Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialreform steht offenbar in diesem Hause unter keinem glücklichen Stern. Sie wird jetzt, da der erste Schritt getan werden soll, zeitlich von den Wehrfragen erdrückt.
Die Erklärungen, die Herr Kollege Horn gestern im Auftrage seiner Fraktion bei der Geschäftsordnungsdebatte abgegeben hat, machen es erforderlich, der Begründung des SPD-Gesetzentwurfs einige Erinnerungstatbestände voranzuschicken.
Als vor über vier Jahren am 21. Februar 1952 mit dem Antrag der SPD auf Einsetzung einer Sozialen Studienkommission in diesem Hause die Debatte über die Sozialreform begann, erklärte bekanntlich der Herr Bundesarbeitsminister: Wir haben unsere Arbeit im Ministerium so eingestellt, daß wir in der zweiten Hälfte dieses Jahres, 1952, die Gesetzesvorlage über die Neuordnung der Sozialversicherung vorlegen wollen.
Wenn heute trotz dieser und späterer Ankündigungen immer noch keine Gesetzesvorlage der Re-
gierung über die Neuordnung der Sozialversicherung vorliegt, sondern als erster Gesetzentwurf zur Sozialreform der vorliegende Entwurf der Sozialdemokraten zur Beratung steht, dann sollte doch dieser Tatbestand allein für sich sprechen. An den Fakten gibt es wenig zu deuteln. Die Regierung und ihre Parteien haben viel zuviel über die Sozialreform gesprochen und viel zuviel in dieser Hinsicht versprochen, aber darüber das Wichtigste verabsäumt, nämlich eine zielstrebige und systematische Arbeit an der Gesetzgebung.
Seit Jahren hören wir fast täglich, daß der Beirat für die Sozialreform, der interministerielle Ausschuß für die Sozialreform, das Generalsekretariat für die Sozialreform, das Sozialkabinett, der Herr Bundesarbeitsminister, der Herr Bundeskanzler diese oder jene Vorstellungen und Pläne bezüglich der Sozialreform hätten, die unmittelbar vor der Verwirklichung ständen. Dadurch haben Sie bei der Bevölkerung und auch in Ihren eigenen Reihen immer wieder Erwartungen geweckt, die nun enttäuscht werden. Es ist Ihre Sache, wie Sie damit intern fertig werden. Aber um eins dürfen wir doch bitten: Versuchen Sie nicht, wie dies gestern geschehen ist, Ihr Versagen zum Anlaß zu nehmen, uns Sozialdemokraten, die wir weniger von diesen Dingen geredet, aber um so mehr daran gearbeitet haben, nun in irgendeiner Weise zu diskreditieren.
Sie haben im Bereich der Sozialpolitik eine Schlappe erlitten. Seien Sie in dieser Situation nicht auch noch ein schlechter Verlierer!
Ihre Anwürfe gehen in zwei Richtungen. Sie behaupten, wir hätten bei unserem Gesetzentwurf Ihre Konzeption zum Vorbild genommen.
Zweitens erklären Sie, wir handelten aus Agitationsbedürfnis.
Wenn Sie erklären, wir hätten Ihre Konzeption als Vorbild gehabt, dann muß dazu ein klares Wort gesagt werden. Der Hauptgrund Ihres Versagens im Bereich der Sozialpolitik ist doch wohl, daß Sie über keine klare Konzeption verfügen. Ich möchte das an einem einzigen Beispiel verdeutlichen. Das zentrale Problem bei der Neuordnung der Rentenversicherung ist offensichtlich das der Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwicklung. Aber hierüber sind die Auffassungen der Bundesregierung außerordentlich unklar und unsicher. Am 21. Januar dieses Jahres hat das Bulletin Beschlüsse des Sozialkabinetts über diese Neuordnung veröffentlicht, in denen es wörtlich heißt:
Das Kernstück der Neuordnung bildet der Übergang von der statischen zur dynamischen Leistungsrente.
Noch nicht einen Monat später gab die Bundesregierung über die Sitzung des Sozialkabinetts am 17. Februar 1956 bekannt:
Da der Ausdruck „dynamische Rente" sprachlich falsch ist, soll an seine Stelle der Ausdruck „Produktivitätsrente" treten.
Die von der Regierung als Kernstück der Neuordnung bezeichnete dynamische Rente hatte also noch keinen Monat Bestand.
Der jetzt vorgelegte sogenannte Grundentwurf behandelt in den Paragraphen — man höre! -
1261 a bis d nicht etwa die in Aussicht gestellte Produktivitätsrente, sondern eine dritte Vorstellung; und möglicherweise werden wir, wenn die endgültige Regierungsvorlage kommt, durch eine vierte Konzeption überrascht werden.
Weil die Bundesregierung in bezug auf diese Frage — es ist nur ein Beispiel — der Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwicklung keine klare Konzeption entwickelt hat, stößt ungeachtet aller Hilfsmittel und der Sachverständigen, die ihr zur Verfügung stehen, die Erstellung eines Gesetzentwurfs auf immer neue Schwierigkeiten.
Wer im übrigen die Auffassung vertritt, die SPD habe sich bei der Ausarbeitung ihres Gesetzentwurfs die Vorstellung des Bundesarbeitsministeriums zum Vorbild genommen, der hat den sogenannten Grundentwurf des Arbeitsministeriums und den Gesetzentwurf der SPD nicht gelesen. Der sogenannte Grundentwurf beinhaltet — das ist ein wichtiger Grund unserer Beanstandung — lediglich eine Neufassung der §§ 1226 bis 1304 der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911. Es wird also noch nicht einmal in der äußeren Form der Versuch gemacht, zu etwas Neuem zu kommen. Man weiß nichts anderes zu tun, als an einem Gesetz, das 45 Jahre alt ist, weiter herumzuflicken.
