Rede von
Kurt
Mattick
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dem Antrag auf Streichung des § 54 handelt es sich, um es noch einmal vorab zu sagen, um die Streichung der Ausschließungsklausel für Berlin, die in diesem Gesetz wieder enthalten ist.
Gestatten Sie mir zu unserem Antrag etwas ausführlichere Darlegungen über die Entwicklung bis zum heutigen Tage und über den Standpunkt, den insbesondere wir Berliner dazu einnehmen. Ich möchte zurückgehen auf das Jahr 1948, als nach einer längeren Auseinandersetzung unter den Besatzungsmächten von den Westmächten die Währungsreform durchgesetzt wurde und die erste konkrete Entscheidung darüber, wohin Berlin in der nächsten Periode gehören sollte, bei den Berlinern lag. Sie wissen, daß Berlin damals eine überzeugende folgenschwere Entscheidung getroffen hat. Berlin entschied sich in dieser Frage für die westliche Politik, für die Zusammenarbeit mit den drei Besatzungsmächten und mit den drei Zonen des Westens in der festen Überzeugung, daß mit
dieser Politik in Berlin eine demokratische Vorhut entstehen werde für die weitere damals eigentlich erst beginnende Auseinandersetzung über die Wiedervereinigung Deutschlands, über die Freiheit und über die Demokratie für ganz Deutschland. Mit der damaligen Währungsreform begann in Berlin die interne Auseinandersetzung, die innerliche Spaltung. Ich darf daran erinnern, daß im Jahre 1948, nachdem die damalige Gesamtberliner Stadtverordnetenversammlung mit allen gewählten Stadtverordneten im Auftrage der vier Besatzungsmächte eine gemeinsame Berliner Verfassung geschaffen hatte, von sowjetischer Seite die aus eigener Kraft der Deutschen geschaffene Verfassung für ganz Berlin und der Rahmen ganz Berlins gesprengt und die drei Westbezirke in Berlin, die drei Westsektoren mittels der militärischen Macht der sowjetischen Besatzung isoliert wurden. Und ich erinnere an den Anfang der Blockadesituation, in der die Berliner Bevölkerung noch einmal vor der Entscheidung stand, ob sie diese Last auf sich nehmen sollte oder nicht, eine Entscheidung um die politische Stellung Berlins im Kampf um die deutsche Wiedervereinigung.
Berlin arbeitete dann mit im Parlamentarischen Rat, immer mit der Voraussicht und mit der Absicht, ein Teil dessen zu werden, was in den drei Westzonen als erster Bestandteil einer Zusammenfassung der demokratischen Kräfte in Deutschland möglich war. Berlin wollte durch seine Mitarbeit im Parlamentarischen Rat die Bundeszugehörigkeit erreichen.
Ich darf daran erinnern, daß in dieser damaligen Auseinandersetzung die Spaltung Berlins von sowjetischer Seite vorwärtsgetrieben wurde und daß bei der Schaffung der Bundesrepublik auf Grund alliierten Willens Berlin aus der ersten Mitentscheidung, der ersten Wahl zum Deutschen Bundestag dennoch ausgeschieden wurde, weil man damals in der Hoffnung lebte, durch dieses Verhalten eine gewisse gemeinsame Basis der Viermächteverwaltung und des Viermächtestatus im Rahmen ganz Berlins erhalten zu können. Sie erinnern sich sicher daran, daß, obgleich Berlin nach dem Fallen der Blockade den Versuch gemacht hat — von seiten der Westberliner Verwaltung und auch von seiten der Westmächte —, mit diesem Verhalten des Ausschließen aus der direkten Beteiligung an der Bundesrepublik den Zusammenhang ganz Berlins wiederherzustellen, dennoch jeder Versuch der Auflockerung der Spaltung Berlins an dem Verhalten der Sowjets scheiterte und die endgültige Spaltung Berlins immer schärfere Formen angenommen hat.
Ich darf auch daran erinnern, daß mit der Schaffung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, des sowjetischen Satellitenstaates, im Jahre 1949 der Ostsektor von Berlin Hauptstadt dieses Satellitenstaates wurde und seit dieser Zeit Sitz der Regierung des Satellitenstaates der DDR ist. Heute die Dinge so darzustellen, als wenn es überhaupt eine Vergleichbarkeit zwischen der Berliner Westposition und der Berliner Ostposition dadurch gibt, daß auch im Ostsektor von Berlin die Wahlen zur Volkskammer nicht direkt durchgeführt wurden, meine Damen und Herren, das ist doch wirklich ein Versuch, die Dinge am untauglichen Objekt zu demonstrieren. Denn wer wagt es hier in diesem Hause, sogenannte Wahlen zur Volkskammer zu Wahlen zum Deutschen Bundestag in Vergleich zu setzen!
