Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Notopfer Berlin wurde 1948 vom Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes aus Anlaß der Blockade als Notmaßnahme eingeführt, als eine Sondersteuer für einen Sonderzweck. Es wurde im Gesetz auf drei Monate befristet und ist nun beinahe acht Jahre lang laufend ergänzt und verlängert worden. Die als Übergangsmaßnahme gedachte Übergangslösung droht zu einer Dauereinrichtung unseres Steuersystems zu werden.
Der Name Notopfer Berlin verpflichtet. Er hätte auch den Gesetzgeber verpflichten müssen, diese
Sondersteuer zu einer Zwecksteuer zu machen. Wir sind uns alle darin einig, daß Zwecksteuern im Steuersystem vermieden werden sollten.
Wenn aber eine Steuer für einen besonderen Zweck eingeführt und als ein Notopfer deklariert wird, dann muß sie aus ihrem Charakter heraus auch eine Zwecksteuer werden.
Das Notopfer Berlin ist aber ein allgemeines Deckungmittel für den Bundeshaushalt, und das ist keine gute Sache. Denn das führt den Steuerzahler irre und verwirrt ihn; es fördert seine Unlust zum Steuerzahlen und mindert seinen Wunsch zur Steuerehrlichkeit. Nachdem sich der Finanzausschuß neulich bei der Beratung der Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes entschlossen hatte, das Notopfer Berlin endlich zu einer Zwecksteuer zu machen, hat es der Herr Bundesfinanzminister wieder erreicht, im Plenum eine Mehrheit dafür zu finden, daß das Notopfer weiterhin ein allgemeines Deckungsmittel sein soll. Wer nun noch nicht begriffen hat, worum es sich denn in Wirklichkeit handelt, dem ist nicht mehr zu helfen. Aber ich glaube, in diesem Hause haben es längst alle begriffen. Sie wollen es nur noch nicht alle zugeben. Die Gründe für das Notopfer Berlin sind längst weggefallen. Aber die Mängel in der Methode des Notopfers Berlin sind nicht nur nicht verschwunden, sondern die Methode ist von Mal zu Mal verfeinert, d. h. verschlechtert worden.
Ich will ein paar kurze Angaben über die Stellung des Notopfers Berlin im Steuersystem machen und auf die großen Mängel im Steuertarif hinweisen. Das Notopfer Berlin ist eine grob gestaffelte
zusätzliche Einkommensteuer, gehört also zu den Steuern vom Einkommen neben der persönlichen Einkommensteuer, die in der Form der Lohnsteuer und der veranlagten Einkommensteuer erhoben wird, der Körperschaftsteuer, der Kirchensteuer und der Gewerbeertragsteuer. Sie ist also eine zusätzliche Einkommensteuer, die aber nach einem besonderen Tarif berechnet wird. Damit wird die wahre Einkommensteuerbelastung verschleiert und das Steuersystem kompliziert. Man sollte aber auf das Einkommen nicht verschiedenartige Steuern nach verschiedenen Methoden erheben.
— Da blieb es eine Sünde, und diese Sünde existiert ja nicht mehr. Ich plädiere jetzt für die Beseitigung einer weiteren Sünde, um deren weitere Ausübung der Bundesfinanzminister hartnäckig kämpft.
— Natürlich sind Sünden drin. In unserem ganzen Steuersystem sind Unklarheiten und, wenn Sie wollen, Herr Pelster, Sünden, wie Sie sagten, natürlich. Denn der ganze 1. Deutsche Bundestag hat — die Anträge kamen aus Ihren Reihen, Herr Pelster —
so viele Sondererleichterungen in das Einkommensteuergesetz hineingebaut, daß es inzwischen so unübersichtlich geworden ist und neben den anderen über 50 Steuern zu einem wirklichen Steuerwirrwarr geworden ist, der kaum noch von Fachleuten übersehen werden kann.
— Das ist richtig, die Ausdrücke wechseln ja. Die „gezielten Maßnahmen", lieber Herr Dresbach, erheitern mich ebenso, wie sie Sie erheitern.
