen, es ist eine Selbstverständlichkeit — und ich erwähne es nur, damit wir nicht mißverstanden werden —, daß wir alle, wenn wir uns mit dem Gedanken an eine solche Amnestie befassen, natürlich nur solche Straftaten amnestiert haben wollen, die nicht Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also gegen Leib, Leben und Freiheit anderer, darstellen. Wir meinen aber andererseits, daß man ohne Ausnahme in eine solche Amnestie alle jene Straftaten mit ein-


    (Seiboth)

    beziehen sollte, die vor der Jugendgerichtsbarkeit zur Verhandlung anstanden.

    (Sehr gut! beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Wir haben es bei der sogenannten „DDR" nun eben einmal mit einem System zu tun, das den Druck auf andere — um das Wort „Terror" zu vermeiden — für ein anwendbares Mittel der Politik hält.
    Ich will hier nicht auf den Brief eingehen, den der sogenannte Präsident der „DDR" an den Herrn Bundespräsidenten geschrieben hat. Dieser Brief —er ist uns ja allen in Abschrift zugestellt worden — enthält von A bis Z Unwahrheiten, Entstellungen und Tatsachenverdrehungen. Aber dieser Brief an den Herrn Bundespräsidenten ist andererseits doch ein Anlaß, denen drüben, wenn hier eine Amnestie erfolgen sollte, zu sagen: Nun seid ihr beim Wort genommen; nun müßt ihr alle die, die unter politischen Gesichtspunkten verurteilt worden sind, aus den Gefängnissen, aus den Kerkern entlassen!
    Lassen Sie mich — ich will mich kurz halten, wie ich erwähnt habe — zu dem andern Thema dieser Großen Anfrage, zur Verbesserung der Kontakte zwischen der deutschen Bevölkerung in der Zone und uns noch einiges ausführen. Dieser Fragenkomplex scheint uns gleich wichtig dem der politischen Gefangenen zu sein. In dem ersten Falle geht es um Menschenschicksale, in dem zweiten Falle, bei der Herstellung oder Erhaltung der Beziehungen der beiden Teile der deutschen Bevölkerung, geht es aber um das Schicksal unseres Volkes und der Nation an sich.
    Die Entwicklung, die wir vor uns haben und die wir bisher nicht bremsen konnten — die Unterschiedlichkeit oder, noch richtiger gesagt, die Gegensätzlichkeit der Systeme hier und drüben, die in der sowjetisch besetzten Zone herrschende and ere Geistigkeit des Totalitarismus, die Verschiedenartigkeit auch der Begriffe hinter gleichen Worten ein- und derselben Sprache; unser Bekanntwerden hier im Westen mit dem Westen, seinem Geist, seinen Sitten, seinen gesellschaftlichen Formen, unsere fast ausschließliche Begegnung mit der Welt des Westens und andererseits die Einbeziehung des anderen Teiles Deutschlands in die Welt des kommunistischen Ostens —, läßt uns doch die Gefahren deutlich erkennen, daß wir als Volk auseinanderbrechen, ehe wir die staatliche Wiedervereinigung erreicht haben. Dieser Gefahr müssen wir mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen und die wir ergreifen können, begegnen, indem wir uns unsererseits bemühen, diese schändliche und, ich möchte sagen, im Sinne des Naturrechts geradezu verbrecherische Grenze mitten durch unser Volk durch Aufrechterhaltung und Vertiefung der menschlichen Beziehungen unwirksam zu machen. Wenn ich sagte „unsererseits bemühen", so meine ich natürlich nicht, nur oder hauptsächlich wir allein hätten Anlaß, bestehende Schranken wegzuräumen; wir wissen — und wir haben das heute oft und berechtigterweise aus dem Munde meiner Vorredner gehört —, daß unsere besten Maßnahmen nichts nützen oder unwirksam bleiben müssen, wenn die andere Seite eben nicht gewillt ist, mit gleichen Maßnahmen zu antworten, um zu einem Erfolg in der gesamtdeutschen Sache zu kommen. Aber ich möchte bei aller Betonung dieser für uns unglückseligen Situation und bei Anerkennung der Tatsache, daß auf der andern Seite der gute Wille viel mehr fehlt denn bei uns, doch sagen: wir könnten auch bei uns einige „Räumkommandos des guten Willens" einsetzen, um so manche Dinge, von denen heute die Rede war, wegzuräumen.
    Ich will nicht nur auf das eingehen, was hier schon der Herr Kollege Wehner erwähnt hat, beispielsweise hinsichtlich der oft recht wenig herzvollen, bürokratischen Behandlung der Menschen, die zu uns herüberkommen als Flüchtlinge oder als Besucher. Ich möchte darauf hinweisen, daß uns selbst ja auch die sonderbarsten Dinge passieren, wenn wir uns um einen engen persönlichen Kontakt auf brieflichem oder anderem Wege mit unseren Freunden und Brüdern drüben in der Zone bemühen. Wenn das der Wille dieses Bundestages ist, so mutet es zumindest sonderbar an, wenn beispielsweise bei der Beförderung von Post irgendwelcher Menschen drüben an mich — es sind oft gezwungene Briefschreiber; es wird Ihnen ähnlich gehen — der westdeutsche Briefbote nicht in der Uniform des bekannten Briefträgers kommt, sondern wenn ich so alle Vierteljahre von der Staatsanwaltschaft ein Päckchen mit Briefen zugestellt bekomme, mit einem höflichen Anschreiben, ich möge doch Verständnis für die Notwendigkeit haben, daß man diese Post durchsehe. Nun, meine Damen und Herren, ich habe für manches Verständnis, für die Notwendigkeit, daß man sich gegen Infiltration usw. schützt; aber ich glaube doch
    — — Ja, Sie schlagen die Hände zusammen, meine Damen und Herren; fragen Sie Kollegen aus unserer Fraktion! Das geht noch weiter! Da sind heute schon Zollämter, die bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Abgeordnete erstatten wollen, weil ihnen, ohne daß sie es wünschen, Propagandamaterial von drüben zugeschickt wird.

