Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war zunächst, vor Beginn dieser Aussprache, nicht meine Absicht, in die Debatte einzugreifen. Ich brauche die Regierung dagegen, daß sie eine Initiative habe vermissen lassen, wirklich nicht zu verteidigen. Die Regierung hat nach der Konjunkturdebatte in Berlin im Oktober ihren Haushalt vorgelegt, und der Haushalt ist letzten Endes der praktische Vollzug einer Regierungspolitik. Dieser Haushalt hat in erster Linie eine Steuersenkung nicht unbeträchtlichen Umfangs vorgesehen. Für den Bundeshaushalt sind es allein 785 Millionen, und insgesamt betragen die vorgeschlagenen Steuersenkungen 1400 Millionen.
Die Bundesregierung hat dabei immer angedeutet, daß sie daneben — und das war auch öffentlich bekannt — entsprechend dem „Grünen Bericht" das Jahr 1956 als das Jahr einer Hilfe für die Landwirtschaft betrachtet, und es war ebenfalls der ganzen Öffentlichkeit bekannt, daß die Bundesregierung das Jahr 1957 als das Jahr der Sozialreform betrachtet. Diese Aufgaben sind das Programm der Bundesregierung gewesen, und selbstverständlich wollte die Bundesregierung diese Aufgaben unter Aufrechterhaltung der finanziellen Ordnung erfüllen und dabei die übrigen Ausgaben leisten, die die Lebensnotwendigkeiten und die internationalen Verträge dem deutschen Volke notwendigerweise aufbürden. Das war die Regierungsinitiative, und das war der Plan der Regierung.
Wenn ohne Regierungsinitiative aus dem Parlament Anträge kommen, die von größter, finanzieller Bedeutung sind, so ist es an sich schon nach der Geschäftsordnung Sache der Antragsteller, die Deckung zu überlegen und einen Vorschlag für die Deckung zu machen.
Aus dem Grunde hätte ich als Vertreter der Bundesregierung also nicht das Wort zu ergreifen brauchen.
Aber, meine Damen und Herren, etwas anderes veranlaßt mich dazu. Bis zur Ermüdung habe ich in der Öffentlichkeit den völligen Irrglauben zu bekämpfen versucht, daß wir Milliarden von Überschüssen hätten, auf die wir dauernde Ausgaben und dauernde Einnahmeminderungen gründen könnten. Ich wollte, wir wären so glücklich wie andere Länder. Die Schweiz hat seit Jahren ständig echte Überschüsse. Die nordischen Länder und Großbritannien haben in den letzten Jahren mit dem ganzen wirtschaftlichen Aufschwung, der nicht bloß bei uns eine Rolle spielt, Überschüsse erzielt. Sie treiben allerdings eine ganz andere Politik. Die nordischen Länder bilden sogenannte Budgetausgleichskassen, um eine Rücklage zu haben. Großbritannien denkt in Sorge um die Währung in der Zeit der Überschüsse an Steuererhöhungen, schafft Steuergesetze, die den Sinn haben, die Bevölkerung zum Sparen zu veranlassen, und ist stolz darauf, daß der Erfolg, eine Stärkung der Währung, heute schon eingetreten ist. Das ist eine andere Politik; aber dieses Beispiel überzeugt in Deutschland nicht, und es ist mein Bemühen, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was es mit den sogenannten Überschüssen ist. Mein Bemühen ist leider nicht von Erfolg gekrönt gewesen; denn auch in diesem Hause hat jeder der Herren, der gesprochen hat, eigentlich als selbstverständlich vorausgesetzt und so oder so betont, daß die notwendige Manövriermasse, die Kassenfülle vorhanden sei und darauf eben die Milliardenausgaben gegründet werden könnten. Dazu ein Wort zu sagen, halte ich mich für verpflichtet. Ich darf einmal darauf hinweisen: Wenn wir in einem Zeitpunkt Ausgabenerhöhungen beschließen oder Einnahmesenkungen vornehmen, haben wir uns auch die Frage vorzulegen, ob wir damit nicht einen anderen uns am Herzen liegenden Teil eines größeren Programms — es sei in diesem Fall das Wort Sozialreform ausgesprochen, die für das Jahr 1957 geplant ist — nicht unmöglich machen oder erschweren.
