Rede von
Helmut
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein Zufall, daß neben die Behandlung der Wehrpflichtvorlage, die ja die Politik der Pariser Verträge ausführen soll, gleichzeitig diese Organisationsgesetzvorlage tritt, welche die aus der Aufstellung von Streitkräften resultierende Macht und ihre Ausübung regulieren und kanalisieren, sie durchsichtig und kontrollierbar machen und sie schließlich dem Willen des Verfassungsgebers entsprechend auch de facto in die Hände der verantwortlichen politischen Leitung legen soll.
Mir liegt daran, hervorzuheben: Wir empfinden einen gewissen Stolz darüber, daß wir in den vorhergehenden Gesetzen zusammen mit verantwortungsfreudigen Abgeordneten anderer Fraktionen entgegen dem Willen des Herrn Bundeskanzlers durchgesetzt haben, daß diese Dinge auf dem Wege des Gesetzes und nicht mit Hilfe der sogenannten Organisationsgewalt der Bundesregierung geregelt werden. Der Herr Bundeskanzler ist ja wie auf manchen Feldern der Politik so insbesondere auch auf dem militärpolitischen Feld von einer hervorstechenden Konservativität. Er hat in diesem Falle Bedenken wegen der Einschränkung der Organisationsgewalt gehabt, die normalerweise der Bundesregierung zukommt. Und er hatte ja recht: genau das haben jedenfalls wir Sozialdemokraten uns bei der Forderung nach diesem Gesetz vorgestellt und u. a. bewußt eine Einschränkung der Organisationsgewalt der Bundesregierung auf dem militärpolitischen Felde gewollt. Wir wollten eben nicht, daß die Bundesrepublik in die Zeit von vor 1914 zurückfallen sollte, wo die Fragen der militärischen Spitzengliederung der autoritären Entscheidung des Obersten Kriegsherrn allein überlassen waren.
Wenn ich mit einem gewissen kollegialen Dank an manche Abgeordnete anderer Fraktionen hervorgehoben habe, daß es keineswegs das alleinige Werk der Sozialdemokraten gewesen ist, daß im
Freiwilligengesetz und im Soldatengesetz jener § 2 c — ich weiß im Augenblick nicht, wie er später endgültig benannt wurde — aufgenommen wurde, der dieses Organisationsgesetz fordert, so möchte ich doch gleichwohl auch hervorheben, daß nun einige übereifrige wehrpropagandistisch tätige Journalisten über das Ziel hinausgeschossen haben, wenn sie daraus eine sogenannte große Wehrkoalition haben herauslesen wollen. Das ist ja wohl jedenfalls nach dem Ablauf des heutigen Tages auch nicht mehr drin. Vernebelung in der Öffentlichkeit kann man also damit nicht treiben.
Warum aber ist nun tatsächlich bei der von Ihnen, meine Damen und Herren von der Rechten, nun einmal beschlossenen Aufrüstung eine gesetzliche Regelung der militärischen Spitzenorganisation notwendig? Der Blick in die Weimarer Vergangenheit weist hier durchaus auf unerfreuliche Erfahrungen hin. Die gesetzliche Schaffung eines Chefs der Heeresleitung und eines Chefs der Marineleitung innerhalb des damaligen Reichswehrministeriums in der Weimarer Republik hat gezeigt, daß die Inhaber solcher Positionen bei geeigneter Personenkonstellation in der Lage sind, den politisch verantwortlichen Minister vollständig zu isolieren und ihm die eigentliche Handlungsvollmacht aus der Hand zu winden. Bei dem Versagen von Parlament und Regierung gegenüber dem Träger der bewaffneten Macht in der Weimarer Republik waren zwar im Laufe dieser Periode viele Faktoren wirksam, nicht zuletzt der Minderwertigkeitskomplex mancher Politiker gegenüber der bewaffneten Macht, und den haben wir heute nicht, meine Damen und Herren,
und Sie hoffentlich auch nicht.