    (Zurufe. — Abg. Wehner: „Kalte-Kriegs" Freiwillige! — Heiterkeit.)

    — Ja! Meine Damen und Herren, es kann uns doch ganz bestimmt niemand zumuten, daß wir auf diese Propagandaparolen, die mir beispielsweise drei Jahre lang bis 1948 die Kommunisten im tschechischen Kerker ins Ohr gebrüllt haben, heute hereinfallen würden.
    Nun, meine Damen und Herren, das gehört aber alles mit dazu, das sind nicht kleine Schikanen, das sind Übervorsichtigkeiten, die geradezu lächerlich wirken und die unsere geistige Abwehrstärke gegenüber dem Bolschewismus in einem sehr sonderbaren Licht erscheinen lassen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD. — Abg. Baur [Augsburg] : Schade, daß der Bundesjustizminister nicht da ist! — Abg. Schröter [Wilmersdorf] : Politische Kinderbewahranstalt!)

    Wir sind außerdem der Meinung, daß wir auch geeignete Wege im Westen finden sollten, um dem Jugendaustausch oder besser — dieses Wort klingt schon zu sehr nach Organisation von östlicher Seite — dem ungehinderten Jugendwandern und dem ungehinderten Aufenthalt unserer Jugend drüben und der anderen Jugend bei uns Möglichkeiten zu geben.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Ich weiß, welche Gefahren darin stecken, wenn der Osten geschlossene Jugendgruppen zu sich einlädt, sie in sogenannten Erholungslagern unterbringt und dort auch politisch in seinem Sinne auf diese Jugend einwirkt. Ich weiß, daß wir auf der anderen Seite den Staat bei uns nicht für gleiche


    (Seiboth)

    oder ähnliche Maßnahmen einspannen wollen oder sollten. Wir könnten es wahrscheinlich auch gar nicht, weil dann der Osten bzw. die DDR-Regierung mit Verbotsmaßnahmen gegen einen Jugendaustausch überhaupt antworten würde.
    Aber ich meine, wir könnten etwas anderes tun: wir könnten uns bemühen — das ist allerdings nicht nur Sache dieses Bundestags oder der Bundesregierung, das ist auch Sache der Länder und vor allem ihrer Kultusministerien —, daß unsere Jugend schon in der Schule in geeigneter Weise darauf vorbereitet wird, was sie da drüben erwartet, wenn sie einmal hinkommt; daß ihr schon im Unterricht beigebracht wird, wie sie mit unseren Augen die Dinge, die sie dort sieht, beurteilen soll.
    Schließlich sollten wir selber, wo wir können, ein Beispiel dafür geben, daß wir trotz aller bestehenden Schwierigkeiten, die uns gemacht werden, immer nach einer Möglichkeit suchen, Mitteldeutschland auch heute noch als unsere Heimat und damit als unser Reise-, Urlaubs- und Wanderland zu sehen. Ich weiß — ich sagte das schon —, das ist nicht so einfach. Man braucht Aufenthaltsgenehmigungen. Aber wer von uns hat nicht Verwandte drüben? Wenn wir das endlich einmal in einer großen Zahl täten, dann wäre wohl auch die Befürchtung vieler auszuräumen, daß man dort zurückgehalten wird und die Angehörigen — oder in unserem Falle eine staatliche Stelle oder eine Stelle unseres Parlaments — bekämen die Mitteilung, man habe drüben politisches Asyl gesucht. Ich möchte hier das Wort von Professor Friedensburg benützen, das er in Heidelberg einmal ausgesprochen hat: Wir sollten das „mystische Grauen", wie er es nannte, das gegenüber dem Bolschewismus vorhanden ist, nun nicht auch noch gegenüber dem anderen Teile Deutschlands bei uns durch solche Befürchtungen und solche Erwägungen wecken.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)

