Rede von
Dr.
Hans
Wellhausen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Ausführungen waren darauf abgestellt, daß der Herr Bundesfinanzminister, wie mir angekündigt war, das Wort nicht ergreifen würde. Aber da er inzwischen gesprochen hat, muß ich mich ein wenig mit dem beschäftigen, was er gesagt hat.
Es fällt mir schwer, die Gefühle zu schildern, die mich erfüllen, wenn es heute, nach mehr als einem Jahr, endlich dazu gekommen ist, daß von breiten Kreisen des Parlaments Anträge gestellt worden sind. Es fällt mir aber auch schwer, die Gefühle zu schildern, die mich beschleichen, wenn ich daran denke, daß die Bundesregierung keinerlei Gesetzesvorlage eingebracht hat, obwohl die Länder, wie Sie alle wissen, durch den Bundesrat einen Appell dazu an die Bundesregierung haben ergehen lassen. Ich möchte es nicht unterlassen, der FDP-Fraktion, der ich nicht mehr angehöre, dafür zu danken, daß sie als erste, nämlich vor ungefähr einem Jahr, die 10%ige lineare Steuersenkung vorgeschlagen hat.
Inzwischen ist in der Presse eine Flut von Artikeln erschienen, und auch Zeitungen, die, wenn ich es so nennen darf, es ais das höchste Recht und als die Pflicht der Zeitungen ansehen, sich nicht zu wiederholen und immer aktuell zu sein, haben es mit außerordentlicher Hartnäckigkeit unternommen, immer wieder auf das Notwendige hinzuweisen. Es scheint mir richtig zu sein, wenn ich in diesem Augenblick und in diesem Zusammenhang, nachdem ich auch von dieser Zeitung völlig unabhängig bin, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" erwähne.
Die Gedankengänge in Steuerdingen, die meine Freunde und mich mit derselben Hartnäckigkeit immer wieder zu unseren Vorstößen veranlaßt haben — ich erinnere an den Deutschen Industrie-und Handelstag, ich erinnere an das Institut Finanzen und Steuern —, sind außerordentlich einfach. Der erste Leitsatz ist der, daß man nicht mehr Steuern erheben soll, als für die notwendigen Staatsausgaben erforderlich ist, daß man also in keiner Weise und unter keinen Umständen eine Vorratspolitik mit Steuergeldern treiben soll.
Der zweite beherrschende Gesichtspunkt ist von meinem, ich muß sagen, „ehemaligen" Freund Miessner bereits erwähnt worden: daß es nämlich unnatürlich ist, wenn man mehr als 50 % an Steuern bezahlt. Gegen diesen Grundsatz haben wir jahrelang verstoßen, — wenn ich ehrlich sein soll, in früherer Zeit zum Teil verstoßen müssen. Der dritte Gesichtspunkt ist der der Gerechtigkeit. Sie ist zwar ohnehin nach einem alten lateinischen Satz das Fundament des Staates; aber man sollte doch immer wieder darauf hinweisen. Das ist insbesondere in einer Zeit notwendig, in der, wenn ich mich höflich ausdrücken soll, es modern war, dieser Gerechtigkeit zugunsten der Bekämpfung der Konjunktur Fesseln anzulegen. Ich will aber über überholte Dinge hier nicht sprechen und es mir damit auch versagen, auf die überraschende Haltung der Wissenschaftlichen Beiräte mehrerer
Bundesministerien im vorigen Sommer einzugehen. Ich halte es mit Busch: gehabte Schmerzen, die hab ich gern.
Wenden wir uns also ausschließlich — und es wird nun langsam Zeit dazu — der Zukunft zu! Sie haben meine Ausführungen in diesem Hause oft gehört, in denen ich mich seit Jahren dafür ausgesprochen habe, daß die Zeit der Begünstigungen in jeder Form und auf jedem Gebiet zu Ende sein sollte. Es ist gar kein Zweifel, daß es für diese Begünstigungen auch heute noch alle möglichen Argumente und Gesichtspunkte gibt, die beachtlich sind. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die kunststoffverarbeitende Industrie hat mir gerade vor kurzem in einem Brief auseinandergesetzt, sie befinde sich in einer solch schnellen technischen Entwicklung, daß man wohl mit Recht behaupten kann, normale Abschreibungssätze entsprechen nicht mehr der technischen Entwicklung. Aber auch hierfür wird es nicht möglich sein, zusätzliche gesetzliche Vorschriften zu erlassen. Man muß sich vielmehr darauf verlassen und sich darüber, wenn nötig, nochmals vergewissern, daß das Bundesfinanzministerium derart das Ohr am Puls der technischen Entwicklung hat, daß hier nichts versäumt wird. Mit großer Befriedigung habe ich vielen . Zuschriften insbesondere in den letzten Wochen entnommen, daß in allen Wirtschaftszweigen ohne Unterschied die allgemeine Tarifsenkung als das Vordringlichste und Wichtigste bezeichnet und betrachtet wird Das ist ein
gutes Zeichen für die wachsende Erkenntnis bei den verschiedenen Zweigen der Wirtschaft. Sicherlich wäre diese Erkenntnis nicht eingetreten, wenn nicht die Bundesregierung durch ihre wirtschaftspolitische Haltung die Voraussetzungen dafür geschaffen hätte. Man sollte sich also freuen, daß wir endlich soweit gekommen sind. Es wird auch bekannt sein, daß der Bundesverband der deutschen Industrie, der anfangs eine etwas schwankende Haltung eingenommen hat, inzwischen auf die Gedankengänge des Industrie- und Handelstages eingeschwenkt ist.