— Moment! Wir haben uns das vorzulegen. Wir haben uns die Gesamtauswirkung in der Zukunft vorzurechnen, und wir haben uns noch die Frage vorzulegen: Verteilen wir nicht einen Kuchen, der vielleicht nicht vorhanden ist, oder ist der Kuchen nicht wenigstens wesentlich größer als das, was
vorhanden ist? Hier dürfen wir nicht nur an die Einnahmeminderungen, also an Steuersenkungen denken, wir müssen auch an die Ausgaben denken, die der Öffentlichkeit bekannt sein dürften. Wenn man an den Jahresbedarf denkt und damit an das, was im Jahre 1957 zu leisten ist — und die Haushaltsaufstellung muß einen abgeglichenen Haushalt ergeben —, dann muß man bei den im Sommer 1956 beginnenden Arbeiten auch an die Ausgaben denken, die heute schon sicher sind, und an die Ausgaben, die vielleicht noch nicht Gesetz sind, aber politisch als sicher betrachtet werden dürfen. Die Ausgaben, die über den Haushalt hinaus heute als sicher betrachtet werden müssen, die Hilfe für die Landwirtschaft, Bergbau, Bundesanteil, Besoldungserhöhung, Arbeitslosenfürsorge, Förderung der Eierwirtschaft, Vertrag mit Jugoslawien, Wohnungsbauprämien, betragen 1653 Millionen DM. Die Kosten der mit Sicherheit zu erwartenden Gesetze: Bundesversorgungsgesetz, Wohnungsbau, Wiedergutmachung, 131er etc., betragen weitere 1655 Millionen DM. Dazu kommen im Jahre 1957 auf Grund des Zweiten Wohnungsbaugesetzes die Erhöhung der Bundesmittel für Wohnungsbau um 200 Millionen DM und die Erhöhung des Bundeszuschusses für die Sozialversicherungsanstalten im Rahmen der Sozialreform bis zu 800 Millionen DM, macht zusammen 1000 Millionen DM. Die Ausgabenerhöhungen, die im Jahre 1957 volle Auswirkung haben werden, betragen infolgedessen, was heute schon als sicher anzunehmen ist, 4308 Millionen DM. Diese Berechnungen haben die eine natürliche Erscheinung, daß sie sich in meiner ganzen Lebenserfahrung nie gemindert haben, sondern im Laufe der politischen Beratungen und Besprechungen immer nur gewachsen sind. Wir mussen heute mit 4308 Millionen DM Ausgabenmehrung für das Jahr 1957 rechnen! Heute haben wir den Tag, wo wir über die Steuersenkungen reden. Ich darf daran erinnern, daß im Haushalt 1956 bereits Steuersenkungen — Ehegattenbesteuerung, Erhöhung der Werbungskostenpauschale, Senkung von Verbrauchsteuern, Aufhebung der Umsatzsteuer für Milch und Milcherzeugnisse, Ermäßigung des Berliner Notopfers — vorgesehen sind, wie gesagt, im Betrage von rund 1400 Millionen DM, wovon 785 Millionen DM etwa auf den Bundeshaushalt entfallen. Lassen Sie mich einmal die Steuersenkungsanträge, die hier vorgetragen sind, berechnen, und gestatten Sie mir, daß ich einmal nicht unterscheide, ob sie von der Opposition oder Koalition gestellt sind; ich werde sie nachher auch unterscheiden.
Aber ich nehme sie zunächst einmal allein deshalb als Gesamtes, weil das Parlament gerade heute daran denken muß, daß die parlamentarische Demokratie um ihre Lebensfähigkeit und ihre Anerkennung kämpft, und weil das Parlament im Ausland und im Inland nun eben einmal als Einheit genommen wird und jeder der Herren seine Anträge neben den anderen Anträgen für durchführbar hält.
Wenn ich die Anträge als Einheit nähme, kämen wir zu phantastischen Ziffern.
