Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist keine sehr dankbare Aufgabe, heute hier noch einmal im Rahmen der Wehrdebatte mit einem Anliegen zu kommen, das ein Teil der deutschen Öffentlichkeit bereits vergessen hat, der andere, wahrscheinlach kleinere Teil aber um so heftiger verficht, nämlich mit dem der Freilassung der im westlichen Gewahrsam festgehaltenen Kriegsverurteilten. Aber meine Fraktion, die Fraktion der Freien Demokraten, hat mich in Fortsetzung ihrer von eh und je zu dieser Frage eingenommenen Haltung beauftragt, es vorzutragen. Damit will ich nicht sagen, daß es nicht auch mir ein Bedürfnis sei, meinen am 10. Juli 1952 vor dem Bundestag begonnenen Appell an die Westmächte bis zum guten Ende weiterzuführen.
Der Appell ist das einzige Mittel, dessen sich dieses Parlament bedienen kann, um Einfluß auf die Bereinigung der Kriegsverurteiltenfrage zu nehmen. Ein solcher Appell einer gewählten Volksvertretung findet, des bin ich gewiß, bei den westlichen Gewahrsamsmächten mit jahrhundertealter demokratischer Tradition auch Gehör. Darum sollten wir uns geschlossen hinter diesen Appell stellen.
Die Frage, um die es hier geht, ist die einer Bereinigung des Kriegsverurteiltenproblems, die vom gesamten deutschen Volk stets in Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der deutschen Streitkräfte gesehen worden ist. Ich weiß, daß einige der Gewahrsamsmächte diesen Zusammenhang nicht erkennen, vielleicht weil sie ihn nicht erkennen wollen, vielleicht aber auch, weil er nicht unbedingt logisch ist. Aber im Gefühl des deutschen Volkes besteht er nun einmal. Man empfindet es als einen Widerspruch, daß ehemalige deutsche Soldaten gerade von den Mächten verurteilt und festgehalten werden, die heute unsere Verbündeten sind. Aus diesem Grunde haben wir die Pflicht, uns für die Freilassung der Kriegsverurteilten einzusetzen, insbesondere dann, wenn wir uns für die allgemeine Wehrpflicht aussprechen. Denn falls wir die allgemeine Wehrpflicht einführen, müssen wir uns darüber klar sein, daß wir damit auch diejenigen heranzuziehen haben werden, die sich durch das Verhalten der Gewahrsamsmächte noch immer vor den Kopf gestoßen fühlen.
Übrigens wurde unter dem 19. April in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu diesem Problem ein Bericht veröffentlicht, in dem es bezüglich der derzeitigen Lage in Landsberg heißt — ich darf, die Genehmigung des Herrn Präsidenten voraussetzend, zitieren —:
Wer kann heute noch Verständnis dafür haben, daß die Bundesrepublik alljährlich 1,2 Millionen Mark aufbringt, damit auf unserem Boden 33 Gefangene von einem riesigen ausländischen Strafvollzugsapparat bewacht werden? 229 Personen, darunter drei amerikanische Offiziere, 23 amerikanische Unteroffiziere und Mannschaften sowie 160 Polen befassen sich in Landsberg mit dieser anstrengenden Tätigkeit. Wer begreift, warum die mit uns befreundeten Staaten sich nicht ein Beispiel an der Sowjetunion nehmen?
Wir wissen außerdem, daß die Sowjetunion ihr Versprechen, die deutschen Kriegsgefangenen zu entlassen, erfüllt hat und daß alle Anzeichen darauf hindeuten, daß sie die Entlassung aller deutschen Gefangenen vorbereitet.
Und die deutsche Bundesrepublik? Es muß anerkannt werden, daß sie sich in vorbildlicher Weise bemüht, ein gutes Beispiel zu geben bei der Behandlung von Ausländern, die sich in ihrem Ge-
wahrsam befinden. Nach neuesten, zuverlässigen Meldungen hat sie sich bereit erklärt, alles zu tun, die Ausreise selbst solcher ehemaliger Sowjetbürger zu ermöglichen, die in der Bundesrepublik straffällig geworden sind und sich in Haft befinden, sofern sie es wünschen. Und bei diesen Gruppen handelt es sich nicht um Kriegsverurteilte, sondern um Kriminelle aus der Nachkriegszeit. Ich glaube, in aller Bescheidenheit sagen zu dürfen: diese Handlungsweise zeigt, daß man derartige Probleme auch großzügig lösen kann, wenn es dem Interesse der guten Beziehungen unter den Völkern dient.
Wie ließe sich nun eine Bereinigung des Problems vornehmen? Neben der Möglichkeit, auf dem Wege über die Gnadenausschüsse die Befreiung herbeizuführen, wäre es heute vielleicht empfehlenswert, ein Sonderabkommen mit den Gewahrsamsmächten zu treffen, das der Bundesregierung die Verantwortung für den Strafvollzug und das Begnadigungsrecht überträgt. Die Gründe, die früher gegen eine solche Regelung standen, scheinen mir heute nicht mehr entscheidend zu sein. Auf diese Weise würde die Bereinigung des Problems denjenigen Gewahrsamsmächten erleichtert werden, die aus internen Gründen die Freilassung nicht verantworten können.
Auf die rechtliche Situation noch einmal einzugehen, kann ich mir ersparen, da darüber im 1. Bundestag häufig genug gesprochen worden ist. Aber ich kann nicht schließen, ohne daran zu erinnern, daß anläßlich der dritten Lesung des Deutschland-Vertrages am 19. März 1953 von einem Vertreter der amerikanischen Verbindungsstelle in Bonn das Versprechen abgegeben wurde, daß die Lösung des Kriegsverurteiltenproblems in längstens zwei bis drei Jahren erfolgt sein wird. Diese offizielle Nachricht, die sogar der Presse übergeben wurde, erleichterte damals dem Bundestag die Zustimmung zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, um so mehr, als damit auch der Zusammenhang zwischen der Schaffung neuer deutscher Streitkräfte und der Kriegsverurteiltenfrage von einer der Gewahrsamsmächte anerkannt wurde. — Die damals gestellte Frist ist abgelaufen, ohne daß das Versprechen ganz erfüllt worden ist. Meine im Auftrag der Fraktion der Freien Demokraten an die Gewahrsamsmächte gerichtete Bitte verfolgt den Zweck, an ein Versprechen zu erinnern, damit wir an ihrem Wort nicht zweifeln müssen.
Ich möchte wiederholen, was ich anläßlich der Verabschiedung des Deutschland-Vertrags gesagt habe, nämlich daß es für eine fruchtbare und die Kraft Europas gewährleistende Politik völlig unverzichtbar ist, daß ein gegebenes Versprechen eingehalten wird.