Schon hierin liegt doch die ganze Hohlheit einer solchen vergleichenden Begründung. Es gibt keine echten Wahlen zur Volkskammer. Es gibt keine echte Auseinandersetzung in der Volkskammer um die Politik der DDR, sondern was das ist, wissen Sie alle; Sie können es nicht vergleichen.
Wir in Berlin und die westlichen Besatzungsmächte haben in der Folgezeit bis zum heutigen Tage alle Versuche unternommen, Stücke einheitlicher Verwaltung wiederherzustellen, irgendein gemeinsames Bild des ganzen Berlin im Interesse der Gesamtberliner und auch der deutschen Wiedervereinigung zu erhalten. Nichts von dem ist geglückt. Wenn Sie es genau wissen wollen: die Einheit in Berlin besteht heute noch in der Kanalisation,
das heißt — ich brauche das nicht kräftiger auszudrücken —, daß wir in Westberlin den Dreck loswerden wollen, der von den Ostberlinern für die Rieselfelder noch ganz gern in Empfang genommen wird. Dieses Einhalten von Verwaltungsvereinbarungen oder die Einheit durchgängiger Organisationen gibt es heute auch noch an verschiedenen Stellen der Zonengrenze; das hat nichts mit einem einheitlichen Berlin zu tun.
Nun, meine Damen und Herren, wird uns gesagt, daß wir heute den Viermächtestatus Berlins gefährdeten, wenn Berlin mitwählen würde.
Worin besteht denn heute nach dieser Entwicklung in Großberlin und im Lande Berlin noch ein Viermächtestatus? Er besteht darin, daß auf Grund der machtpolitischen Situation und des Rechtsanspruchs die drei Besatzungsmächte des Westens noch unter den gleichen Voraussetzungen in Berlin sind und hoffentlich bleiben wie die sowjetische Besatzungsmacht. Das hat weder etwas mit einem Bestehen, mit einem wirklichen Bestehen eines Viermächtestatus, noch viel weniger etwas mit einem wirklichen Bestehen einer Viermächteverwaltung zu tun. Die Viermächteverwaltung deutscher Form ist restlos gesprengt. Jede Berliner Grenzstraße ist heute eine echte Grenzstraße. Sie alle haben das schon erlebt, Sie alle waren schon in Berlin. Und der Viermächtestatus in Form der alliierten gemeinsamen Kommandantur für bestimmte Fragen Berliner Gemeinsamkeit besteht auch seit 1949 nicht mehr. Das, was da ist, ist die Anwesenheit der Besatzungsmächte, meine Damen und Herren.
Darf ich hier einmal eine Zwischenbemerkung machen? Es kann sein, meine Damen und Herren, daß in einigen Fraktionen diese Frage ausdiskutiert ist, daß Sie sich mit den Dingen abgefunden haben, aus einer Reihe von Gründen, die zum Teil gut gemeint sein mögen, die wir zum großen Teil aber nicht verstehen. Ich hoffe, daß Sie wenigstens Verständnis dafür haben, daß es uns noch einmal ein echtes Anliegen ist — nachdem die Debatte um die Beteiligung der Berliner an den Wahlen so öffentlich in der Presse geführt worden ist —, unseren Standpunkt darzulegen, schon mit der Absicht, diese Auseinandersetzung nicht als mit dem heutigen Tag abgeschlossen zu betrachten. Ich hoffe, annehmen zu können, daß Sie, wenn Sie auch mit Ihrer Entscheidung fertig sind — das geht ja manchmal sehr schnell —, wenigstens bereit sind,
mit uns über die Argumentation noch einmal zu debattieren, weil ja auch im Ausschuß von Ihren Damen und Herren gesagt worden ist, das solle heute nicht die letzte Entscheidung sein. Darum haben wir diese Auseinandersetzung, darum halten wir sie für notwendig. Wir glauben, daß eine weitere Auseinandersetzung folgen muß.