Ich bin also der Meinung, wir sollten mit aller Kraft und in aller Schnelligkeit zu einer allgemeinen Steuersenkung kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es unbedingt beim 1. Januar 1957 verbleiben muß. Ich fand schon den Termin, den die Anträge der Koalitionsparteien enthielten, nämlich den 1. Oktober 1956, als recht spät.
Wenn wir davon ausgehen, daß die Vorschläge der Koalitionsparteien der gesamten Wirtschaft zugute kommen, dann dürfen wir annehmen, daß sie auch dem Mittelstand nützen. Ich würde Sie bitten, sich doch um Gottes Willen nicht einzubilden, daß Sie mit Bestimmungen, wie sie die §§ 10 a, 32 a und gar 32 b darstellen, dem Mittelstand behilflich gewesen sind. Das ist doch im letzten Ergebnis und in der Perfektion, zu der wir leider gekommen sind, mehr eine Hilfe für die Großfirmen gewesen; das ist vorhin schon mehrfach zum Ausdruck gekommen. Es war es nicht in den Anfängen von 1950; es ist aber im Laufe der Zeit dazu gekommen.
Ich möchte, da wir an sich die Absicht hatten, von einer ersten Lesung oder einer Beratung der Anträge abzusehen, mich im Augenblick nicht mit dem Umsatzsteuergesetz beschäftigen. Ich könnte es natürlich unter Hinweis auf meinen Freund Dresbach tun, wenn ich sage: Ich habe kaum etwas so Unsystematisches gesehen, wie den Antrag
auf Reform der Umsatzsteuer. Ich könnte ihn aber schlucken, Herr Schmücker, wenn ich annehmen dürfte, daß das ein Anfang für eine Senkung der Umsatzsteuer überhaupt sein sollte und daß diese uns in absehbarer Zeit beschert werden könnte.
Alle anderen Anträge, die hier vorgebracht worden sind, sind nach meiner Ansicht zweitrangig, und wenn Sie sie nach meinen allgemeinen Ausführungen eingruppieren, werden Sie mir das auch nicht bestreiten. Ihre Behandlung paßt jedenfalls in eine erste Lesung, die sich mit der großen Linie beschäftigen sollte, nicht hinein. Ich möchte die Besteuerung der Ehegatten als einzige Frage davon ausnehmen. Aber dieses Thema ist zu kompliziert, als daß es hier in vollem Umfange ausdiskutiert werden könnte. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang doch sagen, daß ich das Vergnügen habe, mit dem Herrn Bundesfinanzminister in der Auffassung einig zu sein, daß man es sich aus ethischen Gesichtspunkten überlegen sollte, ob man die Ehefrau auf alle mögliche Weise noch mehr in die Fabriken und in die Büros hineintreiben sollte, als das ohnehin schon der Fall ist.
Ich habe in dieser Beziehung aus ganz allgemeinen Erwägungen schwere Bedenken.
Zu den Anträgen der SPD über das Notopfer Berlin möchte ich heute in diesem Zusammenhang bei Wahrung der Linie der ersten Lesung nur sagen: Ich habe natürlich ein Verständnis dafür, daß unser Freund Gülich in einem berechtigten Unwillen über die Nichtzweckbindung des Notopfers Berlin einen anderen Weg beschreitet. Er schüttet jetzt aber das Kind mit dem Bade aus.
— Ich glaube aber, Herr Gülich, daß wir uns mit dem begnügen sollten, was die Regierung vorschlug und was sie uns heute — so habe ich Herrn Schäffer verstanden — als Begründung vortragen wollte.
Ich könnte mir also denken, daß wir mit der Befreiung der Steuerpflichtigen vom Notopfer Berlin, die bis zu 30 DM zahlen, uns zunächst begnügen sollten. Letzten Endes ist das psychologische Moment, das für die Notopfermarke vielleicht zu Tode geritten worden ist, für das Notopfer Berlin doch nicht außer acht zu lassen.
Was die Anträge der SPD zur Einkommensteuer angeht, so scheint mir Herr Seuffert die Gegensätze zu den Anträgen der Koalitionsparteien ein wenig übersteigert zu haben. In Wirklichkeit sind sie in mancher Beziehung ähnlich; aber es fehlt die allgemeine Steuersenkung, auf die ich, wie ich Ihnen ja schon gesagt habe, den größten Wert lege.
Ich weiß nicht, was aus der ersten Lesung nun noch herauskommt, nachdem andere Herren auf ihre Wortmeldung nicht verzichtet haben. Ich glaube aber, daß ich Sie auffordern sollte, nun rasch an die Arbeit zu gehen, damit wirklich etwas entsteht. Der Bundesfinanzminister hat uns heute abend ein wenig enttäuscht. Aber ich glaube, daß es möglich ist, auch mit ihm auf eine gemeinsame Linie zu kommen. Wir waren, Herr Bundesfinanzminister, vielleicht schon auf dieser Linie; denn Sie hatten Ihren Widerstand in erster Linie gegen die gezielten Maßnahmen und nicht gegen die allgemeine Steuersenkung gerichtet. Ich möchte also
hoffen, daß diese allgemeine Linie im Finanzausschuß wiederhergestellt werden kann, und ich gebe meinen Optimismus in bezug auf die Erwartungen und Ergebnisse dieser Beratung — mindestens vorläufig — nicht auf.