Rede von
Hans
Merten
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Vorlage des Wehrpflichtgesetzes durch die Bundesregierung hat sich für die Bundesregierung auch die Notwendigkeit ergeben, nun die Frage der Kriegsdienstverweigerung gesetzlich zu regeln. In dem vorliegenden Entwurf dieses Gesetzes finden wir auch in den §§ 25, 26 und 27 Vorschriften über die Kriegsdienstverweigerung. Mit diesen Vorschriften soll offenbar der Anspruch des Grundgesetzes erfüllt werden, wie er sich in Art. 4 Abs. 3 findet. Offenbar soll damit das Grundrecht näher geregelt werden, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann.
Wenn wir aber diesen § 25 — und es ist der entscheidende Paragraph — einer näheren Prüfung unterziehen, dann sehen wir, daß dieses im Grundgesetz festgelegte Grundrecht hier doch ganz entscheidend eingeschränkt wird. Das Recht der Kriegsdienstverweigerung wird hier nur noch denjenigen zugebilligt, die sich aus grundsätzlicher religiöser Überzeugung allgemein zur Gewaltlosigkeit in den Beziehungen der Staaten und Völker bekennen. Es wird vollkommen übersehen, daß es daneben noch eine große Zahl anderer, vor dem Gewissen des einzelnen zu verantwortender Gründe gibt, die nach dem Willen des Grundgesetzes ebenfalls berücksichtigt werden sollen. Bei der Formulierung des § 25 stand offenbar der Gedanke Pate, daß es sich bei der Kriegsdienstverweigerung aus Gründen des Gewissens nicht um ein Grundrecht handelt, sondern um ein Ausnahmerecht, welches vom Staat lediglich toleriert wird, aber in seinem Prinzip dem Wesen und dem Willen des Staates widerspricht.
Von dieser grundsätzlich falschen Auffassung vom Verständnis des Grundgesetzes her ist es dann nur noch ein kurzer Weg zur moralischen Degradierung und Diskriminierung derer, die sich auf dieses angebliche Ausnahmerecht berufen. Ein sehr schönes Beispiel dafür waren ja die Ausführungen des Herrn Kollegen Schneider, der gesagt hat: Es ist die Pflicht eines anständigen Menschen, zur Verteidigung von Haus und Hof und Familie zu der Waffe 7u greifen! Das heißt mit anderen Worten: Wer aus Gewissensgründen das ablehnt, ist eben kein anständiger Mensch, sondern ein unanständiger Mensch. Damit fängt die Diskriminierung an, und damit fängt das an, was vermieden werden muß, nämlich die Degradierung eines Grundrechts zu einem Ausnahmerecht. Von diesem Standpunkt her ist das Ausnahmerecht nur eine Tolerierung dessen, was eigentlich gar nicht sein sollte. Von daher ist die Formulierung des § 25 erfolgt.
Ich bin dem Herrn Kollegen Dr. Kliesing sehr dankbar, daß auch er darauf hingewiesen hat, daß wir uns über diese Frage noch sehr ernsthaft im Ausschuß unterhalten müssen und daß noch eine sehr gründliche Prüfung dieser Angelegenheit erfolgen muß. Es ist meine Auffassung und auch die meiner Freunde, daß es so auf jeden Fall nicht im Gesetz stehenbleiben darf. Denn das Grundgesetz spricht ausdrücklich von der Gewissensentscheidung des einzelnen. Man kann deswegen diese Gewissensentscheidung in dem Gesetz nicht völlig außer Betracht lassen und lediglich noch das Argument gelten lassen, daß ein Bekenntnis ganz allgemein zur Gewaltlosigkeit in den Beziehungen der Staaten und Völker ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt. Dabei muß auch noch der Antragsteller den Beweis erbringen, was natürlich bei jungen Menschen mit einer kurzen Lebenserfahrung sehr schwierig sein dürfte. Bis dahin unterliegt er der Vermutung, daß er den Kriegsdienst, sagen wir, aus Drückebergerei, aus Bequemlichkeit oder aus Feigheit verweigert.
