Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Anfrage aller Fraktionen des Deutschen Bundestages, die Kollege Brandt eben begründet hat, über die jüngste Entwicklung in der Sowjetzone und die Möglichkeit engerer Verbindungen zwischen der Bundesrepublik, der deutschen Hauptstadt Berlin und Mitteldeutschland; denn damit wird die zentrale Aufgabe aller deutschen Politik, die Wiedervereinigung in Freiheit, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt.
Die Bundesregierung verfolgt mit Sorgfalt die neuere Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Sie sucht ständig nach Möglichkeiten zu engerer Verbindung zwischen der Bevölkerung der getrennten Teile Deutschlands. Sie versucht zu ermitteln, ob — insbesondere entsprechend den Erklärungen von Spitzenfunktionären auf der 3. Parteikonferenz der SED im März dieses Jahres in Ost-Berlin — konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, daß erstens in der Sowjetzone eine Hinwendung zu allgemein rechtsstaatlichen Prinzipien stattfindet, zweitens dort Erleichterungen im Verkehr der Menschen zwischen den beiden Deutschlands durchgeführt werden, drittens eine Normalisierung der Lage in der deutschen Hauptstadt Berlin erfolgt.
Zu den einzelnen Fragen der Großen Anfrage nimmt die Bundesregierung wie folgt Stellung.
Zu Frage 1:
Sind der Bundesregierung Tatsachen bekanntgeworden, die auf eine Hinwendung zu allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien in der Sowjetzone schließen lassen könnten?
Auf der 3. Parteikonferenz der SED im März 1956 ist sowohl von Ulbricht als auch von Grotewohl die Einhaltung der sogenannten demokratischen Gesetzlichkeit gefordert und auf ernsthafte Fehler in der Justiz hingewiesen worden. Die inzwischen verstrichene Zeit ist noch zu kurz, als daß sich die
Bundesregierung abschließend äußern könnte, ob die Beschlüsse dieser Parteikonferenz der SED wirklich zu einer Hinwendung zu rechtsstaatlichen Prinzipien führen werden, zumal zu beachten ist, daß die Schlüsselfigur des unerbittlichen Stalinismus auf deutschem Boden, nämlich Ulbricht, nach wie vor die Geschicke der Zone in der Hand hält. Es ist zudem nicht zu übersehen, daß die Beschlüsse zur demokratischen Gesetzlichkeit auf der Parteikonferenz nur Wiederholungen dessen darstellen, was bereits im Rahmen des sogenannten Neuen Kurses und erneut nach dem Volksaufstand des 17. Juni 1953 versprochen worden war. Was insbesondere der Generalstaatsanwalt Melsheimer auf der 3. Parteikonferenz und am 10. Mai 1956 auf einer Arbeitstagung von Richtern und Staatsanwälten äußerte, ist zu einem wesentlichen Teil beinahe wörtlich das gleiche, was er bereits vor drei Jahren erklärt hatte. Melsheimer erklärte in der sowjetzonalen Zeitschrift „Neue Justiz" vom 20. September 1953 folgendes:
Sorgfältigste Prüfung des Sachverhalts, eingehende Beschäftigung auch mit der Person des Beschuldigten sind oberste Pflicht des Staatsanwalts, bevor er anklagt oder gar richterlichen Haftbefehl erwirkt. Gesetzlichkeit und Schutz der Rechte der Bürger erfordern auch, daß Schluß gemacht wird mit der Verzögerung bei der Entlassung aus der Straf- und Untersuchungshaft. ... Aus den in der Vergangenheit gemachten Fehlern zu lernen und auf Grund der so gewonnenen Erkenntnisse den neuen Kurs kühn, verantwortungsbewußt und unbeirrt zu gehen, das lehrt uns die Entschließung der 15. Tagung des Zentralkomitees der SED.
Das war vor drei Jahren. Aber es änderte sich nichts. Auf der 3. Parteikonferenz 1956 erklärte der gleiche Dr. Melsheimer:
Was die Verhaftungen und vorläufigen Festnahmen angeht — Genosse Grotewohl hat mit Recht hier eine Reihe unberechtigter Verhaftungen gerügt —, so muß sich in immer stärkerem Maße das Prinzip durchsetzen, erst zu ermitteln und auf Grund des Ermittlungsergebnisses und nur bei exakter Feststellung der gesetzlichen Voraussetzungen eine Verhaftung vorzunehmen.
Also 1956 stellt der Generalstaatsanwalt nach allem, was er 1953 über die obersten Pflichten eines Staatsanwalts gesagt hatte, fest: das Prinzip müsse sich durchsetzen, erst zu ermitteln und dann zu bestrafen.
Von bestimmten Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit war also schon 1953 einmal die Rede. Heute, 1956, ist erneut davon die Rede. Damals geschah nichts. Wie, so frage ich, könnten wir uns heute darauf verlassen, wenn die Worte aus dem gleichen Munde kommen wie damals! Zudem bestätigte Melsheimer damals wie heute die Unterordnung der Justiz unter die Politik. 1953 sagte Melsheimer:
Wir haben uns formal an die Gesetze gehalten und unterschiedslos, insbesondere ohne genügende Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten, angeklagt, ohne zu beachten, daß wir als Staatsanwälte in einem Staat der Werktätigen dazu berufen sind, den Standpunkt der Arbeiterklasse durchzusetzen, und unser juristisches Denken sich nicht loslösen
kann von dem obersten Gebot, für diesen Staat, für die Arbeiterklasse streng parteiisch zu denken.
Am 10. Mai 1956 sagte er:
Es liegt auf der Hand, daß wir heute angesichts der politischen Entwicklung in der Welt vor neuen Aufgaben stehen, die es notwendig machen, zu anderen Maßstäben auch in der Strafjustiz zu kommen, als sie etwa in den Jahren 1946 oder 1952 den damaligen Bedingungen entsprechend angelegt werden mußten. Gewisse Entscheidungen insbesondere in dem Strafmaß hingen auf das engste mit der auf dem XX. Parteitag der KPSU als falsch erkannten Theorie Stalins von der absoluten Verschärfung des Klassenkampfes beim erfolgreichen Aufbau des Sozialismus und seiner Vollendung zusammen.
Auch der Justizminister Hilde Benjamin hat sich damals wie heute ganz im gleichen Sinne geäußert. Sie führte nach der „Neuen Justiz" vom 20. April 1956 zu den von Grotewohl auf der Parteikonferenz erhobenen Vorwürfen u. a. aus:
Wir, die wir auf dem Gebiete des Rechtes arbeiten, stehen vor der unausweichlichen Forderung, unsere gesamte Arbeit daraufhin zu überprüfen, ob wir unsere sozialistische Gesetzlichkeitmit dem Ernst und der Parteilichkeit wahren, wie es der Aufbau des Sozialismus erfordert.
Sie hat also erneut eine parteiliche Justiz gefordert und greift die unparteilich ergangenen Entscheidungen gerade deshalb an, weil sie die „sozialistische demokratische Gesetzlichkeit" verletzten. Dabei muß man hier „sozialistisch" selbstverständlich gleich „kommunistisch" setzen. Das ist mit den primitivsten Erfordernissen eines Rechtsstaates nach unser aller Überzeugung unvereinbar.
Die Bundesregierung kann angesichts dessen, was trotz der offiziellen Worte vom Jahre 1953 an Unrecht in der Zone geschehen ist, und der jetzigen Wiederholung der Worte von 1953 leider nicht der Überzeugung sein, daß sich bereits ein Weg zur Rechtsstaatlichkeit abzeichnet. Dem stehen zudem auch Personen wie Ulbricht, Benjamin und Melsheimer entgegen.
Zu Frage 2:
Wieviel politische Gefangene sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten Monaten freigelassen worden?