Ich wollte Ihnen noch einmal darlegen, warum wir — insbesondere wir Berliner, die ja nach Ihren Vorstellungen in die größte Notsituation kommen würden — in der Mehrzahl der Berliner — mit Ausnahme einiger Abgeordneten, die sich in diesem Standpunkt allmählich etwas gewandelt haben — diese Haltung, die hier vom Hause eingenommen wird, nicht verstehen. Ich versuchte darzulegen — um das für diejenigen, die nicht mithören können, noch einmal in einem Satz zu wiederholen —, daß im Zuge der Entwicklung von 1948 bis heute eine völlige, reale Auflösung der Viermächteverwaltung Berlins und eine völlige, reale Auflösung der gemeinsamen Viermächtekommandantur in Berlin vor sich gegangen ist, daß Berlin heute eine völlig gespaltene Stadt und daß der Ostsektor dieser Stadt Sitz der Regierung der Satelliten-DDR und Hauptstadt dieses Satellitenstaates ist. All das andere, an dem Sie herumraten, all das, was da noch offen ist, ist nicht vergleichbar, weil Wahlen zur Volkskammer keine Wahlen sind und einen Vergleich nicht zulassen.
Ich möchte ein zweites sagen, meine Damen und Herren: daß nämlich der Versuch, darzulegen, daß die Anwesenheit der Westmächte in Berlin — sie selbst tun es, glaube ich, gar nicht in dem Ausmaß
— auf einem Status beruhe, der durch die Mitwahl der Berliner gestört werden könnte, überhaupt keine echte, reale Begründung hat. Wir glauben —das möchte ich hier noch einmal sehr deutlich sagen —, daß die westlichen Alliierten heute in Berlin erstens auf Grund der bestehenden Machtverhältnisse sind, die sich ergeben haben, zweitens
— ich glaube, das hier noch einmal so deutlich sagen zu müssen — schon auf Grund des Verhaltens der Berliner seit 1946, außerdem auf Grund der unterdessen zwischen der Bundesregierung und den alliierten Besatzungsmächten abgeschlossenen Verträge. Schließlich sind die Westmächte heute in Berlin anwesend auf Grund ihres ernsten und echten Willens, Berlin-West so lange unter Schutz zu halten, bis ihr Versprechen, die Wiedervereinigung in Demokratie und Freiheit zu erreichen, erfüllt ist. Das kann aber doch nicht von der Frage abhängig gemacht werden, ob die Berliner ihre Abgeordneten wählen oder nicht.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu der Frage machen, wie wir Berliner im Bundestag uns die Westberliner Situation eigentlich vorstellen. Ich bin vorhin von dem Willen Berlins ausgegangen, Bundesland zu werden. Sie haben die Einschränkungen aus einer Reihe von Gründen, die ich angeführt habe, vornehmen müssen.
Inzwischen hat sich folgendes ereignet. Der erste Einspruch der westlichen Alliierten gegen die Wahl von 1949 in Berlin setzte voraus, daß "Berlin hier mit einem kleinen Teil von Beobachtern vertreten ist, die in dieses Haus geschickt worden sind. Damals waren es acht. Inzwischen hat Berlin die volle Zahl der Abgeordneten, die Berlin zusteht, in dieses Haus geschickt. Nunmehr ist Berlin im Bundesrat vertreten und in allen Organisationen der Bundesrepublik ordentlich vertreten. Die ganze Entwicklung von damals bis heute hat Formen angenommen, die mit denen von 1949 überhaupt nicht
mehr vergleichbar sind. Wir haben uns als Berliner auf Gedeih und Verderb dem Bunde angeschlossen und zur Verfügung gestellt. Wir erleben und machen alles mit. Das Dritte Überleitungsgesetz und der Finanzvertrag binden uns an den Bund mit allen Verpflichtungen und mit allen Rechten.
Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich doch einmal folgendes. Wir Berliner Abgeordneten erfüllen in diesem Hause zweierlei Aufgaben: Erstens nehmen wir als eine Berliner Delegation die gesamtdeutschen Interessen für Berlin und mit Berlin hier im Hause wahr, und zweitens vertreten wir die Interessen Berlins im Rahmen der Verbindungsverträge, die zwischen der Bundesrepublik und Berlin abgeschlossen sind. Nun frage ich jeden einzelnen in diesem Hause und auch der Bundesregierung: Was soll denn an dem Verhältnis zu den Besatzungsmächten in Berlin verändert werden, wenn die Westberliner den Wunsch aussprechen, was sie tun, daß ihre Vertreter, die sie in dieses Haus schicken, die Interessen Berlins im Rahmen der Verträge zwischen Bonn und Berlin vertreten? Was soll denn an dem Viermächtestatus verändert werden, wenn die Berliner den Wunsch haben, ihre Vertreter in diesem Hause unmittelbar zu wählen und nicht über das Abgeordnetenhaus hierher zu delegieren? Das kann doch niemand erklären, der es bis in diese letzte Konsequenz überlegt.