Wenn man dann noch die Begründung liest, die zu dem § 25 in diesem Gesetz gegeben wird, dann wird auch klar, warum das gerade so und nicht anders geregelt wird. Denn es heißt in der Begründung, das Grundgesetz beruhe auf dem Grundgedanken der repräsentativen Demokratie. Ich bin mir im Augenblick nicht klar darüber, woher der Verfasser dieser Begründung diese Wissenschaft bezogen hat. Ich war bisher der Auffassung, wir lebten in einer parlamentarischen Demokratie. Wenn man das liest, hat man das Gefühl - und es wird ja auch wohl richtig sein —, daß hier ein Gegensatz zur parlamentarischen Demokratie geschaffen werden soll, indem von einer „repräsentativen Demokratie" gesprochen wird.
Diese staatsrechtlichen Ausführungen in der Begründung des Gesetzes und vor allen Dingen die daran geknüpften Folgerungen verdienen die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses, denn aus ihnen spricht autoritäres Denken,
das sich den Staat nicht anders als einen Obrigkeitsstaat vorstellen kann, gegen dessen Entscheidungen es nun einmal keinen Widerspruch geben kann, weil dann der ganze Staat in Frage gestellt würde. Vom Wesen der parlamentarischen Demokratie ist in dieser Begründung auf jeden Fall nichts zu verspüren. Deshalb sind auch die Folgerungen, die in der Begründung von den genannten Voraussetzungen aus gezogen werden, im Prinzip falsch. Man kann dazu sagen, daß hier wieder einmal die merkwürdige Vorstellung umhergeistert, als tue der Kriegsdienstverweigerer eigentlich etwas Unrechtes, etwas Gemeinschaftswidriges, und als müsse er die Treue gegenüber seinem Gewissen eigentlich durch ein Martyrium erkaufen. Dem kann man nicht scharf genug widersprechen. Nicht wer dieses Recht in Anspruch nimmt, sondern derjenige, der es antastet, begeht einen Rechtsbruch! Das muß klar herausgestellt werden.
Wo dieses Grundrecht beeinträchtigt, seine Einschränkung unternommen oder gar seine Aufhebung angestrebt wird, wo also eine Behinderung der Gewissensfreiheit zugunsten vermeintlich höherer Staatsinteressen versucht wird, da ist, glaube ich, höchste Gefahr im Verzuge.
Hat der Art. 4 des Grundgesetzes Ausnahmecharakter? Die Kriegsdienstverweigerung ist allerdings eine Befreiung von einer an sich bestehenden allgemeinen Bürgerpflicht. Die Verfechter des Gedankens der Ausnahmebestimmung sagen, es kann sich hier nur um eine ganz enge Ausnahme, nur um eine ausnahmsweise Befreiung handeln. Man sagt sugar — und das ist auch in einer halbamtlichen Verlautbarung zu lesen —, die Kriegsdienstverweigerung sei erlaubter Ungehorsam gegen das allgemeinverbindliche Gesetz. Abgesehen von der merkwürdigen Logik, die aus dem Prinzip des „erlaubten Ungehorsams" spricht, muß aber auch darüber hinaus einmal ganz klar gesagt werden, daß hier ein Irrweg vorliegt, daß der Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes verfälscht wird. Es heißt ja nicht: wer durch die Kriegsdienstpflicht in seinem Gewissen beschwert wird, darf diesen Kriegsdienst verweigern, sondern es wird umgekehrt dem Staat untersagt, einen solchen Dienst von seinen Bürgern gegen deren Gewissen überhaupt zwangsweise zu verlangen. Das ist doch wohl ein Unterschied. Es mag durchaus sein, daß durch das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung die praktische Durchführung der von der Regierung beabsichtigten Wehrpflicht in Frage gestellt wird. Mir scheint überhaupt aus der ganzen Argumentation so ein bißchen die Angst herauszusprechen: wenn wir die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen freigeben, dann könnte es sein, daß eine so große Anzahl von jungen Menschen von diesem Recht Gebrauch macht, daß dann praktisch eine Wehrpflicht überhaupt nicht mehr durchführbar ist. Nun sei's drum! Selbst wenn das so wäre, ist das noch lange nicht eine Erlaubnis dafür, die Bestimmungen des Grundgesetzes durch ein entsprechendes Ausführungsgesetz in ihrem Wesensgehalt auszuhöhlen und wirkungslos zu machen. Gewissensentscheidungen sind eben nicht vom Religiösen oder vom Ethischen her, sondern Gewissensentscheidungen sind auch vom Politischen und von vielen anderen Grundlagen her denkbar, und sie sind nicht nur denkbar, sondern sie sind sogar erwünscht.
