Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die etwas schwierige Aufgabe, nachdem den ganzen Tag über schon viele Argumente vorgebracht worden sind, noch zu dem Thema Stellung zu nehmen und sie dabei andererseits nicht zu sehr zu strapazieren. Sie dürfen es mir aber nicht verübeln, wenn ich mich nicht auf eine wenige Sätze umfassende Erklärung beschränke.
Als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der DP-Fraktion habe ich zu erklären, daß die DP-Fraktion sich für die Verteidigungspflicht aller Staatsbürger ausgesprochen hat. Dabei betrachtet sie die allgemeine Wehrpflicht als den Kern dieser allgemeinen Verteidigungspflicht. Die Fraktion geht dabei davon aus, daß die gegenüber unseren westlichen Verbündeten eingegangenen Verpflichtungen in jedem Falle zu realisieren sind. Sie verbindet damit gleichzeitig die Vorstellung, daß der vorliegende Entwurf Gesetz wird und daß wir ein Freiwilligenheer mit Wehrpflichtigen haben werden. Ich kann es mir versagen, auf diese Dinge noch näher einzugehen, da besonders der Herr Kollege Jaeger, aber auch einige andere Redner des Tages zu diesem Thema ausführlich gesprochen haben. Ich glaube auch, daß ich, nachdem für diese Konzeption schon so starke Momente im Raum stehen, darüber nicht näher zu sprechen brauche.
Persönlich habe ich aber folgendes hinzuzufügen. Es ist keineswegs mangelnder Mut, wenn ich sage, daß ich mich mit meiner Fraktion nicht in voller Übereinstimmung befinde. Ich bejahe die allgemeine Verteidigungspflicht jedes Staatsbürgers in diesem Staate. Ich möchte bemerken, daß der Ausdruck „Verteidigungspflicht" von meinen politischen Freunden bewußt gewählt wurde, weil er noch mehr umfaßt als die Wehrpflicht, nämlich beispielsweise auch die zivilen Dienste. Ich bin aber mit meinen Freunden nicht einer Meinung, weil ich glaube, daß die wehrpolitische Konzeption nicht von der Entscheidung: „allgemeine Wehrpflicht oder nicht?" zu trennen ist. Das ist ein Umstand, der allerdings von vielen Befürwortern der allgemeinen Wehrpflicht verneint wird.
Ich glaube außerdem, daß die wehrpsychologische Situation — auch das muß man bedenken — im Augenblick leider nicht dazu angetan ist, besondere Freude an dem hier zu vertretenden Gedanken zu erwecken. Aber das ist eine Sache, über die man hinweggehen könnte, da die Politik, jedenfalls die große Politik — und das hier ist ein Stück große Politik — nicht mit Sentiments gemacht werden, sondern nur den nüchternen und realen Tatsachen folgen kann.
Ich kann mich mit dem vorliegenden Gesetz deswegen nicht identifizieren, weil ich der Meinung bin, daß damit praktisch die 1945 beendete Tradition wieder aufgenommen wird, d. h. also, daß man hiermit praktisch eine Bundeswehr oder Wehrmacht alten Stils aufbauen will. Ich bitte, das so zu verstehen, daß die heutigen Gegebenheiten eine Auseinandersetzung, eine andere Organisation der Wehrmacht erfordern. Deshalb bin ich persönlich, wie ich durch einen Plan, der sich „Schwert und Schild" nennt und den ich der Öffentlichkeit übergeben habe, gezeigt habe, für ein Berufsheer im Zusammenhang mit einer allgemeinen Dienstpflicht, für eine territoriale Wehr.
Die Auseinandersetzungen heute in diesem Hause haben gezeigt, wie bedauerlich es ist, daß wir über dieses Thema so kurz vor den Bundestagswahlen sprechen müssen; denn wir wollen uns nichts vormachen: da und dort ist die Wahl doch etwas durchgeschimmert. Ich muß jener Zeitungsschreiberin recht geben, die vor acht Tagen schrieb, daß es besser gewesen wäre, diese ganze Frage einer Royal Commission, wie man sie in England bei solchen Anlässen einzusetzen pflegt, zur sachlichen Prüfung zu übergeben. Das wäre der Sache sicherlich dienlicher gewesen.