Die SPD dagegen unternimmt es, das gesamte Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten in einem Gesetz neu und übersichtlich zu ordnen. In diesem Zusammenhang darf ich eine Bitte gegenüber den Damen und Herren der Regierungskoalition äußern. Bitte, lesen Sie in einer ruhigen Stunde einmal den Gesetzentwurf der SPD durch. Vielleicht trägt das zur schnelleren Gewinnung Ihrer eigenen Konzeption bei, und vielleicht ist auch der Herr Bundesarbeitsminister so freundlich, seinen Mitarbeitern ein gründliches Studium des SPD-Entwurfs zu empfehlen. Dies könnte — so hoffen wir — die Arbeiten an dem Regierungsentwurf beschleunigen und eventuell sogar befruchten.
Im übrigen hat die sozialdemokratische Fraktion, um einen Vergleich zu ermöglichen, der Presse eine Aufstellung übergeben, in der etwa 30 Punkte aus dem sogenannten Grundentwurf und dem Entwurf der SPD einander gegenübergestellt sind. Wir glauben, daß das bereits genügt, sich davon zu überzeugen, wie weit wir noch auseinander sind.
Nun muß ich leider auch ein Wort zu dem Vorwurf sagen, der gestern hier gemacht wurde, wir hätten aus Agitationsbedürfnis gehandelt. Das war eine sehr böse Unterstellung.
Dies muß ich mit aller Deutlichkeit sagen. Sollten Sie wirklich in bezug auf den vorliegenden Gesetzentwurf, der doch immerhin — Sie mögen seinen sozialpolitischen Inhalt beurteilen, wie Sie wollen — eine detaillierte Arbeit im Interesse der sozialen Neuordnung darstellt, keine sachlichen Argumente haben, so daß Sie zu einer Diffamierung greifen mußten?
Wenn jetzt die Beratung der Gesetzentwürfe —
auch das möchte ich ganz deutlich sagen — in die
Nähe des Wahlkampfes gerückt wird, so hat dies nicht die SPD, sondern die Regierung mit ihren Versäumnissen zu vertreten.
Der Vorfall von gestern zwingt mich auch, eine Denkschrift, die der Herr Bundesfinanzminister, zwar nicht für die Öffentlichkeit, aber für das Kabinett, verfaßt hat und die in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, ins Gedächtnis zurückzurufen. Darin sind die taktischen Erwägungen innerhalb der Regierung über die Sozialreform sehr anschaulich angesprochen worden, und zwar ist es kein Jahr her. Damals hat der Bundesfinanzminister erklärt:
Da noch keine Übereinstimmung über die bei der Sozialreform in Anwendung zu bringenden Grundsätze besteht, halte ich es für verfrüht, schon jetzt die Ausarbeitung von Reformgesetzen vorzunehmen, zumal auch diese wegen der vorgeschrittenen Zeit vor Beginn des Wahlkampfes nicht mehr verabschiedet werden können.
Der Finanzminister hat sich dann für ein soziales Grundgesetz ausgesprochen, das nur die eigentlichen Leitideen normiert, aber kein unmittelbar anwendbares Recht schafft, und hat abschließend erklärt:
Die Bekundung von Regierung und Parlament, nach den in einem derartigen sozialen Grundgesetz niedergelegten Grundsätzen das Reformwerk in den nachfolgenden Jahren durchzuführen, dürfte ihre politische Wirkung auch im Wahlkampf nicht verfehlen.
Diese Erklärung spricht wohl für sich.
Im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf der SPD und dem Grundentwurf des Bundesarbeitsministeriums ist noch eine Bemerkung erforderlich. Der Grundentwurf ist zwar der Presse und den Organisationen, aber bis zur Stunde noch nicht den Mitgliedern des Sozialpolitischen Ausschusses zur Kenntnis gebracht worden.
Das ist ein eigentümliches Verfahren. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses, Herr Kollege Richter, sich schon seit langem bemüht hat, den Herrn Bundeskanzler für einen Bericht, für eine Teilnahme an den Arbeiten des Sozialpolitischen Ausschusses zu gewinnen. Der Herr Bundeskanzler hat — das Schreiben wurde allen Mitgliedern des Sozialpolitischen Ausschusses übermittelt — am 23. September 1955 an den Vorsitzenden des Ausschusses, Herrn Kollegen Richter, wie folgt geschrieben:
Ihre Einladung zu einer der nächsten Sitzungen des Sozialpolitischen Ausschusses habe ich dankend erhalten. Ich möchte Ihnen aber vorschlagen, den Bericht der Bundesregierung über die Grundkonzeption der Sozialreform noch zurückzustellen .. .
Lassen Sie mich Ihnen bei dieser Gelegenheit versichern, daß ich es für sehr wertvoll und
notwendig halte, wenn die Bundesregierung schon bei den Vorarbeiten zur Sozialreform in ständigem Kontakt mit dem Parlament steht. Das Kabinett hat auf Grund meiner Vorlage vom 11. Juli beschlossen, daß die Beratungen über die Grundsätze der Sozialreform im engsten Einvernehmen mit den parlamentarischen Körperschaften und den Fraktionen des Bundestages erfolgen sollen. Es ist in Aussicht genommen, zu gegebener Zeit auch Abgeordnete zu den Sitzungen des Ministerausschusses hinzuzuziehen.
Dieses Schreiben des Herrn Bundeskanzlers läßt nur zwei Schlüsse zu. Entweder ist die Bundesregierung immer noch nicht zu der Grundkonzeption der Sozialreform gekommen, von der der Herr Bundeskanzler in Abs. 1 spricht, oder das Parlament wurde im Gegensatz zu den ausdrücklichen Zusicherungen des Herrn Bundeskanzlers wieder einmal übergangen.