Lesen Sie doch einmal den Art. 38 des Grundgesetzes, in dem es heißt, daß die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes sind, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind! Von diesem Gewissen ist ia sehr oft die Rede. Wenn ein Abgeordneter von einer Partei zu einer anderen überwechselt, wird jedesmal dieser Artikel des Grundgesetzes zitiert. Glauben Sie nicht, daß das Gewissen in Art. 38 des Grundgesetzes ein anderes Gewissen wäre als in Art. 4 des Grundgesetzes!
— Ich möchte das von der Tribüne des Hauses aus nicht in dieser deutlichen Form aussprechen. Ich möchte nur das Recht des Gewissens nach Art. 4 zumindest gleichgeachtet wissen dem Recht des Gewissens. wie es in Art. 38 aufgeführt wird. Sie können nicht in einem Fall Gewissensentscheidungen ganz allgemein anerkennen und im andern Fall dann wieder zu einer Einengung und Abgrenzung derartiger Entscheidungen kommen und damit dann auch noch ein Grundrecht im tiefsten verletzen.
Der Herr Minister hat selbst in der Begründung zu diesem Gesetz diese Frage angesprochen. Er hat allerdings gesagt, es gebe für das Recht der Kriegsdienstverweigerung in der deutschen Geschichte kein Vorbild. Ich muß ihn da berichtigen. Schon zur Zeit Friedrich des Großen ist in der Frage des
Kriegsdienstes der Mennoniten eine Regelung geschaffen, und seitdem — es ist nun schon fast 200 Jahre her — ist diese Frage im deutschen Recht immer und immer wieder behandelt worden. Man hat Auswege gesucht. Eine sehr unbefriedigende Regelung dieser Frage ist nicht zuletzt der Grund, daß beispielsweise ganze Religionsgemeinschaften aus Deutschland ausgewandert sind und in dem damaligen Land der Freiheit, in den Vereinigten Staaten von Amerika, eine Heimat gefunden haben.
Wenn Sie das Recht der Kriegsdienstverweigerung gegenstandslos machen wollen, dann müssen Sie eben den Mut haben, das Grundgesetz zu ändern. Sie können aber nicht in der Befürchtung, daß durch dieses Grundrecht nun die Wehrpflicht nicht im ganzen Ausmaß erfüllt werden kann, zu einer unzulässigen Einschränkung dieses Rechtes kommen.
Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, daß er durch die Einbeziehung dieses Rechtes in das Wehrpflichtgesetz einem Wunsch der Evangelischen Kirche entgegengekommen sei. Das ist vollkommen richtig. Die evangelischen Kirchen haben in einer amtlichen Verlautbarung, die auch der Bundesregierung offiziell zugestellt worden ist, verlangt, daß diese Frage, wenn sie geregelt wird, nicht in einem besonderen Gesetz, sondern in diesem Gesetz geregelt wird, und zwar mit der Begründung, es sei andernfalls zu befürchten, daß ein Sondergesetz für diese Fragen zu einer weiteren Diskriminierung derjenigen, die den Kriegsdienst verweigern wollen, führen könne.
