Rede von
Erwin
Feller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich in der letzten Stunde angesichts der schwachen Besetzung des Hauses gefragt, was die Gründe dafür seien, ob es das Bedürfnis zur Einnahme des Mittagessens oder die mehreren anderthalbstündigen Reden waren, die die Kollegen vertrieben haben, oder ob etwa die Rede des Herrn Kollegen Erler die Anhänger der Wehrpflicht aus dem Saale verscheucht hat.
— Bitte, protestieren Sie nicht; ich habe das mit einigem Schrecken konstatiert. Denn ich habe hier die Aufgabe, einiges für den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht zu sagen, und befürchte, daß ich in dieser Hinsicht letztlich hier alleine stehen würde.
Sie wissen, daß sich die zuständigen Gremien des Gesamtdeutschen Blocks/BHE entschieden haben, für den Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht oder, wie ich persönlich auch lieber sagen möchte, einer allgemeinen Verteidigungspflicht einzutreten. Ich möchte aber, um allen Mißdeutungen vorzubeugen, ausdrücklich dazu feststellen, daß dieser Entschluß gefaßt wurde, bevor es uns bekannt war, daß der Herr Bundeskanzler sich in Stuttgart auf dem Parteitag der CDU veranlaßt gesehen hat, einige freundliche Worte an die Adresse unserer Partei zu richten. Wir haben auch nicht festzustellen vermocht — trotz einer eingehenden Gewissenserforschung —, womit wir uns dieses Lob eigentlich verdient haben. Vielleicht kennen wir uns selber zu schlecht, oder wir sind, wie das ja in der Politik überhaupt sehr schwierig ist, nicht ganz in der Lage, gut und böse scharf genug voneinander zu unterscheiden. Unser Beschluß ist jedenfalls nicht aus irgendwelchen taktischen Erwägungen, sondern aus rein sachlichen und grundsätzlichen Überlegungen zustande gekommen,
und er hat auch rein grundsätzlichen Charakter.
Wir sind nämlich der Auffassung, daß ein grundsätzliches Bekenntnis zur allgemeinen Wehrpflicht, das ich hier auch im Auftrage meiner Freunde ablege, für die Entwicklung unserer jungen Demokratie nur dienlich sein kann. Ich halte es aber für problematisch, wenn zum Beweis dieser Auffassung geschichtliche Persönlichkeiten und ihre Ansichten bemüht werden, wie das in der hier schon viel zitierten Denkschrift der Bundesregierung geschieht. Meine Damen und Herren, nehmen Sie es nicht als ein schulmeisterliches Hobby von
mir, wenn ich hierzu auch noch einiges sage. Alle humoristischen Pointen aus der Denkschrift sind mir ja von den Vorrednern schon weggenommen worden. Ich muß mich also notgedrungen auf die Stellungnahme zu einigen ernsteren Fragen beschränken, die mich vor allen Dingen als Historiker etwas merkwürdig berühren.
Wenn man hier so tut, als ob das Berufsheer mit der absolutistischen Monarchie und das Wehrpflichtheer mit der Demokratie in Verbindung zu bringen seien, dann ist das ein geschichtlicher Unsinn. Man könnte genau so gut behaupten, die Guillotine gehöre zur Demokratie, weil sie in der französischen Revolution eingeführt und damals an der Durchsetzung der Demokratie beteiligt gewesen sei. Es gibt Beweise und auch Gegenbeweise in jeder anderen Hinsicht. Zum Beispiel liegen die Anfänge zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht viel weiter zurück als etwa die Durchsetzung der Demokratie. Auch bei uns — darüber geht die Denkschrift einfach hinweg — liegen die Anfänge schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Nur ein Beispiel. Der berühmte Lehrmeister Scharnhorsts, der Graf Wilhelm von SchaumburgLippe, hat schon 1748, wenn ich die Zahl richtig im Kopfe habe, in Lippe die allgemeine Dienstpflicht eingeführt. Wenn nachher die Lippischen Schützen in der Geschichte eine etwas komische Beleuchtung erfahren haben, dann ändert das an diesen Tatbeständen nichts. Es gibt andere Vorläufer der allgemeinen Wehrpflicht zur absolutistischen Zeit, etwa bei den österreichischen Grenzern oder bei den bayrischen Ausschüssern. Was hierzu in der Denkschrift gesagt wird, trifft also nicht zu, und ich meine, wenn man mit einer Denkschrift der Regierung eine so entscheidende Auseinandersetzung beeinflussen und einen Standpunkt begründen will, dann sollte man mit solchen Dingen etwas sorgfältiger vorgehen. Ich halte es einfach für eine Zumutung, daß man uns so etwas auf den Tisch legt.