Nun zum Inhalt des Gesetzentwurfs im einzelnen. Ich lege in dieser Hinsicht nur einige Grundgedanken dar; denn die SPD-Fraktion hat ihrem Gesetzentwurf eine sehr eingehende Begründung beigegeben. Dieser Gesetzentwurf ist nur ein erster Schritt. Er unternimmt es, die vordringlichsten sozialen Fragen in einem Teilbereich der Rentenversicherung einer Lösung entgegenzuführen. Die Neuordnung, die wir durch diesen Gesetzentwurf anstreben, geht davon aus, daß es untragbar ist, wenn gegenwärtig den Arbeitern und Angestellten, die wegen Alters und Berufsunfähigkeit aus dem Arbeitsleben ausscheiden, eine Rente von durchschnittlich nicht mehr als 30 bis 40 % des früheren Lohns und Gehalts gewährt wird. Das führt zwangsläufig zu einem bedenklichen Absinken der Lebenshaltung des Arbeiters und Angestellten im Alter. Dieser schwerwiegende Mißstand soll durch unseren Gesetzentwurf beseitigt werden. Jeder Arbeiter und Angestellte soll nach Beendigung eines normalen Arbeitslebens einen unbedingten Rechtsanspruch auf eine Rente haben, die es ihm ermöglicht, bei Alter und bei Berufsunfähigkeit seinen Lebensstandard, den er sich in den Jahren der Arbeit geschaffen hat, uneingeschränkt aufrechtzuerhalten. Das gleiche soll auch im Falle des Todes für seine Angehörigen gelten.
Der Gesetzentwurf bezieht sich lediglich auf die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. Die soziale Sicherung des Bergmanns erfordert besondere Formen. Sie müssen den Bedürfnissen dieses Berufs angepaßt werden, und sie werden einer besonderen gesetzlichen Regelung vorbehalten bleiben. Die SPD-Fraktion hat in ihrem Gesetzentwurf mitgeteilt, daß sie dazu im Laufe der Beratungen noch ihre Anträge stellen wird.
Nach Auffassung der SPD bietet auch die soziale Sicherung der Selbständigen besondere soziale Probleme, die im Interesse einerseits der Arbeiter und Angestellten und andererseits der Selbständigen eine klare finanzielle Trennung der Rentenversicherung für Beschäftigte und der von Selbständigen erfordern. Die Mißstände, die wir bei der Handwerkerversorgung nun schon seit Jahren kennen, müssen endlich beseitigt werden, und es muß eine soziale Sicherung für Selbständige in einer
Form geschaffen werden, die den besonderen Bedürfnissen dieser Berufsgruppen entspricht.
Der vorliegende Gesetzentwurf berücksichtigt den Tatbestand, daß es sich um eine gesetzliche Neuordnung der Rentenversicherung handelt. Der Entwurf beruht also auf dem Versicherungsprinzip, dem Gedanken, daß eine innere Beziehung zwischen der zu gewährenden Leistung und den früher gezahlten Beiträgen gewährleistet sein muß. Der Gesetzentwurf trägt aber — und das ist für uns sozialpolitisch entscheidend — dem Umstand Rechnung, daß das reine Versicherungsprinzip zu erheblichen sozialen Mißständen und Mängeln geführt hat und daß es deshalb im Interesse einer ausreichenden Existenzsicherung durch den Sozialgedanken ergänzt werden muß.
Nach dem Gesetzentwurf sollen als Renten Altersruhegeld, Berufsunfähigkeitsrenten und Hinterbliebenenrenten gewährt werden.
Erstens: Das Altersruhegeld soll nach Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt werden. Die SPD lehnt alle Bestrebungen, die Weiterarbeit über das 65. Lebensjahr hinaus direkt oder indirekt zu fördern, nachdrücklich ab. Dies wünscht beispielsweise der Beirat für die Sozialreform, der in seinen Beschlüssen erklärt hat:
Eine Weiterarbeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres sollte gefördert werden. Dies kann z. B. dadurch erreicht werden, daß für die Zeit der Weiterarbeit ohne Rentenbezug später höhere Steigerungsbeträge gewährt werden. Nach Vollendung des 70. Lebensjahres.
— so erklärt der Beirat —
sollen Rentenbezug und Beschäftigung in jedem Falle uneingeschränkt nebeneinander möglich sein.
Derartige Gedankengänge stehen nach Auffassung der SPD im Widerspruch zu der Tatsache, daß schon heute fast 70 v. H. der neu bewilligten Renten an Menschen unter 65 Jahren gewährt werden. Wir sind deshalb der Meinung, daß es teilweise sogar notwendig ist, die Altersgrenze von 65 Jahren herabzusetzen.
Der Gesetzentwurf schlägt vor, Frauen zwischen dem 60. und 65. Lebensjahre Altersruhegeld zu gewähren, sofern sie nicht mehr erwerbstätig sind. Dies ist nicht nur deshalb gerechtfertigt, weil Frauen zu über 80 v. H. vor Erreichung der bisherigen Altersgrenze arbeitsunfähig wurden, sondern dies entspricht sogar versicherungstechnischen Grundsätzen; denn in dem Beitrag, den der Mann zahlt, ist im allgemeinen die Rente für die Hinterbliebenen eingeschlossen, während für versicherte Frauen Witwerrente nur sehr selten fällig wird.
Männer, die in ihrem Berufe einer besonderen gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt sind, sollen Altersruhegeld ebenfalls schon vom 60. Lebensjahr an erhalten, wenn keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt wird.