Die Stellungnahme der Kirchen und auch der einzelnen Staatsbürger zum Krieg ist heute nicht mehr so ohne jede Problematik, wie das vielleicht noch im 19. Jahrhundert der Fall war. Die Frage der Berechtigung des Krieges schlechthin ist heute für viele Menschen und insbesondere für die christlichen Kirchen ein Problem geworden, an dem man nicht mehr so einfach vorübergehen kann. Man kann diese Dinge nicht mehr mit der Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit abtun. Ich will auf die Problematik dieser Frage gar nicht näher eingehen. Die Bundesregierung hat sich aber bei dem Entwurf des Wehrpflichtgesetzes mit dieser Problematik offenbar überhaupt nicht auseinandergesetzt. Wir müssen das daher im Ausschuß nachholen. Wir müssen nur jetzt schon zur Kenntnis nehmen, daß eine bedingungslose Beteiligung des Christen am Krieg, die sich allein auf seine Gehorsamspflicht gegenüber der Obrigkeit gründen würde, heute von den christlichen Kirchen als nicht mehr länger verantwortbar angesehen wird. Desgleichen kann auch nicht bestritten werden, daß es für jeden Christen von seinem Glauben her die Möglichkeit gibt, den Kriegsdienst aus Gründen des Gewissens, d. h. für einen Christen um des Gehorsams gegen Gott willen, zu verweigern. Ich sage ausdrücklich: Für jeden Christen gibt es diese Möglichkeit der Gewissensentscheidung ohne jede Ausnahme.
Darüber liegen sehr klare Dokumente von seiten der christlichen Kirchen vor, die der Bundesregierung offiziell zugeleitet worden sind. Ich möchte hier daran erinnern, daß die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer Tagung vom 6. März bis 11. März 1955 in Espelkamp einen Ausschuß beim Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland eingesetzt hat, der sich mit der rechtlichen Regelung der Kriegsdienstverweigerung befassen sollte. Dieser Ausschuß hat am 3. Dezember 1955 dem Rat Bericht erstattet und einen
Ratschlag erarbeitet, dem der Rat der Evangelischen Kirche am 15. und 16. Dezember zugestimmt hat. Dieser Ratschlag zur gesetzlichen Regelung des Schutzes der Kriegsdienstverweigerer ist der Bundesregierung offiziell zur Kenntnis gebracht worden, allerdings ohne daß man in dem vorliegenden Entwurf etwas davon merkt, daß die Bundesregierung diesen Ratschlag offiziell zur Kenntnis genommen hat.
Ich möchte dabei etwas Grundsätzliches sagen. Ich habe gerade wieder in den letzten Tagen gehört, wie eine große Partei unseres Hauses sich darauf berufen hat, daß sie bei allen politischen Maßnahmen, die sie zu treffen habe, und bei den politischen Zielen, die sie zu verfolgen habe, von den christlichen Grundlagen aus ihre Politik aufzubauen gedenke. Meine Damen und Herren, das ist ein sehr schöner Satz, den man aber auch dann verwirklichen muß, wenn einmal offizielle Äußerungen christlicher Kirchen an einen herankommen, die einem im Augenblick gerade nicht so besonders gut in den politischen Kram passen.
Die offizielle Stellungnahme der Evangelischen Kirche deckt sich weitgehend mit den Auffassungen meiner politischen Freunde in der Frage der gesetzlichen Regelung der Kriegsdienstverweigerung. Mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich aus dieser Stellungnahme nur einige wichtige Sätze zitieren. In dem Ratschlag der Evangelischen Kirche heißt es:
Die erschreckende Ausweitung des modernen Krieges und die geschärfte Verantwortung gegenüber Waffengewalt und Krieg legen jedem Christen die Frage in das Gewissen, ob der Krieg als ein letztes Mittel der Verteidigung und die Teilnahme am Kriege oder die Vorbereitung dafür erlaubt sein kann. Wenn der Staat die Befugnis zur Heranziehung seiner Bürger zum Wehr- und Kriegsdienst in Anspruch nimmt, so steht er vor der Frage, ob er nicht um der Würde des Menschen willen und als ein Zeichen eigener staatlicher Selbstbegrenzung darauf verzichten muß, von Menschen den Kriegsdienst zu fordern, die dadurch in ernste Gewissensnot geraten.
