Rede von
Dr.
Hans
Reif
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Vorbehalte zu wiederholen, die mein Freund Drechsel und mehrere Vertreter der Koalition, insbesondere auch die Herren Bundesminister, hier ausgesprochen haben. Ich möchte gegenüber der Bemerkung, die der Herr Kollege Blank eben gemacht hat, doch sagen: Es ist nicht so, daß man, wenn man nun nicht alles, was in dieser Resolution niedergeschrieben ist, für richtig hält — und Sie selbst halten es ja nicht für richtig —, gar nichts will. Das war ja nicht gemeint. Gemeint ist: wir wollen uns die Möglichkeit, zu einer Verbindung der beiden Projekte zu kommen, die beide wertvolle Gesichtspunkte enthalten, nicht verbauen. Wozu uns also festlegen auf Elemente der einen Seite, die unter Umständen ein Hindernis für die Synthese beider Projekte darstellen? Der Wunsch, den ich hier wiederhole, das im Ausschuß noch einmal zu überprüfen, scheint mir schon deshalb sehr berechtigt zu sein, weil ja auch in anderen Gremien noch keine richtige Verhandlungsgrundlage vorgelegen hat. Ich erinnere mich an die Unterhaltung, die vor einigen Tagen in Brüssel in der Commission des affaires générales stattgefunden hat, wo wir ja sogar in bezug auf die Berichterstattung der Meinung gewesen sind, daß, solange nicht die endgültigen Formulierungen der Projekte und ihre Begründungen vorliegen, im Grunde genommen nicht einmal ein wirklich für die Diskussion brauchbarer Bericht vorgelegt werden kann; wieviel weniger also eine Entschließung, die uns in ganz bestimmten Punkten festlegt und bei der wir sogar von der Regierungsseite hören,
daß gerade in diesen Punkten eine Festlegung eigentlich gar nicht erwünscht ist!
Aber ich wollte im Grunde genommen nur in Ergänzung der Ausführungen meines Freundes Drechsel etwas über den gemeinsamen Markt sagen. Die merkwürdige Verbindung des Themas Euratom auf der einen Seite mit dem Thema gemeinsamer Markt auf der anderen Seite ist ja nicht ganz zufällig. Es geht, wie eben auch vom Herrn Kollegen Blank gesagt worden ist, nicht nur um den gemeinsamen Markt für die Verwertung der Kernenergie, sondern es geht um den gemeinsamen Markt überhaupt. Lassen Sie mich hier noch einmal auf eines hinweisen. Ich höre die Ausführungen, die in dieser Beziehung gemacht werden, manchmal mit einer gewissen Wehmut, weil sie mich an gewisse Ausführungen in der Weimarer Zeit erinnern, wo jede Regierung, jede deutsche Reichsregierung, jede französische, jede andere Regierung beim Amtsantritt in einer Regierungserklärung sich feierlich vor der Welt verpflichtete, an dem Abbau der internationalen Handelsschranken tatkräftig mitzuwirken. Das, was in Wirklichkeit geschah, veranlaßte einen klugen Berliner Bankier zu dem Scherzwort: „Schutzzoll per Kasse, Freihandel auf Termin!"
Ich habe manchmal die Befürchtung, als gäbe es Kreise in Europa, die den Wunsch haben, es möge wieder ebenso sein, und ich glaube, dieser Wunsch ist angesichts der bevorstehenden Möglichkeiten einer zweiten industriellen Revolution durch die Verwertung der Kernenergie nicht mehr am Platze. Ich bin wirklich und aufrichtig der Meinung — und das ist auch die Meinung meiner Freunde —, daß eine so weitgehende Entwicklung der Verwertung der Kernenergie in einer sich entwickelnden europäischen Wirtschaft -- wie wir sie wünschen müssen, wenn wir nicht eines Tages in den Rang eines unterentwickelten Gebietes kommen wollen — organisch überhaupt nur möglich ist, wenn sie sich gleichzeitig mit der Entwicklung des gemeinsamen Marktes überhaupt vollzieht, eines gemeinsamen Marktes, der nicht auf den Markt der sechs beteiligten Länder der Montanunion beschränkt bleiben kann, sondern der — mit welchen Mitteln auch immer — der wirkliche gemeinsame europäische Markt sein muß und auch sein kann.
Ich darf vielleicht einmal daran erinnern, daß man so gerne und so oft die Geschichte des Deutschen Zollvereins als Vorstufe nicht nur der Reichsgründung, sondern auch als Instrument zur Entwicklung einer deutschen Volkswirtschaft ansieht. Eine Seite des Beispiels ist vielleicht nicht ganz brauchbar; denn jene Zeit war eben die Zeit, in der die Grundlagen der industriellen Entwicklung gelegt wurden. Das Beispiel ist aber nach einer anderen Richtung hin doch sehr brauchbar, weil es nämlich bestätigt, daß sich die Grundlagen der europäischen Industriealisierung - d. h. die Standortverteilung der industriellen Produktion in Europa — im Grunde genommen im Zeichen des Freihandels entwickelt haben. Das heißt: Wir haben schon einmal so etwas wie eine integrierte europäische Wirtschaft gehabt, — nicht eine Integration, die man macht, sondern eine, die man zuläßt, und Freihandel ist nicht anderes, als die Integration des großen Marktes zuzulassen.