    Schließlich meinen wir, daß wir bei unserem Bestreben, auch die sprachliche, die geistige, die kulturelle innere Einheit unseres Volkes zu wahren, auf westdeutscher Seite mit guten Beispielen und einer gewissen Vorleistung, die drüben zur Nachahmung zwingt, vorangehen sollten. Wir sind in dem Falle nicht befriedigt, Herr Bundesminister, wenn Sie in Ihrer Regierungserklärung sagten, in der Frage des freien Einlasses von Druckerzeugnissen, Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, müßten wir uns immer entsprechend denen verhalten, die drüben den freien Austausch solcher Erzeugnisse durch ihre Maßnahmen unmöglich machen. Wir sind der Auffassung, daß wir damit anfangen sollten. Wir sollten die Druckerzeugnisse, die Zeitungen, die Zeitschriften, die Bücher, auch die Filme, die drüben erzeugt werden, frei nach Westdeutschland passieren lassen. Fürchten wir uns etwa, daß das, was in diesen Zeitungen geboten, in Propagandabroschüren geschrieben oder auf der Leinwand an Propagandafilmen gezeigt wird, unsere westdeutsche Bevölkerung zum Bolschewismus hinführen könnte? Ich bin persönlich gegenteiliger Ansicht. Wenn solche Zeitungen hier verbreitet würden, in denen der Herr Bundeskanzler täglich oder wöchentlich dreimal als Kriegsverbrecher apostrophiert wird, diese oder jene Organisation als faschistisch oder meine Partei, weil sie den Namen „Heimatvertriebene" mit im Schilde führt
    statt, wie es ostzonalen Ohren vielleicht lieber wäre „human Ausgesiedelte" oder „Umgesiedelte", als revanchistisch bezeichnet wird, —

    (Heiterkeit beim GB/BHE)

    wer wird sich daran stoßen, wer fällt denn auf so etwas schon herein?! Unsere Menschen sind doch politisch reif genug, um bald erkennen zu können, daß es drüben nur ein en Chefredakteur gibt und alles nur auf das abgestellt ist, was man dort erreichen will. Wir sollten hier also nicht so kleinlich sein. Wir sollten nicht nur immer von der Notwendigkeit der geistigen Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus, mit dem Kommunismus reden. Ich weiß, es gibt jetzt schon einige Volkshochschulen, wo seit kurzem Kurse im dialektischen Materialismus veranstaltet werden. Ich weiß nicht, wie groß die Besucherzahlen dort sind. Das scheint mir aber nicht das geeignete Mittel zu sein. Ich bin überzeugt, wenn unsere Bevölkerung diese Zeitungsartikel, diese unmöglichen Riemen nur einmal vier, fünf Wochen oder Monate lesen würde, in einer Zeitung immer dasselbe wie in der anderen, ein Zeug, das man nicht lesen kann, weil man ebenso gut Leder fressen könnte, dann hätte sie genug davon, dann würde sie zu unterscheiden wissen zwischen Literatur und Makulatur.
    Meine Damen und Herren, auf Grund dieser Einstellung zu den Problemen sind wir nicht nur geneigt, heute zuzustimmen, daß der Antrag, den die Sozialdemokratische Partei gestellt hat, mit seinen mehreren Verlangen an die Bundesregierung in die Ausschüsse überwiesen wird, sondern wir werden uns auch in der Ausschußarbeit durchaus im Sinne dieses von der Sozialdemokratischen Partei geäußerten Anliegens verhalten.
    Ich darf mir erlauben — ich hoffe, damit Ihre Zustimmung zu finden —, zu dem Berliner Komplex nichts weiter auszuführen. Dazu haben Kollegen, die Berliner sind, schon sehr Richtiges gesagt, dem wir uns voll und ganz anschließen.

    (Beifall beim GB/BHE und bei der SPD.)