Ich kann dem Herrn Verteidigungsminister nur empfehlen, daß er, wenn sich das Verteidigungsministerium weiterhin mit der Abfassung und Verteilung von Traktätchen befassen will, ein paar Historiker zu Rate zieht, die vorher überprüfen, was man der Öffentlichkeit bietet. Das habe ich nicht im Interesse der Durchsetzung eines bestimmten Standpunkts, sondern im Interesse der Seriosität der parlamentarischen und der politischen Auseinandersetzung überhaupt gesagt.
Wir sind der Auffassung, daß die Frage nach der Einführung der Wehrpflicht nicht nach historischen Überlegungen, sondern ausschließlich aus unserer heute gegebenen Situation heraus beurteilt werden muß. Wir verkennen keineswegs, daß diese Situation sehr viele Züge trägt, die auch für das Berufsheer sprechen können. Es ist auch kein Argument — das möchte ich gleich ausräumen — gegen das Berufsheer, daß es sich — man hat das auch hier wieder sehr breitgetreten — wie in der Weimarer Zeit zu einem Staat im Staate entwikkeln könne. Denn die Voraussetzungen dafür waren damals — ich will jetzt hier keine historischen Betrachtungen anstellen; sie sind zum Teil schon angestellt worden, und wir kennen die Verhältnisse ja alle — in einem ganz anderen Maße gegeben als heute. Wir müßten uns ja unserer Verpflichtung zur Durchsetzung und Erhaltung der Demokratie sehr wenig bewußt sein, wenn wir
nicht alles täten, um dem Entstehen ähnlicher Voraussetzungen wie damals von vornherein zu begegnen. Einiges davon ist bereits geschehen, sei es in der Einrichtung des Personalgutachterausschusses, sei es in der Annahme der Wehrverfassung, der Änderung des Grundgesetzes. Schließlich sollte auch unser damals gestellter und nicht angenommener Antrag, die direkte parlamentarische Verantwortung des Verteidigungsministers einzuführen, diesem Ziele dienen.
Was uns zur grundsätzlichen Bejahung der allgemeinen Wehrpflicht veranlaßt hat, das sind ausschließlich Gesichtspunkte, die sich aus der Forderung nach Gleichheit von Rechten und Pflichten im demokratischen Staat ergeben. Insofern kann die Wehrpflicht eine Bedeutung im Sinne der Bildung des staatsbürgerlichen Bewußtseins haben. Das hat, wie ich ausdrücklich betonen möchte, nichts, aber auch gar nichts zu tun — ich möchte einer solchen Verwechslung vorbeugen — mit der auch von uns abgelehnten Auffassung oder Anschauung von der Wehrmacht als Schule der Nation, genauso wie ich es für abwegig halte, die Bundeswehr als eine Art Sanatorium zur Förderung der Volksgesundheit darzustellen und ähnliche Argumente zu gebrauchen, die zu billig und zu albern sind, als daß man sie ernsthaft für die Begründung der allgemeinen Wehrpflicht in die Diskussion werfen könnte. Man sollte doch hier mit etwas seriöseren Mitteln arbeiten. Lassen wir also einmal diese Mätzchen beiseite und betrachten wir einfach nüchtern die Tatsache, daß wir im Rahmen der uns gegebenen außenpolitischen Situation um die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, auf längere Sicht gesehen, voraussichtlich nicht herumkommen werden.