Die Periode des nationalstaatlichen Imperialismus, die uns dann in den ersten Weltkrieg gebracht hat, und die verzweifelten Bemühungen einsichtiger Frauen und Männer nach dem ersten Weltkrieg, die Folgen dieser Entwicklung durch einen allgemeinen Abbau der Handelsschranken wieder zu beseitigen, kennen wir ja alle.
Nun stehen wir wieder vor dieser Aufgabe. Wiederum geht es darum, diesem Europa die Möglichkeit zu geben, eine Entwicklung nun endlich wieder zu vollziehen, deren Grundlagen ja längst vorhanden sind, und sich damit gleichzeitig auf eine industrielle Entwicklung vorzubereiten, die uns bevorsteht und die wir wollen, weil sie die Entwicklung der Zukunft ist.
Nun weiß ich auch, meine Damen und Herren, daß man so argumentieren kann: Vielleicht schaffen wir zunächst einmal im Raum der sechs an der Montanunion beteiligten Länder den gemeinsamen Markt!
Ich weiß aber auch, daß sich hier unter Umständen Differenzierungen vollziehen können, die eine Erweiterung später erschweren. Ich bin deshalb durchaus der Meinung — die ja der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard immer vertritt —, daß wir beides gleichzeitig versuchen müssen. Bei allen Bemühungen, dem gemeinsamen Markt Europa durch den gemeinsamen Markt der Montanunion-Länder sozusagen eine Brücke zu bauen, dürfen wir niemals vergessen, daß das nur eine Vorstufe sein kann und sein darf. Die Entwicklung der nuklearen Energie in der industriellen Produktion, die uns eines Tages in dieser Welt als Europäer industriell gleichwertig macht, ist nur möglich, wenn die markttechnischen Voraussetzungen dieser Entwicklung ganz Europa umfassen. Deshalb bin ich etwas vorsichtig in der Bewertung dessen, was jetzt im Zusammenhang mit Euratom, diesem Projekt, das nun von Messina ausgeht und uns vorgelegt ist, unter Umständen riskiert wird. Ich weiß, daß eine Gefahr nicht besteht, wenn wir wachsam sind. Aber ich glaube, diese Wachsamkeit ist dringend vonnöten, wenn wir gerade dem, was durch die friedliche Entwicklung der atomaren Energie geschaffen werden soll, nicht den Weg verbauen wollen.
Ein allerletztes Wort, meine Damen und Herren, und eine Warnung! Wir wissen alle, daß die Herstellung eines gemeinsamen Marktes im Raume der Sechs oder in größerem Raume hier und da zu Schwierigkeiten führen wird. Es ist davon gesprochen worden, daß es genau wie in der Montanunion, sagen wir, einen Härtefonds geben sollte, ja, geben muß. Meine Damen und Herren, ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß wir über einen solchen Härtefonds schon einmal verfügt haben. Es war sehr wenig erfreulich, als eines Tages eine Delegation des amerikanischen Kongresses in Straßburg war und den Europäern sagte: Was habt ihr denn eigentlich mit den Marshallplangeldern gemacht? Denn die ursprüngliche Idee der Marshallplanhilfe war doch, Hilfestellung zur Überwindung derjenigen Schwierigkeiten zu leisten, die sich bei der Herstellung eines gemeinsamen europäischen Marktes nach jahrzehntelanger Differenzierung selbstverständlich ergeben. Der nationalstaatliche Egoismus hat daraus etwas völlig anderes gemacht.
Ich möchte aus zwei Gründen, daß wir jetzt nicht noch einmal in diesen Fehler verfallen, einmal, weil es so eben nicht geht und wir nicht zur Gemeinsamkeit kommen, und zweitens, weil der größte Bundesgenosse oder, ich möchte beinahe sagen, der größte Europäer, den es heute gibt — mindestens also der stärkste Bundesgenosse der europäischen Integration —, durch die Vereinigten Staaten von Amerika dargestellt wird. Es wäre sehr bedauer-
lieh, wenn die Vereinigten Staaten in dieser Beziehung an uns zweifelten; sie haben aus ihrem Verhalten zwischen den beiden Weltkriegen gelernt, als Stärkste berufen zu sein, denen, die durch die Entwicklung zurückgedrängt worden sind, zu der Entwicklung zu verhelfen, die allein in der Zukunft dieser Erde ihnen einen Bestand ermöglicht.
Aus all diesen Gründen möchte ich, daß wir, gerade weil wir über Euratom und ähnliche Dinge sprechen, die Frage der gleichzeitigen Entwicklung des gemeinsamen- Marktes außerordentlich ernst nehmen.