Und an anderer Stelle:
An den Staat ist die dringende Bitte zu richten, in seinem Bestreben, praktisch anwendbare Abgrenzungen zu schaffen, den Kreis der Gewissensbedenken, denen er Gehör schenkt, nicht eng oder gar schematisch abzustecken, damit er nicht Gewissenszwang an vielen übt, die solchen Festsetzungen nicht entsprechen. Die Evangelische Kirche muß daran erinnern, daß für den evangelischen Christen die Stimme des Gewissens in einer konkreten Lage vernehmbar wird und nicht an allgemeinen Maßstäben zu messen ist. Wenn der Staat, eingedenk dessen, daß es nicht das Amt des menschlichen Richters ist, über das Gewissen zu urteilen, objektiv feststellbare Momente für die Anerkennung der Haltung des Kriegsdienstverweigerers fordert, sollte doch das staatliche Gesetz die Möglichkeit offen lassen, auch der konkreten Gewissensentscheidung im Einzelfall eines unlösbaren Gewissenskonflikts Raum zu gewähren.
Und wieder an anderer Stelle:
Bei der Einrichtung und Zusammensetzung der Stellen, die über die Zulässigkeit und Ernsthaftigkeit der Ablehnung des Kriegsdienstes um des Gewissens willen entscheiden, sind die Grenzen menschlichen Urteilens und die Notwendigkeit besonderer Qualifikation der zur Entscheidung Berufenen zu bedenken . . . .
Es sind verfahrensrechtliche Möglichkeiten vorzusehen, daß der Wehrpflichtige Gewissensbedenken, die ihn zu der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe zwingen, auch nach der Einberufung zum Wehrdienst geltend machen kann, wenn er die Ernsthaftigkeit des Gewissensanstoßes glaubhaft zu machen vermag.
Und zum Schluß heißt es:
Jede bürgerliche und staatsbürgerliche Benachteiligung des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen ist auszuschließen. Das gilt auch für die Wiedereinstellung in die frühere Beschäftigung und das berufliche Fortkommen.
Ich habe Ihnen nur einige wenige Sätze zur Kenntnis gebracht. Aber diese wenigen Sätze im Vergleich mit dem § 25 des Gesetzes und seiner Begründung beweisen, daß man diese Ratschläge der Evangelischen Kirche, die aus einem ernsten Ringen um die Probleme entstanden sind, nicht in dem notwendigen Umfang berücksichtigt hat. Wir werden darüber noch reden müssen. Diese Angelegenheit kann man auch nicht mit der oberflächlichen Betrachtung abtun, daß zur Verweigerung des Kriegsdienstes eben Mut gehöre und auch der Wille, für die vertretene Sache zum Märtyrer zu werden und in das Gefängnis zu gehen. Meine Damen und Herren, das Grundgesetz will keine Märtyrer, sondern das Grundgesetz will Respektierung jeder echten Gewissensentscheidung.
Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, diesen echten Gewissensentscheidungen nun den notwendigen Respekt zu verschaffen. Aber es ist nicht seine Aufgabe, hier eine schöne Gelegenheit zu Mutproben zu geben oder Märtyrer zu schaffen. Es ist gewiß schwierig, Gewissensentscheidungen in gerichtlichen Verfahren nachzuprüfen. Dazu gehören aber zu allererst einmal vernünftige gesetzliche Bestimmungen und dann Menschen mit großer Erfahrung und Verständnis für die junge Generation und ihre Probleme. Ganz gewiß nicht aber werden die Wehrersatzbehörden in der Lage sein, derartige Entscheidungen im erforderlichen Ausmaß zu treffen, weil sie ja von vornherein voreingenommen und subjektiv beeinflußt den Kriegsdienstverweigerern gegenüberstehen. Auch hier werden wir im Ausschuß zu überlegen haben, in welcher Form wir die Möglichkeit schaffen, daß das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung nicht angetastet wird.