Nach Unterlagen der Bundesregierung sind Häftlinge, die in sowjetzonalen Zuchthäusern einsaßen, aber von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt worden sind, in folgendem Umfang entlassen worden: Im Januar 1954 6143, April bis Juni 1954 1200, im Dezember 1955 etwa 2000, im Januar 1956 140, im April 1956 220. Insgesamt sind das etwa 9703 SMT-Häftlinge, d. h. Häftlinge, die von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt waren.
Im Rahmen des Waldheim-Komplexes — d. h. von der sowjetischen Besatzungsmacht Verhaftete, aber auf deren Weisung von sowjetzonalen Gerichten Verurteilte — sind entlassen worden: im Oktober 1952 rund 1590 Häftlinge, im Juni 1954 850, zu Silvester 1955 500 Häftlinge. Insgesamt beträgt die Zahl der entlassenen Waldheim-Häftlinge danach etwa 2940. Ende April dieses Jahres wurden weitere 698 Gefangene entlassen. Bei ihnen handelt es sich um Männer und Frauen, die von sowjetischen Militärtribunalen oder von sowjetzonalen Gerichten zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt worden waren. Ende April 1956 sind darüber hinaus weitere 87 Häftlinge zur Entlassung gekommen. Nach Kenntnis der Bundesregierung sind somit nach Januar 1954 bis heute insgesamt 13 428 Häftlinge entlassen worden, davon seit Dezember 1955 1285.
Auf Grund von allgemeinen Amnestien haben Entlassungen von Häftlingen, die durch sowjetzonale Gerichte verurteilt worden sind, in den letzten Jahren nicht stattgefunden. Von diesen politischen Gefangenen, die meistens nach der Kontrollratsdirektive 38 und später auch nach dem vom Kollegen Brandt vorhin schon erwähnten berüchtigten Art. 6 der sowjetzonalen Verfassung verurteilt wurden, sind lediglich einzelne auf Grund individueller Gnadenerweise und im Wege der bedingten Strafaussetzung nach Verbüßung von in der Regel mindestens der Hälfte der Strafe entlassen worden.
Zu Frage 3:
Wie groß ist die Zahl der aus politischen Gründen in der Sowjetzone noch immer Verurteilten bzw. Verhafteten? In welchen Gefängnissen und Zuchthäusern befinden sie sich?
Die Bundesregierung ist, soweit dies bei den Verhältnissen in der Zone überhaupt möglich ist, über die Zahl der aus politischen Gründen noch immer Verurteilten bzw. Verhafteten im allgemeinen unterrichtet. Sie ist im Besitz von beinahe vollständigen Namensunterlagen. Jede bekanntwerdende oder bekundete Entlassung eines Häftlings wird vermerkt. Dabei muß berücksichtigt werden, daß Namen von Entlassenen zum Teil erst später Bekanntwerden, vor allem wenn sie in der Zone bleiben.
Nach dem Stand von Anfang Mai 1956 ergibt sich — mit der erwähnten Einschränkung — noch immer eine Zahl von rund 18 900 politischen Häftlingen.
Das, meine Damen und Herren, ist eine einfach erschütternde Zahl von Menschen.
Diese politischen Häftlinge befinden sich in den Strafvollzugsanstalten Bautzen, Berlin I und II, Brandenburg-Görden, Bützow-Dreibergen, Coswig, Cottbus, Döbeln, Dresden, Erfurt, Gotha, Gräfentonna, Halle, Hohenleuben, Luckau, Magdeburg, Neustrelitz, Plauen, Rostock, Sudenburg, Torgau, Untermaßfeld, Waldheim, Zwickau und den dazugehörenden Außenlagern.
Zur Vervollständigung des Bildes muß aber noch hinzugefügt werden: Seit dem 8. Mai 1945 sind insgesamt über 70 000 in sowjetzonalen Lagern und Haftanstalten Verstorbene ermittelt worden,
darunter über 1000 Jugendliche unter 18 Jahren.
Weiter ergeben die Namensunterlagen rund 23 500 Vermißte und rund 24 000 Verschollene. Bei
den Vermißten handelt es sich um Verhaftete, bei denen seit der Verhaftung jeder Hinweis auf ihren weiteren Verbleib fehlt.
Die Verschollenen sind solche Inhaftierte, die sich nach der Festnahme in der Zeit bis zum 31. Dezember 1949 noch einmal aus einer Haftanstalt meldeten oder als in einer Haftanstalt befindlich von Gewährsleuten bekundet worden sind.
Zur Frage 4:
Unter welchen Bedingungen leben diese Gefangenen? Seit wann dürfen ihnen keine Pakete mehr geschickt werden?
Die politischen Gefangenen leben oft sogar noch unter schlechteren Bedingungen als kriminelle.
Als Verpflegung gibt es morgens allgemein Wassersuppe aus Graupen. Haferflocken oder Gerstenmehl. Mittags wird Eintopf aus Trockengemüse und durchweg minderwertigen Kartoffeln ausgegeben. Fleisch gibt es nur selten. Die Abendverpflegung besteht aus Brot, 30 g Zucker, 30 g Marmelade, 30 g Margarine. Arbeitende Gefangene erhalten jeden zweiten Tag eine Scheibe Wurst. Es mangelt an Eiweiß, Fett und Vitaminen. Entlassene Häftlinge erklären, daß die Verpflegung im allgemeinen mengenmäßig ausreichend, jedoch qualitativ völlig unzulänglich ist. Sie weisen immer wieder darauf hin, daß Pakete mit konzentrierten Lebensmitteln für die Gefangenen das Rückgrat der Erhaltung ihres Gesundheitszustandes und überhaupt ihres Lebens bildeten.
Seit dem 1. November 1955 dürfen die politischen Häftlinge keine Pakete mehr empfangen. Nur in einzelnen Fällen werden heute noch Pakete ausgehändigt, so z. B. bei der Haftkrankenanstalt KleinMeusdorf. Die Gefangenen dürfen statt der Pakete Geldbeträge erhalten, deren Höhe unterschiedlich ist, je nachdem, ob der Inhaftierte arbeitet oder nicht. Die zugelassenen Summen differieren zwischen 10 und 30 DM Ost im Monat. Mit diesen Beträgen können in den HO-Stellen der Haftanstalten etwas Lebensmittel wie Marmelade, Kunsthonig oder Margarine gekauft werden, daneben in beschränktem Umfang Zigaretten, die gemeinsam unter Aufsicht — die Gefangenen sind dabei meist stehend angetreten — geraucht werden dürfen. Aber diese Geldunterstützung stellt keinen angemessen Ersatz für das ausgefallene 6-Pfund-Paket dar. Als Ersatz für die Pakete müßte jeder Gefangene entsprechend den HO-Preisen mindestens 80 bis 100 DM Ost im Monat erhalten. Aber diese Summe kann die Großzahl der Angehörigen der Zone kaum aufbringen. Den in der Bundesrepublik wohnenden Angehörigen verweigern die zuständigen sowjetzonalen Behörden die Überweisung. Es besteht ernste Gefahr, daß sich der Gesundheitszustand aller politischen Gefangenen durch den Ausfall der Pakete wesentlich verschlechtert.
Die Krankenversorgung wird fast ausschließlich durch Ärzte wahrgenommen, die selbst inhaftiert sind. Die Versorgung mit Medikamenten hat sich in den letzten Jahren etwas gebessert. Dabei ist der Gesundheitszustand der entlassenen Häftlinge insgesamt schlechter als jener der Heimkehrer aus der Sowjetunion.
Das Deutsche Rote Kreuz in der Bundesrepublik hat sich bei dem sowjetzonalen Roten Kreuz für eine angemessene Regelung der Unterstützung der Gefangenen durch Pakete oder durch Zusendung von Geldmitteln eingesetzt. Die Angehörigen warten seit Monaten darauf, daß eine solche Regelung in Kraft gesetzt wird bzw. daß die Paketsperre und die Geldsperre wieder aufgehoben werden, solange man die Menschen noch gefangenhält.