Es ist hier schon eine heftige Debatte über die Frage geführt worden, ob wir durch die Verträge zur allgemeinen Wehrpflicht und zur Aufstellung von Streitkräften in einer bestimmten Stärke verpflichtet sind. Ich glaube, die Argumentation, das sei der Fall, ist nach der Rede des Herrn Kollegen Erler völlig zusammengebrochen; das kann man doch wohl feststellen. Ich hoffe, daß nicht versucht werden wird, dieser zusammengebrochenen Argumentation wieder auf die Beine zu helfen, und nicht noch einige Feuerwehrmänner antreten müssen, um das, was Herr Kollege Erler hier wohl überzeugend dargelegt hat, zu widerlegen.
Denn ich hielte es auch für völlig abwegig, die allgemeine Wehrpflicht, wenn wir sie einführen wollen, vor der Öffentlichkeit damit zu begründen, daß wir vertraglich dazu verpflichtet seien. Ich glaube, das würde auf unsere souveräne, freie Entscheidung ein merkwürdiges Licht werfen. Wir sollten es deshalb unterlassen, mit solchen Argumenten zu operieren. Sagen wir es doch lieber offen und nüchtern — es ist hier ja auch schon angedeutet worden —: Im Rahmen der NATO-Planungen ist nun einmal ein solches deutsches Kontingent vorgesehen, und wenn wir dem nicht entsprechen, geraten diese Planungen in Unordnung, und dann könnten sich natürlich Mißstimmungen bei unseren Partnern ergeben. Warum sagt man das denn nicht frei heraus, sondern versucht statt dessen, sich mit völkerrechtlichen Argumentationen, die zudem nicht einmal durchschlagend sind, darum herumzudrücken? Solange diese Planungen so sind und solange das nicht geschieht
was der Herr Kollege Mende mit Recht betont hat, daß diese Planungen nämlich auf die besonderen deutschen Verhältnisse abgestellt werden, so lange allerdings sind natürlich diejenigen im Recht, die sagen: die Situation verlangt von uns die Aufstellung einer Bundeswehr in einer entsprechenden Stärke, also in Höhe von 500 000 Mann! Dann kann man natürlich auch damit operieren, daß man sagt: diese 500 000 Mann können nicht allein auf dem Prinzip der Freiwilligkeit zusammengebracht werden! Nach unserer Auffassung kann hier also eine grundlegende Veränderung nur erfolgen, wenn die Gesamtplanungen anders werden sollten, was ja unter Umständen in absehbarer Zeit — und das sollte man bedenken — möglich sein wird. Auf diese Möglichkeit isst hier schon hingewiesen worden. Sie könnte auch im Zusammenhang mit einem von uns allen gewünschten Erfolg der laufenden Abrüstungskonferenzen eines Tages verwirklicht werden.
Diese Überlegungen veranlassen auch uns, zu sagen, daß wir trotz unseres grundsätzlichen Bekenntnisses zur allgemeinen Wehrpflicht keinerlei Grund sehen, ihre Durchführung nun allzu eilfertig zu betreiben. Es gibt aber auch noch eine Reihe innerer Gründe, die gegen eine Überstürzung sprechen. Viele sind mir schon vorweggenommen worden. Ich möchte aber doch noch auf einige hinweisen, die bisher noch nicht berührt worden sind.
Zunächst darf ich aber unserem Befremden Ausdruck geben über das Verfahren, das hier wieder einmal angewendet worden ist, nämlich Vorlage, wenige Tage darauf Erzwingung der Beratung, überhaupt keine Begründung im Gesetz selbst und dafür wenige Stunden vor der Beratung Vorlage einer Denkschrift, die außerdem wirklich keine gute Leistung des Verteidigungsministeriums darstellt.