— Meine Brust, Herr Pelster,
ist in bezug auf Einkommensteuersonderwünsche wahrhaftig unbelastet
und jederzeit von Ihnen genauer zu besichtigen.
- Nein, die Brust ist in Ordnung und die Weste auch.
Ich sagte, neben den Mängeln des Steuersystems sind hier Mängel im Tarif. Denn das Notopfer belastet die kleinen Einkommen stärker als die großen, und die mittleren Einkommen ebenfalls stärker als die großen. Die kleinen Steuerpflichtigen zahlen im Verhältnis zur Einkommensteuer ein um ein Mehrfaches höheres Notopfer als die Bezieher großer Einkommen. Auch die Familien mit kleinem Einkommen und großer Kinderzahl sind vergleichsweise viel stärker -belastet als die Familien mit großem Einkommen und kleiner Kinderzahl.
Der neue Gesetzentwurf, Drucksache 2277, der heute dem Hause vorliegt und auf dessen mündliche Begründung ich gespannt bin, beseitigt zwar einige Mängel, indem er die kleinsten Einkommensteuerpflichtigen von der Abgabe des Notopfers Berlin befreit; aber die Grundmängel des Tarifs sind damit nicht beseitigt.
— Den guten Willen, dies zu tun, erkenne ich selbstverständlich an, Herr Pelster, und zu diesem Punkt kann man ja sagen, wenn man das Notopfergesetz aufrechterhalten will. Ich halte es aber für methodisch so schlecht, daß wir es nicht aufrechterhalten dürfen, und dazu erbat ich mir ja eben Ihre Aufmerksamkeit; ich werde sie nur kurze Zeit in Anspruch nehmen.
Der — proportionale — Notopfertarif betrug bei seiner Einführung im Jahre 1948 im Normalsatz 1 %, bei Einkommen unter 6000 Mark 0,6%. Mehrere Tarifänderungen anläßlich der Verlängerungen haben nun den Normalsatz auf 3,75 % erhöht, bei einem Steuersatz in der untersten Stufe von 1,15 %, und das Notopfer Berlin hat seit 1948 im Verhältnis zur Einkommensteuer ein immer stärkeres Gewicht bekommen; denn im gleichen Zeitraum wurde der Einkommensteuertarif 1950, 1953 und 1955 gesenkt, während der Notopfertarif in diesen Jahren, wie ich darlegte, erheblich erhöht worden ist.
Wir sind der Meinung, daß man an eine lineare Einkommensteuersenkung nicht herangehen kann, solange das Notopfer Berlin als Sonderbesteuerung auf das Einkommen noch besteht. Ist das Notopfer beseitigt, kann man weiter sehen. Aber die Beseitigung des Notopfers Berlin erachten wir als
eine vordringliche Maßnahme zur Bereinigung des Steuersystems.
Das Notopfer Berlin ist eine reine Bundessteuer. Den Anlaß zu der ganzen Debatte hier hat ja die Hortungspolitik des Herrn Bundesfinanzministers gegeben. Man soll, weil der Bundesfinanzminister so hohe Milliardenbeträge gehortet hat — mit volkswirtschaftlich höchst anfechtbaren, man kann schon sagen: falschen Begründungen —, jetzt in erster Linie Bundessteuern senken, nicht aber die Einkommen- und Körperschaftsteuer, die Sie mit Ihrem Antrag linear senken wollen, weil ja zwei Drittel der Senkung die Länder zu tragen haben und nur ein Drittel der Bund. Man soll jetzt innerhalb dieser Diskussion den Ländern möglichst keine Lasten aufbürden, zumindest aber möglichst kleine!
Wenn man — noch ein Wort zum Steuersystem — zur Einkommensteuer noch eine weitere Belastung haben will, dann haben wir durch unsere im übrigen reichlich verunglückte Finanzreform in Art. 106 des Grundgesetzes die Ergänzungsabgabe vorgesehen. Wünscht also der Bund einen Zugriff auf direkte Steuern, so hat er verfassungsmäßig die Möglichkeit, die Ergänzungsabgabe Gesetz werden zu lassen. Aber es ist offensichtlich, daß der Herr Bundesfinanzminister sich die Möglichkeit der Ergänzungsabgabe neben dem Notopfer Berlin, das er auf keinen Fall aufgeben will, offenlassen möchte.