Der weitaus größte Teil der Gefangenen befindet sich im Arbeitseinsatz in Zweigstellen volkseigener Betriebe innerhalb der Haftanstalten.
Jeder Häftling kann monatlich einen Brief von zwanzig Zeilen an einen Empfänger richten, von dem er im gleichen Zeitraum wiederum nur einen Antwortbrief von zwanzig Zeilen erhalten darf. Die in der Zone lebenden Angehörigen können den Häftling einmal im Vierteljahr für 30 Minuten in Gegenwart von Haftpersonal besuchen. Sprecherlaubnis für in der Bundesrepublik oder in West-Berlin lebende Angehörige erteilen die Ostberliner Zentralbehörden in Ausnahmefällen. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß sich in letzter Zeit, was die Sprecherlaubnis angeht, gewisse Erleichterungen ergeben haben.
Zu Frage 5:
Auf Grund welcher Bestimmungen sind diese Gefangenen verurteilt worden?
Der überwiegende Teil der von Gerichten der Zone verurteilten politischen Gefangenen ist auf Grund der Kontrollratsdirektive 38 wegen angeblicher Erfindung und Verbreitung friedensgefährdender, tendenziöser Gerüchte und seit Inkrafttreten der sowjetzonalen Verfassung zugleich auf Grund des vorhin schon erwähnten Art. 6 dieser Verfassung — Boykotthetze, Kriegshetze, Agententätigkeit, Verächtlichmachung staatlicher Einrichtungen und Organisationen und ähnliches — verurteilt worden.
Im übrigen sind zur Anwendung gelangt das Gesetz zum Schutz des Friedens vom 15. Dezember 1950, das Gesetz zum Schutz des Volkseigentums und anderen gesellschaftlichen Eigentums vom 2. Oktober 1952 und der Befehl 160 der SMAD. Auch der größte Teil der Verurteilungen wegen sogenannten Wirtschaftsverbrechens muß als Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze angesehen werden. Hier sind besonders zu nennen die Wirtschaftsstrafverordnung vom 28. September 1948, das Gesetz zum Schutz des innerdeutschen Handels vom 21. April 1950, das Gesetz zur Regelung des innerdeutschen Zahlungsverkehrs vom 15. Dezember 1950 und die Anordnung über die Ein- und Ausfuhr von Zahlungsmitteln der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und ausländischen Zahlungsmitteln aus und nach den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und dem Ausland vom 30. März 1949.
Die zur Strafverbüßung in der Zone befindlichen SMT-Häftlinge sind überwiegend abgeurteilt nach Art. 58 Ziffer 6 — Spionage —, Ziffer 10 — antisowjetische Propaganda — und Ziffer 11 — illegale Gruppenbildung — des Strafgesetzbuchs der UdSSR.
Die geringe Zahl der wegen angeblicher Straftaten, die im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen stehen, jetzt noch festgehaltenen SMT-Häftlinge verbüßt fast ausschließlich Strafen nach Art. 58 Ziffer 2 des Strafgesetzbuchs der UdSSR
und nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 — Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit —.
Die Waldheim-Verurteilten wurden auf Grund des SMAD-Befehls 201, der Kontrollratsdirektive 38 und teilweise auf Grund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 verurteilt.
Nun zu Frage 6:
Wie groß ist jetzt noch die Zahl der Gefangenen, die der Sowjetzonenverwaltung durch die sowjetischen Besatzungsbehörden zur Verurteilung bzw. zum Strafvollzug der durch Militärtribunale verhängten Strafen übergeben wurden?
Nach der Entlassung von weiteren 500 WaldheimHäftlingen im Dezember 1955 betrug die Zahl der Zurückgehaltenen dieser Gruppe noch etwa 150. Im April 1956 wurden 698 Häftlinge entlassen, die zum Teil durch sowjetische Militärtribunale verurteilt, zum Teil aber Waldheim-Häftlinge waren. Die Ermittlungen, wieviel Häftlinge zu dem einen oder zu dem anderen Teil gehören, sind noch nicht abgeschlossen. Es ist möglich, daß die im Dezember 1955 noch zurückgehaltenen restlichen 150 Waldheim-Häftlinge sich unter den im April 1956 entlassenen 698 Häftlingen befinden.
Die Zahl der Häftlinge, die von sowjetischen Militärtribunalen verhängte Strafen verbüßen, beträgt daher gegenwärtig noch ungefähr 1200.
Zu Frage 7:
Befinden sich noch Verurteilte des 17. Juni 1953 in den Strafanstalten der sowjetisch besetzten Zone?
Von den der Bundesregierung bekanntgewordenen etwa 800 zu Freiheitsstrafen Verurteilten des 17. Juni 1953 befinden sich noch etwa 600 in Haft.
Die etwa 200 Entlassenen haben einzeln — meist mit bedingter Strafaussetzung — ihre Freiheit wiedererlangt. Es ist selbstverständlich, daß das deutsche Volk, daß die Weltöffentlichkeit die Entwicklung in der Zone nicht zuletzt auch am Schicksal dieser Männer und Frauen beurteilen und messen.
Zu Frage 8:
Liegen der Bundesregierung Unterlagen dafür vor, daß die angekündigten neuen Methoden auf dem Gebiete des Arbeitsrechts zu tatsächlichen Veränderungen geführt haben?
Meine Damen und Herren, der Bundesregierung liegen noch keine Unterlagen dafür vor, daß auf dem Gebiet des Arbeitsrechts in letzter Zeit Veränderungen eingetreten sind. Zwar ist seit längerer Zeit ein neuen Arbeitsgesetz angekündigt worden. Dieses soll jedoch im wesentlichen nur eine Zusammenfassung der jetzt geltenden Bestimmungen bringen. Bemerkungen einzelner Funktionäre, z. B. daß Bezahlung von Ausschußware nicht mehr den gesellschaftlichen Erfordernissen entspricht, lassen erkennen, daß wahrscheinlich weitere Bestimmungen zuungunsten der Arbeiterschaft geändert werden dürften. Auch wurde auf der Dritten Parteikonferenz wie auch in der Presse besonders auf die Bedeutung der Arbeitsdisziplin hingewiesen. Da der Steigerung der Produktion durch Automatisierung und Rationalisierung insbesondere auch infolge Materialschwierigkeiten gewisse Grenzen gesetzt sind, zeichnet sich in solchen Hinweisen die Tendenz eines weiteren verschärften Druckes auf den Arbeiter ab.
Zu Frage 9:
Trifft es zu, daß seit Anfang dieses Jahres durch die Bildung von „Produktionsgenossenschaften" der Druck auf das Handwerk verschärft worden ist?
Durch die Bildung von Produktionsgenossenschaften ist nicht erst seit Anfang dieses Jahres, sondern bereits nach Erlaß der „Verordnung über Produktionsgenossenschaften des Handwerks" vom 18. August 1955 ein verschärfter Druck auf den selbständigen Handwerker ausgeübt worden. Als Mittel hierzu dienen:
1. Die Zwangseintreibung von Steuerrückständen. Durch sogenannte „Tiefenprüfungen" des Finanzamtes werden bei den selbständigen Handwerkern angebliche Steuerrückstände errechnet, deren sofortige Streichung für den Fall zugesagt wird, daß der Handwerker seine Selbständigkeit aufgibt und einer Produktionsgenossenschaft beitritt.
2. Die Materialkontingentierung. Die Produktionsgenossenschaften werden bevorzugt mit Material beliefert. Nur sie erhalten öffentliche Aufträge.
Auch diese Bestimmungen schränken die Selbständigkeit der Handwerker ständig weiter ein.
Zu Frage 10:
Wieviel Prozesse wegen sogenannter Abwerbung haben in den letzten Monaten in der Sowjetzone stattgefunden? Dauern solche Verfahren noch an?