Zu den psychologischen Gründen, die hier noch nicht erwähnt worden sind, zunächst ein Hinweis auf den außerordentlich starken Bruch, der nach der Hypertrophie — gelinde gesagt — des militärischen Denkens vor 1945 und nach dem totalen Zusammenbruch und den Dingen, die sich nachher ereignet haben, in der Einstellung unseres Volkes, insbesondere seiner Jugend, zu allen Fragen des Wehrdienstes und des Militärs überhaupt entstanden ist; eine berechtigte Skepsis, die nicht von heute auf morgen auszuräumen sein wird. Die Freiwilligenmeldungen, von denen immer die Rede ist, können darüber kaum hinwegtäuschen. Außerdem stehen sie in einem merkwürdigen Mißverhältnis dazu, daß man heute plötzlich sagt, mit Freiwilligen lasse sich nichts machen, während man früher immer darauf hinwies, daß eine riesengroße Zahl von Freiwilligenmeldungen vorliege. Aber, meine Damen und Herren, solange noch eine große Anzahl von Freiwilligenmeldungen gebündelt im Keller des Verteidigungsministeriums unbearbeitet schlummern, so lange braucht man es mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht allzu eilig zu haben.
Diese Skepsis wird nach unserer Auffassung nur dadurch zu beseitigen sein, daß der breiteren Öffentlichkeit und vor allem denjenigen, die unter die Wehrpflicht fallen werden, erst einmal ein Bild der neuen Bundeswehr sichtbar wird. Unsere Jugend vor allem muß sehen, wie die Einrichtung beschaffen ist, der sie sich unterwerfen soll. Die Erklärungen über den „Staatsbürger in Uniform" und über das „innere Gefüge" allein genügen dazu nicht, zumal es leider manchen Anlaß gibt, daran zu zweifeln, wieweit die Ernsthaftigkeit zur Realisierung dieser Dinge bei allen Beteiligten — ich meine hier selbstverständlich nicht das Parlament — wirklich noch vorhanden ist und vorhanden bleiben wird. Die unerläßliche Bereitschaft zum Wehrdienst — um das Wort „Wehrfreudigkeit" zu vermeiden — kann erst erzielt werden, wenn die aus Freiwilligen gebildeten Einheiten die entsprechenden Beweise geliefert haben, und man sollte zunächst einmal in aller Ruhe deren Aufstellung vollziehen. Nach den bisher bekanntgewordenen Planungen des Verteidigungsministeriums ist das ohnehin im Rahmen des 96 000er-
Programms dieses Jahres und, ich glaube, des 220 000er-Programms des nächsten Jahres der Fall. Das wird also die wesentliche Aufgabe der nächsten beiden Jahre sein.
Ich habe allerdings aus der heutigen Debatte fast den Eindruck gewonnen, als ob daran einiges geändert werden solle. Denn anders kann ich mir das nachdrückliche Eintreten für eine möglichst rasche Einführung der Wehrpflicht nicht erklären. Die Einrichtung der Wehrersatzämter könnte auch auf anderem Wege erfolgen; das ist also kein Gegenbeweis. Es müßte demnach doch so sein, daß die Bundesregierung ihre frühere Auffassung — Herr Kollege Mende hat schon darauf angespielt — geändert hat, die Auffassung nämlich, daß sie vor der Bundestagswahl nicht beabsichtige, irgendwelche Wehrpflichtigen einzuziehen, dafür 'allerdings um so mehr Militärkapellen in Erscheinung treten zu lassen.
— Das Wort ist gefallen!