In Zukunft soll auch Arbeitern, die über 60 Jahre alt und länger als ein Jahr arbeitslos sind, in gleicher Weise wie Angestellten Altersruhegeld gezahlt werden.
Wenn, wie es das Ziel des Gesetzentwurfes ist, das Altersruhegeld die Aufrechterhaltung des in den Jahren der Arbeit gewonnenen Lebensstandards ermöglichen soll, dann muß nach einem normalen Arbeitsleben ein Altersruhegeld von 75 v. H. des früheren Bruttolohnes oder -gehaltes gewährt werden. Altersruhegeld in dieser Höhe ist für einen Teil der arbeitenden Menschen, für die Beamten, heute schon eine unumstrittene Leistung der Alterssicherung. Sie muß auch für Arbeiter und Angestellte Wirklichkeit werden.
Bei der Berechnung der Rente müssen ferner alle Zeiten der Arbeitslosigkeit, der Krankheit, des Kriegs- und Militärdienstes, der nationalsozialistischen oder kommunistischen Verfolgung, aber auch Jahre der Schul- und Berufsausbildung vom 15. Lebensjahr an — sogenannte Ersatzzeiten — voll berücksichtigt werden.
Die Rentenformel der SPD, die ich hier im, einzelnen nicht erläutern möchte — ich verweise auf die Begründung —, ist versicherungstechnisch so gestaltet, daß Arbeiter und Angestellte nach normalem Arbeitsleben dieses Ruhegeld in Höhe von 75 v. H. erreichen. Um jedes Mißverhältnis zwischen Lohn und Rente zu vermeiden, legt der Gesetzentwurf fest, daß das Ruhegeld 75 v. H. des höchsten Arbeitsentgeltes, den der Arbeiter und Angestellte in fünf aufeinanderfolgenden Jahren — günstigsten Arbeitsjahren — erreicht haben, niemals übersteigen darf.
Aus sozialpolitischen Gründen ist es aber unbedingt notwendig, eine Aufstockung für die Rentenleistungen jener Arbeitenden vorzunehmen, die in früheren Jahren als Landarbeiter, als Heimarbeiter, als Hausgehilfen äußerst niedrige Entlohnungen hatten. Deshalb legt der sozialdemokratische Entwurf einen Mindestverdienst von monatlich 200 DM der Rentenberechnung zugrunde, wodurch sichergestellt ist, daß jeder alte Mensch — auch wenn er während seines Arbeitslebens in den niedrigsten Lohngruppen war — nach Erreichung des 60. bzw. 65. Lebensjahres normalerweise ein Altersruhegeld von 162 bzw. 180 DM erreicht und damit nicht auf eine zusätzliche Fürsorgeunterstützung angewiesen ist.
Zweitens regelt der Gesetzentwurf die soziale Sicherung der vorzeitig Berufsunfähigen. Auch die Menschen, die vor Erreichung der Altersgrenze berufsunfähig werden, müssen eine ausreichende soziale Sicherung erhalten. Der Gesetzentwurf übernimmt den besseren Begriff der Berufsunfähigkeit, der sich in der Angestelltenversicherung bewährt hat. Dabei vertreten wir in unserem Gesetzentwurf die Auffassung, daß die soziale Lage jener Menschen, deren Arbeitsfähigkeit so stark beeinträchtigt ist, daß sie praktisch überhaupt keine Berufstätigkeit mehr ausüben können, besondere aufgestockte Rentenleistungen erforderlich macht.
Für die Berechnung der Berufsunfähigkeitsrenten sollen grundsätzlich die Vorschriften dies Altersruhegeldes gelten. Jedoch soll derjenige, der vorzeitig aus dem Arbeitsleben gerissen wird, bei allgemeiner Berufsunfähigkeit mindestens eine Rente von 50 v. H. seines bisherigen Arbeitsverdienstes und derjenige, der voll berufsunfähig ist, mindestens von 662/3 v. H. seines durchschnittlichen Arbeitsentgeltes erhalten.
Drittens: Der soziale Schutz für Hinterbliebene. Anspruch auf Witwenrente soll nach dem Tode des Ehemannes jede Witwe haben. Wir beseitigen damit die einschränkenden Vorschriften, die noch für einen
Teil der Arbeiterwitwen bestehen. Die Witwenrente soll grundsätzlich wie die von Beamten 60 v. H. der Rente des Versicherten betragen und bei frühzeitigem Tod des Ernährers für Witwen mit einem Kind oder mehreren Kindern oder für berufsunfähige Witwen aufgestockt werden. Hat die Frau zu ihren Lebzeiten überwiegend den Unterhalt der Familie gesichert, so soll auch Witwerrente gezahlt werden können.
Die SPD hält es auch für erforderlich, den Problemen, die sich aus der sogenannten Onkelehe ergeben, durch wirtschaftliche Maßnahmen zu begegnen. Deshalb wird bei Wiederverheiratung vor dem 45. Lebensjahr eine Abfindung in Höhe der sechsfachen Jahresrente und bei Wiederverheiratung nach dem 45. Lebensjahr eine Abfindung in Höhe des Vierfachen der Jahresrente gewährt. Falls die neue Ehe aufgelöst wird, sollen die Renten wieder aufleben, aber erst nach Ablauf des Abfindungszeitraumes, damit sich keine wirtschaftlichen Vorteile aus der Auflösung der Ehe ergeben.
Die Waisenrenten sollen grundsätzlich denen von Kindern von Beamten gleichgestellt werden. Deshalb soll nach dem Gesetzentwurf, falls die Kinder in Schul- und Berufsausbildung stehen, die Altersgrenze generell bis zum 25. Lebensjahr erweitert werden können.