Aus diesem Minderwertigkeitskomplex heraus fing die Fehlentwicklung damals schon an. Der Reichstag, die Legislative, hatte eben von Anfang an keinen Organisationswillen in bezug auf die Reichswehr. Hier war eine der entscheidenden Lükken, in die Herr von Seeckt und später vor allem Schleicher bei der Schaffung des Staates im Staate hineingestoßen sind. Immerhin hatte der § 8 des Reichswehrgesetzes von 1921 einen zwar unzureichenden, aber doch zu verzeichnenden Versuch gemacht, die alte militärisch-autorative Ordnung von vor 1914 zu ersetzen, — aber eben einen unzureichenden Versuch!
Die Bundesregierung mutete uns im Zusammenhang mit der Debatte vor neun Monaten über das Freiwilligengesetz zu, überhaupt keinerlei Versuch zu machen und diese ganze Materie ausschließlich der sogenannten Organisationsgewalt der Bundesregierung — d. h. praktisch den Richtlinien der Politik, die der Bundeskanzler bestimmt — zu überlassen.
Man kann aber in der preußisch-deutschen Verfassungs- und Militärgeschichte noch weiter zurückgehen, um interessante Punkte in bezug auf das Organisationsproblem der militärischen Spitze aufzuspüren. Es wäre vielleicht interessant, z. B. in das Jahr 1808 und 1809 zurückzugehen, wo Scharnhorst — und wenigstens auf diese Weise gerät eben auch der Herr Minister Blank in eine gerade Linie mit Herrn Scharnhorst -
versucht hat, alle militärischen Zuständigkeiten in
seiner Hand, in seiner politisch verantwortlichen
Hand zu vereinigen und gleichzeitig das Gegenzeichnungsrecht für sich als den politisch verantwortlichen Kriegsminister gegenüber dem Souverän zu erkämpfen. Sehr bald hat damals in Preußen die Reaktion gesiegt. Es wurde alles wieder aufgesplittert bis zu dem Status etwa gegen Ende des 19. Jahrhunderts oder zu Anfang des Weltkrieges unter Wilhelm II., wo vier unabhängige militärische Säulen nebeneinander standen: ein Generalstab, ein Militärkabinett, dann auch ein Kriegsminister und schließlich die kommandierenden Generale der einzelnen Armeekorps, die dem Kriegsminister nicht unterstanden. Alle diese vier Säulen liefen erst in der obersten Spitze, beim Kaiser selbst, in einer Hand zusammen. Dieselben vier Säulen gab es dann noch einmal für die Kaiserliche Marine. Eben in diesen zahlreichen militärischen Einflußmöglichkeiten auf die Staatsspitze, die mit jener Organisationsform, noch dazu ohne parlamentarische Verantwortlichkeit, gegeben waren, dokumentierte sich der vom Offiziersstand dominierte Militärstaat.
Wie wir sahen, hat die Weimarer Republik den völlig unzureichenden und nicht geglückten Versuch gemacht, nicht nur aufzuräumen mit dieser Struktur, sondern eine bessere, wirklich demokratische Struktur an ihre Stelle zu setzen. Andere Demokratien haben diesen Versuch glücklicher und erfolgreicher gemacht. Beispielsweise haben Frankreich, die Schweiz und England und — sehr sorgfältig und immer wiederholt — vor allen Dingen auch die Vereinigten Staaten diese Fragen der militärischen Spitzenorganisation durch Gesetz geregelt und nicht etwa dem Belieben der jeweiligen Regierung überlassen. Eine Demokratie darf auf eine solche gesetzgeberische Regelung gar nicht verzichten, wenn sie nicht Gefahr laufen will, im Verteidigungsministerium die Schlüsselgewalt zu verlieren.