Wenn ich die Anträge nun einmal scheide und die Anträge auf Drucksache 2282 und Drucksache
2283 vorausnehme, so komme ich zu folgendem Ergebnis. Ich muß dabei bemerken, daß der Antrag auf Drucksache 2283 eine Fassung hat, die dem Willen der Antragsteller wohl nicht ganz entspricht. Die Fassung wird geändert werden müssen. Aber ich weiß, was die Antragsteller wünschen. Sie meinen nicht jeden einzelnen Umsatz, sondern sie haben an den Jahresumsatz des einzelnen Unternehmens gedacht. Wenn die Fassung richtig wäre, dann würde sie eine Belastung von 470 Millionen DM bedeuten; in der jetzigen Fassung wäre die Belastung viel höher. Der Antrag auf Drucksache 2282 bedeutet eine Belastung von insgesamt 1455 Millionen DM. Von der Belastung haben die Länder zwei Drittel und der Bund ein Drittel zu tragen. Damit ergibt sich genau gerechnet aus diesen beiden Anträgen für den Bund eine Belastung von 1021 Millionen DM. Das bedeutet also, daß das Jahr 1957 — —
— Moment! Ich sage ja: nur die Mehr erhöhung, ausschließlich dessen, was im Bundeshaushalt schon vorgeplant ist. Es handelt sich um die reine Mehraufwendung über das hinaus, was im Bundeshaushalt für Ehegattenbesteuerung, Freibetrag, Senkung der Verbrauchsteuertarife, Notopfer Berlin schon berücksichtigt ist, um die neuen
Ausgaben. Diese neuen Ausgaben betrügen also allein für den Bundeshaushalt 1021 Millionen DM. Das Jahr 1957 würde voll damit belastet und würde eine Haushaltsverschlechterung von 4308 Millionen plus 1021 Millionen DM, das sind 5330 Millionen DM erfahren, und diese Lücke im Haushalt des Jahres 1957 müßte auf Grund des Art. 110 des Grundgesetzes ausgeglichen werden.
Wenn ich die Anträge auf den Drucksachen 2295, 2293, 2296, 2297, 2298 und 2314 nehme, so würde sich, auch wieder als reines Mehr gegenüber dem, was bereits im Bundeshaushalt vorgesehen ist, für Bund und Länder zusammen eine Belastung von insgesamt 3325 Millionen, für den Bund allein eine solche von 2214 Millionen DM ergeben.
Bei Verwirklichung dieser Anträge würde also die Lücke, die im Haushalt des Bundes für 1957 zu schließen ist, 6514 Millionen DM betragen.
Meine Damen und Herren, damit könnte ich eigentlich fast schließen. Ich möchte aber jetzt einmal die andere Frage beantworten — sie betrifft den Kuchen, der verteilt werden soll —: Was ist an Kuchen zur Zeit vorhanden? Hier spielen immer die Worte Guthaben des Bundes, Juliusturm, Kassenfülle etc. eine Rolle. Ich hätte es sehr gern gehabt, wenn ich über dieses Thema nicht die unmöglichsten volkswirtschaftlichen Theorien gehört hätte, sondern wenn man sich mit reinen Tatsachen beschäftigt hätte. Ich spreche hier nur über die reinen Tatsachen.
Wir sind am 31. März 1955 im Besitz von Kassenguthaben gewesen, die auf dem Konto II eingelagert waren, über das bekanntlich nur mit Zustimmung des Haushaltsausschusses des Bundestages verfügt werden darf. Diese Summe betrug bei Beginn des Rechnungsjahrs 1955 4020 Millionen DM.
Der Betrag ist bekanntlich dadurch entstanden, daß wir jährlich 7200 Millionen Besatzungskosten im Etat einzusetzen hatten, daß von diesen 7200
Millionen jährlich weniger abgerufen wurden, daß aber die damaligen Besatzungsmächte das Recht hatten, den ganzen Unterschiedsbetrag zu verlangen, um die Lieferungen und Leistungen daraus bezahlt zu erhalten, die sie im Inland auf Grund Besatzungsrechts vor dem Stichtag — also dem Ablauf der Besatzungszeit — erhalten hatten.
Es war von vornherein klar, daß sie so viel Verpflichtungen eingehen würden, daß der ganze Unterschied verbraucht wird. Sie haben es auch getan, und infolgedessen mußte das Geld zur Verfügung stehen, um diese Verpflichtung zu bezahlen. Wir haben ja im Haushalt 1955 vorgesehen gehabt: „Ausgabe für rückständige Besatzungskosten: 2040 Millionen", „Einnahme: Abhebung aus diesem Konto".
Die Dinge sind weitergelaufen, und nun kam dazu, daß in diesem Jahr infolge von Umständen, die ich hier nicht zu erörtern brauche, der Beginn der Geldausgabe aus dem Verteidigungshaushalt für die deutsche Bundeswehr sich verzögerte. Es war ein Betrag von 5200 Millionen vorgesehen, und es sind nur einige hundert Millionen davon verbraucht worden. Wenn zu den 4000 Millionen dieser Betrag, der dem Verteidigungshaushalt gehört, hinzugekommen wäre
— wäre! —, dann hätten es 9 Milliarden sein müssen. Ziehe ich aber die 2 Milliarden ab — rückständige Besatzungskosten, Stationierungskosten —, hätten es immer noch wenigstens 7 Milliarden sein müssen. Praktisch ist am Stichtag des 31. März 1956 ein Gesamtguthaben des Bundes in allen seinen Kassen von 6080 Millionen vorhanden gewesen. Das Guthaben hat sich also nur — dieses „nur" gilt nur relativ — um 2000 Millionen erhöht.