Der SPD-Gesetzentwurf sieht ferner die Einführung von Elternrenten vor. Wegen der Auswirkung beider Kriege leben häufig insbesondere berufstätige Frauen mit ihren Eltern zusammen, die sie überwiegend aus ihrem Arbeitseinkommen unterhalten. Es ist deshalb erforderlich, den Eltern Anspruch auf Elternrente zu gewähren, sofern der Sohn oder die Tochter keine Witwe oder keinen Witwer hinterläßt. Die Elternrente soll in gleicher Höhe wie die Witwenrente gewährt werden.
Der SPD-Entwurf sieht ferner weitere Sozialzuschläge zu den Renten vor, und zwar Kinderzuschläge generell bei Berufsausbildung auch bis zum 25. Lebensjahr, ferner Pflegegeld für diejenigen, die ständig fremder Wartung und Pflege bedürfen, in Höhe von 100 DM monatlich.
Die zentrale Frage der Neuregelung ist die Anpassung der Renten an die Lohn- und Gehaltsentwicklung. Das ist ein Kernstück der gesetzlichen Neuregelung durch den SPD-Entwurf. Der während des Arbeitslebens bezogene Arbeitsverdienst soll nach unserm Entwurf automatisch dem Lohn- und Gehaltsstand zur Zeit der Rentenberechnung angepaßt werden. Zu diesem Zweck wird im Gesetzentwurf festgelegt, daß die früheren Arbeitsverdienste für die verschiedenen Zeiträume mit sogenannten Umrechnungsfaktoren zu vervielfältigen sind. Sie betragen, um ein Beispiel zu nennen, für die Zeit vor 1900 das 5,4fache, für die Zeit von 1900 bis 1910 das 4,3fache, für die Jahre von 1948 bis 1950 das Zweifache und so fort. Durch diese Anpassung der früheren Arbeitsverdienste ergibt sich für jeden einzelnen Arbeiter und Angestellten bei der Rentenfeststellung ein Arbeitsverdienst, der dem gegenwärtigen Lohn- und Gehaltsstand entspricht. Dabei wird auch für die Arbeiter die Unterversicherung früherer Jahre berücksichtigt.
Der SPD-Gesetzentwurf schreibt diese automatische Anpassung aber nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft vor, damit
wir endlich von weiteren Zulagen- und Sondergesetzen befreit werden und der Rentner auch in Zukunft automatisch an der Lohn- und Gehaltsentwicklung teilnimmt.
Dieser Grundsatz, der politisch stark umstritten ist, soll den Arbeitern und den Angestellten die gleichen sozialen Rechte gewährleisten, die heute durch § 86 des Bundesbeamtengesetzes den Beamten schon zustehen. Denn auch sie nehmen automatisch an der Gehaltsentwicklung der aktiv im Arbeitsleben stehenden Beamten teil. Wir Sozialdemokraten sind der Ansicht, daß dieser Grundsatz, der sich für einen Teil der arbeitenden Menschen sehr bewährt hat, nun für alle Arbeiter und Angestellten als erster Schritt der Sozialreform verwirklicht werden muß.
Aus staatspolitischer Verantwortung geht der SPD-Gesetzentwurf auch an den Problemen, die sich bei einem etwaigen Absinken der Arbeitsentgelte ergeben können, nicht vorbei. Wir sprechen diese Frage in der Begründung zu dem Gesetzentwurf offen an und nehmen dazu Stellung.
Versicherungs- und verwaltungstechnisch ist die Anpassung der laufenden Renten so gestaltet, daß sie normalerweise durch die Bundespost ohne Schwierigkeiten durchgeführt werden kann.
In bezug auf die Anpassung der Renten unterscheiden wir uns grundlegend von dem sogenannten Grundentwurf der Bundesregierung. Wenn ich auch aus Zeitmangel nicht auf sonstige Einzelheiten dieses sogenannten Grundentwurfs eingehen kann — das werden wir tun, wenn die Regierungsvorlage uns vorliegt; sie wird noch manchen Wandlungen unterworfen werden, bis sie dem Hause vorliegt —, so ist es doch notwendig, in dieser Hinsicht einige wichtige Gesichtspunkte hervorzuheben.
In dem jetzt vorliegenden Grundentwurf ist die Frage, in welcher Weise die Arbeitsverdienste der Vergangenheit bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden sollen, nur teilweise geregelt. Es ist zwar in ihm ein kompliziertes Verfahren zur Feststellung der allgemeinen Grundlagen für die Bemessung der Renten enthalten, aber die entscheidende Frage, welche Werte aus den früheren Arbeitsverdiensten konkret der Feststellung der Renten zugrunde zu legen sind, soll nach dem Gesetzentwurf dem Bundesminister für Arbeit überlassen bleiben. Die Anpassung der Arbeitsverdienste, das Zentralproblem der Neuordnung, wie die Regierung selbst gesagt hat, wird also damit praktisch auf den Verwaltungsweg abgeschoben, da noch nicht einmal eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates vorgesehen ist.