Nach zuverlässigen Unterlagen sind von Juli 1955 bis Ende April 1956 55 Sowjetzonenbewohner in 40 Strafverfahren wegen sogenannter Abwerbung zu insgesamt 265 Jahren Zuchthaus verurteilt worden,
also durchschnittlich zu je fast fünf Jahren. Zwei Todesurteile wurden nach dem Protest der gesamten freien Welt und insbesondere unseres Volkes in lebenslängliche Zuchthausstrafen umgewandelt. Außerdem wurde noch ein weiterer Häftling zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt.
Aus Urteilsbegründungen ergibt sich, daß Artikel 6 der sowjetzonalen Verfassung nunmehr auch dazu benutzt wird, Menschen zu bestrafen, die einem Dritten lediglich mitteilen, daß die Arbeitsbedingungen in der Bundesrepublik in irgendeinem Gewerbe günstiger sind. Das gilt dann als „Abwerbung", als „Hetze gegen demokratische Einrichtungen", als „Boykotthetze".
Als eine der Hauptaufgaben wurde noch im Mai dieses Jahres die „Unschädlichmachung jener volksfeindlichen Elemente gefordert, die versuchen, Arbeitskräfte abzuwerben".
Es ist also nicht damit zu rechnen, daß die Strafverfolgung wegen sogenannter Abwerbung eingestellt wird. Wir stehen hier vor einem neuen und besonders krassen Verstoß gegen jedes rechtsstaatliche Denken. Der Gebrauch des natürlichen Rechtes auf Freizügigkeit und Wahl des Arbeitsplatzes im eigenen Land wird als Verbrechen geahndet.
Zu Frage 11:
Was ist in den letzten Monaten
a) seitens der Bundesrepublik,
b) seitens der Verwaltung der Sowjetzone geschehen, um den Verkehr der Menschen zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu erleichtern?
Seit Abschaffung des Interzonenpasses werden von den Behörden der Bundesrepublik keinerlei Reiseausweise für das Überschreiten der Sowjetzonengrenze verlangt, es genügt vielmehr, daß sich der Reisende durch einen Personalausweis als Deutscher ausweisen kann.
Im Eisenbahnverkehr hat sich die Deutsche Bundesbahn bemüht, zu Ostern dieses Jahres Entlastungszüge im Interzonenverkehr — die bereits in den Winterfahrplan 1955/56 aufgenommen waren — zu fahren. Diese Bemühungen führten nach langen Verhandlungen jedoch nur teilweise zum Erfolg. Infolgedessen konnte ein Teil der Züge im Bundesgebiet nur bis zur Sowjetzonengrenze verkehren. Für den Pfingstverkehr erreichte es die Bundesbahn, daß die notwendigen Entlastungszüge gefahren wurden.
Ob die neuerdings von der sowjetzonalen Reichsbahn gezeigte Bereitschaft, von Fall zu Fall Sonderzüge aus besonderen Anlässen einzulegen, anhalten wird, bleibt abzuwarten.
Auf die erneuten Vorschläge der Bundesbahn, zwischen Berlin und dem Bundesgebiet Schnelltriebwagenverbindungen einzurichten, ist die sowjetzonale Reichsbahn bisher leider nicht eingegangen. Auch konnte bisher trotz aller Bemühungen um eine Verkürzung der Reisezeiten nicht erreicht werden, daß die Kontrolle der Reisenden und ihres Gepäcks von den sowjetzonalen Grenzstellen während der Fahrt vorgenommen wird, wie es auf westdeutscher Seite geschieht. Infolgedessen entsteht ein zusätzlicher Stillstand der Züge von durchschnittlich einer Stunde.
Die Deutsche Bundesbahn läßt auf den Übergangsbahnhöfen Arbeiten durchführen, die der besseren Abwicklung des Interzonenverkehrs dienen sollen. In der Hauptsache handelt es sich um Befestigung, Verlängerung und Überdachung der Bahnsteige sowie Einrichtung oder Ausbau von Wartehallen.
Schließlich hat die Bundesregierung den Reiseverkehr dadurch weiter gefördert, daß einem großen Teil der Besucher aus der Zone auf Kosten des Bundes freie Rückfahrt gewährt wird.
Zu Frage 12:
Trifft es zu, daß die Behörden der sowjetisch besetzten Zone die Genehmigung zu Besuchen von Verwandten in der Bundesrepublik weiter eingeschränkt haben?
Übereinstimmende Berichte aus verschiedenen Bezirken der Zone lassen erkennen, daß die behördlichen Anweisungen für die Erteilung der Erlaubnis zur Ausreise in das Bundesgebiet sowohl schriftlich wie auch in Dienstbesprechungen erheblich eingeengt worden sind. Nach wie vor müssen Sowjetzonenbewohner, die in das Bundesgebiet reisen wollen. ihren Personalausweis gegen eine Personalbescheinigung eintauschen. Ohne Zustimmung des Bürgermeisters, der vorher den Hausvertrauensmann zu hören hat, darf dem Antrag nicht entsprochen werden. Die Entscheidung trifft die Kreispolizeibehörde, d. h. praktisch der Staatssicherheitsdienst.
Im allgemeinen gilt die Personalbescheinigung für vier bis sechs Wochen. In letzter Zeit müssen die Antragsteller meistens ausdrücklich versichern, daß sie Verwandte in der Bundesrepublik besuchen wollen. Dabei müssen Alter und frühere Wohnsitze der zu Besuchenden angegeben werden. Anträge zum Besuch von Freunden oder Bekannten werden in den meisten Fällen abgelehnt. In manchen Fällen wird auch eine polizeilich beglaubigte Bescheinigung über den Wohnsitz des westdeutschen Gastgebers verlangt. Im übrigen scheinen den Verwaltungsbezirken Höchstzahlen für Ausreisegenehmigungen vorgeschrieben zu sein. An manchen Orten, in manchen Bezirken und Kreisen werden nur 10 bis 15 % der Ausreiseanträge genehmigt. Eine Begründung für die Ablehnung wird in den meisten Fällen nicht gegeben.
Häufig wird dem Antragsteller anheimgegeben, den Antrag später zu wiederholen. Oft wird auch Überlastung der Verkehrsmittel vorgeschützt.
Folgende Personengruppen sind besonderen Erschwerungen ausgesetzt:
Eltern, deren Söhne oder Töchter seit 1953 in das Bundesgebiet geflohen sind; ihre Anträge werden mit der Begründung abgelehnt, die Familie könne am besten durch Rückkehr der „Republikflüchtlinge" wiedervereinigt werden;
Antragsteller, von denen nahe Verwandte seit 1953 in das Bundesgebiet übergesiedelt sind;
Eheleute, wenn sie die Reise gemeinsam unternehmen wollen;
männliche Personen zwischen 18 und 30 Jahren, in Einzelfällen bis zu 35 Jahren;
Angehörige von Spezialberufen; vielfach bedarf es bei ihnen sogar einer Sondergenehmigung durch ein sowjetzonales Ministerium;
Studenten, denen mitunter entgegengehalten wird, die Ferien seien nicht für Besuche, sondern zum Lernen bestimmt;
Jugendliche unter 18 Jahren, denen neuerdings häufiger die Ausreisegenehmigung versagt wird, wenn sie die Reise nicht in Begleitung von Erziehungsberechtigten unternehmen;
Angehörige der öffentlichen Verwaltung oder der Verwaltungen volkseigener Betriebe, insbesondere Techniker. In diesen Fällen muß der Verwaltungsleiter bescheinigen, daß der Antragsteller ein gesinnungstreuer Bürger der DDR ist und wieder in die Zone zurückkehren wird. Da der Dienststellenleiter befürchten muß, daß ihm für den Fall, daß der Antragsteller nicht von der Reise zurückkehrt, Unannehmlichkeiten entstehen werden, wird er die Zustimmung nur selten geben.