Und nun darf ich feststellen, daß diesem Kassenguthaben folgende laufende Verpflichtungen gegenüberstehen: Stationierungskosten und rückständige Besatzungskosten in Höhe von 21/2 Milliarden DM. Der Rest ist in Höhe von mehr als 6 Milliarden praktisch schon dem Verteidigungshaushalt im Wege der Vorwegbewilligung etc. zuerkannt. Davon treffen 1,5 Milliarden allein auf den Bestand des Rechnungsjahres 1955.
Das ist die Situation.
Nun darf ich einmal eines feststellen: Man mag die Dinge beurteilen, wie man will; aber es bleibt eine Differenz, die nur ein kleiner Bruchteil der Anforderungen ist, die an den Bundeshaushalt 1957 mit fünf, sechs Milliarden und mehr gestellt werden. Eines muß man doch noch betonen: Wenn diese Restkassenbestände für andere Zwecke verwendet werden könnten, wenn auch nur mit einem Teilbetrag dessen, was an Forderungen an uns herantritt, so ist das eine einmalige Operation, die sich in den folgenden Jahren nicht wiederholen kann, weil es ganz selbstverständlich ist, daß die Verteidigungsausgaben nunmehr zu laufen beginnen und daß sie gerade deshalb, weil wir unter dem Druck auch der Forderungen auf Stationierungskosten etc. etc. stehen, rasch und vielleicht in größerem Maße, als man allgemein rechnet, zu laufen beginnen werden.
Der Bundesfinanzminister hat nicht die politische Entscheidung zu treffen, wenn er auch mit ganzem
Herzen daran glaubt, daß das, was die internationalen Verträge von uns verlangen, gleichzeitig eine Lebensfrage für die deutsche Freiheit und für das Leben der deutschen Nation ist. Aber er hat sich an das politische Gebot, dem Parlament und Regierung zugestimmt hatten, zu halten und muß die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Es wäre kein ehrlicher Weg, statt das politische Ziel offen zu bekämpfen, nun zu versuchen, dieses politische Ziel über finanzpolitische Maßnahmen gefährden zu wollen.
Unter diesen Umständen muß ich sagen: die Erhaltung der Mittel für den Verteidigungshaushalt ist keine Frage, über die wir uns unterhalten können; das ist ein Muß nach der rechtlichen Seite und ist ein Muß — nach meiner Überzeugung — vom Standpunkt der deutschen Freiheit und des deutschen Lebenswillens.
Aber wenn ich diese Überzeugung habe, dann darf ich eine andere Frage aufwerfen. Zu den 6 Milliarden, die ich vorhin genannt habe, müssen Sie, wenn wir volkswirtschaftlich denken, auch noch die Steuersenkungen und Maßnahmen hinzurechnen, die auf Konto der Länder laufen, und das sind auch 1,5 Milliarden DM. Auch das würde, wenn man volkspolitisch denkt, eine, wie heißt das Wort, „Konsumerweiterung", eine Vermehrung der sogenannten Kaufkraft bedeuten. Wenn ich daran denke, daß im nächsten Jahre bei der Sozialreform es sich als notwendig erweisen wird, daß ein Teil des Kapitaldeckungsvermögens der Rentenversicherungsanstalten ausgezahlt und in laufende Renten verwandelt wird, dem eine Umschichtung innerhalb des Volkseinkommens nicht gegenüberstünde, dann weiß ich, daß diese volkswirtschaftlich ungedeckte Belastung weit über 6 Milliarden, ja vielleicht über 8 oder 9 Milliarden DM betragen würde. Ich gestehe Ihnen offen, unter diesen Umständen halte ich die volkswirtschaftliche Gefahr des Vorgehens für sehr groß. Ich habe gemahnt und gemahnt, es möge in allem Maß gehalten werden. Die Entscheidung über die Anträge und auch die Entscheidung über die Ausgaben, die wir noch zu beschließen haben, fallen in den Ausschüssen. Ich möchte hoffen, daß mein letzter Appell an das Maßhalten dort verstanden wird.