Man sollte sich aber auch unabhängig von Wahlen noch einige andere Fragen ernsthaft überlegen. Wir haben nicht den Eindruck — diejenigen, die im Verteidigungsausschuß mitgearbeitet haben, werden mir darin wohl beipflichten —, daß bei den Planungen, bei den Vorbereitungen und bei der Aufstellung bisher alles so verlaufen ist, wie es auch von den Verantwortlichen immer wieder als wünschenswert hingestellt warden ist. Wir haben uns im Verteidigungsausschuß auch schon mit einigen Pannen beschäftigen müssen, und es werden unvermeidlicherweise auch noch einige weitere auftreten. Wer kann sagen, ob das, was heute oder morgen in organisatorischer Hinsicht oder im Hinblick auf die innere Gestaltung geschieht, sich nicht in absehbarer Zeit als unzweckmäßig herausstellt? Wer will sagen, ob die Voraussetzungen, die in den nächsten Monaten geschaffen werden, schon ausreichen, um damit das zu erreichen, was erreicht werden soll? Wer garantiert gegen Fehlplanungen und Fehlentwicklungen, die nicht wiedergutzumachen sind, wenn diese Kader einmal mit Wehrpflichtigen aufgefüllt werden? Von der alten Reichswehr ist bekannt — das können alle Herren bestätigen, die ihr angehört haben; ich kann es nur aus der Literatur beurteilen —, daß sie ihre endgültige militärische Form erst etwa in den Jahren 1925/26 bekommen hat. So lange hat man gebraucht, um alle Führungsfunktionen richtig zu besetzen, obwohl damals eine ununterbrochene Kontinuität von der kaiserlichen Armee vorhanden war. Wieviel mehr Zeit wird das erst nach einer Unterbrechung und einem bewußten Neubeginn beanspruchen!
Es hat auch den Anschein, daß nicht einmal die Pläne über die Ausbildung der Ausbilder, dieser
Kettenplan, der uns im Ausschuß schon verschiedentlich entwickelt worden ist, weiter gediehen sind. Vor ein paar Tagen konnte man in der Zeitung lesen, es sei nun der erste Lehrgang für Generale und Stabsoffiziere in Sonthofen eröffnet worden. Man kann sich ausrechnen, wie lange es dauern wird, bis einmal die Hauptleute und Leutnante drankommen. Auf sie kommt es letzten Endes bei der Aufstellung eines Wehrpflichtheeres an, denn sie werden unmittelbar mit dem Wehrpflichtigen in Berührung kommen. Nicht die Ausbildung, sondern besser: die Bildung derjenigen, welche berufen sein werden, die wehrpflichtige Jugend auszubilden, muß sehr sorgfältig und mit der notwendigen Zeit vorgenommen werden. Improvisationen würden sich in jedem Falle schlecht auswirken. Es würde damit nicht nur Geld und Zeit vertan, sondern unter Umständen auch das Gegenteil von dem erreicht, was erreicht werden muß, was das Ziel des ganzen Unternehmens ist, nämlich Sicherheit, Sicherheit nach außen und Sicherheit in der inneren Entwicklung der Bundeswehr, wie wir sie alle wünschen und fordern müssen. Spätere Generationen würden uns dafür verantwortlich machen, wenn dabei wieder irgendwelche Fehlentwicklungen eintreten. Deshalb können wir es uns vor dem deutschen Volk nicht leisten, die Dinge aus irgendwelchen Überlegungen zu überstürzen. Wir meinen, wir sollten in voller Ruhe erst einmal das Fundament durch freiwillige Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit aufbauen, ehe wir an die Einziehung von Wehrpflichtigen herangehen.
Deshalb ist es uns unverständlich, daß das Wehrpflichtgesetz nun unbedingt beraten und beschlossen werden soll, ehe alle anderen Gesetze vorliegen, von denen hier schon die Rede ist und die für das einwandfreie Funktionieren der Bundeswehr notwendig sind. Zu erwähnen sind hier insbesondere die Fragen der Versorgung der neuen Soldaten bei Krankheit, Wehrdienstbeschädigung und Dienstunfähigkeit. Ebenso notwendig ist es aber auch, daran zu erinnern, daß noch eine Reihe von ungeklärten Fragen in bezug auf die ehemaligen Soldaten vorhanden sind, die einer raschen Klärung bedürfen.
Die Ausführungen des Kollegen Dr. Mende hinsichtlich einer vordringlichen Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes werden von uns voll und ganz unterstrichen. Allerdings möchten wir in diesem Zusammenhang eines nicht verschweigen: bei einer früheren Bereitschaft — und nicht erst in den letzten Wochen — sowohl der CDU als auch der FDP und der DP hätten wir die höheren Renten für die Kriegsbeschädigten der vergangenen Kriege, Kriegerwitwen, Kriegswaisen und Kriegereltern schon zum letzten Weihnachtsfest haben können.