Was die Bewohner der Bundesrepublik angeht, so wird für sie zur Einreise in die Zone nach wie vor eine besondere Aufenthaltsgenehmigung gefordert. Sie muß von dem Sowjetzonenbewohner, der besucht werden soll, beim Bürgermeister bean-
tragt werden. Immer stärker zeigt sich dabei die Tendenz, diesen Reiseverkehr einzuschränken. Einreisegenehmigungen sollen vorzugsweise Mitgliedern von sogenannten Delegationen, nicht aber Einzelreisenden erteilt werden. Es handelt sich natürlich dabei um das Bestreben, den Reiseverkehr in der Zone politisch zu kanalisieren.
Zu Frage 13.
Welche Schritte empfiehlt die Bundesregierung, um die innerdeutschen Beziehungen zu fördern?
Die Bundesregierung bezieht sich bei Beantwortung dieser Frage auf den einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 26. Mai 1955 und den dazu von mir erstatteten Bericht vom 12. November 1955, Drucksache 1856. Sie ist bestrebt, über die vorhandenen Kontaktstellen die Probleme technischer Art, die durch die Errichtung der Zonengrenze entstanden sind, zu regeln. Von den zahlreichen Vorschlägen zur Förderung der innerdeutschen Beziehungen seien hier die wichtigsten aufgeführt.
1. Abschaffung aller Sonderausweise, die die Sowjetzonenverwaltung im Personenverkehr noch verlangt,
d. h. der Personalbescheinigungen, der Aufenthaltsgenehmigungen und der Passierscheine für Westberliner.
2. Wiedereröffnung sämtlicher Grenzübergänge, die seit der Errichtung der Zonengrenze im Jahre 1945 gesperrt sind.
» Es muß daran erinnert werden, daß damals 42 Eisenbahnstrecken und 157 Landstraßen, darunter 4 Autobahnen und 34 Reichs- bzw. Bundesstraßen, unterbrochen wurden, dazu Tausende von Gemeindewegen.
3. Aufhebung der Sperrzone. Der sowjetzonale Ministerrat hat am 3. Mai 1956 eine Verordnung erlassen, die angeblich der Erleichterung der Verhältnisse im Zonengrenzgebiet dienen soll. Danach bleiben aber der 10-m-Kontrollstreifen, der 500-m-Schutzstreifen und die 5-km-Sperrzone bestehen. Alle Bewohner der Sperrzone müssen sich nach wie vor besonders registrieren lassen. Sie müssen im Besitz besonderer Ausweise sein. Die scharfen Bestimmungen für die Einreise in die Sperrzone und den Schutzstreifen, wofür ein besonderer Passierschein notwendig ist, behalten weiterhin Gültigkeit.
Auch ist wie bisher jedermann verpflichtet, Personen, die sich widerrechtlich in der Sperrzone aufhalten, sofort den zuständigen Grenzpolizeistellen zu melden. Eine Erleichterung des Verkehrs im Zonengrenzgebiet bringt die neue Verordnung somit nicht.
Den großen Schäden, die im Zonengrenzgebiet, insbesondere auch an der Grenze zwischen Westberlin und der Zone durch die völlige Unterbindung des sogenannten kleinen Grenzverkehrs seit 1952 laufend entstehen, könnten die Behörden der Zone dadurch vorbeugen, daß sie den Grundstücksbesitzern den freien Zutritt zu ihrem Grund und Boden und allen Arbeitnehmern die Erreichung ihrer Arbeitsstätte wieder gestatteten.
Als weitere Vorschläge sind zu nennen:
4. Erleichterung und Beschleunigung der unbedingt notwendigen Kontrollen durch die sowjetzonalen Grenzorgane sowie Angleichung dieser Kontrollen an das von den Behörden der Bundesrepublik angewandte Verfahren.
5. Erweiterung des Interzonenhandels.
6. Wiederherstellung und Verbesserung der Verkehrswege, Wiederaufbau von Eisenbahnstrecken und endlich Wiedereinbau der zweiten Gleise auf den Hauptstrecken; Förderung des Straßenverkehrs durch Wiederherstellung der noch zerstörten Brükken im Zuge wichtiger Durchgangsstraßen; gemeinsame Planung des Straßenbaues, um ein einheitliches deutsches Verkehrsnetz wieder zu erzielen; Zulassung neuer Kraftfahrlinien; Befreiung des Verkehrs mit Personenwagen von besonderen Erlaubnissen oder von besonderen Eintragungen in Reisepapiere usw.
7. Verhandlungen zwischen den Eisenbahnverwaltungen über die Vermehrung der Zahl der Reise- und der Güterzüge.
8. Technische Verbesserungen im Fernsprech-, Fernschreib- und Telegrammverkehr, Abschaffung der Zensur im Postverkehr.
9. Beseitigung der sowjetzonalen Bestimmungen über die Einschränkung des Paket- und Päckchenverkehrs, um den Versand von Liebesgaben und damit die Beziehungen von Mensch zu Mensch zu fördern.
Viele dieser Vorschläge könnten durch einseitigen Verwaltungsakt der sowjetzonalen Dienststellen verwirklicht werden.
Soweit Verhandlungen erforderlich sein sollten, wären sie von den beiderseitigen fachlich oder örtlich zuständigen Dienststellen zu führen.
Zu Frage 14:
Welche Schritte könnten insbesondere erfolgen, um den geistigen und kulturellen Zusammenhalt zwischen den beiden Teilen Deutschlands zu pflegen?
Meine Damen und Herren, die Wahrung des geistigen und kulturellen Zusammenhaltes ist Anliegen und Aufgabe aller Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze.
Bund und Länder sind in dem Umfang, der ihnen durch Grundgesetz und Landesverfassungen zugewiesen ist, zu ihrem Teil stets darum bemüht gewesen, die geistige und kulturelle Verbundenheit zwischen den getrennten Teilen Deutschlands trotz aller Hindernisse zu erhalten. Bund und Länder handeln dabei gemäß den Richtlinien, wie sie in der Entschließung der Kultusministerkonferenz vom 4. März 1955 in Berlin zum Ausdruck kamen. Es heißt darin:
Die Kultusminister der Länder der Bundesrepublik ... bekunden den Willen, alle Möglichkeiten kultureller Verbindung mit der Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone fruchtbar zu machen. Dagegen sind sie nicht bereit, mit solchen Stellen in Verbindung zu treten, die die Kultur in den Dienst ihrer politischen Absichten zwingen.
In diesem Geiste sollen insbesondere die Beteiligung an wissenschaftlichen Kongressen, die Übernahme von Gastvorlesungen, die Beschickung von Kunstausstellungen, die Veranstaltung von Gastspielen und Studienreisen behandelt werden.
Auch soll den Besuchern aus der sowjetischen Besatzungszone — sofern sie nicht politische Sendlinge sind — Gelegenheit geboten werden, am kulturellen Leben Westdeutschlands in voller Freiheit teilzunehmen.
Gegen die dirigierten Aktionen des Ostens ist jeder einzelne Deutsche aufgerufen, in persönlicher Verantwortung seine Entscheidung so zu treffen, daß jede bewußte oder fahrlässige Unterstützung des Regimes in der sowjetischen Besatzungszone vermieden und die Schärfe der Auseinandersetzungen zwischen Kultur und Unfreiheit nicht verwischt wird.
Die Kultusministerkonferenz erkennt an, daß bei Anwendung dieser Grundsätze Berlin in seinem Kampf um Selbstbehauptung durch solidarisches Handeln zu unterstützen ist.
Im Sinne dieser Entschließung haben Bund und Länder stets an der Festigung der geistigen und kulturellen Bande gearbeitet. Auf gemeinsamen Kongressen, Tagungen und sonstigen gemeinsamen Veranstaltungen haben sich die Bewohner der Bundesrepublik mit der Bevölkerung der Zone immer wieder zu den Grundlagen der deutschen Kultur bekannt.