Wenn also der vorliegende Gesetzentwurf dem Prinzip nach gefordert werden mußte, so ist er doch in seiner aktuellen Ausgestaltung an einigen entscheidenden Punkten zu kritisieren und zu bemängeln. Wir haben z. B. schon die Überschrift des Gesetzentwurfs zu bemängeln. Dort ist nur die Rede von der „militärischen Landesverteidigung". In dem früheren Stadium des Gesetzentwurfs hatte es „Landesverteidigung" schlechthin geheißen. Hier liegt ein sehr bemerkenswerter Unterschied. Die Hinzufügung des Wortes „militärisch", die eine Einschränkung darstellt — der Begriff der Vorbereitung der Landesverteidigung erstreckt sich auf viel mehr Erscheinungen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens als nur auf den eigentlichen militärischen Sektor —, legt den Verdacht nahe, daß die übrigen Dinge der Vorbereitung der Verteidigung außerhalb des Verteidigungsministeriums geplant werden sollen, z. B. etwa in einer Art Nebengeneralstab im Annex des Bundeskanzleramtes. Wir möchten in den Ausschußberatungen gerade diesen Punkt sehr deutlich geklärt wissen. Wir sind der Meinung, daß die Verteidigungsvorbereitung im umfassenden Sinne und die Planungen dafür im Verteidigungsministerium, das parlamentarisch verantwortlich ist, gemacht werden sollten und nicht irgendwo im Dunkel oder im Halbdunkel.
Wir möchten auch gern Aufklärung über die Institution des Verteidigungsrates haben, der im Gesetz nicht behandelt ist. Es mag grundgesetzliche Einwände dagegen geben, ihn im Gesetz zu behan-
dein. Zumindest wäre es notwendig gewesen, in der schriftlichen und in der mündlichen Begründung des Gesetzentwurfs die Stellung dieses Organs der Regierung in seiner Aufgabenstellung und in seiner Tätigkeit einmal zu umreißen, das eigens zur Koordination der Verteidigungsvorbereitung geschaffen worden ist. Ich jedenfalls habe seinerzeit, als der Verteidigungsrat geschaffen wurde, den Eindruck gehabt, daß man damit ein ernsthaftes Instrument zu schaffen beabsichtigte. Wir haben in der Zwischenzeit gehört, daß er seit Januar nicht zusammengetreten sein soll. Vielleicht ist das bereits der Anfang vom Ende; das lasse ich dahingestellt. Aber es wäre gut, wenn darüber klarer Wein eingeschenkt würde.
Zum anderen ist zu kritisieren — darauf hat der Kollege Reichstein schon hingewiesen —, daß das Gesetz zwar sehr sorgfältig die vier militärischen Abteilungen des Bundesverteidigungsministeriums in ihrer Aufgabenstellung und Zuständigkeit definiert, sich aber über die übrigen Aufgaben dieses Ministeriums und über die dafür notwendigen Abteilungen vollständig ausschweigt. Können diese nun, Herr Minister Blank, nach Belieben umgebaut, zusammengelegt oder abgebaut werden, oder aber hielt man sie für so unwichtig, daß man sie gar nicht erst erwähnen mußte? Ich gebe zu, daß eine gewisse Flexibilität Ihres Ministeriums auch in diesem Gesetz aufrechterhalten werden muß, um die Erfahrungen, die man im Laufe von Monaten und Jahren macht, berücksichtigen zu können, ohne daß man gleich das Gesetz ändern muß. Aber es fällt z. B. auf, daß nicht nur die Frage des Sanitätswesens — darauf haben schon zwei Kollegen hingewiesen — nicht in dem Gesetz geregelt ist, daß z. B. auch die unter den heutigen Zeitläuften in der gegenwärtigen wirtschaftlichen und konjunkturellen Situation unserer Bundesrepublik außerordentlich bedeutsame Rolle der Technik und Rüstung in Ihrem Gesetzentwurf gar nicht behandelt wird. Jeder, der sich mit diesen Dingen beschäftigt, weiß doch, daß einer der wundesten Punkte in Ihrem Hause die einstweilen noch nicht vollendete Organisation auf diesem Gebiete ist, daß die meisten Pannen, die in Ihrem Hause vorkommen, doch deswegen passieren, weil diese Abteilungen Ihres Hauses noch nicht arbeitsfähig sind, teilweise sogar in der Idee noch nicht richtig konzipiert sind. Das Fehlen von Aussagen und Vorschriften gerade auf diesem Gebiet der Technik und Rüstung halten wir für einen der Hauptmängel des Gesetzes in seiner gegenwärtigen Form.