Wir können dabei gewiß auch von den Erfahrungen anderer Staaten profitieren. Aber wir müssen bedenken, daß die Grundlagen für die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern, in den anderen Ländern nicht in der Verfassung verankert sind und daß der Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes den Kreis des Kriegsdienstverweigerungsrechtes wesentlich größer zieht, als dies in anderen Ländern der Fall ist. Deswegen ist es gar nicht möglich, die Dinge einfach schematisch zu übernehmen, und die Bezugnahme in der Begründung der Regierung darauf, daß man sich in Übereinstimmung mit den Regelungen anderer Länder befinde, bringt uns in dieser Frage bei unserer besonderen Situation keinen Schritt weiter.
'Der Umfang der Freistellung von der Wehrpflicht wird bei uns ohne jeden Zweifel — und das weiß auch die Regierung — wesentlich höher sein als in anderen Ländern. Aber wir können doch nicht so tun, als ob angesichts der Spaltung Deutschlands die Wehrpflicht nicht noch eine besondere Belastung der Gewissen mit sich brächte. Wir können auch nicht so tun, als ob die überhastete Art der Wehrgesetzgebung durch eine knappe Mehrheit des Parlaments nicht auch zu einer innenpolitischen Zerklüftung führe, die zu einer weiteren Gewissensnot für viele ernste Menschen in unserem Lande wird. Sie wollen die Wehrpflicht durchpeitschen, Sie wollen es, obwohl Sie wissen, daß nur ein Teil unserer Bevölkerung und ganz gewiß nur ein geringer Teil unserer Jugend für diese Pläne zu haben sind. Da ist es sehr gefährlich, weil Ihrem Willen ein Grundrecht im Wege steht, dieses Grundrecht zu entwerten und es zu einer Ausnahmebestimmung zu degradieren, die man, wenn auch in engen Grenzen, nur zu tolerieren gedenkt.
In diesem Zusammenhang ist es recht interessant, einmal die Vierte Strafrechtsnovelle anzusehen, die in diesen Tagen dem Bundesrat zugeleitet worden ist. Gerade im Zusammenhang mit den Tendenzen, die Kriegsdienstverweigerung in diesem Gesetz unzulässig einzuschränken, sind die Bestimmungen der Strafrechtsnovelle hochinteressant. Sie wissen, daß diese Novelle — schon kurz nachdem sie in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist — den Namen „Maulkorbgesetz" erhalten hat. In diesem Maulkorbgesetz wird in § 109 b, der kein Vorbild in der deutschen und auch in der ausländischen Rechtsgeschichte in Friedenszeiten hat, das Recht der freien Meinungsäußerung mißachtet und insbesondere den Kriegsdienstverweigerern und ihren Organisationen die weitere Tätigkeit und Werbung so gut wie unmöglich gemacht. In der Begründung der Regierung zu diesem Gesetzentwurf wird erklärt, daß nicht nur öffentliche Handlungen, sondern auch die Flüsterpropaganda erfaßt werden soll. Ich glaube, daß wir damit den Polizeistaat — ich stelle es Ihnen frei, nach welchem Muster, nach dem Hitlerschen oder dem Grotewohlschen Muster — haben. Wer als Gegner der allgemeinen Wehrpflicht Argumente vorbringt, die sich auf die Widersinnigkeit und Heillosigkeit dieser Angelegenheit beziehen, steht schon mit einem Fuß im Gefängnis. Die Aussprache mit einem Wehrpflichtigen über Gegenargumente zur Wehrpflicht unter vier Augen und mit — wie es im Gesetz heißt — „gröblich entstellten Behauptungen" führt unweigerlich, und zwar mit beiden Füßen, ins Gefängnis. Denn, wer wird feststellen, was gröblich entstellte Behauptungen sind? Die Entscheidung ist eine Frage des Ermessens, die kaum eindeutig gelöst werden kann. Wir werden über diese Strafrechtsnovelle im ganzen noch zu sprechen haben. Hier interessiert nur der Zusammenhang mit den Kriegsdienstverweigerern, die damit endgültig mundtot gemacht werden sollen.