Die menschliche Begegnung auf Kongressen, Tagungen, Festspielen und sonstigen Veranstaltungen wird auch weiterhin gepflegt und unterstützt werden.
Leider — leider, meine Damen und Herren! — unterliegt jedoch der Kontakt zu den Bewohnern der Zone in vielfacher Hinsicht willkürlichen Beschränkungen. Das gilt insbesondere auch für den Besuch von Wissenschaftlern und Künstlern in der Zone. Wissenschaftler und Künstler unterliegen ja den gleichen Beschränkungen wie alle übrigen Reisenden.
Insbesondere wird auch Journalisten in fast allen Fällen die Einreise in die Zone verweigert. In der Bundesrepublik herrscht keinerlei Beschränkung, auch nicht für Journalisten aus der Zone. Die Bundesregierung setzt sich für freie, ungehinderte Berichterstattung in ganz Deutschland ein.
Nichts wäre natürlicher als der freie Austausch von Zeitungen und Zeitschriften in ganz Deutschland. Wesentliche Voraussetzung dafür ist aber die Abschaffung des einseitigen Monopols der Postzeitungsliste in der Zone. Der freie Vertrieb und der freie Bezug aller Druckerzeugnisse muß für die Bevölkerung der Zone gewährleistet sein. Es ist selbstverständlich, daß die Bundesrepublik dem freien Austausch von Zeitungen und Zeitschriften keine Hindernisse in den Weg legen wird, wenn die Gegenseitigkeit gewährleistet und die Pressefreiheit wiederhergestellt wird.
Selbst der Bezug wissenschaftlicher Zeitungen und Zeitschriften unterliegt in der Zone heute noch einschränkenden Kontrollen.
Wissenschaftliche Zeitungen und Zeitschriften aus der Zone können demgegenüber in der Bundesrepublik ungehindert bezogen werden.
Der freie Bezug von Büchern ist im Rahmen des Interzonenhandels geregelt. Darüber hinaus sollte jedermann, der in der Bundesrepublik nur immer in der Lage dazu ist, seinen Verwandten, seinen Freunden und Bekannten ab und zu ein gutes Buch schicken. Dabei ist allerdings von politischer Literatur abzusehen.
Was den Rundfunk angeht, so wird in der Bundesrepublik der Empfang keines Senders der Zone gestört. Dagegen wächst die Zahl der großen und kleinen Störsender in Mitteldeutschland ständig.
Die Bundesregierung fordert im Interesse des freien geistigen Austausches die Beseitigung aller Behinderungen des freien Rundfunkempfangs.
Es ist von besonderer Bedeutung, daß vor allem für unsere Jugend die geistige und kulturelle Einheit Deutschlands erlebte Wirklichkeit bleibt. Deshalb begrüßt und fördert die Bundesregierung alle Bestrebungen, die der Jugend die Möglichkeit geben, sich gegenseitig kennenzulernen und Land und Leute diesseits und jenseits der Zonengrenze zu erleben.
Das gleiche gilt für die sportlichen Begegnungen, die dem gleichen Ziele dienen.
Das starke Echo, das alle kulturellen Bemühungen aus dem freien Teil Deutschlands bei der Bevölkerung der Zone finden, ermutigt zu weiteren Schritten, an denen sich alle kulturellen Einrichtungen des Bundes und der Länder, alle Universitäten, Rundfunkanstalten, geistes- und naturwissenschaftlichen Institute, Vereinigungen und Gesellschaften, unsere Theater und Orchester nach Möglichkeit beteiligen sollten.
Nun zu Frage 15:
Welche Vereinbarungen der Vier Kontrollmächte, die nach allen bekannten Verträgen die Verantwortung für ganz Deutschland behalten haben, untereinander oder mit deren Einverständnis zwischen deutschen Verwaltungsstellen wären geeignet, die innerdeutschen Verbindungen und damit die Wiedervereinigung Deutschlands zu erleichtern?
Vereinbarungen der Vier Mächte, die die innerdeutschen Verbindungen erleichtern sollen und die damit auch der Wiedervereinigung förderlich sein können, sind insbesondere bei Beendigung der Blockade von Berlin im Jahre 1949 zustande gekommen. Damals haben sich die Vier Mächte untereinander verpflichtet, im innerdeutschen Güterund Personenverkehr ein normales Funktionieren aller Verbindungswege für die deutsche Bevölkerung zu gewährleisten. Die Regierung der UdSSR hat zwar im vorigen Jahr die sogenannte Deutsche Demokratische Republik mit der Bewachung und Kontrolle der Verbindungswege zwischen der Bundesrepublik und Berlin beauftragt; ihre Verpflichtungen aus dem erwähnten Abkommen sind aber dadurch nicht berührt worden. Die Westmächte haben in verschiedenen Noten an die Sowjetunion darauf hingewiesen, daß diese auch weiterhin an die Verpflichtungen gebunden bleibt, die sie gegenüber den drei Westmächten in bezug auf Deutschland eingegangen ist. Dem hat die Sowjetunion nicht widersprochen.
Wenn Schwierigkeiten hinsichtlich der Durchführung des erwähnten Viermächteabkommens von
1949 aufgetreten sind, so ist dafür das Regime der Sowjetzone verantwortlich. Sie haben die zu einem reibungslosen Verkehr erforderlichen und weitgehend bestehenden Kontakte ihres technischen Charakters zu entkleiden versucht und sind bemüht, sie zu politisieren und sie von der Ebene unterer oder mittlerer Verwaltungsorgane auf Regierungsebene zu übertragen. Sie wollen die Bundesregierung zwingen, Schritte zu unternehmen, die sie dann als Anerkennung der Sowjetzonenregierung auslegen würden.
In den Vereinbarungen von 1949 ist vorgesehen, daß die Vier Mächte deutsche Sachverständige heranziehen können. Besprechungen zwischen Sachverständigen, d. h. Kontakte auf technischem Gebiet sind seit langem vorhanden. Die Bundesregierung ist an ihnen interessiert und wird sich dafür einsetzen, daß sie weitergeführt und intensiviert werden, soweit sie im Interesse der deutschen Bevölkerung diesseits und jenseits der Zonengrenze liegen. Die Bundesregierung muß aber nach wie vor Kontakte auf Regierungsebene ablehnen, weil sie in dem Regime der Sowjetzone keinen legitimen Vertreter der dortigen deutschen Bevölkerung erblicken kann.
Zu dem III. Abschnitt der Großen Anfrage erklärt die Bundesregierung nach eingehender Fühlungnahme und Beratung mit dem Senat des Landes Berlin das folgende:
Zu Frage 16:
Wie beurteilt die Bundesregierung die erwähnten Erklärungen, und welche Möglichkeiten
sieht sie für eine Erleichterung des Verkehrs
von und nach Berlin?
Die Bundesregierung vermag in den Erklärungen von sowjetzonalen Spitzenfunktionären keine Anzeichen wirklicher Entspannung in Berlin zu sehen, da ihnen bisher auf keinem Gebiet praktische Maßnahmen zur Normalisierung gefolgt sind.
Insbesondere kann von Erleichterungen im Personenverkehr zwischen Westberlin und der Sowjetzone nicht gesprochen werden. Westberliner dürfen nach wie vor das Gebiet der Sowjetzone nur betreten, wenn sie im Besitz eines Passierscheines sind, der persönlich bei einer der vier Ausgabestellen im Sowjetsektor beantragt werden muß. Passierscheine werden nur selten, praktisch nur bei Todesfällen und wichtigen, hauptsächlich familiären Anlässen erteilt. Selbst in solchen Fällen werden sie noch häufig verweigert.