Ein dritter Punkt: Alle Damen und Herren des Hauses sind sich darüber einig, von welcher innenpolitischen und militärpolitischen Bedeutung die zukünftige Personalpolitik des Bundesverteidigungsministers sein wird, die Personalpolitik nicht nur in bezug auf die Auswahl von Fähnrichen und Leutnanten, sondern eben auch - worüber wir in diesem Hause mehrfach gesprochen haben — in bezug auf die Beförderung, Versetzung und überhaupt die Verwendung von Obersten und Generalen. In den Vorbesprechungen, auf die der Herr Minister Blank in seiner Zwischenbemerkung abhob, als er davon sprach, daß er sich bei der Konzipierung des Gesetzes auch sorgfältig mit Parlamentariern unterhalten habe, hat es, Herr Minister Blank, sehr massive Hinweise — gerade von Kollegen Ihrer Fraktion — auf die Bedeutung des richtigen Einbaues der Personalpolitik, d. h. der Personalabteilung in Ihrem Ministerium gegeben.
Ich erinnere Sie daran, daß Ihr Parteifreund Herr Heye gesagt hat, die Personalabteilung dürfe überhaupt nur unmittelbar unter dem Minister stehen, sie sei sein entscheidendes Machtinstrument. Ich lasse dahingestellt, ob das richtig oder falsch ist. Ich zitiere das nur, um in Erinnerung zu rufen, daß hier noch ein ganz wichtiger Punkt offen ist bei der Konzipierung der Struktur Ihres Ministeriums und der zukünftigen Oberkommandos der Wehrmachtteile, wenn ich so sagen darf. Den kann man doch in dem Gesetz nicht einfach übergehen oder sich darüber ausschweigen.
Ein anderer Punkt: Was ist mit der Haushaltsabteilung? Ich erinnere Sie daran, daß auf Grund der amerikanischen Gesetze zur Spitzengliederung der Streitkräfte nicht nur Haushaltsabteilungen geschaffen werden, sondern auch Kontrollabteilungen, die die Durchführung z. B. von Rüstungsaufträgen überwachen und kontrollieren. Ihr Gesetzentwurf schweigt sich über diesen Punkt aus.
Und was ist z. B. mit der gesetzlichen Verankerung der Stellung der „Inneren Führung" in Ihrem Hause? Wir wissen doch alle, daß seit Jahren ein Kampf und in den letzten Monaten ein zugespitzter Kampf besteht zwischen einer Gruppe, die sich — wenn Sie so wollen — um den Namen Baudissin kristallisiert, und einer anderen Gruppe, wobei die Zuständigkeiten in Ihrem Hause völlig ungeklärt sind und man immer Angst haben muß, daß womöglich morgen oder in der nächsten Woche von dieser ganzen „Inneren Führung" nichts bleibt als das Schlagwort. Weswegen nicht im Gesetz fundamentiert und zementiert?
Über das Sanitätswesen brauche ich nicht zu sprechen; das haben zwei Kollegen schon getan.
Aber ich möchte noch folgende Frage aufwerfen. Der § 52 e des Soldatengesetzes alias 2 c des Freiwilligengesetzes sagt doch: „Die Organisation der Verteidigung bleibt gesetzlicher Regelung vorbehalten." In einem Nebensatz heißt es: „insbesondere die Spitzengliederung der Bundeswehr und die Organisation des Verteidigungsministeriums." Die Organisation des Verteidigungsministeriums ist in diesem Gesetzentwurf nur zum Teil behandelt. Die Spitzengliederung der Bundeswehr ist nur insoweit behandelt, als man sagt: Die Bundeswehr besteht aus Heer, Marine und Luftwaffe. Das wußten wir schon vorher, das brauchte man im Gesetz nicht zu sagen. Im übrigen ist über die Organisation der Bundeswehr in diesem Gesetz nichts gesagt,
mit einer Ausnahme — ich komme auf die Ausnahme, auf die Sie hinweisen wollen, Herr Dr. Kliesing —, mit der Ausnahme der Frage der militärischen Territorialorganisation und der regionalen Wehrverwaltung.
— Die Inspektionsrechte sind doch keine Frage der Gliederung, sondern eine Frage der Kompetenz.
