Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute hier den Entwurf eines Fortgeltungsgesetzes zu beraten haben, dann müssen wir uns doch noch einmal auch mit dem Fragenkomplex beschäftigen, der für die Beratung dieses Gesetzes von so entscheidender Bedeutung ist, dem Komplex der von den früheren Besatzungsmächten beschlagnahmten Häuser, Wohnungen und Gewerbebetriebe. Dieser Personenkreis hat nun elf Jahre lang die Quartierlasten der Besatzung getragen, und es ergibt sich natürlich für uns die Frage, ob es dahin kommen mußte, daß die Bundesregierung heute hier ein derartiges Gesetz vorlegt.
Meine Damen und Herren, ich sage dazu: Nein!
nenn dieges Fortgeltungsgesetz ist ja mir ein sehr
dünner Schleier, um das Versagen der Bundesregierung auf diesem Gebiet zu verhüllen.
— Herr Minister, das war nicht Ihr Ressort, sondern das Finanzministerium war in all diesen Jahren zuständig.
Die Unterbringung der alliierten Streitkräfte und ihrer Familien ist für die Bundesregierung heute kein neues Problem. Sie kann auch nicht behaupten, es komme urplötzlich auf sie zu. Sie kann auch nicht sagen, es habe an Mitteln gefehlt oder die Baukapazität sei nicht vorhanden gewesen.
Es werden jetzt noch etwa 15 000 Wohnungen in Anspruch genommen. Ich bezweifle sehr, ob ein echter Bedarf der Alliierten in dieser Höhe überhaupt noch vorhanden ist.
Ich bin der Überzeugung: wenn man in den fünf Jahren, die zur Verfügung gestanden haben, mit dem nötigen Ernst und dem dazugehörigen Druck vorgegangen wäre, brauchten wir uns um diese 15 000 Wohnungen heute keine Gedanken mehr zu machen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in mehr als einer Rede seine Programme — den Schäffer-Plan, den Generalfreimachungsplan usw. — verkündet. Ich habe mir heute morgen noch einmal die Protokolle durchgesehen und darf nur an seine Ausführungen vom 23. 3. 1955 erinnern. Wenn aber heute in der Begründung des Regierungsentwurfs von Wohnungen gesprochen wird, die sich im Bau oder in der Planung befinden, ist es sehr verständlich, wenn die Betroffenen und die deutsche Öffentlichkeit kein Vertrauen mehr zu den Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers über die Freimachuneg dieser belegten Wohnungen haben.
Der Herr Bundesfinanzminister hat ja leider — übrigens ist die Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion offiziell immer noch nicht eingegangen — zusätzlich gesagt, daß die Alliierten noch weiteren Bedarf angemeldet haben, der ursprünglich nicht vorgesehen war und der auch wieder zu Lasten der Menschen geht, die so große Opfer gebracht haben.
Die vorsichtigen Schätzungen des Herrn Bundesfinanzministers, die wir heute in der Begründung zur Regierungsvorlage und auch in der inoffiziellen Antwort auf die Kleine Anfrage gefunden haben, stehen vor allem in einem beredten Gegensatz zu den Ausführungen der Bundesregierung in der Frage der Freimachung von Kasernen für das Verteidigungsministerium durch Schaffung von Ersatzwohnungen usw. Da sollen die sonst so langsam fließenden Geldquellen offensichtlich also sehr schnell zum Fließen kommen; vielleicht natürlich auch deswegen, weil sich das Verteidigungsministerium allmählich zu einem Kreditinstitut besonderer Art entwickelt; ich denke an Post, Straßenbau und anderes mehr. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, meine Damen und Herren: wenn man die Bauten für die Besatzungsverdrängten mit dem Tempo angepackt hätte, mit dem die Regierung jetzt die Kasernen freimacht, dann hätte der 2. Deutsche Bundestag sich mit diesem Problem überhaupt nicht mehr zu beschäftigen brauchen.