Noch weniger befriedigend ist im Grundentwurf die Frage der Anpassung der laufenden Renten an die weitere Entwicklung der Löhne und Gehälter behandelt. Diese Frage wird einem zu bildenden sogenannten Sozialrat überlassen. Von dessen 21 Mitgliedern sind nur sieben Vertreter der Versicherten. Die übrigen 14 setzen sich zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitgeber und des sogenannten öffentlichen Interesses — Bundesfinanzminister, Wirtschaftsminister usw. — zusammen. Obwohl der Bundesfinanzminister, dier Wirtschaftsminister und der Arbeitsminister Mitglieder dieses Gremiums „Sozialrat" sind, sollen sie gegen
diese Beschlüsse ein Vetorecht haben. Ein erneuter Beschluß über die Anpassung der Renten bedarf nach dem Entwurf einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Sozialrats, so daß, um ein praktisches Beispiel zu nehmen, zusammen mit den Vertretern der Arbeitgeber bereits eine Stimme der Regierung, z. B. des Bundesfinanzministers, genügen würde, um die Anpassung der Renten zu blockieren. Das ist nach unserer Auffassung keine Anpassung der Renten an die wirtschaftliche Entwicklung. Die gegenwärtige Praxis, wonach der Gesetzgeber die Anpassung an die Lohn- und Kaufkraftentwicklung durch besondere Gesetze vornimmt, wäre noch sinnvoller als die Übertragung dieser sozialpolitisch, wirtschaftspolitisch und finanzpolitisch entscheidenden Frage an ein anonymes Gremium, das zudem noch einem Veto-Recht unterliegt.
Die SPD ist sich durchaus der volkswirtschaftlichen Verantwortung, die mit der Anpassung der Renten an die weitere Lohn- und Gehaltsentwicklung verbunden ist, bewußt. Der Gesetzentwurf schafft deshalb eine klare Trennung zwischen den Aufgaben der sozialen Sicherung einer Pflichtversicherung und der dem Ermessen des einzelnen überlassenen freiwilligen Versicherung.
Im bisherigen Sozialrecht hat auch die Frage des Zusammentreffens mehrerer Renten in einer Person durch Ruhens- und Kürzungsvorschriften sozialpolitisch zu vielen Beanstandungen geführt. Nach dem Gesetzentwurf werden grundsätzlich Renten aus mehreren Versicherungen an die gleiche Person nebeneinander gewährt, da diese Ansprüche durch verschiedene Beitragsleistungen erworben sind. Grundsätzlich werden auch Renten der Kriegsopferversorgung neben den Renten der Sozialversicherung gewährt.
Sozialpolitisch sind auch die Vorschriften über Beginn und Wegfall der Renten von erheblicher Bedeutung. Nach dem Gesetzentwurf sollen die Renten nicht wie bisher mit Ablauf des Kalendermonats, sondern mit Beginn des Monats, von dem an die Voraussetzungen für die Rente erfüllt sind, gewährt werden, weil keine Unterbrechung zwischen dem Ende der Lohn- und Gehaltszahlung und dem Beginn der Rente eintreten soll. Im übrigen sollen die Renten bei verspäteter Antragstellung für drei Monate rückwirkend gezahlt werden.
Der Gesetzentwurf schafft nicht nur eine Verbesserung, sondern auch eine wesentliche Vereinfachung des Rentenrechts. Die Vorschriften über die sogenannte Anwartschaft, die den Versicherten verpflichteten, alljährlich eine bestimmte Anzahl von Beiträgen zu entrichten, wurden beseitigt. Der Umstand, daß bei Nichterfüllung der Anwartschaft nach dem geltenden Recht die bis dahin geleisteten Beiträge grundsätzlich verlorengingen, hat zu außerordentlichen sozialen Härten, Ungerechtigkeiten und zu einer wesentlichen Komplizierung geführt.
Der Gesetzentwurf bringt auch wesentliche Verbesserungen in bezug auf die Wartezeiten, insbesondere für jüngere Menschen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Der Gesetzentwurf will aber weiter dem unerfreulichen Zustand begegnen, daß die durchschnittliche Bearbeitungszeit der Rentenanträge immer noch mehr als sechs Monate beträgt. Deshalb wird vorgeschrieben, daß der Versicherungsträger spätestens zwei Monate nach Vorlage der notwendigen Unterlagen die Rente anzuweisen hat. Bei verspäteter Anweisung sind dem Rentner Verzugszinsen in Höhe von 4 % zu zahlen.
Wir glauben, daß durch solche Vorschriften die Versicherungsträger selbst die geeigneten Maßnahmen zur beschleunigten Rentenbearbeitung treffen werden. Im übrigen haben die Versicherungsträger für die Zeit, in der die Rente nicht gewährt wird, einen Zinsgewinn, während derjenige, der auf die Rente wartet, unter Umständen Schulden machen muß.
Neben der Verbesserung der Rentenleistungen kommt auch den Leistungen der Gesundheits- und Berufsförderung eine besondere Bedeutung zu. Die SPD sieht in der wesentlichen Verbesserung dieser Leistungen eine wichtige Grundlage der Sozialreform. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, daß die grundlegende Ausgestaltung der Leistungen für die Gesundheits- und Berufsförderung für den Gesamtbereich der sozialen Leistungen durch eine besondere gesetzliche Regelung vorgenommen wird. Wir schlagen bis zur Verabschiedung einer solchen generellen gesetzlichen Regelung Übergangsvorschriften vor.
Sie beziehen sich z. B. auf eine Verbesserung der gesundheitlichen Leistungen. Nach unserer Auffassung müssen beispielsweise für die Leistung des Heilverfahrens die gesundheitlichen Notwendigkeiten bestimmend sein. Deshalb schreibt der Gesetzentwurf vor, daß ein Rechtsanspruch auf Heilverfahren für Versicherte, für Rentner und für Angehörige besteht. Eine gesundheitliche Leistung ist aber dann nicht erreicht, wenn nicht gleichzeitig die wirtschaftliche Existenz der Familie gewährleistet ist. Aus diesem Grunde ist neben dem Heilverfahren dem Arbeiter und Angestellten ein nach dem Familienstand gestaffeltes Tagegeld bis zu 80 v. H. des Entgelts zu gewähren. Darüber hinaus haben die Versicherungsträger Einrichtungen für gesundheitliche Vorbeugung zu schaffen und Einzelmaßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Verhältnisse zu treffen.