Ich möchte gerade zu der militärischen Territorialorganisation und zur regionalen zivilen Wehrverwaltung etwas sagen. Es wird in Deutschland sechs Plätze geben — Kiel, Hannover, Düsseldorf, München usw. —, die sowohl einen Wehrbereichskommandeur als auch — zweitens — einen Chef der Wehrverwaltung als auch — drittens — einen regionalen Chef der Wehrersatzverwaltung,
womöglich — viertens — einen Bevollmächtigten des Bundesverteidigungsministers bei dem jeweiligen Lande und schließlich die eigentlichen Truppenbefehlshaber selbst haben werden. Man darf hier die Frage stellen: Ist das nicht ein bißchen viel Aufwand für die Breiten- und Unterorganisation Ihres Hauses, Herr Minister? Ich habe neulich einen Witz gehört, den ich außer Verantwortung hier weitergebe: es sei hier nämlich in der Wehrverwaltung das Prinzip der südafrikanischen Apartheid zum Zuge gekommen, allerdings mit dem Unterschied, daß es hier die Schwarzen seien, die unter sich bleiben wollten, und deshalb die Trennung in verschiedene Säulen.
Ich möchte auch noch die Frage aufwerfen, Herr Minister: Warum ist in diesem Gesetzentwurf, den die Bundesregierung dem Bundestag vorlegt, eine Sache weggefallen, die in ihm in früheren Referentenstadien enthalten gewesen sein soll, nämlich daß die höheren Kommandostäbe der Bundeswehr völkerrechtliche Sachverständige beigeordnet bekommen sollten? Uns ist gesagt worden, das sei im Verteidigungsrat gestrichen worden. Ich weiß es nicht. Ich möchte nur gerne, daß es hier begründet wird, wenn das so gewesen sein sollte.
Es bleiben also in dem Gesetzentwurf noch manche Lücken zu füllen, und der Ausschuß wird sehr viel Arbeit damit haben. Ich würde für meine Person dem Kollegen Mende zustimmen, daß dieser Gesetzentwurf bei der Ausschußberatung vorangestellt werden sollte.
Gegenüber diesen kritischen Bemerkungen möchten wir jedoch auch einige positive Gesichtspunkte zur Vorlage herausheben. Wir begrüßen die Formulierung im Gesetzentwurf „ein oder mehrere Staatssekretäre". Das gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß der Abgeordnete Professor Schmid im Parlamentarischen Rat einmal eine lange Debatte über die Frage der parlamentarischen Staatssekretäre herbeigeführt hat. Der Parlamentarische Rat war sich damals einig, daß der heute gültige Text des Grundgesetzes jeder Regierung die Möglichkeit gibt, sich des Instruments eines parlamentarischen Staatssekretärs zu bedienen. Die Regierung hat bisher diese Möglichkeiten nicht genutzt; es scheint so, als ob sie sich mit der etwas unscharfen Formulierung in diesem Gesetzentwurf „ein oder mehrere Staatssekretäre" eine solche Möglichkeit für die Zukunft ausdrücklich offenhalten wollte. Wir begrüßen das.
— Herr Dr. Kliesing, ich habe schon lange den Eindruck, daß Herr Minister Blank und sein Staatssekretär völlig überfordert sind. Ich finde es einigermaßen abstrus, daß der Herr Bundespostminister, der doch wirklich nicht im Mittelpunkt überstürzter und überhasteter Arbeit steht, über zwei Staatssekretäre verfügt, während es beim Verteidigungsminister — seit ganz kurzer Zeit — nur einen gibt. Es ist deshalb wohl ganz gut, daß die Regierung in ihren Gesetzentwurf hineingeschrieben hat: „mehrere Staatssekretäre". Besonders gut wäre es, wenn der eigentliche politische Vertreter des Ministers ein parlamentarischer Staatssekretär wäre. Damit soll keinerlei Kombination über etwaige Koalitionsarithmetik Tür und Tor geöffnet sein.