Ich habe leider das Gefühl, daß, wenn ein kleiner Kreis von Menschen um seine Sache ringt, er gewissermaßen für eine verlorene Sache kämpft und seine Rufe ungehört verhallen, vor allem dann, wenn seine Mitglieder nicht zu dem Personenkreis gehören, die durch die Einkommensteuernovelle von 1954 ein besonderes Verhältnis zur Politik bekommen haben.
Nur um das Bild abzurunden, möchte ich sagen, daß wir bei den Verhandlungen über die Pariser
Verträge hier immer wieder gehört haben, auch der Truppenvertrag solle schnellstens durch einen neuen NATO- Stationierungsvertrag abgelöst werden, der ja auch eine Erleichterung auf diesem Gebiet gebracht hätte. Meine Damen und Herren, um so erschütternder war es für uns, von den Vertretern der Bundesregierung hören zu müssen, daß die Verhandlungen über diesen NATO-Stationierungsvertrag erst im Oktober 1955 aufgenommen worden sind. Eine derartige Verschleppung und Verzögerung ist beim besten Willen nicht zu vertreten. Ähnlich ist es natürlich, wenn die Regierung heute klagt, daß die drei Gesetze nicht rechtzeitig zur Verabschiedung kommen. Ich darf darauf hinweisen, Herr Minister, daß das Schutzbereichgesetz im September, das Leistungsgesetz im Oktober und das Landbeschaffungsgesetz erst im Dezember uns zugegangen sind.
Nun zur Vorlage selbst, die praktisch die alliierten Requisitionen aufrechterhält. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich einmal in die Lage der betroffenen Bürger, vor allem in der früheren amerikanisch besetzten Zone, zu versetzen, die sagen: Wirhaben die Souveränität, aber den Wildwuchs unserer Gärten müssen wir nach wie vor von draußen ansehen, und auch bei gutem Willen der Zwangsmieter wird uns grundsätzlich verweigert, daß wir mit diesen unter einem Dach wohnen. Ich glaube, daß es keine Gründe gibt die durchschlagend sind, um diesen Zustand auch noch durch ein deutsches Gesetz zu verlängern. Der Innenminister hat ja, ohne sachlich bisher damit befaßt zu sein, vom Kabinett den Schwarzen Peter in die Hand gedrückt bekommen, um diese Vorlage zu vertreten. § 29 Abs. 2 der Geschäftsordnung steht dem entgegen, sonst hätten wir — viele meiner Kollegen haben sich das ernsthaft überlegt — vielleicht einen Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu dieser Vorlage gestellt, weil sie uns im Hinblick auf die Gesamtsituation der betroffenen Kreise als völlig unzureichend erscheint.
Der Bundesrat hat das auch klar erkannt, und der Kollege von Buchka hat ja freundlicherweise den wesentlichen Wortlaut des Beschlusses des Bundesrates zitiert. Ich bin nur von seinen Schlußfolgerungen überrascht. Im ersten Teil kann er ihn nicht billigen, weil er ihm politisch unbequem ist; im zweiten Teil hält er ihn durchaus für akzeptabel. Im zweiten Teil werden die allgemeinen Feststellungen getroffen, mit denen wir uns selbstverständlich auch einverstanden erklären können.
Die Gründe für den Beschluß des Bundesrates sind ganz offenkundig. Es ist bekannt, daß eine nicht unerhebliche Zahl von beschlagnahmten Grundstücken und Häusern von den alliierten Truppen gar nicht mehr benötigt werden, sondern als stille Reserve betrachtet werden, und dem hilft ja leider auch der Entwurf nicht ab, weil nach meiner Auffassung die Vorschriften noch zu unbestimmt sind. Träte der Entwurf in der vorgelegten Form in Kraft, würde es wieder Wochen dauern, bis die einzelnen Freigaben vorgenommen werden müßten. Und ob dann noch ein sachliches Interesse an dieser Beschlagnahme besteht?!
Nun kommt hinzu, das zahlreiche Wohnungen und Grundstücke vertragswidrig von den alliierten Familienangehörigen benutzt werden.