Ob die Regierungskoalition und die FDP dafür eintreten werden, daß die erhöhten Renten, wie einmal versprochen, bereits ab 1. Januar 1956 zu zahlen sind, werden wir in wenigen Tagen sehen. Unser Antrag geht jedenfalls dahin.
Der Gang der 5. Novelle zur Kriegsopferversorgung hat auch hinsichtlich der 2. Novelle zum 131er-gesagt hat — geschaffen werden, wenn die Bereitschaft zum Wehrdienst in unserer Jugend gesteigert werden soll.
Gesetz zu einigem Pessimismus Veranlassung gegeben. Hier muß auch eine der psychologischen Voraussetzungen — wie Herr Dr. Mende mit Recht
Hier wäre nun — meine Damen und Herren, ich will mich auf ganz wenige Andeutungen beschränken — einmal die Frage aufzuwerfen, die hier auch schon berührt worden ist, wie denn die Bundesverteidigung im ganzen organisiert werden soll. Ich bin durchaus der Auffassung, die Herr Kollege Erler hier vorgetragen hat, daß man einen Kreis unabhängiger fachkundiger Männer zusammenberufen und mit ihnen gemeinsam diese Dinge beraten sollte. Denn manches davon bleibt doch trotz dieser herrlichen Denkschrift immer noch in einem mystischen Halbdunkel.
Ich kann auch nicht verstehen, was gemeint ist, wenn hier von einem Stamm von 50 000 Mann für die bodenständige Verteidigung geredet, aber kein Wort darüber verloren wird, wie denn die bodenständige Verteidigung schließlich aussehen soll. Selbstverständlich ist da die Frage zu stellen, ob die Reserven für die bodenständige Verteidigung auch durch eine achtzehnmonatige Dienstzeit durchzutreiben sein werden, womit erfahrungsgemäß allerlei Leerlauf und gewisse wirtschaftliche und soziale Folgen verbunden sind, oder ob man eine kürzere, milizartige Ausbildung einführen soll.
Alle diese Probleme müssen erst einmal ausführlich erörtert werden, bevor man die uns hier voreilig gestellte Frage endgültig entscheiden kann. Die Bevölkerung will ja auch wissen, wie es um ihre Heimatverteidigung steht, ehe sie einmal ihre Jugend zu den Waffen schickt. Damit, daß in Zeitungen zu lesen ist, in London fänden irgendwelche Vorverhandlungen statt, über die meines Wissens in diesem Hause bisher noch nicht berichtet worden ist, und man hoffe auf ein baldiges Ergebnis, ist ja noch keine Klärung in dieser Hinsicht erfolgt. Also es gibt l rotz der Denkschriftenfreudigkeit der Bundesregierung noch eine Reihe von ungeklärten Fragen, die die neuen Streitkräfte angehen.
Über Einzelfragen wird, wenn es die Zeit noch erlaubt, vielleicht einer meiner Freunde sprechen. Ich möchte mich auf diese grundsätzlichen Dinge beschränken.
Auf eines möchte ich an dieser Stelle doch noch hinweisen. Wenn man schon die Historie bemüht, meine Damen und Herren, dann sollte man sie doch studieren, aus ihr Erfahrungen zu ziehen versuchen, statt sich — dazu noch fälschlicherweise — auf sie zu berufen. Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß alle militärischen Neuanfänge und Reformen —und einen solchen Neuanfang wollen wir doch — in einem unmittelbaren Zusammenhang mit gesellschaftlichen Reformen standen. Entweder waren die letzteren zeitlich vorausgehende Ursachen, oder sie waren gleichlaufende Vorgänge. Gerade die preußischen Reformen sind dafür der beste Beweis, und ein Mann wie Scharnhorst war sich dessen sehr bewußt: Ohne politische Reform keine erfolgreiche Heeresreform.
Dieser Zusammenhang war damals bekannt. Es scheint aber notwendig, daß auch wir uns hier einiger Zusammenhänge bewußt werden. Wir können nicht davon ausgehen, daß uns die Entwicklung seit 1945 in der Neugestaltung unserer gesellschaftlichen und sozialen Ordnung sehr weit vorangebracht hätte. Es wird zwar viel von Reformen auf diesen Gebieten gesprochen, die entsprechenden Maßnahmen stehen aber noch aus.