Ich darf dazu noch eine andere Bemerkung machen. In Berlin ist auf Grund dieser jetzt entstandenen allgemeinen Debatte auch eine Diskussion in Gang gebracht worden. Nachdem die sozialdemokratische Fraktion im März vorigen Jahres, genau heute vor einem Jahr, ihren ersten Entwurf zum Wahlgesetz eingebracht hat, in dem steht, daß Berlin an den Wahlen ordentlich beteiligt wird, und man das akzeptiert und nirgends diskutiert hat, ist in den letzten Wochen eine Diskussion entfacht worden. Ich bitte Sie, genau zu überprüfen, wohin das führt. Einige regierungstreue Zeitungen haben logischerweise in den Chor der Nein-Sager mit eingestimmt.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie einmal auf die Gefahr aufmerksam machen, die hier entsteht. Das ging so weit, daß eine große Berliner Zeitung, die der Bundesregierung nahesteht — denn ihr Leitartikelschreiber ist der Herr Dr. Friedländer —, die Frage aufgeworfen hat, ob denn die Berliner diesen Wahlrummel überhaupt wollen; sie sollten doch zufrieden sein, daß in Berlin diese Auseinandersetzung nicht nötig sei. Wenn das die Auseinandersetzung um Freiheit und Demokratie auf Berliner Boden ist, nur weil man versuchen will, die Berliner von der Wahl auszuschalten, dann mache ich Sie auf die innere Gefahr, die daraus für die Demokratie entsteht, hier an diesem Platze noch einmal sehr frühzeitig aufmerksam. Wir nehmen das nicht ab.
Noch eine andere Bemerkung. Ich bedauere — und meine Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion tun es genau so — die Ausführungen, die nunmehr einige Kollegen dieses Hauses gemacht haben. Ich bedauere, daß Herr Lemmer, nachdem er von Berlin hierher kam und seine Fraktionsbesprechung hinter sich hatte, erklärte: Wir Berliner Abgeordneten fühlen uns nicht benachteiligt.
Dazu eine Bemerkung. Sehen Sie, meine Damen und Herren, heute wird im Bundestag eine Entschließung der CDU-Fraktion zu diesem Thema vorgelegt. Darin heißt es unter anderem:
Der Deutsche Bundestag gibt vielmehr seiner
ernsthaften Hoffnung Ausdruck, daß die poli-
tische Entwicklung in naher Zukunft die volle Beteiligung Berlins an der politischen Willensbildung des Bundestages erlauben wird.
Lassen Sie mich dazu bemerken: Ich glaube wenigstens im Namen der sozialdemokratischen Berliner Abgeordneten sagen zu können: Seit einiger Zeit fühlen wir uns hier ernsthaft benachteiligt. Sie sprechen so oft von Gesten und von Ihrem echten Willen, uns entgegenzukommen. Es hat hier in diesem Hause — das Stimmrecht der Berliner Abgeordneten steht heute an sich nicht zur Debatte; aber was ich jetzt sagen will, gehört zu dieser Auseinandersetzung — in den letzten Monaten einige Entscheidungen um wichtige sozialpolitische Gesetze gegeben, die eo ipso in Berlin Anwendung finden, wie Sie alle wissen. Dabei hat formal der Bundestag Entscheidungen zugunsten der größten Fraktion des Hauses, manchmal nur mit 2, 3 Stimmen Mehrheit, getroffen, die der Willensbildung des Hauses im ganzen nicht entsprachen.
— Herr Sabel, der Zwischenruf ist falsch.
— Herr Sabel, der Zwischenruf ist falsch. Ich bitte Sie, prüfen Sie das nach.
— Herr Sabel, der Zwischenruf ist falsch. Ich werde es Ihnen nachher beweisen.
Es hat in diesem Hause bei sozialpolitischen Entscheidungen zwei, drei Abstimmungen gegeben, —
Lassen Sie mich doch einmal ausreden!