Der Herr Kollege Erler hat hier heute vormittag in teilweise — jedenfalls äußerlich — dramatischen Ausführungen das Parlament beschworen, von dieser Vorlage abzusehen. Ich möchte diese Äußerungen aber nicht so dramatisch nehmen, Herr Kollege Erler; denn bei der bekannten Einstellung Ihrer Partei zur Außenpolitik der Bundesregierung kann man sicherlich ein Stück dieser Dramatik abschreiben. Ich bin mit Ihnen der Auffassung, daß es bedauerlich ist, daß wir heute ein allgemeines Wettrüsten in der Welt haben. Sie werden aber andererseits — so klug schätze ich Sie ein — zugeben, daß diese 500 000 Mann, die die Bundesrepublik gegebenenfalls aufstellen will, nicht etwa den entscheidenden Teil dieses Wettrüstens bedeuten. Sie werden ebenfalls zugeben, daß angesichts der Verhältnisse in der sowjetisch besetzten Zone, wo man sich bereits seit Jahren bis an die Zähne bewaffnet hat, nicht ohne weiteres auf einen Schutz in Westdeutschland verzichtet werden kann. Und ich stimme besonders darin mit Ihnen überein, Herr Kollege Erler, daß, wie Sie heute morgen feststellten, die psychologische Kriegführung, wenn ich es einmal so nennen darf, die der Westen betreibt, leider weit hinter derjenigen des Ostens zurückbleibt.
Tatsächlich hätte sich beim Überbordwerfen des Stalinkults eine günstige Gelegenheit für die westliche Politik geboten, hier einzuhaken und nun ihrerseits auch einmal zur Offensive vorzugehen. Auch ich befürchte, daß dieser Zeitpunkt verpaßt ist. Ich habe, meine Damen und Herren, schon bei den Beratungen des Soldatengesetzes hier zum Ausdruck gebracht, daß wir zwar die bessere Sache im Westen zu vertreten haben, daß wir aber leider die Mittel, mit denen wir sie vertreten, immer sehr schlecht wählen.
Herr Kollege Erler, ich glaube auch, in der Annahme nicht fehlzugehen, daß trotz aller Bedenken, die Sie heute morgen vorgebracht haben, letzten Endes auch in der Sozialdemokratischen Partei und Fraktion die Auffassung herrscht, daß das Problem der Verteidigung nicht ohne weiteres mit einer Handbewegung beiseite geschoben werden kann. Es wurde heute morgen weiter davon gesprochen, daß eine erhebliche Unruhe in der Bevölkerung sei. Meine Damen und Herren, das kann man nur bestätigen. Es wäre töricht, über diese Tatsache einfach hinwegzusehen. Ich glaube, daß diese Unruhe ihre Begründung weniger darin hat, daß die Bevölkerung, die damals mit überwiegender Mehrheit ihre Stimmen den sogenannten bürgerlichen Parteien gegeben hat, nun erkennen muß, daß die Wiederbewaffnung auf sie zukommt, als vielmehr in der Tatsache, daß wir inzwischen unsere Souveränität wiedererlangt haben und nun politisch selbstverantwortlich handeln müssen.
Meine Damen und Herren, es war gewiß nicht immer schön in den letzten zehn Jahren, auf Kommando der Alliierten zu hören und zu handeln. Es ist sicher sehr schön, immer frei zu sein, die Hand-
lungsfreiheit zu haben. Auf der andern Seite ist aber auch das selbstverantwortliche Handeln sehr viel schwerer, und deswegen tun wir uns auch jetzt in dieser Frage schwer, die wir hier zu behandeln haben. Ich glaube aber, Herr Kollege Erler, daß, wenn wir den Schatz der Freiheit horten wollen, wir dann auch einen Wächter vor die Tür stellen müssen. Das wird auch von Ihnen nicht bestritten werden können.
Es muß dann auch gesagt werden, daß in psychologischer Hinsicht, d. h. in der psychologischen Vorbereitung der Öffentlichkeit auf diese hier zu behandelnden Dinge sehr viele Nachlässigkeiten passiert sind, die wir allesamt heute auszubaden haben. Ich will es mir versagen, im einzelnen all das zu wiederholen, was einer meiner Herren Vorredner hier hinsichtlich der Behandlung der ehemaligen Soldaten, der Kriegsverurteilten, der Kriegsbeschädigten, der 131er, auch der Waffen-SS usw. gesagt hat. Das alles sind Punkte, die im Volke rumoren und über die man nicht mit einer Handbewegung hinweggehen kann. Letzten Endes ist es wohl die sogenannte „Umerziehung", die uns ja in erheblichem Umfang zuteil geworden ist, die jetzt den Deutschen sich nicht daran gewöhnen läßt, daß er wieder eine Uniform anziehen soll.