Neben den gesundheitlichen Leistungen schreibt der Gesetzentwurf eine sogenannte Berufsförderung vor. Die Leistungen werden gewährt, soweit nicht andere Stellen, beispielsweise die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, dafür zuständig sind.
Gesundheitspolitisch ist bedeutungsvoll, daß der Gesetzentwurf bei Gewährung der Leistungen der Gesundheits- und Berufsförderung die beratende Hinzuziehung der behandelnden Ärzte vorschreibt. Außerdem sieht der Gesetzentwurf die Bildung von Arbeitsgemeinschaften der an der Gesundheits- und Berufsförderung beteiligten Stellen vor.
Der Gesetzentwurf nimmt grundsätzlich keine organisatorischen Änderungen vor, denn sozialpolitisch sind nicht Organisationsfragen, sondern Leistungsfragen entscheidend. Somit bleiben die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die Landesversicherungsanstalten und die sogenannten Sonderanstalten unberührt. Dennoch werden aber die Vorschriften über die Zuständigkeit vereinfacht. Für die Rentengewährung ist grundsätzlich die Versicherungsanstalt zuständig, bei der die überwiegende Beitragszeit zurückgelegt wurde.
Der Gesetzentwurf legt — das scheint uns ebenfalls sozialpolitisch notwendig zu sein — den Versicherungsträgern eine besondere Beratungspflicht auf. Auch wenn der Gesetzentwurf eine weitgehende Vereinfachung des bisherigen Rentenrechtes schafft, so bedürfen doch die Versicherten und die Rentner einer sachgemäßen Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Sie dürfen nicht das Bewußtsein haben, einem Apparat ausgeliefert zu sein. Der Gesetzentwurf bringt eine Reihe wichtiger Beispiele für diese Beratungspflicht. Er verpflichtet ferner die Versicherungsträger, jährlich einen Tätigkeitsbericht zu veröffentlichen, der auch den Versicherten und den Rentnern auf Verlangen zur Verfügung zu stellen ist. Sie sollen an ihrer Versicherung besonders interessiert werden. Der Bundesminister für Arbeit wird außerdem verpflichtet, dem Bundestag jährlich einen schriftlichen Bericht über die Entwicklung der Rentenversicherung vorzulegen.
Nun zu den Finanzierungsfragen, über die wir uns viele Gedanken gemacht haben. Die Finanzierungsvorschläge der SPD beruhen auf dem Grundsatz, daß einerseits eine unbedingte Sicherung der späteren Rentenzahlungen gewährleistet sein muß, daß es aber andererseits weder sozialpolitisch noch volkswirtschaftlich vertretbar ist, über den bereits erreichten Vermögensstand von 8 Milliarden DM hinaus weitere Mittel anzusammeln. Wir haben in diesem Hause schon heftige Diskussionen darüber gehabt, daß das den Herrn Bundesfinanzminister zu unerfreulichen Konsequenzen verleiten kann.
Der SPD-Gesetzentwurf erfordert einen Mehraufwand für das erste Jahr von 4077 Millionen DM. Für diese Leistungsverbesserungen sollen insbesondere die laufenden Überschüsse herangezogen werden.
Außerdem soll die Arbeitslosenversicherung 1 v. H. ihres Beitrages an die Rentenversicherung übertragen, da jetzt Zeiten der Arbeitslosigkeit rentensteigernd berücksichtigt werden. Der Bund soll sich nach dem SPD-Gesetzentwurf wie bisher mit 40 v. H. an den Rentenausgaben beteiligen als Ersatz für die Milliardenwerte, die durch Krieg- und Währungsumstellung verlorengegangen sind. Durch diesen Bundeszuschuß sollen gleichzeitig die bisherigen Erstattungen des Bundes für Grundbeträge, Rentenzulagen, Mehraufwendungen für Kriegsbeschädigte, Heimatvertriebene nach dem Fremdrentengesetz, Verfolgte des Nationalsozialismus usw. abgegolten werden. Indem keine Einzelabrechnung über viele Haushaltspositionen mehr geführt zu werden braucht, wird eine klare Finanzgestaltung ermöglicht.
Dem SPD-Entwurf ist eine versicherungsmathematische Berechnung beigefügt, aus der sich ergibt, daß die beantragten Leistungen ohne Beitragserhöhungen für die nächsten zehn Jahre sichergestellt sind.
— Wir kommen darauf zu sprechen, Herr Kollege Ruf; auch darüber machen wir uns selbstverständlich Gedanken. — Der Gesetzentwurf schreibt vor, daß der Bundesminister für Arbeit in Zeitabständen von vier Jahren Vorausberechnungen über die Entwicklung der Einnahmen und der Ausgaben für
einen Zeitraum von jeweils weiteren zehn Jahren aufzustellen hat, die dem Bundestag vorzulegen sind. Damit ist immer für die nächsten zehn Jahre unbedingte Gewähr für die Aufrechterhaltung der Leistungen gegeben.
Der Gesetzentwurf sieht ferner zur Sicherung der Leistungsaufgaben unter den einzelnen Versicherungsträgern ein Gemeinlastverfahren vor, das sich in Zukunft auf alle Leistungen, auch auf die gesundheitlichen Leistungen, die Pflichtleistungen werden, erstrecken soll.
Der Gesetzentwurf regelt ferner die Bundesgarantie, die sich aus Art. 120 des Grundgesetzes ergibt. Es wird aber in der Begründung nachgewiesen, daß nach den Vorausberechnungen mit der Inanspruchnahme der Bundesgarantie nicht zu rechnen ist.