Wir begrüßen auch, daß der Gesetzentwurf ausdrücklich keinen militärischen Oberbefehlshaber oder — er hätte ja auch einen anderen Namen haben können — keinerlei militärische Funktion vorsieht, die dem etwa entspräche, sondern daß die militärische Seite dieses Hauses in die bekannten vier militärischen Abteilungen — die vierte und wichtigste von ihnen ist die Streitkräfteabteilung — gegliedert wird und daß die Funktion des obersten Soldaten praktisch in die vier Chefs dieser vier Abteilungen aufgespalten ist, die sich eben nach amerikanischem Vorbild im Rat der Vereinigten Stabschefs — bei uns heißt es etwas großspurig „Militärischer Führungsrat" —. zusammenfinden und dort wahrscheinlich die allwöchentlichen Koordinierungsarbeiten genau so zu leisten haben werden wie die Beratung des Ministers und der Regierung in wesentlichen strategischen oder sonstigen militärischen Fragen. Wir halten es für gut, daß man der Versuchung widerstanden hat, einen militärischen Spitzenmann innerhalb des Ministeriums zu schaffen, eben gerade wegen der Erfahrung mit Seeckt und wegen der Erfahrung mit der Reichswehr, und stimmen dieser Lösung im Prinzip aus vollem Herzen zu, wenngleich man die Frage aufwerfen kann, ob es wirklich zweckmäßig ist, nun statt vier fünf Personen zu nehmen. Aber ich verstehe, daß in gewissen Situationen Regelungen ad personam durchaus zweckmäßig und legitim sein können.
Übrigens wird es dazu wahrscheinlich noch Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit geben. Ein großer Teil der früheren wie der heutigen Offiziere und Soldaten möchte gern in Anlehnung an alte Traditionen und Vorstellungen so eine Art Oberbefehlshaber haben. Sie brauchen eben einen Ersatz für den früheren obersten Kriegsherrn in Uniform. Es mag in bezug auf diese Tendenzen, die durchaus virulent sind und die man bei allen Gesprächen ständig spürt, gerechtfertigt sein, dazu die Stimme eines früheren amerikanischen Heeresministers zu zitieren, wenn Sie erlauben, Herr Präsident. Mr. Gordon Gray sagt:
Wenn ein Minister seine Befehlsgewalt seinem Chief of Staff überträgt und sich dann darauf verläßt, daß dieser Chief of Staff ihm verantwortlich sei, hat ein solcher Minister durch eine derartige Handlungsweise seiner Aufsichtspflicht nicht genügt.
Das ist genau die Situation der Weimarer Konstruktion und genau das Urteil, dem wir uns, glaube ich, heute anschließen würden.
Die Schaffung eines militärischen Oberbefehlshabers innerhalb des Ministeriums, sei es selbst in der formalen Stellung eines Stabschefs der Bundeswehr mit bloß vom Minister abgeleiteten Weisungsbefugnissen an die übrigen militärischen Abteilungen, könnte bedenklich nahe an das herankommen, was man im Ausland die „passive Auffassung" von der zivilen Leitung der Wehrmacht nennt. Statt dessen gibt es, etwa in Amerika, die Doktrin; die dort auch durch ein Gesetz des Kongresses verwirklicht ist, von der „aktiven Auffassung" der zivilen Lenkung und Leitung der militärischen Macht. Wenn Sie erlauben, Herr Präsident, darf ich dazu noch einmal ein amerikanisches Zitat vortragen. Es stammt aus dem Kreis derjenigen Leute, die heute vor drei Jahren im sogenannten Rockefeller-Ausschuß das amerikanische Pentagon durch Gesetz umorganisiert und in Übereinstimmung gebracht haben mit den Grundzügen des demokratischen Staatsaufbaues. Gerade zu der Frage, ob man einem Soldaten die konzentrierte Macht und die Möglichkeit in die Hand geben soll, allgemeine Ent-
scheidungen von sich aus zu treffen, haben diese Leute nun nicht nur aus demokratischen Aspekten heraus, sondern auch unter verwaltungs- und militärfachlichen Aspekten sehr interessante Ergebnisse erzielt. Es heißt da z. B. — ich darf zitieren —:
Die moderne Kriegführung macht ein Abwägen von Faktoren und eine Anzahl von Fertigkeiten erforderlich, die nicht allein oder normalerweise nicht allein zum Erfahrungs- und Kenntnisschatz eines Berufssoldaten gehören. Höchste Entscheidungen bedürfen auch der Erfahrung und des Wissens der Wissenschaftler, des Ingenieurs, des Produktionsfachmannes, des Verkehrsexperten, des Psychologen, des Finanzfachmannes, sogar des Juristen.