Wenn allerdings mit Schlagworten oder Parolen wie etwa der, daß die Wehrpflicht das legitime Kind der Demokratie sei, versucht wird, der Öffentlichkeit klarzumachen, daß sie den Waffendienst leisten müsse, dann darf ich einmal mit allem gebotenen Respekt daran erinnern, daß derjenige, der diesen Ausspruch getan hat, auch einmal gesegt hat, daß nie wieder ein deutscher Mann eine Waffe in die Hand nehmen würde. Abgesehen hiervon reicht es auch nicht, daß man mit solchen Beteuerungen die Wehrbereitschaft im Volke zu wecken versucht.
Auch der Herr Bundesverteidigungsminister hat heute morgen in einem Appell gesagt, der Deutsche sei noch immer bereit gewesen, die Waffe zu tragen bzw. das Vaterland zu verteidigen, wenn er gerufen worden sei. Auch mit einem solchen Appell allein wird man die Wehrbereitschaft nicht fördern, weil im Hintergrunde zuviel psychologisch Nachteiliges steht, was heute noch nicht ausgeräumt ist.
Man kann auch nicht im gleichen Atemzuge sagen, daß etwa das Berufsheer ein Staat im Staate und damit eine Gefahr für die Demokratie würde. Ich habe bereits bei der Beratung des Soldatengesetzes gesagt, daß wir allesamt mehr Vertrauen zu uns selbst und zu unserer Demokratie haben sollten und daß wir dann auch keine Angst zu haben brauchten, daß uns etwa die Wehrmacht über den Kopf wächst. Hier treffe ich mich auch mit dem Kollegen Erler, der das heute morgen schon unterstrichen hat.
Vom Kriege selbst gezeichnet, glaube ich, daß nur ein Narr behaupten kann, daß wir in der Situation, in der wir uns befinden, etwa darauf verzichten können, uns zu verteidigen. Allerdings bringt die Vorstellung der sogenannten Wehrpflicht auf Grund der überkommenen Dinge, die damit zusammenhingen, immer leicht das Bild, daß damit nur Kommiß und Drill sowie all die Unbequemlichkeiten gemeint seien, die das Soldatsein mit sich bringt, das Herausgerissenwerden aus dem Beruf usw. Auch aus diesem Grunde muß einmal mit Deutlichkeit festgestellt werden, daß das Parlament auf der einen Seite versuchen muß, all diese Unbequemlichkeiten auf ein Mindestmaß herabzusetzen, daß es auf der andern Seite aber auch mit Nachdruck dem in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Irrtum entgegentreten muß, die Einführung einer Dienstpflicht oder Wehrpflicht oder Verteidigungspflicht sei gleichbedeutend mit der Ausrufung des Krieges. Aus diesem psychologischen Grunde und um darzutun, daß das, was wir vorhaben, absolut nur aus dem Grunde geschieht, um unsere freiheitliche Ordnung und unseren freiheitlichen Lebensraum zu verteidigen, spricht sich meine Fraktion für eine Verteidigungspflicht aller Staatsbürger aus; denn keiner, kein anständiger Bürger jedenfalls, vor die Frage gestellt, ob er bereit ist, Haus und Hof und Frau und Kind gegebenenfalls zu verteidigen, kann diese Frage mit Nein beantworten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist vorhin sehr viel Humoriges passiert. Auch ich möchte etwas zum Humor beitragen.
Die zackige Kehrtwendung des Kollegen Mende ist natürlich nicht verborgen geblieben. Er ist ja ein guter Soldat gewesen. Er ist es offenbar noch heute, denn wer so zackige Kehrtwendungen machen kann, ist eben ein guter Soldat!
Herr Mende, nehmen Sie das durchaus freundschaftlich. Sie haben sich ja noch vor kurzer Zeit absolut für die allgemeine Wehrpflicht ausgesprochen — „Welt am Sonntag"! Ich will es aus Zeitgründen hier nicht vorlesen. Ich freue mich aber aufrichtig, daß sie zwar grundsätzlich den Gedanken bejahen, aber doch offenbar auch fortschrittlicheren Ideen im Rahmen dieser Verteidigungspflicht zugänglich sind.
Jedenfalls habe ich das daraus entnommen, Herr Kollege Mende, daß sie zahlreiche Dinge von dem zitiert haben, was ich kürzlich in Verteidigungssachen zum besten gegeben habe.