Ich habe einen Zeitungsartikel gelesen, in dem diese Novelle wahrscheinlich sehr richtig charakterisiert worden ist. In diesem Zeitungsartikel kamen als Namen oder Bezeichnungen für diese Novelle vor: „Kurioser Entwurf", „hanebüchener Nonsens",
„rechtssystematisches Monstrum"; „Antizivilistengesetz" und „grausiger Spuk". Das ist aber nur eine kleine Auslese aus den Bezeichnungen, die die Novelle in der Öffentlichkeit gefunden hat.
Wir werden uns über diese Novelle noch sehr ausführlich unterhalten.
— Nein, Papier von Gesetzesbüchern ist nicht geduldig. Das, was auf dem Papier von Gesetzesbüchern steht, ist eine sehr lebendige Angelegenheit. Deshalb muß man sich vorher, bevor man es bedruckt, damit genau auseinandersetzen. Ich bin der festen Überzeugung, auch Ihnen wird diese Novelle nicht gefallen, wenn Sie sie erst einmal gelesen haben.
- Die Zeitung ist eine sehr gute Zeitung; Sie lesen sie wahrscheinlich auch jeden Tag.
Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung ist im Grundgesetz gewährleistet. Das gleiche gilt für das Recht auf die freie Meinungsäußerung. Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung soll nun eingeengt werden. Daneben findet das „Maulkorbgesetz" noch einen außerordentlich würdigen Platz, um Kriegsdienstverweigerern auch noch die Möglichkeit zu nehmen, in der Öffentlichkeit und auch in der privaten Aussprache für ihre Sache einzutreten. Wenn ich das lese und überlege, daß hier so viele schöne Worte über die Freiheit gesprochen worden sind, die verteidigt werden müsse, dann frage ich mich: muß man, um sich auf die Verteidigung der Freiheit vorzubereiten, zunächst einmal die Freiheit im eigenen Lande beseitigen, und ist das der richtige Weg, um die Vorbereitungen für die Verteidigung der Freiheit zu schaffen?
Würden Sie für die Möglichkeiten der Verteidigung der Freiheit nicht viel mehr tun, wenn Sie zunächst einmal die Freiheiten, die in diesem Lande im Grundgesetz garantiert sind, in vollem Umfange aufrechterhielten und jedem energisch entgegenträten, der diese Freiheiten auch nur von weitem anzutasten versucht? Das scheint mir doch der bessere Weg zu sein, um hier vorwärtszukommen. Ich kann mich nicht erinnern, daß ein Staat daran zugrunde gegangen ist, daß er seinen Bürgern die Möglichkeit der freien Aussprache gegeben hat. Ich kann mich aber sehr gut erinnern, daß schon etliche Staaten daran zugrunde gegangen sind, daß sie durch eine übermäßige Verbotsgesetzgebung mit polizeilichen Mitteln den Bestand des Staates zu erhalten versucht haben.
Die innenpolitische Zerklüftung wird durch derartige Gesetze geradezu ins Unerträgliche gesteigert. Und, meine Damen und Herren, wenn Sie anfangen, über die Unantastbarkeit der Menschenwürde hinwegzugehen und keinen Raum mehr für Gewissensentscheidungen in diesem Staate zu lassen, dann sind Sie an einem Punkt angekommen, wo wir Sie einmal ganz ernsthaft fragen wollen und müssen, wo denn dieser Weg eigentlich enden soll.