Schließlich legt der Gesetzentwurf finanzwirtschaftlich fest, daß die Ausgaben für die einzelnen Leistungsarten, beispielsweise für Altersruhegeld, Berufsunfähigkeitsrente, getrennt nachzuweisen sind, damit die notwendigen Unterlagen für spätere Entscheidungen des Gesetzgebers gewonnen werden. Im übrigen darf ich in dieser Hinsicht auf die Begründung zu dem finanziellen Teil des SPD-Gesetzentwurfes verweisen.
Ich spreche in diesem Zusammenhang die Erwartung aus, daß auch die Bundesregierung nun bald die Karten in bezug auf den finanziellen Teil ihres Grundentwurfes offen auf den Tisch legt, damit wir über die wichtige Frage der Finanzierung volle Klarheit bekommen. Was bisher dem Grundentwurf in Gestalt dieser einen Aufstellung beigefügt ist, ist völlig unzureichend. Dem werden auch Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wie ich hoffe, zustimmen.
Der Gesetzentwurf schafft eine wesentliche Vereinfachung des Rentenrechts. Nach dem Gesetzentwurf, der 131 Paragraphen umfaßt, können etwa 1000 Paragraphen in 16 verschiedenen Gesetzen aufgehoben werden. Es ist sozialpolitisch dringend notwendig, daß die Neuordnung auch verwaltungstechnisch schnell durchführbar ist. Deshalb haben wir dem Gesetzentwurf acht verschiedene Umrechnungstabellen beigegeben, die eine maschinelle Umrechnung der überwiegenden Mehrzahl aller Renten ermöglichen würden. Es ist aber nach unserer Auffassung sozialpolitisch im Gegensatz zum Renten-Mehrbetrags-Gesetz unbedingt erforderlich, daß jedem Rentner die Möglichkeit gegeben wird, seine Rente genau nach den Vorschriften des Gesetzes neu berechnen zu lassen. Er kann dies beantragen, hat die notwendigen Unterlagen beizubringen — das ist selbstverständlich —, und dann erhält er rückwirkend die nach seinen Unterlagen berechnete Rente, vorläufig die Rente nach Tabellen.
Da die Rentenreform seit Jahren versprochen wurde, müssen nach Auffassung der SPD alle Anstrengungen unternommen werden, das Gesetz über die Neuordnung der Rentenversicherung zum frühestmöglichen Termin in Kraft zu setzen. Deshalb sieht der Gesetzentwurf für das Inkrafttreten den 1. Juli 1956 vor.
— Allenfalls ließe sich vertreten, das Gesetz am 1. Oktober 1956 in Kraft treten zu lassen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, als ich gestern in der Geschäftsordnungs-
debatte davon sprach, daß die Rentner nicht mehr einem Winter voll Sorgen entgegensehen dürfen, entstand in ihrem Kreise Unruhe. Ich halte das angesichts der Mitteilungen Ihrer eigenen Presse für unverständlich. Denn wie sich beispielsweise aus der Berliner CDU-Zeitung „Der Tag" — und andere CDU-Zeitungen haben es wiederholt — ergibt, hat der Bundesfinanzminister — ich zitiere wörtlich — mit Zustimmung der wirtschafts- und sozialpolitischen Sachverständigen der CDU/CSU-Fraktion erklärt und die Zustimmung erhalten, daß eine Rentenreform erst am 1. April 1957
— also nach dem Winter — in Kraft treten solle. Es ist kein Dementi erfolgt, meine Damen und Herren.
Und deshalb müssen wir darauf dringen, daß unser Gesetzentwurf bald zur Beratung und zur Verabschiedung kommt. Wir sehen den anderen Vorschlägen der Regierung, die baldigst kommen mögen, entgegen. Weitere Verzögerungen lassen sich aber im Interesse der sozialen Sicherung unserer Alten und Arbeitsunfähigen nicht länger vertreten.
Die letzten Worte dieser Begründung sollen den Menschen im andern Teil Deutschlands gelten. Sie müssen drüben durch Taten davon überzeugt werden,
daß das Leben hier nicht nur durch Prinzipien wirtschaftlicher Freiheit, sondern auch durch Grundsätze sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit bestimmt wird.
Nach Auffassung der Sozialdemokraten — und, Herr Kollege Ruf, darin unterscheiden wir uns von Ihnen — kann dies nicht dadurch erreicht werden, daß wir den §§ 1200 ff. der Reichsversicherungsordnung vom Jahre 1911 eine neue Fassung geben, sondern wir müssen uns wirklich ernsthaft um eine neue sozialpolitische Konzeption bemühen.
Der Gesetzentwurf, den wir vorlegen, spricht auch unmittelbar die Menschen drüben in der Zone an. Wir legen beispielsweise fest, daß alle Arbeitszeiten, die dort zurückgelegt werden, bei der Rentenberechnung Berücksichtigung finden, oder schreiben vor, daß. die Ungerechtigkeiten gegenüber den sogenannten Grenzgängern nun endlich beseitigt werden und sie mit den gleichen Pflichten, die sie schon jahrelang haben, endlich auch die gleichen Rechte wie alle anderen Arbeiter und Angestellten erhalten.
Damit komme ich zum Schluß. Das Entscheidende ist für uns Sozialdemokraten, daß dieser erste Schritt zur Sozialreform zum Vorbild für das ganze Deutschland werden kann. In diesem Sinne lassen Sie uns trotz aller Meinungsverschiedenheiten zusammenarbeiten, damit wir ein Gesetz schaffen, das die soziale Existenz der Arbeitenden und der Menschen, die nicht mehr arbeiten können, in ausreichender Weise sichert.