Rede von
Dr.
Richard
Jaeger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Es scheint mir eine schwache Retourkutsche zu sein, wenn man auf ein Gebiet übergeht, das nicht zum Thema gehört, und über einen Mann spricht, der nicht hier ist, also nicht in der Lage ist, jene Dementis abzugeben, die er vielleicht abgeben könnte; ich weiß es nicht.
Meine Damen und Herren! Es hat doch wenig Sinn, statt von der Wehrpflicht von der „Verteidigungspflicht" zu sprechen, weil es höflicher klingt. Ich bin auch der Meinung, daß neben die Wehrpflicht eine Bundesschutzpflicht gehört, die z. B. dazu führen muß, daß man für den Luftschutz auch gewisse Verpflichtungen einführt, weil Freiwilligkeit auf diesem Gebiete möglicherweise, wie ein Vorredner schon bemerkt hat, nicht ausreichen wird. Aber das alles führt uns doch nicht an der entscheidenden Frage vorbei, vor der wir stehen: Wollen wir die Wehrpflicht für die jungen deutschen Männer? Ob nun sechs Monate, wie der eine Redner sagte, achtzehn Monate, wie die Regierung sagt, zwölf Monate, wie der Bundesrat meint — das ist mehr oder weniger eine Fachfrage. Aber die grundsätzliche, die politische Frage ist die: Wollen wir diese Wehrpflicht überhaupt? Ja oder nein? Um dieses Ja oder Nein kommt kein Mitglied dieses Hohen Hauses herum, so unerfreulich das für alle miteinander sein mag; denn populär ist die Entscheidung nicht.
Wenn ich mich für die allgemeine Wehrpflicht ausspreche, so möchte ich hier persönlich und für meine politischen Freunde von der CDU/CSU eindeutig sagen, daß der entscheidende Gesichtspunkt für uns nicht die Begründung ist, die man aus den Verträgen herauslesen kann.
Es wäre schwach, wenn wir uns nur auf die Verträge stützen könnten, selbst wenn diese Stütze fester wäre, als sie vielleicht sein mag.
Für uns sind es in erster Linie politische, sachliche Erwägungen, die aus der deutschen Lage und aus der Verpflichtung des Staatsbürgers heraus erwachsen.
Gerade weil ich Jurist bin, will ich gar nicht eine Position verteidigen, die nicht zu verteidigen ist. Denn nach den formalen Begriffen des deutschen Zivilrechts können Sie zweifellos — da hat Herr Erler recht — aus dem Vertragswerk keine Verpflichtung für 500 000 Mann herauslesen.
Aber ich möchte doch einige falsche Zungenschläge, die in den letzten Wochen auf dieser Seite aufgeklungen sind, richtigstellen. Der Accord spécial, von dem man spricht, ist gar kein so mysteriöser Geheimvertrag. Gewiß, der Vertrag war in seinem Inhalt geheim, und seinen Text kennen wir bis zur Stunde nicht. Das haben die verbündeten Mächte gewünscht, aus Gründen, die zumindest damals überzeugend waren. Ich hätte nichts dagegen, wenn er nunmehr veröffentlich werden könnte. Aber der zuständige Ausschuß des Bundestages hat sich im Jahre 1952 unter dem Vorsitz des damaligen und heutigen stellvertretenden Vorsitzenden Erler ausführlich mit dem Problem befaßt, und er hat es dann auch noch einmal im 2. Bundestag getan, so daß die Probleme dieses Vertrags, den die Regierung im Wortlaut nicht vorlegen durfte, ohne wortbrüchig zu werden, dem zuständigen Ausschuß bestens bekannt waren; und hier war von 500 000 Mann gesprochen.
Da auch Herr Erler sagt, der Inhalt sei jetzt allen bekannt, kann man daraus folgern, daß er nun vielleicht von den verbündeten Mächten zur Veröffentlichung freigegeben werden könnte. Es liegt nicht in der Hand der Bundesregierung allein. Aber man kann andererseits nicht so tun, als wenn hier sozusagen hinter dem Rücken des Parlaments irgendwelche Beschlüsse gefaßt worden wären.
Das war nicht der Fall, zumal der Accord spécial ja in den Verträgen namentlich aufgeführt war.