Wenn man sich vorstellt, daß das Notopfer Berlin beseitigt ist, liegt auf der Hand, daß die Erhebungs- und Verwaltungskosten erheblich gemindert werden. Allerdings ist zuzugeben, daß die Kosten in der öffentlichen Verwaltung hier vielleicht nicht so stark gesenkt werden wie die Kosten in der ehrenamtlichen Steuererhebung, die von den Arbeitgebern aller Größenklassen von Betrieben vorgenommen wird. Und was für eine Belastung ist es sowohl für die großen Lohnbüros wie für die kleinen Gewerbetreibenden und Handwerksmeister, neben der Lohnsteuer nun auch immer noch das Notopfer Berlin ausrechnen zu müssen.
— Die ganze Steuer ist natürlich eine Belastung! Ich habe j a eben die Gewerbetreibenden als ehrenamtliche Steuereinnehmer bezeichnet, möchte sie nun aber, nachdem wir dieses System nicht einfach beseitigen können, wenigstens von der Arbeit und von der Last, die das Notopfer Berlin verursacht, befreien.
Das Notopfer Berlin ist im Haushalt 1956 wie 1955 mit 1275 Millionen DM veranschlagt worden. Es hätte 1956 mit 1400 Millionen DM veranschlagt werden müssen, aber der Bundesfinanzminister hat 1275 Millionen DM eingesetzt, weil er eben diese Senkungsmaßnahme bereits im Auge gehabt hat, die ein Minderaufkommen von 125 Millionen DM bewirkt, so daß also diese 1275 Millionen DM, falls der Gesetzentwurf Drucksache 2277 Gesetz würde, zu Recht bestünden. Fällt das Notopfer weg, wird also das Aufkommen des Bundeshaushalts um 1275 Millionen DM in diesem Jahre gemindert, d. h., da das Gesetz vor dem 1. Juli sicher nicht in Kraft treten kann, für neun Monate = 926,25 Millionen DM.
Die Berliner selbst haben durch den Wegfall des Notopfers keine Nachteile. Die Bundeshilfe ist
durch das Dritte Überleitungsgesetz in der Form des Bundes zuschusses und der Bundesdarlehen gesetzlich gewährleistet. Die Steuerpräferenzen, die Berlin gewährt worden sind, werden durch den Wegfall des Notopfers Berlin nicht betroffen.
Infolgedessen bestehen eigentlich überhaupt keine Gründe, dieses Notopfer aufrechtzuerhalten, denn der Bundeshaushalt kann die Mindereinnahme vertragen. Es muß, wie ich dargelegt habe, aus Gründen der Steuersystematik, aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, aus Gründen der Vereinfachung von Gesetzgebung und Verwaltung und aus Gründen der politischen Moral aus dem Steuersystem des Bundes verschwinden. Alle Kreise der Wirtschaft und die Presse, die sich ernsthaft mit Steuerfragen befaßt, sind von der Systemwidrigkeit und von der Überflüssigkeit des Notopfers Berlin überzeugt. Wenn alle diese Kreise — und auch weite Kreise in den Reihen der größten Fraktion dieses Hauses — davon überzeugt sind, daß das Notopfer Berlin fallen muß, sollten wir uns zu dem Schritt aufraffen. Der Bundesfinanzminister ist Argumenten leider nicht mehr zugänglich. Es ist schade, daß er nicht merkt, wie sehr durch seine Starrheit sein Ansehen gemindert wird.
Es ist wirklich schade. Er sollte sich diese Dinge auch überlegen und nicht wieder den Versuch machen, in seiner Fraktion mit falschen Argumenten diesen Antrag zu Fall zu bringen.
Ich verbessere mich: mit objektiv unrichtigen Argumenten.