Westberlin verlangt dagegen für den Personenverkehr in die Zone und in umgekehrter Richtung keinerlei Genehmigung; es findet auch keine Kontrolle der Personalpapiere an der Grenze statt. Lediglich für den Waren- und Geldverkehr bestehen allgemeingültige Vorschriften.
Bewohner der Zone bedürfen für eine Reise nach Berlin in der Regel keiner besonderen sowjetzonalen Genehmigung. Da innerhalb Berlins an der Sektorengrenze der Personenverkehr weder von der Ostberliner noch von der Westberliner Verwaltung kontrolliert wird, können Bewohner der Zone im allgemeinen auch Westberlin ungehindert besuchen. Lediglich für die Einreise mit Kraftwagen ist ein besonderer Ausweis erforderlich.
Stark behindert wird dieser Verkehr jedoch durch die regelmäßige, oft willkürlich gehandhabte Personen- und Gepäckkontrolle an der Zonengrenze und in den Verkehrsmitteln auf der Fahrt nach Berlin. Wer dabei auf die Frage nach den Reisegründen, der Art seines Gepäcks, den mitgeführten DM-Ost-Beträgen usw. keine befriedigende Erklärung abgeben kann, wird an der Weiterreise gehindert. Die letzte, plötzlich im ganzen Gebiet der Zone durchgeführte Behinderung des Reiseverkehrs nach Berlin war zur Zeit der „Grünen Woche" Anfang Februar 1956 zu verzeichnen. Auch auf der S-Bahn durften damals die Bewohner der Randgebiete um Berlin nur dann nach Westberlin weiterfahren, wenn sie berufliche Gründe nachzuweisen vermochten. Andere Reisende dagegen wurden aus den Zügen herausgeholt oder schon an den Fahrkartenschaltern abgewiesen. Nach Beendigung der „Grünen Woche" fielen diese Beschränkungen ebenso plötzlich wieder fort.
Die Bundesregierung hält es in Übereinstimmung mit dem Senat des Landes Berlin für durchaus möglich, daß die Verwaltungen in Ostberlin und der Zone durch Verwaltungsanordnungen erheblich zur Erleichterung des Verkehrs zwischen den beiden Stadtteilen und zwischen Westberlin und der Zone beitragen können. Vor allem könnte die Aufhebung des Passierscheinzwangs für Westberliner und die ausschließliche Beschränkung der Kontrollen auf den Waren- und Zahlungsmittelverkehr auf Grund klarer, allgemeingültiger und öffentlich bekanntgemachter Vorschriften den Verkehr wesentlich erleichtern. Es bleibt zu hoffen, daß diese Möglichkeiten bald genutzt werden.
Zu Frage 17:
Welche technischen Kontakte zwischen den beiden Teilen Berlins bestehen noch und welche — z. B. Straßenbahn, Telefon — könnten nach Kenntnis der Bundesregierung unverzüglich wiederhergestellt werden, wenn es die östliche Verwaltung zuließe?
Die zwischen den beiden Teilen Berlins bestehenden technischen Kontakte sind leider nicht zahlreich. Es handelt sich dabei in der Hauptsache um den durchgehenden Verkehr der Untergrundbahn, die trotz getrennter Verwaltungen technisch einheitlich betrieben wird, der S-Bahn, die in ganz Berlin unter sowjetischer Verwaltung steht, um sehr geringfügige technische Kontakte bezüglich der Entwässerungsanlagen und der Wasserversorgung, um den Post- und Paketaustausch und den Telegrammverkehr sowie um einen beschränkten Amtshilfeverkehr auf polizeilichem Gebiet und in der Rechtspflege.
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß sich bei gutem Willen der Ostberliner Stadtverwaltung diese Kontakte wesentlich erweitern ließen. Als besonders dringlich seien hier kurz folgende Möglichkeiten genannt: Wiederherstellung eines einheitlichen Fernsprechverkehrs, die Einrichtung durchgehender Straßenbahnlinien — wie sie bis Ende 1952 bestanden haben — sowie der notwendigen Omnibuslinien, ungehinderter Verkehr auf den Berliner Wasserstraßen, freie Wahl des Arbeitsplatzes für Ostberliner in Westberlin und umgekehrt, ferner ungehinderte Möglichkeit für Ostberliner, die vom Westberliner Senat die Zuzugsgenehmigung erhalten haben, ihr Umzugsgut mitzunehmen. Weiter ist zu denken an die Brandbekämpfung durch den gemeinsamen Einsatz der
Feuerwehren, an eine engere Zusammenarbeit von Gesundheits- und Veterinärverwaltungen, an das Amtsvormundschaftswesen und die Regelung von Unterhaltsansprüchen und -zahlungen. Die Aufzählung der vielen sonstigen notwendigen und möglichen Verbindungen würde hier zu weit führen.
Zu Frage 18:
Wie beurteilt die Bundesregierung die serienmäßige Verhängung von Geldstrafen gegen Bewohner des Ostsektors, die in Westberlin arbeiten oder deren Kinder Westberliner Schulen besuchen?
Die Gesamtzahl der Bewohner Ostberlins und der Zone, die in Westberlin arbeiten und bestimmungsgemäß einen Teil ihres Arbeitsentgelts bei der Westberliner Lohnausgleichskasse in D-Mark umtauschen, betrug Ende 1955 etwa 37 000 und hat bis Ende April 1956 um etwa 3000 oder um rund 8 % abgenommen. Neben anderen Gründen wird dies auf den verstärkten Druck zurückzuführen sein, dem in der letzten Zeit die in Westberlin arbeitenden Ostberliner und Sowjetzonenbewohner ausgesetzt waren. Bewohnern der Randgebiete wurde mit der Zwangsaussiedlung in abgelegene Gegenden der Zone gedroht.
Nach wie vor werden Erziehungsberechtigte in Ostberlin, die ihre Kinder Westberliner Schulen besuchen lassen, mit Geldstrafen belegt.
Die Strafverfügungen setzen Strafen zwischen 90 und 500 DM fest.
Alle diese Bestrafungen und Drohungen, die in den letzten Monaten noch zugenommen haben, stehen im Gegensatz zu den von sowjetzonalen Spitzenfunktionären abgegebenen Erklärungen, mit denen der Eindruck erweckt werden soll, als ob eine Normalisierung der Lage Berlins angestrebt würde. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß derartige Bestrafungen und Drohungen mit rechtsstaatlichen Grundsatzen nicht zu vereinbaren sind.
Zu Frage 19:
Sind noch in der letzten Zeit Fälle vorgekommen, in denen sich Angehörige Ostberliner Betriebe oder Verwaltungen schriftlich verpflichten mußten, Westberliner Boden nicht zu betreten?
In letzter Zeit werden, wie es scheint, Angehörige von Ostberliner Betrieben oder Verwaltungen nicht mehr schriftlich verpflichtet, Westberliner Boden nicht zu betreten. Nach wie vor besteht aber für Funktionäre der Parteien und Massenorganisationen, für höhere Angestellte der öffentlichen Verwaltung und der volkseigenen Betriebe, für die Bediensteten der Justiz und der Polizei sowie für die Angehörigen der sogenannten Nationalen Volksarmee das Verbot, sich nach Westberlin zu begeben. Wer zuwiderhandelt, wird wegen sogenannten undemokratischen Verhaltens mit der Entfernung aus dem Dienst bestraft.
Zu Frage 20:
Wie viele Fälle von Menschenraub aus BerlinWest sind nach Kenntnis der Bundesregierung in der letzten Zeit vorgekommen?
Der Polizeipräsident in Berlin hat für die Zeit vom 1. Januar bis 8. Mai 1956 drei Gewaltentführungen und vier Fälle versuchten Menschenraubes festgestellt.
Zu Frage 21:
Wie hoch ist die Zahl der Westberliner Siedler und Kleingärtner, denen seit Verhängung der Sperrmaßnahmen im Jahre 1952 die Nutzung ihrer Grundstücke in den Randgebieten der Sowjetzone verwehrt wird?
