Rede von
Dr.
Herwart
Miessner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darüber, daß ein mehr oder weniger großer Betrag zur Steuersenkung zur Verfügung steht, besteht jedenfalls unter den Fraktionen des Bundestages kein Zweifel mehr. Nur mit dem Bundesfinanzminister besteht darüber Streit. Selbst wenn nun aber der Herr Bundesfinanzminister die Summe, die zur Verfügung steht, für geringer hält als das Parlament, so hätte er doch wenigstens in irgendeiner Weise mit einem Steuersenkungsvorschlag initiativ werden sollen. Wir bedauern ausdrücklich hier an dieser Stelle, daß keinerlei Vorschlag der Bundesregierung vorliegt, obwohl doch — das zeigt die große Zahl der Anträge aus dem Parlament — offensichtlich die Möglichkeit dafür besteht.
Dagegen liegen nun eine Reihe von Vorschlägen aller Fraktionen vor, von denen uns der Vorschlag der sympathischste ist, die Steuern allgemein um 10 % zu senken. Dieser Vorschlag ist uns deshalb naturgemäß am sympathischsten, weil die Fraktion der FDP einen entsprechenden Antrag bereits mit Drucksache 1764 am 11. Oktober 1955, also vor mehr als einem halben Jahr, eingebracht hatte. Dabei gingen wir allerdings davon aus, daß die Steuersenkung linear durchgehend bis oben hin erfolgen sollte, und zwar insbesondere aus der Erwägung, daß wir endlich einmal die Steuersätze von über 50 % in den obersten Sätzen beseitigen
müssen. Sie liegen heute bei 55 °/o. Man müßte hier mindestens zu einer Senkung auf 50 °/o kommen.
Diese Forderung ergibt sich schon aus allgemein volkswirtschaftlichen Überlegungen. Es ist ja bekannt, daß ein Kaufmann, wenn ihm weniger als 50 °i o seiner Einkünfte verbleiben, angesichts der hohen Steuerlast eher auf den Gedanken kommt, sein Geld volkswirtschaftlich nicht so sehr sinnvoll zu verwenden.
Merkwürdig ist nur, daß dieser Antrag der FDP auf 10%ige Steuersenkung mehr oder weniger in Vergessenheit geraten ist. Offensichtlich war er gar nicht so populär. Das liegt wohl daran, daß es immer sehr viel populärer ist, mit Sondermaßnahmen für diesen oder jenen aufzutreten; denn die Betreffenden, für die diese Maßnahmen dann positiv wirksam werden, nehmen das naturgemäß mit Dank und Freude auf, und die übrigen machen sich keine großen Gedanken darüber, daß sie dabei in Wirklichkeit die Benachteiligten sind. Wer sich besonders auf solche Maßnahmen spezialisiert, der zielt in der Tat „haarscharf auf den Schlitz der Wahlurne", wie unser Fraktionsvorsitzender Dr. Dehler das kürzlich so treffend und plastisch ausgedrückt hat.
Diese Äußerung hat sicherlich das Gute gehabt, daß zum erstenmal sämtliche Steuerzahler durch diese bildhafte Darstellung auf den Zusammenhang der nun einmal zwischen Sondermaßnahmen und allgemeiner Tarifsenkung besteht, aufmerksam wurden. Das mag aber auch bewirkt haben, daß die größte Fraktion des Hauses, die CDU/CSU, nunmehr nach diesem Wort von Dr. Dehler auch ihrerseits zu der 10%igen Steuersenkung in ihren Vorschlägen übergegangen ist, während sie vorher andere Vorschläge machte.
— Lesen Sie einmal die Zeitungen nach!
Damals war in der Öffentlichkeit von Ihrer Seite nichts, was irgendwie in diese Richtung ging, verlautbart worden.
Es muß jetzt einmal gesagt werden — man muß sich ja irgendwie einmal erklären —, welche Maßmen den Vorrang haben sollen, und so spreche ich hier aus, daß — um es allen Steuerzahlern mit einem aufrüttelnden Wort zu sagen — sicherlich eine höhere Steuersenkung als um 10% möglich wäre, wenn man sich im wesentlichen auf eine lineare Steuersenkung zugunsten aller konzentrierte!
Dabei kann es durchaus so sein — nach unseren Vorstellungen —, daß man in den unteren und mittleren Stufen etwas stärker senkt — vielleicht 15 % —, um die Senkung dann oben mit 10 % auslaufen zu lassen, damit eben die letzten Sätze von 55 auf 50 % herabgesetzt werden. Das wäre so eine Art „gebogene lineare" Steuersenkung.
— Ja, j a, diesen Heiterkeitserfolg wollte ich natürlich erzielen. Dieses Bild ist paradox, darüber bin
ich mir völlig im klaren. Aber vielleicht bleibt das, was wir wollen, damit desto eher haften.
Ach, lassen Sie es ruhig dabei. Denn es kommt manchmal gerade dann eine Diskussion besser in Gang, wenn man einen solchen eigenartigen Begriff in die Debatte wirft.
Aber etwas anderes spricht ja auch für die Vorrangigkeit einer linearen Steuersenkung. Das ist der Grundsatz der Steuervereinfachung. Nur durch starke Senkung im Tarif kommen wir über die vielen, zum Teil notwendigen Sondermaßnahmen hinweg. Denn es ist ganz klar: Je höher die Tarife in einem Steuersystem sind, desto eher entsteht eine Situation, die es notwendig macht, diesen oder jenen doch aus allgemeinen volkswirtschaftlichen Gründen von dem allgemein hohen Tarifsatz auszunehmen. So haben wir bei den sehr hohen Steuersätzen, die wir nach 1945 hatten und nur langsam abbauen konnten, in der Tat ein Steuersystem mit so vielen Sonderbestimmungen erhalten — die eben die konsequente Folge der zu hohen Tarife waren —, daß wir heute ein solches Gestrüpp von Steuerbestimmungen haben, von denen man mit Recht sagt, daß auch der Steuerbeamte selbst sich eines Steuerberaters bedienen muß, um in dem Fall, daß er nicht nur Lohnsteuerzahler ist, seine Steuererklärungen abzugeben. Meine Damen und Herren, das ist in der Tat der Fall. Ich selber gehöre j a auch zu dieser Kategorie. Ich möchte meine Steuererklärung nicht ohne Beratung eines Steuerberaters abgeben. Das kann man ruhig mal sagen.