Hier hat auch der Einwand gar keinen Platz, den man immer wieder — auch in halbamtlichen Veröffentlichungen — liest, daß sich nach diesem Prinzip der freien Gewissensentscheidung gegenüber den Ordnungen des Staates jemand auch weigern könnte, Steuern zu zahlen, weil er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, daß mit den Steuern die Aufrüstung finanziert werde. Meine Damen und Herren, hier geht es nicht darum, daß jemand die Gesetze der staatlichen Ordnung erdulden muß, sondern hier geht es darum, daß der Staat jemanden dazu anhält, selbst aktiv zu werden, und zwar aktiv im Handwerk des Krieges zu werden, sich also auf das Töten von Menschen vorzubereiten. Die religiöse und ethisch begründete Überzeugung vieler Menschen verwirft nun einmal unbedingt und kompromißlos den Kampf mit der Waffe und das Töten von Menschen, und daher versagen solche Menschen an diesem Punkt dem Staat, dem sonst Gehorsam geschuldet und geleistet wird, aus dem Gewissen heraus die Gefolgschaft.
Weil das hier eine andere Sache ist als etwa die Weigerung, den Impfgesetzen nachzukommen oder Steuern zu bezahlen, haben die Väter des Grundgesetzes mit vollem Recht und in vollem Bewußtsein dessen, was da geschieht, das Recht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensnot als ein Grundrecht in das Grundgesetz geschrieben und nicht als ein Ausnahmerecht, das zu tolerieren ist.
Als vollkommen veraltet muß auch die Auffassung abgelehnt werden, daß die allgemeine Wehrpflicht in jeder Beziehung eine unproblematische Sache sei und daß das Wehrpflichtgesetz ein Gesetz sei wie jedes andere und die Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht der Sonderfall eines ganz besonders mit Skrupeln belasteten Gewissens sei, das sich zudem noch auf dem Wege des Irrtums befinde. Heute ist es durchaus so, daß die Bereitschaft zur Leistung des Kriegsdienstes und der Wehrpflicht im Hinblick auf die geschilderte Problematik des Krieges schlechthin und der deutschen Situation im besonderen eine ernste Frage des Gewissens für jeden einzelnen geworden ist. Daraus ergibt sich eine ganz erhebliche Ausweitung der engen Grenzen, die der § 25 des vorliegenden Entwurfs gezogen hat.
Meine Freunde und ich müssen fordern, daß dem Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes voll Genüge getan wird. Die Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensnot stehen dem Staat in ihrer ethischen und politischen Verantwortung genau so positiv verantwortlich gegenüber wie diejenigen, die sich der Wehrpflicht unterwerfen.
Es darf sich daher keinerlei Bevorzugung des einen vor dem andern ergeben, sondern ihre Anliegen müssen mit der gleichen Sorgfalt, mit der gleichen Bewertung gesetzlichen Schutz und gesetzliche Regelung finden. Und diese Gleichberechtigung lassen der vorliegende Entwurf und seine Begründung vermissen.
Über allen Erwägungen aber, die wir in diesem Zusammenhang anzustellen haben, hat die Sorge zu stehen, daß der freiheitliche Charakter unserer parlamentarischen Demokratie auf keinen Fall gefährdet werden darf. Aus diesem Grunde werden wir uns schon in den Anfängen jeder Einschränkung eines Grundrechts durch die Gesetzgebung gemeinsam im ganzen Hause zu widersetzen haben; denn die Grundrechte sind als Ganzes die freiheitliche Ordnung unseres Lebens, und wer auch nur eins von ihnen herausbricht oder einengt, gefährdet damit die ganze Freiheit, die immer ein unteilbares Ganzes zu bilden hat.
Meine Freunde und ich werden daher, wenn Sie gegen unsern Willen dieses Gesetz den Ausschüssen überweisen, unsere Pflicht in den Ausschüssen darin sehen, in Verantwortung für die freiheitliche demokratische Grundordnung in unserem Staatsleben in diesem Punkte mit allen Mitteln jede Einengung und jede Verfälschung des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung abzulehnen.