Die Zahl der in Berlin-West wohnenden Siedler und Kleingärtner, denen im Jahre 1952 die Nutzung ihrer Grundstücke in den Randgebieten der Stadt versagt wurde, beträgt nach Auskunft des Senats von Berlin rund 40 000. Selbst den Besitzern von Grundstücken, die unmittelbar an der Stadtgrenze liegen, wird die Bewirtschaftung ihres Grund und Bodens, ja, sogar dessen bloßer Besuch nicht gestattet.
In diesem Zusammenhang sollen aber auch die zahlreichen Westberliner nicht vergessen werden, die nur deshalb, weil sie ihre Wohnung in Westberlin hatten, von einem Tag zum anderen ihren in Ostberlin gelegenen Handwerksbetrieb, ihr Einzelhandelsgeschäft oder ihr sonstiges Unternehmen aufgeben mußten.
Zu Frage 22:
Werden die Westberliner noch immer daran gehindert, die in den Randgebieten der Stadt gelegenen Friedhöfe zu besuchen?
Der Besuch der Friedhöfe in den Berliner Randgebieten — das sind vor allem die Friedhöfe von Ahrensfelde, Glienicke, Staaken und Stahnsdorf — ist nur mit Passierschein möglich. Dieser wird aber seit längerer Zeit nur noch zu den Totengedenktagen und zu den großen kirchlichen Feiertagen, darüber hinaus nur zur Teilnahme an Beerdigungen, ausgegeben. Allerdings wurden in diesem Jahr zu Pfingsten alle Passierscheinanträge abgelehnt.
Zu Frage 23:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Mißverhältnis zwischen den Rechten und Pflichten, die die Vier Mächte für Berlin übernommen haben, und der Tatsache, daß im Ostsektor bewaffnete „Kampfgruppen" und Formationen der sowjetzonalen Streitkräfte aufmarschieren?
Die Bundesregierung beobachtet die Tatsache, daß im Ostsektor Berlins bewaffnete Kampfgruppen und Formationen der sowjetzonalen Streitkräfte aufmarschieren, mit wachsender Besorgnis. Sie hat es deshalb begrüßt, daß die Vertreter der drei Westmächte in verschiedenen Noten den für diese Fragen zuständigen Vertreter der Sowjetunion darauf hingewiesen haben, daß die demonstrativen und provokatorischen Aufmärsche von „Kampfgruppen" und militärischen Formationen im Sowjetsektor notwendigerweise zu einer Beunruhigung der Bevölkerung führen und die Spannungen in Berlin erhöhen müssen.
Die Bundesregierung hat es ebenso begrüßt, daß die Vertreter der drei Westmächte die Sowjetunion auf ihre Verpflichtung hingewiesen haben, die Sicherheit und das Wohlergehen der Bevölkerung
in ihren Sektoren gegen alle Angriffe, woher sie auch kommen mögen, zu schützen.
Wie bekannt, ist in Berlin der Zivilbevölkerung das Tragen von Waffen durch eine Reihe von Gesetzen, die von den Vier Mächten erlassen wurden, verboten. Die drei Westmächte messen diesen Gesetzen große Bedeutung bei und haben über ihre Befolgung sorgfältig gewacht. Das gleiche gilt von den deutschen Behörden. Die Bevölkerung von Berlin-West hat diese Gesetze genauestens beachtet. Die Bundesregierung kann nur hoffen, daß die Regierung der UdSSR als die verantwortliche Instanz das Ihre dazu beitragen wird, den Frieden in Berlin zu sichern. Die Bundesregierung wird in jedem Falle darauf hinweisen, daß die Duldung des Auftretens und der Betätigung derartiger bewaffneter Organisationen mit den Rechten und Pflichten, welche die Vier Mächte für Berlin übernommen haben, nicht vereinbar ist. Im übrigen steht die Bundesregierung hinsichtlich aller Fragen Berlins und seiner Verbindungswege dauernd in engem Kontakt mit den drei Westmächten und bringt ihnen ihre Wünsche und Auffassungen zu Gehör.
Soweit die Beantwortung der Fragen.
Und nun namens der Bundesregierung noch dieses: Die Große Anfrage aller Fraktionen des Bundestages gab Veranlassung, das tragische Geschick Deutschlands in seiner Zerrissenheit wenigstens in einigen Zügen erneut sichtbar zu machen. Dieses Geschick lastet besonders schwer auf den 18 Millionen in der Zone und in Ostberlin. Gewiß, meine Damen und Herren, zeichnen sich in der Politik der Sowjetunion und in den west-östlichen Beziehungen Veränderungen ab, die alle Aufmerksamkeit erfordern. Was Deutschland selbst betrifft, so müssen wir jedoch bei gewissenhafter Prüfung feststellen: Im sowjetischen Einflußbereich, in der Behandlung unserer 18 Millionen Menschen ist der Uhrzeiger kaum merklich über Stalin hinausgerückt.
In der Zone sind immer noch die gleichen Männer und die gleichen Methoden.
Noch immer schmachten Tausende in den Zuchthäusern und in den Gefängnissen. In dieser Zeit, in der sich die Völker bemühen, zu einer allgemeinen Entspannung zu kommen, in dieser Zeit, in der auch im Ostblock viele Tausende von politischen Gefangenen entlassen werden, können die Tore der Zuchthäuser in Mitteldeutschland unmöglich geschlossen bleiben.
Das ist die Überzeugung der gesamten deutschen Öffentlichkeit, die in diesen Tagen und Wochen mit wachsendem Nachdruck immer wieder zum Ausdruck kam.
Unter diesem Druck hat das Regime der Zone versucht, eine Parallele zu ziehen zwischen der politischen und parteilichen Justiz auf der einen und der Justiz eines Rechtsstaates auf der anderen Seite. Eine solche Parallele gibt es nicht.
In der Bundesrepublik urteilen unabhängige Gerichte nach den Bestimmungen des Gesetzes, das
vom Gesetzgeber, nämlich vom frei gewählten Parlament, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verabschiedet wurde. Den Angeklagten stehen unabhängige und freie Rechtsanwälte als Verteidiger zur Seite. In der Zone — wir haben dafür das Zeugnis der führenden Funktionäre des Regimes — steht über der Justiz die Politik, über dem Gericht die Partei. Deshalb sind Argumente, wie sie Herr Pieck gegenüber dem Herrn Bundespräsidenten anwandte, bloße politische Propaganda.
Nach allen Grundsätzen von Recht, Gerechtigkeit und Menschlichkeit kann den politischen Gefangenen in Mitteldeutschland die Freiheit nicht mehr vorenthalten werden.
Die Entlassung der politischen Gefangenen in der Zone würde im übrigen einen Anhaltspunkt geben, daß sich der Uhrzeiger in Mitteldeutschland doch bewegt.
Die Frage von Gefangenen, die wegen Taten, die sich gegen den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unseres Staates richten, in Haft sind, kann nicht in Parallele zur Frage der politischen Gefangenen der Zone gestellt werden.
Diese Taten werden von unseren unabhängigen Gerichten auf Grund streng rechtsstaatlicher Gesetze beurteilt, die vom freiheitlich gewählten Deutschen Bundestag beschlossen sind.
Die Bundesregierung wird mit Aufmerksamkeit die weitere Entwicklung in der Zone verfolgen. Sie wird von sich aus alles tun, um die Freizügigkeit in ganz Deutschland zu fördern und die geistige und kulturelle Einheit Deutschlands zu stärken und zu vertiefen. Dabei ist sich die Bundesregierung im klaren darüber, daß alle Bemühungen vor allem Vorbereitungen bleiben für den Tag, an dem sich frei gewählte Repräsentanten aus beiden Teilen Deutschlands zusammenfinden, um gemeinsam das Werk der Einigung zu vollziehen.