— Ja, warum reden Sie denn dann noch dauernd davon, wenn schon alles geschehen ist? Sie sprechen ja doch auch davon, Herr Kollege, natürlich im Hinblick auf die Wahlen, die im nächsten Jahre stattfinden. Wer möchte sagen, daß der Druck der nächsten Bundestagswahl dazu ausreicht, daß diese vielen Reden in die Tat umgesetzt werden!
Wir sind bei aller Bejahung des Grundsatzes der allgemeinen Wehrpflicht der Auffassung, daß ihre Durchführung nur unter der Voraussetzung möglich und sinnvoll ist, daß vorher die beabsichtigte Reform der sozialen Verhältnisse eine befriedigende Lösung erfährt. Denn schließlich muß ein Wehrpflichtiger auch wissen, wofür er seinen Dienst leistet. Das Ethos der Freiheit wird dabei nur unzulänglich wirken, wenn es nicht angesichts des ideologischen Weltgegensatzes von der Überzeugung getragen wird, auch einer besseren sozialen Ordnung und ihrer Erhaltung zu dienen. Es wäre jedenfalls sehr gefährlich, die Jugend zu den Waffen zu zwingen und ihr gleichzeitig das Gefühl zu lassen, daß die soziale Gerechtigkeit erst erkämpft werden muß.
— Das meinen Sie! Warten Sie mal ab! Sie werden da vielleicht noch einige Überraschungen erleben. Ich halte es für vollkommen falsch, sich da irgendwelche Vorstellungen zu machen, weil man sie gern so haben möchte, sondern ich halte es für viel richtiger, die Dinge sehr real und nüchtern zu beurteilen, um einen Mißerfolg zu vermeiden. Das wollen wir doch alle, Herr Kollege. Wir wollen doch nicht auf jeden Fall irgend etwas tun, nur weil wir es uns in den Kopf gesetzt haben, ganz gleich, was dabei herauskommt, sondern wir wollen es doch so tun, daß es sich wirklich zum Besten für unsere Bundeswehr und für unser Volk entwickelt.
— Es zeigt sich immer erst hinterher, wer die Situation realer beurteilt hat.
In diesem Zusammenhang gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Ein Fünftel unserer wehrfähigen Jugend besteht aus Heimatvertriebenen oder den Söhnen Heimatvertriebener, die aus dem Osten kommen. Wahrscheinlich ist die Wehrbereitschaft bei ihnen in stärkerem Maße vorhanden als bei den übrigen Teilen der Jugend. Ich will hier auf die Gründe nicht eingehen. Ich möchte nur ausdrücklich feststellen, daß es nicht etwa mit dem Wunsche zu tun hat, die verlorene Heimat mit Waffengewalt wiederzugewinnen. Aber diese durchaus friedfertige Wehrbereitschaft bei der heimatvertriebenen Jugend muß in einen schweren Konflikt kommen, wenn von offizieller Seite, wie dies vor wenigen Tagen geschehen ist, die Möglichkeit einer friedlichen Verwirklichung des Heimatrechts der Vertriebenen als problematisch bezeichnet wird.
Solche Auslassungen halten wir gerade auch im Hinblick auf die Einführung der Wehrpflicht für äußerst problematisch. Wir möchten doch sehr darum bitten, daß uns hier so rasch wie möglich eine Aufklärung über die Ursachen und den Sinn oder auch den Unsinn solcher Darlegungen gegeben wird.
Ich komme zum Schluß. Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE wird sich der Ausschußüberweisung des uns vorliegenden Wehrpflichtgesetzes nicht widersetzen. Sie wird aber ihre endgültige Stellungnahme, insbesondere über den Zeitpunkt, zu dem die Wehrpflicht durchgeführt werden soll, von den Beratungen und dem Vorliegen der nach ihrer Auffassung notwendigen und von mir dargelegten Voraussetzungen abhängig machen.