Ich darf mit Vergnügen bemerken, daß hier die Verkehrsexperten vor den Juristen genannt werden!
Es geht dann weiter:
Die Erkenntnisse der Spezialisten müssen den Männern mit der allgemeinen Erfahrung zuströmen, ohne durch militärische Filter behindert zu werden.
Das ist der entscheidende Punkt, daß ein Mann, ein einzelner Soldat im Ministerium ein Filter wäre nach oben; alles, was die Regierungsebene, die politische Ebene über die militärische Lage, über militärische Probleme zu erfahren wünscht, müßte durch das Filter dieses Mannes und seines Büros. Darin liegt die fachliche Gefahr.
Übrigens fährt dieses Zitat fort — und das ist so schön, daß ich es Ihnen nicht vorenthalten möchte —:
Die beliebteste Rechtfertigung für Spezialisten ist der „persönliche Schatz militärischer Erfahrung" und „die Stetigkeit im Amt". Aber Männer mit einem persönlichen Schatz militärischer Erfahrung pflegen im allgemeinen Spezialisten zu sein. Wenn es auch Ausnahmen gibt, so entwickeln sich Spezialisten in der Regel nicht zu Generalisten. Dieses Urteil bezieht sich keineswegs nur auf Militärs. Rechnungsprüfer und Juristen sind auch Spezialisten, die in der Regel schwache Spitzenexekutivbeamte ergeben.
Das war sicherlich nicht mit irgendeinem Seitenblick auf die gegenwärtige Situation im Bundesfinanzministerium hier zitiert, aber durchaus mit einem Seitenblick auf die gegenwärtige Organisation und Personalstellenbesetzung im Hause des Herrn Bundesverteidigungsministers.
Herr Minister, Sie werden in Ihrem Hause so, wie die Dinge jetzt von Ihnen geplant sind, zehn, elf oder zwölf Abteilungen nebeneinander haben. Die militärische Erfahrung Ihrer militärischen Berater wird Ihnen sagen, daß kein Kommandeur gleichzeitig zwölf Kompanien befehligen kann, sondern daß er dazwischengeschaltete Bataillonsstäbe braucht. So werden auch Sie in Ihrem Ministerium zusammen mit Ihrem bis jetzt einzigen Staatssekretär nicht gleichzeitig zwölf Generale und Ministerialdirektoren leiten können. Sie müssen Ihr Ministerium wahrscheinlich in der einen oder anderen Form in Säulen aufgliedern. Es bietet sich vielleicht an, Ihre Absicht, mehrere Staatssekretärposten zu schaffen, so auszubauen, daß ein Staatssekretär, der parlamentarische Staatssekretär, Ihr politischer Vertreter ist und gleichzeitig die Personalabteilung leitet, daß ein
anderer — das könnte auch ein Unterstaatssekretär sein — als Leiter der Bundeswehrverwaltung installiert wird und schließlich ein dritter als Chef von Technik und Rüstung eingesetzt wird, deren Bedeutung hier schon gestreift wurde.
Ich bin damit am Schluß dieser Bemerkungen. Wir sind uns sicherlich alle darüber klar, daß Organisation nicht alles ist und nicht alles machen kann. Die Ausübung der Organisationsgewalt durch das Parlament kann auch nicht die ultima ratio bei der parlamentarischen Kontrolle dieses Wehraufbaues sein. Sie ist eines von mehreren Mitteln am Anfang. Auf die Dauer wird es nicht nur auf die Gesetze ankommen, sondern mehr noch auf die Menschen, die diese Gesetze ausführen, und auf die Menschen, die die Ausführung überwachen.
Ich darf für meine Freunde bemerken, daß wir der Ausschußüberweisung zustimmen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.