Die Truppenangehörigen sind seit Jahr und Tag
längst sonstwo —; aber die Familienangehörigen
bleiben hier in Deutschland. Das ist nach Art. 37
des Truppenvertrages nicht zulässig, und die Regierung muß darauf drängen, daß diese vertragswidrige Benutzung aufhört. Wir können dem beim besten Willen nicht durch ein Fortgeltungsgesetz noch gewissermaßen Vorschub leisten.
Schließlich, meine Damen und Herren, stehen auch zahlreiche Wohnungen leer, die für die Alliierten gebaut, von ihnen aber nicht bezogen worden sind. Ich will gar nicht im einzelnen auf die Gründe eingehen; die Größe oder der Fußboden, und was weiß ich, hat ihnen nicht gepaßt. Jedenfalls werden da zum Teil Gründe vorgebracht, die bei näherer Betrachtung wirklich nicht zu rechtfertigen sind, und wir müssen auch hier auf der völligen Ausnutzung des Wohnraums bestehen.
Der noch verbleibende Bedarf bewegt sich in Größenordnungen, die für den freien Wohnungsmarkt keine Rolle spielen. So gibt es eine ganze Reihe von Hausbesitzern, die sagen: Nun habe ich mein Haus elf Jahre lang nicht gehabt, gebt mir Geld; ich habe mir inzwischen ein neues Haus gebaut.
Es müßte möglich sein, dieses Problem in kürzester Zeit zu bereinigen. Die Bundesregierung hat es hier an der notwendigen Aktivität fehlen lassen. Man hat sich auf das Bundesleistungsgesetz und seine Beschlagnahmemöglichkeiten verlassen. Der Entwurf war ja hier sehr großzügig. Man wollte zunächst noch einmal zwei Jahre lang beschlagnahmen und dann nochmals zwei weitere Jahre, so daß man bis zum Jahre 1960 gekommen wäre; dann hätte man das Problem gelöst gehabt. Jetzt soll es eben das Fortgeltungsgesetz machen. Unter diesem Gesichtspunkt wird meine Fraktion es beim besten Willen nicht vertreten können, daß der von der Regierung vorgeschlagene Termin angenommen wird. Wir legen unter allen Umständen Wert darauf, daß das Gesamtproblem mit allen anstehenden Fragen noch vor den Sommerferien geklärt wird.
Nun hat der Herr Minister auf die außenpolitischen Gründe hingewiesen, warum die Regierung in der vorliegenden Form auf dem Gesetz bestehen müsse. Ich halte diesen Gesichtspunkt nicht für so durchschlagend, und zwar deshalb, weil ich überzeugt bin, daß die Regierung keinen Vorwurf von den NATO-Mächten bekommt, sie sei nicht vertragstreu genug. Ich bin im Gegenteil der Überzeugung, daß der Herr Bundeskanzler eher im Sinne eines Übersolls dafür bekannt ist, daß er vertragstreu ist. Ich glaube, wir brauchen uns hier keine Sorgen zu machen. Wenn die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit den Alliierten klar darlegt, daß der Deutsche Bundestag besonderen Wert darauf legt, diese Gesetze gründlich zu prüfen, dann werden unsere Vertragspartner dafür volles Verständnis haben, weil sie selbst eine parlamentarische Demokratie haben und wissen, wie notwendig es ist, gerade solche Vorlagen mit ihren tiefgehenden Einwirkungen in das Privateigentum und die private Rechtssphäre des Staatsbürgers gründlich und sorgfältig in den Ausschüssen durchzuberaten.
Meine Damen und Herren, ich darf zum Schluß kommen. Wir sind bereit, im Ausschuß an der Lösung der Probleme mitzuarbeiten, bitten aber, uns nicht etwa mit einem Hinweis auf das nationale Ansehen gewissermaßen unter Druck setzen zu wollen. Davon hören wir nämlich im allgemeinen
nur dann, wenn die Regierung ein Passivgeschäft hat und wir daran beteiligt werden sollen.